Traces the concept of autochthony back to the classical period and incisively explores the idea in two very different contexts: Cameroon and the Netherlands. This book examines the emotional appeal of autochthony - as well as its dubious historical basis - and sheds light on a range of issues, such as multiculturalism, and national citizenship.
Hinweis: Dieser Artikel kann nur an eine deutsche Lieferadresse ausgeliefert werden.
Hinweis: Dieser Artikel kann nur an eine deutsche Lieferadresse ausgeliefert werden.
Frankfurter Allgemeine ZeitungWer dazugehören will, sollte schon dabei gewesen sein
Peter Geschiere sieht in Europa und Afrika eine wachsende Ungeduld im Umgang mit kulturellen Differenzen
Wir leben in einer sich immer stärker globalisierenden Welt. Dies bedeutet jedoch keineswegs weltweite Angleichungsprozesse, sondern auch die Produktion neuer Hierarchien und Differenzen samt Wiederkehr des Lokalen. Einen interessanten Aspekt dieses Prozesses greift der Amsterdamer Sozialanthropologe Peter Geschiere in seiner Studie auf: die vielerorts auszumachende Tendenz, ein gleichsam unwiderlegbares, primordiales Recht auf Zugehörigkeit zu behaupten. "Wir sind auf diesem Boden geboren", damit wird häufig der Anspruch auf Autochthonität begründet. Und auf diese Weise lassen sich zugleich vermeintliche Außenseiter und Fremde ausschließen. Geschiere beobachtet entsprechende Entwicklungen sowohl in Afrika als auch in Europa und belegt sie besonders an den Beispielen Kamerun, Elfenbeinküste und Niederlande.
Im einstigen westafrikanischen Vorzeigeland Elfenbeinküste etwa trieb das Regime von Laurent Gbagbo die Idee der Autochthonisierung auf die Spitze und bekundete 2002 das Vorhaben, alle Ivorer in ihr "Ursprungsdorf" zurückkehren zu lassen, damit sie dort als Bürger registriert würden. Wer kein "Ursprungsdorf" für sich reklamieren konnte, sollte fortan als Immigrant gelten und die Staatsbürgerschaft verlieren, also vor allem das Recht, Land zu erwerben und zu wählen. Der Leiter dieser Kampagne wird von Geschiere mit den Worten zitiert: "Jeder, der vorgibt, ein Ivorer zu sein, muss ein Dorf haben. Jemand, der nicht in der Lage ist, nachzuweisen, dass er zu einem Dorf gehört, ist gefährlich, so dass wir ihn fragen müssen, woher er kommt." Die sogenannten "Jungen Patrioten", eine massiv gewaltbereite Jugendgang, mutierten zur Sturmtruppe dieser Kampagne der "Ivoirité" und agierte vor allem gegen "Fremde", die ihnen die Arbeitsplätze stehlen würden.
Für Kamerun sieht Geschiere den Wendepunkt zu einer stärkeren gesellschaftlichen und politischen Bedeutung des Autochthonen in den neunziger Jahren. In den Dekaden nach der Unabhängigkeit hatte zunächst Präsident Ahmadou Ahidjo mit harter Hand regiert und eine rigide Politik der Nationsbildung verfolgt, in der Fragen nach ethnischer Zugehörigkeit als politisch höchst inkorrekt galten. Die Einheit des Kameruner Volkes wurde bei jeder Gelegenheit betont. Unter Ahidjos Nachfolger Paul Biya, seit 1982 und bis heute im Amt, nahm die Ethnisierung der Politik zu. Als der Wind des demokratischen Wandels nach dem Ende des Kalten Krieges auch durch Kamerun zu wehen begann, akzeptierte Biya nur zähneknirschend die Etablierung eines Mehrparteiensystems. Zugleich ermutigte er - unter dem Vorwand, Minoritäten gegen "Zuwanderer" schützen zu wollen - regionale Assoziationen zur Beteiligung an politischen Auseinandersetzungen. Auf diese Weise sollte ein Keil in die Opposition getrieben werden.
Die bis heute für Kamerun prägende "Obsession mit dem Autochthonen" analysiert Geschiere kenntnisreich. Die Frage, wer "wirklich" einer bestimmten Region zugehörig ist und damit eine Reihe von Rechten beanspruchen kann, durchzieht alle Bereiche des Lebens. Daraus resultierende Friktionen machen auch vor der Kirche nicht halt. Als etwa der Vatikan einen Westkameruner als Erzbischof der im Süden liegenden Hauptstadt Yaoundé nominierte, kam es dort zu massiven Protesten "autochthoner" Priester. Rom reagierte, indem es sogleich einen Kirchenmann aus dem Süden zum Bischof in Westkamerun ernannte. Die Kameruner Medien deuten die politische Liberalisierung als wesentlichen Grund für die wachsende Bedeutung von Autochthonität und Zugehörigkeit.
