Edward Snowden was born in Elizabeth City, North Carolina, and grew up in the shadow of Fort Meade. A systems engineer by training, he served as an officer of the Central Intelligence Agency, and worked as a contractor for the National Security Agency. He has received numerous awards for his public service, including the Right Livelihood Award, the German Whistleblower Prize, the Ridenhour Prize for Truth-Telling, and the Carl von Ossietzky Medal from the International League of Human Rights. Currently, he serves as president of the board of directors of the Freedom of the Press Foundation.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 18.09.2019Jetzt spricht der Systemadministrator
Masken waren ihm früh vertraut: Edward Snowden erzählt in einer fesselnden Autobiographie, wie er zum Whistleblower wurde.
Es gehe nicht um ihn, sondern um die Sache, sagt Edward Snowden gerne in Interviews, die in den letzten Jahren oft durch ein Missverhältnis von höchster Sicherheitsstufe in noblen Moskauer Hotels und wenig spektakulären Antworten geprägt waren. Betrachtet man die Entbehrungen, die der wohl berühmteste Whistleblower des 21. Jahrhunderts in Kauf genommen hat, um sein Wissen über die flächendeckende Überwachung der gesamten digitalen Welt durch die amerikanischen Geheimdienste an die Öffentlichkeit zu bringen, kommt man kaum umhin, ihm das zu glauben. Warum aber dann dieser mehr als vierhundert Seiten lange Bericht, der gerade als Buch erschienen ist und den Untertitel "Meine Geschichte" trägt? Kennt man das, was hier erzählt wird, nicht schon längst aus den Filmen und Artikeln von Laura Poitras, Glenn Greenwald und Barton Gellman, die vor sechs Jahren um die Welt gingen?
Doch dieser Eindruck wird schnell durch die überaus fesselnd geschriebenen Eingangskapitel widerlegt, in denen Snowden seine Kindheit und Jugend in North Carolina schildert. Um seine schon früh auftretende Neigung zu anarchistischer Spionagetätigkeit zu schildern, wird gar eine an Prousts "Recherche" erinnernde, sehr feinsinnige Schilderung des frustrierten Kindes eingeflochten, das früher ins Bett muss als der Rest der Familie und daher zu manipulativen Mitteln greift, um dennoch auf seine Kosten zu kommen. Auch der zunächst etwas putzig wirkende Hinweis Snowdens, er habe seine immer nach vorne blickende Haltung zu großen Teilen den Computerspielen zu verdanken, die er als Kind aufsog, allen voran "Super Mario", findet seine Entsprechung in der Autobiographie Jean-Paul Sartres, der in "Die Wörter" schrieb, er habe seinen unerschütterlichen Optimismus der frühen Comiclektüre zu verdanken.
Das alles ist derart klug, zuweilen fast literarisch dargeboten, dass man wohl den Einfluss des in der Danksagung erwähnten Joshua Cohen mit seinem neunmonatigen "Schreibtraining" recht hoch ansetzen muss. Weitsichtig ist auch die Entscheidung Snowdens, nicht mit wenig schmeichelhaften Episoden aus seinem Leben zu geizen. Irgendwie muss er ja die unvermeidbare Doppelgesichtigkeit des späteren Whistleblowers ins Spiel bringen. Da ist zum einen sein übersteigertes Selbstwertgefühl, das sich in Kindertagen an Heldenstoffen aus Sagen oder der eigenen Familiengeschichte berauscht und dazu führt, dass er auf Klassenkameraden und Lehrer doch eher herabblickt. Ins Zwielicht setzt ihn auch seine Vorliebe für Maskierungen aller Art und für den vermeintlich sicheren Raum der digitalen Anonymität, den er als Heranwachsender als die eigentliche Welt betrachtete, als eine, in der er seinen ausgeprägten Freiheitsdrang überhaupt erst entwickeln konnte.
Doch dieser Drang ist wie weggefegt, als er, der 2001 ganz in der Nähe von Fort Meade lebt und arbeitet, am 11. September in einen Stau rings um das evakuierte NSA-Hauptquartier gerät und nach den schockierenden Fernsehbildern beschließt, gegen die allseits beschworene Terrorismusgefahr zu kämpfen, zunächst als Elitesoldat, dann, nach einer Verletzung, als Cyberspion mit höchster Geheimhaltungsstufe.
