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Rabenschwarz, vogelfrei und nah am Schicksal sind die neuen Gedichte von Arne Rautenberg. Auf Höhe der Schneeglöckchen kreuzen sie den Gang durchs Leben - und stürzen ab: Geisterwelten tun sich auf, grinsende Fratzen. Die Schönheit von Feldlerchen und Rohrdommeln trifft jählings auf Picasso, Munch und Emily Dickinson. Gegen das Gefühl, verloren zu gehen im Großen, das diese Welt schon immer scheitern ließ, setzt Rautenberg leuchtende Zeichen: das Klein-Klein unseres Alltags und die Widerhaken des Abseitigen. Es sind Zerstörungs- und Erlösungsgedanken, dämonische Tiefen und tröstliche Nähen,…mehr

Produktbeschreibung
Rabenschwarz, vogelfrei und nah am Schicksal sind die neuen Gedichte von Arne Rautenberg. Auf Höhe der Schneeglöckchen kreuzen sie den Gang durchs Leben - und stürzen ab: Geisterwelten tun sich auf, grinsende Fratzen. Die Schönheit von Feldlerchen und Rohrdommeln trifft jählings auf Picasso, Munch und Emily Dickinson. Gegen das Gefühl, verloren zu gehen im Großen, das diese Welt schon immer scheitern ließ, setzt Rautenberg leuchtende Zeichen: das Klein-Klein unseres Alltags und die Widerhaken des Abseitigen. Es sind Zerstörungs- und Erlösungsgedanken, dämonische Tiefen und tröstliche Nähen, die das Menschsein in der Schwebe halten - nicht umsonst hat die Frankfurter Allgemeine Zeitung Rautenbergs Gedichte als »Höhepunkte aktueller Poesie« bezeichnet. Formal sind die Gedichte in permafrost zwischen Kurz- und Langgedicht angesiedelt, zwischen gereimt und ungereimt, zwischen Zuchtrose und Wildkraut. Arne Rautenberg sagt: »Wir müssen Gedichte wieder als das wahrnehmen, was sie sind: charmante, auch leicht wahnsinnige Verführungen zum Denken. Ein Blitzschlag mit offenem Ende, widerspenstig, wehrhaft und schön!«
Autorenporträt
Arne Rautenberg wurde 1967 in Kiel geboren. Nach dem Studium der Kunstgeschichte, Neueren Deutschen Literaturwissenschaft und Volkskunde lebt er seit 2000 als freier Schriftsteller und Künstler in seiner Geburtsstadt.¿Sein literarisches Hauptbetätigungsfeld ist die Lyrik. Gedichte sind in mehreren Einzeltiteln sowie zahlreichen Anthologien und Zeitschriften erschienen. 2013 erhielt Arne Rautenberg die Liliencron-Poetik-Dozentur und 2016 mit dem Josef- Guggenmos-Preis den ersten Preis für Kinderlyrik, der je in Deutschland vergeben wurde. 2017 wurde er in die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung gewählt. Mit seiner Lyrik am Rande des existenziellen Abgrunds, mit Gedichten für Kinder und seiner visuellen Poesie, die er großformatig auf Wänden im Kunstraum stattfinden lässt, ist Arne Rautenberg einer der vielseitigsten zeitgenössischen Dichter im deutschen Sprachraum.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 15.01.2020

Drei Schnitte führe ich mit dem Skalpell
Je dunkler die Welt, desto verspielter der lyrische Reflex: Arne Rautenbergs Gedichtband "permafrost"