Geschiere verweist hingegen auf andere Faktoren. Dazu zählt er die neue Betonung von "Dezentralisierung" durch Geberländer und Entwicklungsorganisationen. Die damit verknüpfte Förderung zivilgesellschaftlicher Gruppen und Minderheiten und das Misstrauen gegenüber dem Staat hatten unbeabsichtigte Folgen: Um in den Genuss von Entwicklungshilfe zu kommen, wurde es notwendig, die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe und Lokalität zu unterstreichen. Die Konsequenz: Vielerorts brach Streit darüber aus, wer beanspruchen darf, "autochthon" zu sein und damit von einem Entwicklungsprojekt zu profitieren.
In Europa, so Geschiere, nimmt die "globale Konjunktur der Zugehörigkeit" andere Formen an als in Afrika. Die Niederlande galten lange Zeit als führendes europäisches Land der multikulturellen Toleranz. Dieser Ansatz gilt inzwischen als gescheitert. Die Ermordungen des populistischen Politikers Pim Fortuyn und des Filmemachers Theo van Gogh sowie der - international weit weniger Aufmerksamkeit erlangende - qualvolle Tod von elf "illegalen" Immigranten, die bei lebendigem Leibe in einem provisorischen Gefängnis nahe dem Amsterdamer Flughafen Schiphol verbrannten, markierten einen drastischen Wandel in der niederländischen Politik und Gesellschaft. Geschiere legt dar, wie rasch die Begriffe "autochthon" und "allochthon" Einzug in die niederländische Sprache hielten und das Konzept der Integration Vorstellungen einer multikulturellen Gesellschaft ersetzte. Demgemäß können "Allochthone" zwar Bürger werden, wenn sie sich kulturell integrieren. Integration wird jedoch, kritisiert Geschiere, mit einem hochgradig essentialistischen Konzept von niederländischer Kultur verknüpft.
Geschieres Buch verdeutlicht auf eindrückliche Weise ein Paradox der neuen globalen Konjunktur der Zugehörigkeit: Das Autochthone verheißt Sicherheit, sorgt in der Praxis jedoch für das Gegenteil. Denn in vielen Gesellschaften besteht große Unsicherheit darüber, wer "wirklich autochthon" ist. Hinter der vermeintlichen Stabilität einer "natürlichen" Zugehörigkeit wird die nagende Sorge über "falsche Autochthone", über Wölfe im Schafspelz sichtbar, die entlarvt werden müssen. Das führt, wie Geschiere an vielen Beispielen zeigt, immer wieder zu Gewalt. Sein provokantes und anregendes Buch vermittelt nicht zuletzt die beunruhigende Einsicht, dass Migrationen und zunehmende globale Verflechtungen mit einer wachsenden Ungeduld gegenüber kulturellen Differenzen zwischen Menschen einhergehen.
ANDREAS ECKERT
Peter Geschiere: "The Perils of Belonging". Autochthony, Citizenship, and Exclusion in Africa and Europe. Chicago University Press, Chicago/London 2009. 304 S., br., 19,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Peter Geschiere sieht in Europa und Afrika eine wachsende Ungeduld im Umgang mit kulturellen Differenzen
Wir leben in einer sich immer stärker globalisierenden Welt. Dies bedeutet jedoch keineswegs weltweite Angleichungsprozesse, sondern auch die Produktion neuer Hierarchien und Differenzen samt Wiederkehr des Lokalen. Einen interessanten Aspekt dieses Prozesses greift der Amsterdamer Sozialanthropologe Peter Geschiere in seiner Studie auf: die vielerorts auszumachende Tendenz, ein gleichsam unwiderlegbares, primordiales Recht auf Zugehörigkeit zu behaupten. "Wir sind auf diesem Boden geboren", damit wird häufig der Anspruch auf Autochthonität begründet. Und auf diese Weise lassen sich zugleich vermeintliche Außenseiter und Fremde ausschließen. Geschiere beobachtet entsprechende Entwicklungen sowohl in Afrika als auch in Europa und belegt sie besonders an den Beispielen Kamerun, Elfenbeinküste und Niederlande.
Im einstigen westafrikanischen Vorzeigeland Elfenbeinküste etwa trieb das Regime von Laurent Gbagbo die Idee der Autochthonisierung auf die Spitze und bekundete 2002 das Vorhaben, alle Ivorer in ihr "Ursprungsdorf" zurückkehren zu lassen, damit sie dort als Bürger registriert würden. Wer kein "Ursprungsdorf" für sich reklamieren konnte, sollte fortan als Immigrant gelten und die Staatsbürgerschaft verlieren, also vor allem das Recht, Land zu erwerben und zu wählen. Der Leiter dieser Kampagne wird von Geschiere mit den Worten zitiert: "Jeder, der vorgibt, ein Ivorer zu sein, muss ein Dorf haben. Jemand, der nicht in der Lage ist, nachzuweisen, dass er zu einem Dorf gehört, ist gefährlich, so dass wir ihn fragen müssen, woher er kommt." Die sogenannten "Jungen Patrioten", eine massiv gewaltbereite Jugendgang, mutierten zur Sturmtruppe dieser Kampagne der "Ivoirité" und agierte vor allem gegen "Fremde", die ihnen die Arbeitsplätze stehlen würden.
