Der 19jährige Roma Schtorkin ist ein typischer Jugendlicher seiner Zeit: Seine Kindheit hat er noch in der Sowjetunion verbracht, an die er sich nur noch bruchstückhaft erinnern kann, jetzt, als Jugendlicher, lebt er in einem Russland der unendlich vielen Möglichkeiten, die alle nicht für ihn zu gelten scheinen.
Umso begieriger meldet er sich auf eine Anzeige, die Zugang zur Elite verspricht. Und plötzlich wacht er in der Gesellschaft von Vampiren auf, die ein neues das fünfte Imperium errichten wollen. Mit Roma an der Spitze
Der neue Streich von einem der bedeutendsten Autoren Russlands.
Umso begieriger meldet er sich auf eine Anzeige, die Zugang zur Elite verspricht. Und plötzlich wacht er in der Gesellschaft von Vampiren auf, die ein neues das fünfte Imperium errichten wollen. Mit Roma an der Spitze
Der neue Streich von einem der bedeutendsten Autoren Russlands.
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 10.03.2009Der Mensch als Milchvieh
Bildungsroman, Satire oder frivoles Märchen? Viktor Pelewins Vampirgeschichte „Das fünfte Imperium” will von allem ein wenig sein Von Burkhard Müller
Wer sagt denn, dass der Bildungsroman tot ist! Man sieht dem „Fünften Imperium” von Viktor Pelewin seinen Gattungscharakter nicht unbedingt gleich an, denn der Einband, schwarz und knallrot, wirkt wie die Wand eines Tatorts, an die der Mörder mit dem Blut des Opfers seine Botschaft gekrakelt hat; aber auf den vierhundert Seiten des Buchs begibt sich nichts, was nicht in Zusammenhang mit dem umfassenden Bildungsprozess des jungen Roma steht, eines etwa neunzehnjährigen Jugendlichen aus Moskau, der sich bisher mit Aushilfsjobs durchschlagen musste.
Nur allzu gern folgt er der mit Kreide aufs Trottoir geschriebenen Verheißung: „Nutzen Sie die Chance zum Eintritt in die Elite! 22.06. 18.40-18.55 Uhr. Garantiert einmalig!” Einem weniger naiven Passanten wäre daran manches verdächtig erschienen. Aber Roma besinnt sich nicht lange, tritt ein – und das Nächste, was er weiß, ist, dass er aus einer Ohnmacht erwachend sich an eine Sprossenwand gefesselt wiederfindet. Vor sich sieht er eine merkwürdige, aber nicht unkultivierte Gestalt, die eine Maske trägt, welche an einen gewaltsam übers Gesicht bis auf die Schultern niedergedrückten Zylinderhut erinnert. Sie bietet ihm an, durch eine so simple Sache wie einen winzigen Biss in den Hals Bürger im Reich der Vampire zu werden, vielmehr: Sie tut es einfach. Dabei geht etwas wie eine Zunge von Mund zu Mund über: die eigentliche Seele des Vampirs. Nachdem dies geschehen ist, erschießt sich der seltsame Gastgeber ohne großes Brimborium. Er lebt in dem Novizen weiter.
Und es erweist sich, dass die plumpe Reklame in jedem Stück die Wahrheit gesagt hat. Als Vampir, der nun den leicht abgeänderten Namen Rama trägt, erhält der Protagonist die Fähigkeit, durch den Genuss winzigster Bluttröpfchen sofort den gesamten Erfahrungsschatz jedes beliebigen Gebissenen anzuzapfen (Telepathie wäre ein zu schwacher Ausdruck dafür), und kriegt nebenbei noch eine Visa Card mit einer Deckungssumme von hunderttausend Dollar in die Hand gedrückt, um sich die angemessene vampirische Grundausstattung zu beschaffen. Vor allem aber durchläuft er eine Elite-Schulung; dass sie in geraffter Form vonstatten geht, weil der Schüler sich den größten Teil des Wissens einfach durch das Verkosten von Pröbchen der roten Flüssigkeit („Blut” ist ein verpöntes Wort) einverleibt, mag man für unfair halten – für einen empörenden Fall von Doping, wenn man die aufrecht-mühsame Art, wie ein Romanheld im 19. Jahrhundert zu seinen Bildungserlebnissen gelangt, als Vergleichsmaßstab nimmt.
