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Elliott Erwitt, der 1928 als Kind russischer Einwanderer in Paris geboren wurde, in Mailand aufwuchs und 1939 mit seiner Familie in die USA emigrierte, ist sein Leben lang in der Welt zu Hause gewesen - und sein Leben lang schüchtern geblieben: ein Fotograf, der sagt, wenn ein Foto passiert, fällt es einem zu als ein Geschenk; der den Ereignissen nicht nachjagt, sondern die Ereignisse auf sich, sein inneres Auge und sein äußeres Auge, die Kamera zukommen läßt, erwartungvoll abwartend, beobachtend, bereit für die großen wie die kleinen Momente im Leben, die privaten und die offiziellen, die…mehr

Produktbeschreibung
Elliott Erwitt, der 1928 als Kind russischer Einwanderer in Paris geboren wurde, in Mailand aufwuchs und 1939 mit seiner Familie in die USA emigrierte, ist sein Leben lang in der Welt zu Hause gewesen - und sein Leben lang schüchtern geblieben: ein Fotograf, der sagt, wenn ein Foto passiert, fällt es einem zu als ein Geschenk; der den Ereignissen nicht nachjagt, sondern die Ereignisse auf sich, sein inneres Auge und sein äußeres Auge, die Kamera zukommen läßt, erwartungvoll abwartend, beobachtend, bereit für die großen wie die kleinen Momente im Leben, die privaten und die offiziellen, die traurigen und komischen. Seine Fotos von Prominenten und Berühmten lassen ursprüngliche menschliche, oft sogar allzu menschliche Gefühle ahnen.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 26.07.2013

Der Fotograf mit der roten Nase

Elliott Erwitt ist der geniale Clown unter den Fotografen. Ob er Hunde oder Menschen ablichtet, Erwitt zeigt, wie lustig die melancholische Kunst der Fotografie sein kann.

Natürlich heißt "Exposure" zu Deutsch auch Belichtung. Und einen Buchtitel wie "Personal Exposures" wird man, zumal bei einem Fotoband, zuallererst mit "Persönliche Belichtungen" oder gleich "Privataufnahmen" übersetzen. Doch bedeutet "Personal" auch: vertraulich, sogar anzüglich. Und hinter "Exposure" versteckt sich zugleich Preisgabe, Entlarvung und Bloßstellung. Jede dieser Übersetzungen trifft den Kern des Buchs.

Gewidmet ist es den Schwächen der Menschen, freilich eher augenzwinkernd beobachtet, als mit Häme übergossen, im besten Fall mit subtilem Humor vorgeführt, oft aber auch die Grenze zum Kalauer weit überschreitend. Dass Fotografie überhaupt lustig sein kann, dieses melancholischste aller künstlerischen Medien, hat Elliott Erwitt mit diesem Bilderbuch unwiderlegbar bewiesen. Längst zählt es zu den Klassikern der Fotoliteratur, mit etlichen Neuauflagen seit der Erstausgabe 1988, die hierzulande schlicht "Fotografien 1946-1988" hieß. Die jüngste Ausgabe ist rechtzeitig zum fünfundachtzigsten Geburtstag des Fotografen am heutigen Freitag erschienen.

Elliott Erwitt ist der Clown unter den Fotografen. Buchstäblich. Legendär ist die rote Nase, die er stets in seiner Hosentasche mit sich trägt, um Passanten zu verwirren oder zum Lachen zu bringen. Für seine Hundefotos, die ihn berühmt gemacht haben, griff er dann und wann zu einer Hupe, um die Tiere auf Trab zu bringen. Irgendetwas Komisches würde dann ganz automatisch passieren, erklärte er den Kniff - und damit die bisweilen aberwitzigen Momente seiner Bilder: ein Hund, der sich zwischen Grabsteinen auf den Rücken rollt; ein Hund, der in die Luft geht. "Hunde sind ein gutes Motiv", schrieb Erwitt bei Gelegenheit, "weil sie dem Menschen so ähnlich sind. Für mich sind sie Menschen mit mehr Haaren, die keine Abzüge bestellen."

Elliott Erwitt kam 1928 als Sohn russischer Emigranten in Frankreich zur Welt, wuchs in Italien auf und floh mit seinem Vater vor dem Faschismus nach Amerika. Er war dreimal verheiratet, spricht vier Sprachen und verbrachte sein Berufsleben als Rastloser unterwegs auf allen Kontinenten. Das klingt nach Lebemann. Und doch verbirgt sich hinter seinem Gebaren als Fotograf letztlich eine Scheu vor dem Leben. Erwitt selbst nennt seine Schüchternheit als Grund, weshalb er Fotograf geworden ist. Die Kamera war ihm nie nur Werkzeug, vielmehr bot sie ihm Schutz vor zu viel Nähe. Als er eine Krebsoperation dokumentieren sollte, schreibt er, schaute er sich am Tag zuvor schon einmal im Krankenhaus um und fiel beim Anblick einer blutigen Lunge fast in Ohnmacht. Am nächsten Tag jedoch machte ihm all dies nichts mehr aus. "Alles Grausige und Beängstigende nahm die Kamera auf. Ich war auf der anderen Seite."

Man muss im Werk Elliott Erwitts lange suchen, um Grausiges zu finden. Stattdessen spürt Erwitt Momente auf, die es dem Betrachter schwermachen, das Leben allzu ernst zu nehmen, und die zeigen, wie schwer es ist, sich würdevoll zu benehmen. So konsequent stellt er die Welt als Witz dar, dass sich die Bilder in seinem Buch auf Doppelseiten ergänzen und kommentieren: hier ein Hengst und eine Stute, dort ein Playboy und eine Blondine; hier ein Cola-Automat zwischen den Raketen einer Waffenschau, dort ein Mann mit einem meterhohen Modell des Eiffelturms neben dem Lastwagen eines Getränkelieferanten; hier eine Frau, die in Las Vegas einem Cowboy aus Metall den Colt herunterdrückt, dort Richard Nixon, der in Moskau Nikita Chruschtschow seinen Zeigefinger in die Brust bohrt. So wird am Ende sogar die Weltgeschichte zur Slapstick-Nummer. Weshalb seine Bloßstellungen, seine Preisgabe der Schrulligkeiten im Menschlichen und Allzumenschlichen am Ende sogar trösten.

Und wenn sich, wie bei jedem Clown, bisweilen ein Moment von Traurigkeit in die Darbietung schleicht, dann ist auch das kein Grund zum Kummer. Wie Charles Chaplin, den er verehrt, will Erwitt die Menschen abwechselnd zum Lachen und zum Weinen bringen. "Lustig und traurig, ist das nicht ein und dasselbe? Beides zusammen ergibt das Normale", sagt er. Jenes normale Leben, das er allerdings in keinem seiner Bilder zeigt.

FREDDY LANGER

Elliott Erwitt: "Personal Exposures - Fotografien 1946-1988". Mit einem autobiographischen Text.

Schirmer/Mosel Verlag, München 2012. 256 S., 222 Abb., geb., 49,80 [Euro].

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