Wenn die junge deutsche Lyrik ohne semantische Überblendungstechniken und labile Zeichenfelder heute kaum mehr auszukommen scheint, um der irren Interferenz des Realen einen Sprachraum zu bieten, der sie repräsentiert, dann sind die Gedichte von Arne Rautenberg eher einfach, so als fürchteten sie die eigene Bedeutung und möchten im schnellen Tempo der Rede gleich wieder verschwunden sein. Dafür spricht die konsequente Kleinschreibung, die alle Zeichen egalitär werden lässt, und die fehlende Interpunktion, durch die ein schnelleres Lesen empfohlen und ein Nachklang der Worte blockiert wird. Linguistic turn und ein gefährlicher Kopfstand der Signifikanten sind seine Sache nicht, auch wenn Figuren der klassischen Moderne und konkreten Poesie durchaus zum Repertoire seiner Stilmittel zählen. Diese Gedichte haben etwas vom leichten Gang eines Tänzers, der über die Gegenstände quasi hinwegtanzt, die ihm auf dem Weg der Gedanken begegnen und in denen es um durchaus schwere Stoffe geht: um Tod und Vergänglichkeit und die Permanenz der Bedrohung für Mensch und Natur.

Gleich im ersten Gedicht "wenn ich nicht mehr bin" wird die Frage aller Fragen gestellt, sobald ein Mensch das Bewusstsein von der eigenen Sterblichkeit erlangt: Was geschieht nach dem Tod? Das fragt im kindlichen Ton der Sohn seinen Vater und erhält zur Antwort: "es ist wie es war / bevor du geboren / du warst noch nicht da/ du hast nicht gefroren/ du hast nichts vermisst / . . . so wirst du nicht leiden / wenn das was war ist". Was hier im rhythmisch fließenden Daktylus mit Endreimbindung fast schon gesungen wird wie ein Lied für die Nacht, ist nichts weniger als die Beschreibung des Nichts - jener Substanz, die ohne Substanz ist und dennoch vorhanden. Diese Aporie in der schwebenden Leichtigkeit einer Lyrik für Kinder abzubilden - so jedenfalls mutet sie oft in ihrer Tonlage an - spielt mit dem Charme der Beiläufigkeit und sachlichen Verkleinerung, auch Litotes genannt. Je dunkler also die Welt, desto verspielter der lyrische Reflex, bis zur visuellen Poesie, die grafisch nachformt, wovon sie erzählt.

Dass der Dichter auch bildender Künstler ist und die Schriftinstallation ein Teil seiner Kunst, spiegelt sich im poetischen System. Immer wieder werden die Zeilen um eine Mittelachse zentriert oder rechtsbündig gesetzt, werden Leselinie und Leserichtung vertauscht, von oben rechts nach unten links wie in "idiots at work", zerfließt die Form auf der Seite, wie auch ein Laut verklingt, sobald das Wort gesprochen wurde. Und immer wieder ist es diese inszeniert naive Stimme, die durch das Dickicht der Bedeutungen dringt und die komplexe Welt auf einfache Blicke zurückführt.

Eines der schönsten Gedichte heißt "nachtlicht" und tänzelt mit den Versen in Schlangenlinien über das Blatt wie ein Betrunkener über die Straße: "dunkel wird es / in der nacht / doch das dunkel / werden macht / dass ein heller / mond aufgeht / leuchtend er / am himmel steht / also trinke ich / den mond / der im weißen / weinglas wohnt / denn im eisgen / wein erwacht / mir ein licht / in meiner nacht". Das liegt seiner lyrischen Geste nach irgendwo zwischen Mörike und Morgenstern, und man fragt sich gerührt, an welchem zerstörten Sprachvertrauen vorbei hier jemand aus der Gegenwart zu einem in der Gegenwart spricht. Es können vielleicht nur die staunend klugen Kinder sein, die zum idealen Rezipienten werden und daran erinnern, dass aller Ernst dieser Welt im zweckfreien Spiel, im Überschuss und Ornament seinen tieferen Grund hat. Von daher steht diese Lyrik auch in einer Tradition zum deutschen Barock mit Dichtern wie Georg Philipp Harsdörffer oder Quirinus Kuhlmann oder wie Philipp von Zesen, der in seinem Gedicht "Palm-baum" die Vorstellung einer typographischen Visualisierung von Sprache schon ebenso hatte, wenn er die Verse dem optischen Umriss eines Baumes anpasst.