Die beiden Hauptfächer heißen Glamour und Diskurs, beides mit englischem Akzent auszusprechen. Was muss man sich darunter vorstellen? Pelewin und seine Vampirschule lieben zugespitzte Formulierungen. „,Glamour ist Sex, der sich durch Geld artikuliert‘, sprach die linke Box. ,Oder wenn man so will: Geld, das durch Sex artikuliert wird.‘ ,Und Diskurs ist sublimierter Glamour‘, konterte die rechte Box. (. . .) ,Betrachte den Glamour am besten als Diskurs des Körpers . . .‘, sprach die rechte. ,. . . und den Diskurs als Glamour des Geistes‘, gab die linke zurück. ‘An der Schnittstelle dieser Begriffe entsteht die ganze moderne Kultur‘, sprach die rechte.”
Und so geht das, linke Box, rechte Box, noch ein gutes Stück weiter, deutlich mehr Diskurs als Glamour. Da die Lehrinhalte Rama nur so ins Hirn flutschen, gewinnt das Buch den nötigen Raum, sich mit seinen anthropologischen und kulturgeschichtlichen Betrachtungen mehr oder weniger direkt an den geneigten Leser zu wenden. Handlungselemente – Geheimgesellschaften, originelle Parties, eine kleine Romanze und der Auftritt der zwangsverrenteten Göttin Ischtar, die, obschon nur noch aus ihrem Kopf bestehend, dennoch nicht verlernt hat, wie man elegant einen Cognac süffelt, auch zwei oder drei – scheinen eher beiläufig und zum Zweck der Erläuterung wie auch der Erholung des Lesers eingestreut. Darin besonders erkennt man als das konkrete formale Muster, an das Pelewin sich hält, die Bildungsromane des Marquis de Sade.
Gleich dem göttlichen Marquis entfaltet Pelewin nach und nach eine komplette Philosophie des Boudoirs am Horizont des staunenden Eleven. Die Menschheit, so lernt er, gibt es nur deshalb, weil die Vampire sie mit unendlicher Geduld herangezüchtet haben, wie eine große Herde Milchvieh, das sie nun nach Belieben melken können. Das dumme Vieh merkt selbstredend nichts davon, wie planmäßig es umfunktioniert wurde. Es könnte sich ein Leben wie vormals in freier Wildbahn gar nicht vorstellen, ja es wäre darin, domestiziert wie es ist, nicht mehr lebensfähig.
Darum hat es auch keinen Zweck, revolutionäre Befreiungsphantasien zu hegen; vielmehr stellt es eine ethische Pflicht der Vampire dar, die ihnen Anvertrauten auch weiterhin zu schröpfen, denn die Alternative dazu wäre deren Untergang. Auch die uralte Rasse der Vampire hat dabei einen weiten Weg der Sublimierung zurückgelegt, gewissermaßen vom Raubmörder zum Scheckbetrüger. Als ihren Ahnherrn ehren sie „Mighty Mouse”, der bereits in der Kreidezeit zugange war und die Saurier biss - man muss ihn sich selbst wohl wie einen gewaltigen Flugsaurier vorstellen. Ihm folgten im Tertiär gewisse Säuger und Sauger mit Säbelzähnen. Dochvon einem so groben Substrat wie dem Blut hat man bei dieser Hochzüchtung schon längst Abstand genommen; die Lebenskraft der Menschen hat sich ganz ins Geld zusammengezogen, und aus diesem wieder destilliert man das Elixier „Bablos”, das auf dem Weg der Ätherwellen ins vitale Zentrum der Vampire gefunkt wird – ein Vorgang, den mehrere Schaubilder im Text begleiten.
Der Leser tut gut daran, sich statt an dieses progressiv verbiesternde Wahnsystem an die zahlreichen glitzernden Splitter zu halten, die der Autor eingesprengt hat. Plot und Charakterzeichnung gehören eindeutig nicht zu Pelewins Stärken, er ist seiner Neigung nach eher ein geistreicher Plauderer. Ramas Lehrer, die bedeutungsschwangere Namen führen wie Enlil, Mitra, Baldur, Loki nutzen die voraussetzungslose Offenheit ihres Schülers, um sarkastische Brosamen ihrer jahrtausendealten Weisheit fallen zu lassen.
