... es kommt darauf an, sie wieder zu interpretieren!Wie kann man die Realität begreifen, wenn schon ihre Begriffe nicht mehr begriffen werden? Das Eigentümliche an großen Begriffen wie 'Demokratie', 'Arbeit', 'Religion', 'Kultur' oder 'Europa' ist, daß sie einer permanenten Banalisierung unterworfen sind: sie wurden zu bloßen Worten, die jeder im Munde führt, die aber nichts mehr bedeuten. Robert Menasse unternimmt dagegen eine permanente Revolution der Begriffe und zeigt: die Welt steht auf dem Kopf, wenn wir die Begriffe wieder auf die Füße stellen. Die Begriffe haben Recht - wir wissen es nicht, aber wir verwenden sie...
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 09.02.2010Einspruch mit Sahne
In Ketten liegt der Intellekt. Es herrscht "der bedürftige Mensch", sich klammernd ans Bretterwerk morscher Begriffe, auch und zumal in Österreich. Doch gerade dort treten frappierenderweise immer wieder die Gegner aller Vorsorgementalität hervor. Wuchtig hämmern sie gegen die Notbehelfe der kriecherischen Vernunft. "Sind Sie bereit, sich zu fragen, was geeignet wäre, die Zauberworte zu entzaubern, das Fraglose in Frage zu stellen?", fragt jetzt also der Meister-Essayist Robert Menasse. Ob Kultur, Religion oder Arbeit, die Banalisierung habe alle Zentralbegriffe der Gesellschaft eingeholt. Es komme aber vielmehr darauf an, sie lebendig zu halten, zu zertrümmern und neu zusammenzusetzen. "Von diesen Intuitionen aus", so Nietzsche, "führt kein regelmäßiger Weg in das Land der gespenstischen Schemata, der Abstraktionen." Oder doch? Vielleicht nur eine andere Art von Weg: eine Feuerwehrzufahrt zu den Ideen, um zu retten, was zu retten ist? Man nehme nur die Demokratie, beschädigt vor aller Augen, so Menasse, nicht nur im Krieg gegen den Terror, auch bei der Wahl eines bekennenden Rechtsextremen zum dritten Nationalratspräsidenten Österreichs durch gute Demokraten, bloß weil das Gewohnheitsrecht es so vorsieht, oder in der Schaffung einer Europäischen Union, in der eine Kommission, die niemand gewählt hat, Gesetze formuliert. Klug, aufrührerisch, nervtötend, selbstgefällig, essentiell - hier prügelt einer ein auf jedes denkfaule Abnicken des Status quo. Dass dabei manche altlinke Position zu Gehör kommt (Selbstsakralisierung des Kapitalismus), dass manche Polemiken weit übers Ziel hinausschießen, schmälert das Verdienst des Autors nicht. Er erinnert daran, dass Kultur mehr ist als Unterhaltung, nämlich Diskurs, Reflexion, Arbeit an den Begriffen - und so Politik und Wirtschaft systemisch überlegen. (Robert Menasse: "Permanente Revolution der Begriffe". Vorträge zur Kritik der Abklärung. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2009. 128 S., br., 9,- [Euro].) oju
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
In Ketten liegt der Intellekt. Es herrscht "der bedürftige Mensch", sich klammernd ans Bretterwerk morscher Begriffe, auch und zumal in Österreich. Doch gerade dort treten frappierenderweise immer wieder die Gegner aller Vorsorgementalität hervor. Wuchtig hämmern sie gegen die Notbehelfe der kriecherischen Vernunft. "Sind Sie bereit, sich zu fragen, was geeignet wäre, die Zauberworte zu entzaubern, das Fraglose in Frage zu stellen?", fragt jetzt also der Meister-Essayist Robert Menasse. Ob Kultur, Religion oder Arbeit, die Banalisierung habe alle Zentralbegriffe der Gesellschaft eingeholt. Es komme aber vielmehr darauf an, sie lebendig zu halten, zu zertrümmern und neu zusammenzusetzen. "Von diesen Intuitionen aus", so Nietzsche, "führt kein regelmäßiger Weg in das Land der gespenstischen Schemata, der Abstraktionen." Oder doch? Vielleicht nur eine andere Art von Weg: eine Feuerwehrzufahrt zu den Ideen, um zu retten, was zu retten ist? Man nehme nur die Demokratie, beschädigt vor aller Augen, so Menasse, nicht nur im Krieg gegen den Terror, auch bei der Wahl eines bekennenden Rechtsextremen zum dritten Nationalratspräsidenten Österreichs durch gute Demokraten, bloß weil das Gewohnheitsrecht es so vorsieht, oder in der Schaffung einer Europäischen Union, in der eine Kommission, die niemand gewählt hat, Gesetze formuliert. Klug, aufrührerisch, nervtötend, selbstgefällig, essentiell - hier prügelt einer ein auf jedes denkfaule Abnicken des Status quo. Dass dabei manche altlinke Position zu Gehör kommt (Selbstsakralisierung des Kapitalismus), dass manche Polemiken weit übers Ziel hinausschießen, schmälert das Verdienst des Autors nicht. Er erinnert daran, dass Kultur mehr ist als Unterhaltung, nämlich Diskurs, Reflexion, Arbeit an den Begriffen - und so Politik und Wirtschaft systemisch überlegen. (Robert Menasse: "Permanente Revolution der Begriffe". Vorträge zur Kritik der Abklärung. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2009. 128 S., br., 9,- [Euro].) oju
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Mit großem Genuss hat Franz Schuh dieses Buch gelesen, den allein schon sein Untertitel "Vorträge zur Kritik der Abklärung" in Hochstimmung versetzt. Auch stellt er bei der Lektüre ein weiteres Mal fest, das speziell Robert Menasse die "alte österreichische Verbindung" von Wahrheit und Kalauer "vorbildlich" beherrscht. Aber Schuh lernt darüber hinaus auch tatsächlich das "Diskutieren von Begriffen" mit diesem Buch, wie er schreibt, dem bei manchem erläuterten Begriff es nämlich wie Schuppen von den Augen fiel.
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»Klug, aufrührerisch, nervtötend, selbstgefällig, essentiell - hier prügelt einer ein auf jedes denkfaule Abnicken des Status quo.« Frankfurter Allgemeine Zeitung 20100209