Aber dann kippt die schwierige Balance zwischen poetischer Einfachheit und ontologischer Tiefe, die Texte überdrehen ihre Intention und werden zur Banalität geneigt komisch: "heut hat der himmel alles gegeben / seit fünfzig jahren bin ich am leben / ich sah die ISS-raumstation fliegen / stechend und rot den mars südlich liegen . . ." Ja, und? Was hier den Ton nicht hält, ist die Erzählfigur mit "fünfzig jahren", der man diesen Abzählvers nicht so recht glaubt. Oder Spiegelbilder wie: "im wein liegt die Wahrheit / im bier liegt die lüge", die dann oppositiv umgedreht werden zu "im bier liegt die wahrheit / im wein liegt die lüge" und kommentiert mit "prophezeiungen sind oft / ebenso wenig wert wie vergleiche" - das wirkt schon etwas unterkomplex. Dann gibt es Agrammatismen: "du kolibri / ich libido / bin nicht der die das / ich sehen möchte", oder: "sieht du den einen / sieht du den anderen . . ." - sind das jetzt Druckfehler, oder muss man hier um eine Ecke denken, die ich gerade nicht sehe?

Das Titelgedicht "permafrost" indes - eine Elegie der Entfremdung vor dem Hintergrund einer technisch verwalteten Welt - führt uns zum Dichter der Polyphonie zurück, der es versteht, immer wieder Ton und Stimme zu wechseln. Zeilen wie "Hier kommt zusammen was zusammen / zerstört" zeigen schon im Enjambement, das mit dem politischen Assoziationswort "gehört" seinen Witz treibt, wie sicher der Autor die Effekte setzt. Naturgedicht - "der rückgang von permafrost / wird süß mit dem ersten sonnenstrahl / der über die gipfelkreuze blitzt . . ." - und Liebeslyrik - "rot ist der körper der berührung erfährt / rot ist das blut im fließenden Strom nimm / diesen strick diesen strich diesen stich" - werden miteinander verschränkt und lösen sich im sezierenden Blick des lyrischen Erzählers auf: "drei schnitte führe ich mit dem skalpell: / der erste tilgt was ich weiß / der zweite öffnet die lebenslinie / der dritte verliert sich ungelotst in anderen sphären / auf der suche nach dem verlorengegangenen geist". Das ist Ende und Anfang in einem, Apokalypse und Wiedergeburt - "langsam / weil der novemberregen / uns auf der erde faulen sehen will".

Vielleicht sind es Masken, die auf Masken gesetzt sind, und vielleicht sind das Spiel mit der Form, die Permutation, die Collage, der Text als Zeichnung und Lautfigur nur verschiedene Wege zum stets gleichen Ziel: dem Subjekt einen Halt in der Welt zu geben durch die Struktur des Gedichts. Danach kommt dann nichts mehr. Nur noch ein Sprachobjekt aus Kreisen, das SILENCE heißt und nicht ohne Absicht außerhalb des Textkörpers steht - nach dem Inhaltsverzeichnis und einer letzten leeren Seite, die zum absoluten Gedicht wird. Wie sagte es Mallarmé? - "Mit dem Nichts an Geheimnis, unerläßlich, das, auch ausgedrückt, ein wenig bleibt".

KURT DRAWERT

Arne Rautenberg: "permafrost". Gedichte.

Verlag Das Wunderhorn, Heidelberg 2019. 87 S., geb., 16,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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»Jedes Gedicht in diesem Band ist eine Blackbox, man erlebt eine Überraschung nach der anderen.« DLF, Sieglinde Geisel »Wenn Arne Rautenberg schreibt, geschehen kleine Wunder in den Gedichten.« fixpoetry, Jürgen Brocan »Gedichte von existenzieller Wucht.« im Börsenblatt, Michael Roesler-Graichen »Als habe er seine Zeilen mit Federleichtigkeit geschrieben, als habe sich der ganz spezielle Sound, der sogar beim leisen Lesen mittönt, von selbst so ergeben.« Leseart, Michael Augustin