„Der Liebesakt, wo er nicht aus gegenseitiger Zuneigung, sondern aus Gewohnheit geschieht (und das ist bei den Menschen eher die Regel), hat mich in seiner traurigen Routine immer an politische Wahlen bei uns denken lassen: erst wird lange genug gelogen, dann der einzig mögliche Kandidat in einen indifferenten Schlitz gesteckt – und hinterher möchte man sich einreden, das wäre es, weshalb die ganze freie Welt in Verzückung gerät . . . ”.
Das ist mehr als ein Aphorismus; es ist eine wunderbare durchge führte Allegorie, voll eines Eifers und einer Befriedigung, die sich vergeblich mühen, mittels der drei Pünktchen zum Schluss Nonchalance zu heucheln. Nicht alles erschließt sich dem Verständnis so glatt. Held und Heldin treffen sich im angesagten Restaurant „Le Yeltzine Ivre”, dem trunkenen Jelzin, eine Anspielung einerseits auf Baudelaires Gedicht „Le Bateau Ivre”, andererseits auf die Gewohnheiten des robusten russischen Gründungspräsidenten, wenn er sich zum „Aktenstudium” zurückzog. Pelewin erklärt uns den Witz umständlich und bringt ihn so um Kürze und Würze, aber sonst wäre er vielleicht unbemerkt an uns vorbeigerauscht. Da steckt ein Dilemma.
Denn nicht wir, die deutschen Leser, sind das Publikum, für das Pelewin schreibt; viel, und vielleicht das Beste, dürfte uns entgehen. Dieses Buch ist, gerade indem es sich eine so betont mondäne, „eurosanierte” Haltung gibt, eine tief binnenrussische Angelegenheit. An einer Stelle beginnt man zu ahnen, was es hinter dem Schurz seines schamlosen Erziehungsprogramms verschämt wirklich will und gern geworden wäre. Es wird ein Politiker ironisch gerühmt, der es fertig bringt, fünfhundert bezahlte Demonstranten heute als Nazis, morgen als Schwule und am nächsten Tag als „orthodoxe Ökologen” auf die Straße zu schicken; ein Supertalent sei das, wirklich ein neuer Gogol! Ja, das hat Pelewin wohl vorgeschwebt: dass seine Vampire und ihr Menschenmilchvieh ebensolche satirisch durchschlagende Symbolkraft für das heutige Russland erlangen mögen wie im 19. Jahrhundert die „Toten Seelen”. Da er aber zugleich ein frivoles Märchen erzählen möchte, gelingt es ihm nur zur Hälfte.
Viktor Pelewin
Das fünfte Imperium
Ein Vampirroman. Aus dem Russischen von Andreas Tretner. Luchterhand Literaturverlag, München 2009.
399 Seiten, 10 Euro.
Man trifft sich im angesagten Restaurant „Le Yeltzine Ivre”, dem trunkenen Jelzin
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Bildungsroman, Satire oder frivoles Märchen? Viktor Pelewins Vampirgeschichte „Das fünfte Imperium” will von allem ein wenig sein Von Burkhard Müller
Wer sagt denn, dass der Bildungsroman tot ist! Man sieht dem „Fünften Imperium” von Viktor Pelewin seinen Gattungscharakter nicht unbedingt gleich an, denn der Einband, schwarz und knallrot, wirkt wie die Wand eines Tatorts, an die der Mörder mit dem Blut des Opfers seine Botschaft gekrakelt hat; aber auf den vierhundert Seiten des Buchs begibt sich nichts, was nicht in Zusammenhang mit dem umfassenden Bildungsprozess des jungen Roma steht, eines etwa neunzehnjährigen Jugendlichen aus Moskau, der sich bisher mit Aushilfsjobs durchschlagen musste.
Nur allzu gern folgt er der mit Kreide aufs Trottoir geschriebenen Verheißung: „Nutzen Sie die Chance zum Eintritt in die Elite! 22.06. 18.40-18.55 Uhr. Garantiert einmalig!” Einem weniger naiven Passanten wäre daran manches verdächtig erschienen. Aber Roma besinnt sich nicht lange, tritt ein – und das Nächste, was er weiß, ist, dass er aus einer Ohnmacht erwachend sich an eine Sprossenwand gefesselt wiederfindet. Vor sich sieht er eine merkwürdige, aber nicht unkultivierte Gestalt, die eine Maske trägt, welche an einen gewaltsam übers Gesicht bis auf die Schultern niedergedrückten Zylinderhut erinnert. Sie bietet ihm an, durch eine so simple Sache wie einen winzigen Biss in den Hals Bürger im Reich der Vampire zu werden, vielmehr: Sie tut es einfach. Dabei geht etwas wie eine Zunge von Mund zu Mund über: die eigentliche Seele des Vampirs. Nachdem dies geschehen ist, erschießt sich der seltsame Gastgeber ohne großes Brimborium. Er lebt in dem Novizen weiter.