Das anarchistisch geprägte Freiheitspathos des frühen World Wide Web ist plötzlich wie weggeblasen bei ihm, und der Entwicklungsroman kippt zunächst in einen Spionage-, schließlich in eine Art Schelmenroman. In der Hauptrolle agiert ein hochintelligenter Doppelagent mit weichen Knien, bei dem nicht gänzlich klar wird, ob er nur seine falsche Einschätzung des digitalen Raums gutmachen oder zum größtmöglichen Helden des digitalen Zeitalters aufsteigen will. Wie dem auch sei. Die Mittel, die Snwoden einsetzt, und die in ihren surrealen Details bisher nicht bekannt waren, sind atemberaubend. Wie er das verwickelte Ausspähsystem der amerikanischen Geheimdienste, in dem die einzelnen Abteilungen nur schwer zuzuordnende Puzzlesteine sind, analysiert, mit größter Gerissenheit Hunderttausende belastende Dokumente sammelt und schließlich einen Zauberwürfel, den er in seiner letzten geheimen Station zunächst unter seinen Kollegen als verrückten Running Gag einführt, zum Schmuggel kleiner Speicherkarten nutzt, verrät einen Grad der Verstellungskunst, der geradezu beängstigend ist. In der amerikanischen Datenindustrie hätte dieser Programmierer ohne Studienabschluss wohl genauso gut Milliardär werden können.
Für den Leser sind die letzten, mit technischen Details gespickten Kapitel keine leichte Kost. Zwar ist Snowdens ausgetüftelter Hackerangriff nachvollziehbar dargestellt, in seiner Komplexität gibt er aber vor allem einen Eindruck davon, wie sehr Snowdens kleinteiliges Vorgehen während zahlloser Nachtschichten in deprimierenden Gebäuden seine psychische Stabilität bis zum Äußersten strapazierte - bis er epileptische Anfälle bekam und in eine Depression verfiel. Diese vollständige Geschichte, die man sich leicht auch als Film vorstellen kann, musste erzählt werden, wobei Snowden, der unverbesserliche Systemadministrator, fast alle Redundanzen vermeidet und mit Cliffhangern sowie ausgesuchten Peinlichkeiten die Aufmerksamkeit seiner Leser wachhält.
Frustrierend nach all den geschilderten Strapazen, die im russischen Exil von Putins Gnaden gipfeln, ist Snowdens Fazit im letzten Kapitel. Was haben seine Enthüllungen bewirkt? Das weiß kaum einer genau. Er jedenfalls schildert den Effekt derart zurückhaltend, dass man eigentlich nur davon ausgehen kann, lediglich amerikanische Staatsbürger seien seither von der Massenüberwachung ausgenommen. Die europäische Datenschutzgrundverordnung lobt Snowden zwar, macht jedoch deutlich, dass ihr Wirkungskreis noch zu klein sei. Von Snowden lernen heißt nach diesem Buch: verschlüsseln lernen. Wer seine Privatsphäre behalten möchte, muss sich diese Fähigkeit aneignen, alles andere wäre naiv. Snowdens neues Buch ist ein abermaliger Weckruf.
UWE EBBINGHAUS
Edward Snowden:
"Permanent Record".
Meine Geschichte.
Aus dem Englischen von Kay Greiners. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2019. 432 S., geb., 22,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Masken waren ihm früh vertraut: Edward Snowden erzählt in einer fesselnden Autobiographie, wie er zum Whistleblower wurde.
Es gehe nicht um ihn, sondern um die Sache, sagt Edward Snowden gerne in Interviews, die in den letzten Jahren oft durch ein Missverhältnis von höchster Sicherheitsstufe in noblen Moskauer Hotels und wenig spektakulären Antworten geprägt waren. Betrachtet man die Entbehrungen, die der wohl berühmteste Whistleblower des 21. Jahrhunderts in Kauf genommen hat, um sein Wissen über die flächendeckende Überwachung der gesamten digitalen Welt durch die amerikanischen Geheimdienste an die Öffentlichkeit zu bringen, kommt man kaum umhin, ihm das zu glauben. Warum aber dann dieser mehr als vierhundert Seiten lange Bericht, der gerade als Buch erschienen ist und den Untertitel "Meine Geschichte" trägt? Kennt man das, was hier erzählt wird, nicht schon längst aus den Filmen und Artikeln von Laura Poitras, Glenn Greenwald und Barton Gellman, die vor sechs Jahren um die Welt gingen?
Doch dieser Eindruck wird schnell durch die überaus fesselnd geschriebenen Eingangskapitel widerlegt, in denen Snowden seine Kindheit und Jugend in North Carolina schildert. Um seine schon früh auftretende Neigung zu anarchistischer Spionagetätigkeit zu schildern, wird gar eine an Prousts "Recherche" erinnernde, sehr feinsinnige Schilderung des frustrierten Kindes eingeflochten, das früher ins Bett muss als der Rest der Familie und daher zu manipulativen Mitteln greift, um dennoch auf seine Kosten zu kommen. Auch der zunächst etwas putzig wirkende Hinweis Snowdens, er habe seine immer nach vorne blickende Haltung zu großen Teilen den Computerspielen zu verdanken, die er als Kind aufsog, allen voran "Super Mario", findet seine Entsprechung in der Autobiographie Jean-Paul Sartres, der in "Die Wörter" schrieb, er habe seinen unerschütterlichen Optimismus der frühen Comiclektüre zu verdanken.