Für Kamerun sieht Geschiere den Wendepunkt zu einer stärkeren gesellschaftlichen und politischen Bedeutung des Autochthonen in den neunziger Jahren. In den Dekaden nach der Unabhängigkeit hatte zunächst Präsident Ahmadou Ahidjo mit harter Hand regiert und eine rigide Politik der Nationsbildung verfolgt, in der Fragen nach ethnischer Zugehörigkeit als politisch höchst inkorrekt galten. Die Einheit des Kameruner Volkes wurde bei jeder Gelegenheit betont. Unter Ahidjos Nachfolger Paul Biya, seit 1982 und bis heute im Amt, nahm die Ethnisierung der Politik zu. Als der Wind des demokratischen Wandels nach dem Ende des Kalten Krieges auch durch Kamerun zu wehen begann, akzeptierte Biya nur zähneknirschend die Etablierung eines Mehrparteiensystems. Zugleich ermutigte er - unter dem Vorwand, Minoritäten gegen "Zuwanderer" schützen zu wollen - regionale Assoziationen zur Beteiligung an politischen Auseinandersetzungen. Auf diese Weise sollte ein Keil in die Opposition getrieben werden.
Die bis heute für Kamerun prägende "Obsession mit dem Autochthonen" analysiert Geschiere kenntnisreich. Die Frage, wer "wirklich" einer bestimmten Region zugehörig ist und damit eine Reihe von Rechten beanspruchen kann, durchzieht alle Bereiche des Lebens. Daraus resultierende Friktionen machen auch vor der Kirche nicht halt. Als etwa der Vatikan einen Westkameruner als Erzbischof der im Süden liegenden Hauptstadt Yaoundé nominierte, kam es dort zu massiven Protesten "autochthoner" Priester. Rom reagierte, indem es sogleich einen Kirchenmann aus dem Süden zum Bischof in Westkamerun ernannte. Die Kameruner Medien deuten die politische Liberalisierung als wesentlichen Grund für die wachsende Bedeutung von Autochthonität und Zugehörigkeit.
Geschiere verweist hingegen auf andere Faktoren. Dazu zählt er die neue Betonung von "Dezentralisierung" durch Geberländer und Entwicklungsorganisationen. Die damit verknüpfte Förderung zivilgesellschaftlicher Gruppen und Minderheiten und das Misstrauen gegenüber dem Staat hatten unbeabsichtigte Folgen: Um in den Genuss von Entwicklungshilfe zu kommen, wurde es notwendig, die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe und Lokalität zu unterstreichen. Die Konsequenz: Vielerorts brach Streit darüber aus, wer beanspruchen darf, "autochthon" zu sein und damit von einem Entwicklungsprojekt zu profitieren.
In Europa, so Geschiere, nimmt die "globale Konjunktur der Zugehörigkeit" andere Formen an als in Afrika. Die Niederlande galten lange Zeit als führendes europäisches Land der multikulturellen Toleranz. Dieser Ansatz gilt inzwischen als gescheitert. Die Ermordungen des populistischen Politikers Pim Fortuyn und des Filmemachers Theo van Gogh sowie der - international weit weniger Aufmerksamkeit erlangende - qualvolle Tod von elf "illegalen" Immigranten, die bei lebendigem Leibe in einem provisorischen Gefängnis nahe dem Amsterdamer Flughafen Schiphol verbrannten, markierten einen drastischen Wandel in der niederländischen Politik und Gesellschaft. Geschiere legt dar, wie rasch die Begriffe "autochthon" und "allochthon" Einzug in die niederländische Sprache hielten und das Konzept der Integration Vorstellungen einer multikulturellen Gesellschaft ersetzte. Demgemäß können "Allochthone" zwar Bürger werden, wenn sie sich kulturell integrieren. Integration wird jedoch, kritisiert Geschiere, mit einem hochgradig essentialistischen Konzept von niederländischer Kultur verknüpft.
Geschieres Buch verdeutlicht auf eindrückliche Weise ein Paradox der neuen globalen Konjunktur der Zugehörigkeit: Das Autochthone verheißt Sicherheit, sorgt in der Praxis jedoch für das Gegenteil. Denn in vielen Gesellschaften besteht große Unsicherheit darüber, wer "wirklich autochthon" ist. Hinter der vermeintlichen Stabilität einer "natürlichen" Zugehörigkeit wird die nagende Sorge über "falsche Autochthone", über Wölfe im Schafspelz sichtbar, die entlarvt werden müssen. Das führt, wie Geschiere an vielen Beispielen zeigt, immer wieder zu Gewalt. Sein provokantes und anregendes Buch vermittelt nicht zuletzt die beunruhigende Einsicht, dass Migrationen und zunehmende globale Verflechtungen mit einer wachsenden Ungeduld gegenüber kulturellen Differenzen zwischen Menschen einhergehen.
ANDREAS ECKERT
Peter Geschiere: "The Perils of Belonging". Autochthony, Citizenship, and Exclusion in Africa and Europe. Chicago University Press, Chicago/London 2009. 304 S., br., 19,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main