Und es erweist sich, dass die plumpe Reklame in jedem Stück die Wahrheit gesagt hat. Als Vampir, der nun den leicht abgeänderten Namen Rama trägt, erhält der Protagonist die Fähigkeit, durch den Genuss winzigster Bluttröpfchen sofort den gesamten Erfahrungsschatz jedes beliebigen Gebissenen anzuzapfen (Telepathie wäre ein zu schwacher Ausdruck dafür), und kriegt nebenbei noch eine Visa Card mit einer Deckungssumme von hunderttausend Dollar in die Hand gedrückt, um sich die angemessene vampirische Grundausstattung zu beschaffen. Vor allem aber durchläuft er eine Elite-Schulung; dass sie in geraffter Form vonstatten geht, weil der Schüler sich den größten Teil des Wissens einfach durch das Verkosten von Pröbchen der roten Flüssigkeit („Blut” ist ein verpöntes Wort) einverleibt, mag man für unfair halten – für einen empörenden Fall von Doping, wenn man die aufrecht-mühsame Art, wie ein Romanheld im 19. Jahrhundert zu seinen Bildungserlebnissen gelangt, als Vergleichsmaßstab nimmt.
Die beiden Hauptfächer heißen Glamour und Diskurs, beides mit englischem Akzent auszusprechen. Was muss man sich darunter vorstellen? Pelewin und seine Vampirschule lieben zugespitzte Formulierungen. „,Glamour ist Sex, der sich durch Geld artikuliert‘, sprach die linke Box. ,Oder wenn man so will: Geld, das durch Sex artikuliert wird.‘ ,Und Diskurs ist sublimierter Glamour‘, konterte die rechte Box. (. . .) ,Betrachte den Glamour am besten als Diskurs des Körpers . . .‘, sprach die rechte. ,. . . und den Diskurs als Glamour des Geistes‘, gab die linke zurück. ‘An der Schnittstelle dieser Begriffe entsteht die ganze moderne Kultur‘, sprach die rechte.”
Und so geht das, linke Box, rechte Box, noch ein gutes Stück weiter, deutlich mehr Diskurs als Glamour. Da die Lehrinhalte Rama nur so ins Hirn flutschen, gewinnt das Buch den nötigen Raum, sich mit seinen anthropologischen und kulturgeschichtlichen Betrachtungen mehr oder weniger direkt an den geneigten Leser zu wenden. Handlungselemente – Geheimgesellschaften, originelle Parties, eine kleine Romanze und der Auftritt der zwangsverrenteten Göttin Ischtar, die, obschon nur noch aus ihrem Kopf bestehend, dennoch nicht verlernt hat, wie man elegant einen Cognac süffelt, auch zwei oder drei – scheinen eher beiläufig und zum Zweck der Erläuterung wie auch der Erholung des Lesers eingestreut. Darin besonders erkennt man als das konkrete formale Muster, an das Pelewin sich hält, die Bildungsromane des Marquis de Sade.
Gleich dem göttlichen Marquis entfaltet Pelewin nach und nach eine komplette Philosophie des Boudoirs am Horizont des staunenden Eleven. Die Menschheit, so lernt er, gibt es nur deshalb, weil die Vampire sie mit unendlicher Geduld herangezüchtet haben, wie eine große Herde Milchvieh, das sie nun nach Belieben melken können. Das dumme Vieh merkt selbstredend nichts davon, wie planmäßig es umfunktioniert wurde. Es könnte sich ein Leben wie vormals in freier Wildbahn gar nicht vorstellen, ja es wäre darin, domestiziert wie es ist, nicht mehr lebensfähig.