Das alles ist derart klug, zuweilen fast literarisch dargeboten, dass man wohl den Einfluss des in der Danksagung erwähnten Joshua Cohen mit seinem neunmonatigen "Schreibtraining" recht hoch ansetzen muss. Weitsichtig ist auch die Entscheidung Snowdens, nicht mit wenig schmeichelhaften Episoden aus seinem Leben zu geizen. Irgendwie muss er ja die unvermeidbare Doppelgesichtigkeit des späteren Whistleblowers ins Spiel bringen. Da ist zum einen sein übersteigertes Selbstwertgefühl, das sich in Kindertagen an Heldenstoffen aus Sagen oder der eigenen Familiengeschichte berauscht und dazu führt, dass er auf Klassenkameraden und Lehrer doch eher herabblickt. Ins Zwielicht setzt ihn auch seine Vorliebe für Maskierungen aller Art und für den vermeintlich sicheren Raum der digitalen Anonymität, den er als Heranwachsender als die eigentliche Welt betrachtete, als eine, in der er seinen ausgeprägten Freiheitsdrang überhaupt erst entwickeln konnte.
Doch dieser Drang ist wie weggefegt, als er, der 2001 ganz in der Nähe von Fort Meade lebt und arbeitet, am 11. September in einen Stau rings um das evakuierte NSA-Hauptquartier gerät und nach den schockierenden Fernsehbildern beschließt, gegen die allseits beschworene Terrorismusgefahr zu kämpfen, zunächst als Elitesoldat, dann, nach einer Verletzung, als Cyberspion mit höchster Geheimhaltungsstufe.
Das anarchistisch geprägte Freiheitspathos des frühen World Wide Web ist plötzlich wie weggeblasen bei ihm, und der Entwicklungsroman kippt zunächst in einen Spionage-, schließlich in eine Art Schelmenroman. In der Hauptrolle agiert ein hochintelligenter Doppelagent mit weichen Knien, bei dem nicht gänzlich klar wird, ob er nur seine falsche Einschätzung des digitalen Raums gutmachen oder zum größtmöglichen Helden des digitalen Zeitalters aufsteigen will. Wie dem auch sei. Die Mittel, die Snwoden einsetzt, und die in ihren surrealen Details bisher nicht bekannt waren, sind atemberaubend. Wie er das verwickelte Ausspähsystem der amerikanischen Geheimdienste, in dem die einzelnen Abteilungen nur schwer zuzuordnende Puzzlesteine sind, analysiert, mit größter Gerissenheit Hunderttausende belastende Dokumente sammelt und schließlich einen Zauberwürfel, den er in seiner letzten geheimen Station zunächst unter seinen Kollegen als verrückten Running Gag einführt, zum Schmuggel kleiner Speicherkarten nutzt, verrät einen Grad der Verstellungskunst, der geradezu beängstigend ist. In der amerikanischen Datenindustrie hätte dieser Programmierer ohne Studienabschluss wohl genauso gut Milliardär werden können.
Für den Leser sind die letzten, mit technischen Details gespickten Kapitel keine leichte Kost. Zwar ist Snowdens ausgetüftelter Hackerangriff nachvollziehbar dargestellt, in seiner Komplexität gibt er aber vor allem einen Eindruck davon, wie sehr Snowdens kleinteiliges Vorgehen während zahlloser Nachtschichten in deprimierenden Gebäuden seine psychische Stabilität bis zum Äußersten strapazierte - bis er epileptische Anfälle bekam und in eine Depression verfiel. Diese vollständige Geschichte, die man sich leicht auch als Film vorstellen kann, musste erzählt werden, wobei Snowden, der unverbesserliche Systemadministrator, fast alle Redundanzen vermeidet und mit Cliffhangern sowie ausgesuchten Peinlichkeiten die Aufmerksamkeit seiner Leser wachhält.
Frustrierend nach all den geschilderten Strapazen, die im russischen Exil von Putins Gnaden gipfeln, ist Snowdens Fazit im letzten Kapitel. Was haben seine Enthüllungen bewirkt? Das weiß kaum einer genau. Er jedenfalls schildert den Effekt derart zurückhaltend, dass man eigentlich nur davon ausgehen kann, lediglich amerikanische Staatsbürger seien seither von der Massenüberwachung ausgenommen. Die europäische Datenschutzgrundverordnung lobt Snowden zwar, macht jedoch deutlich, dass ihr Wirkungskreis noch zu klein sei. Von Snowden lernen heißt nach diesem Buch: verschlüsseln lernen. Wer seine Privatsphäre behalten möchte, muss sich diese Fähigkeit aneignen, alles andere wäre naiv. Snowdens neues Buch ist ein abermaliger Weckruf.
UWE EBBINGHAUS
Edward Snowden:
"Permanent Record".
Meine Geschichte.
Aus dem Englischen von Kay Greiners. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2019. 432 S., geb., 22,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Riveting, pacy Financial Times
The world's most famous whistleblower Guardian