Darum hat es auch keinen Zweck, revolutionäre Befreiungsphantasien zu hegen; vielmehr stellt es eine ethische Pflicht der Vampire dar, die ihnen Anvertrauten auch weiterhin zu schröpfen, denn die Alternative dazu wäre deren Untergang. Auch die uralte Rasse der Vampire hat dabei einen weiten Weg der Sublimierung zurückgelegt, gewissermaßen vom Raubmörder zum Scheckbetrüger. Als ihren Ahnherrn ehren sie „Mighty Mouse”, der bereits in der Kreidezeit zugange war und die Saurier biss - man muss ihn sich selbst wohl wie einen gewaltigen Flugsaurier vorstellen. Ihm folgten im Tertiär gewisse Säuger und Sauger mit Säbelzähnen. Dochvon einem so groben Substrat wie dem Blut hat man bei dieser Hochzüchtung schon längst Abstand genommen; die Lebenskraft der Menschen hat sich ganz ins Geld zusammengezogen, und aus diesem wieder destilliert man das Elixier „Bablos”, das auf dem Weg der Ätherwellen ins vitale Zentrum der Vampire gefunkt wird – ein Vorgang, den mehrere Schaubilder im Text begleiten.
Der Leser tut gut daran, sich statt an dieses progressiv verbiesternde Wahnsystem an die zahlreichen glitzernden Splitter zu halten, die der Autor eingesprengt hat. Plot und Charakterzeichnung gehören eindeutig nicht zu Pelewins Stärken, er ist seiner Neigung nach eher ein geistreicher Plauderer. Ramas Lehrer, die bedeutungsschwangere Namen führen wie Enlil, Mitra, Baldur, Loki nutzen die voraussetzungslose Offenheit ihres Schülers, um sarkastische Brosamen ihrer jahrtausendealten Weisheit fallen zu lassen.
„Der Liebesakt, wo er nicht aus gegenseitiger Zuneigung, sondern aus Gewohnheit geschieht (und das ist bei den Menschen eher die Regel), hat mich in seiner traurigen Routine immer an politische Wahlen bei uns denken lassen: erst wird lange genug gelogen, dann der einzig mögliche Kandidat in einen indifferenten Schlitz gesteckt – und hinterher möchte man sich einreden, das wäre es, weshalb die ganze freie Welt in Verzückung gerät . . . ”.
Das ist mehr als ein Aphorismus; es ist eine wunderbare durchge führte Allegorie, voll eines Eifers und einer Befriedigung, die sich vergeblich mühen, mittels der drei Pünktchen zum Schluss Nonchalance zu heucheln. Nicht alles erschließt sich dem Verständnis so glatt. Held und Heldin treffen sich im angesagten Restaurant „Le Yeltzine Ivre”, dem trunkenen Jelzin, eine Anspielung einerseits auf Baudelaires Gedicht „Le Bateau Ivre”, andererseits auf die Gewohnheiten des robusten russischen Gründungspräsidenten, wenn er sich zum „Aktenstudium” zurückzog. Pelewin erklärt uns den Witz umständlich und bringt ihn so um Kürze und Würze, aber sonst wäre er vielleicht unbemerkt an uns vorbeigerauscht. Da steckt ein Dilemma.
Denn nicht wir, die deutschen Leser, sind das Publikum, für das Pelewin schreibt; viel, und vielleicht das Beste, dürfte uns entgehen. Dieses Buch ist, gerade indem es sich eine so betont mondäne, „eurosanierte” Haltung gibt, eine tief binnenrussische Angelegenheit. An einer Stelle beginnt man zu ahnen, was es hinter dem Schurz seines schamlosen Erziehungsprogramms verschämt wirklich will und gern geworden wäre. Es wird ein Politiker ironisch gerühmt, der es fertig bringt, fünfhundert bezahlte Demonstranten heute als Nazis, morgen als Schwule und am nächsten Tag als „orthodoxe Ökologen” auf die Straße zu schicken; ein Supertalent sei das, wirklich ein neuer Gogol! Ja, das hat Pelewin wohl vorgeschwebt: dass seine Vampire und ihr Menschenmilchvieh ebensolche satirisch durchschlagende Symbolkraft für das heutige Russland erlangen mögen wie im 19. Jahrhundert die „Toten Seelen”. Da er aber zugleich ein frivoles Märchen erzählen möchte, gelingt es ihm nur zur Hälfte.
Viktor Pelewin
Das fünfte Imperium
Ein Vampirroman. Aus dem Russischen von Andreas Tretner. Luchterhand Literaturverlag, München 2009.
399 Seiten, 10 Euro.
Man trifft sich im angesagten Restaurant „Le Yeltzine Ivre”, dem trunkenen Jelzin
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