Angesichts einer anhaltend hohen Arbeitslosigkeit setzt Deutschland beträchtliche finanzielle Mittel für aktive Arbeitsmarktpolitik ein. Dies kontrastiert mit einem geringen Stand an überprüfbaren Wissen über die Wirksamkeit und die Kosteneffizienz der einzelnen Maßnahmen. Die Defizite lassen sich durch den begrenzten Datenzugang der akademischen Forschung wie durch unzureichende methodische Konzeptionen bei der Programmevaluation erklären. Stärkere Anstrengungen für eine fundierte wissenschaftliche Evaluierung sind deshalb zwingend erforderlich. Deshalb analysiert dieses Buch die vorliegenden internationalen Erfahrungen mit aktiver Arbeitsmarktpolitik, die auf einem erheblich besseren Forschungsstand beruhen. Daraus werden Handlungsempfehlungen für die deutsche Arbeitsmarktpolitik abgeleitet und ein Aktionsplan für eine effektivere und effizientere neue Arbeitsmarktpolitik entwickelt.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 03.09.2001Zu spät für Gerhard Schröder
Viel Arbeit mit dem Arbeitsmarkt: Das Zimmermann-Gutachten enthält einen Aktionsplan
Christoph Schmidt/Klaus Zimmermann/Michael Fertig/Jochen Kluve: Perspektiven der Arbeitsmarktpolitik. Verlag Springer, Heidelberg 2001, 174 Seiten, 79,90 DM.
Das vom Bundesfinanzministerium in Auftrag gegebene Gutachten zur Arbeitsmarktpolitik, kürzlich öffentlich präsentiert von Klaus Zimmermann, dem Präsidenten des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) und des Instituts zur Zukunft der Arbeit (IZA), hat einige Beachtung gefunden. Bei rund vier Millionen offiziell gemeldeten Arbeitslosen und zusätzlich einigen hunderttausend Jobsuchenden in der sogenannten stillen Reserve und auf dem zweiten Arbeitsmarkt genießt die Beschäftigungspolitik in Deutschland Priorität. Doch dem Anspruch, eine Vergleichsstudie vorzulegen, aus der Erkenntnisse und Empfehlungen für Deutschland gewonnen werden können, wird das Zimmermann-Gutachten nur teilweise gerecht.
Das liegt zum einen an handwerklichen Fehlern. So gehen die Wissenschaftler von einem Mittelvolumen der aktiven Arbeitsmarktpolitik 1998 von rund 30 Milliarden DM aus. Tatsächlich wurden vor drei Jahren aber knapp 40 Milliarden DM ausgegeben; heute sind es fast 44 Milliarden DM. Die Forscher haben sich verrechnet - oder fast ein Viertel aller Maßnahmen übersehen. Auch wirkt die Studie in Teilen veraltet. Die jüngsten Zahlen für Deutschland stammen von 1998; aus Amerika werden Fallstudien der sechziger und siebziger Jahre zitiert. Folglich können die Forscher auch neue Entwicklungen nicht berücksichtigen. So sind die Gelder für Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen, welche die Arbeitsmarktexperten abschaffen wollen, in den vergangenen beiden Jahren bereits deutlich gesenkt worden. Ob dies auf einen Politikwechsel hindeutet, bleibt unbeantwortet.
Zum anderen liegt ein Hauptmanko des Gutachtens in der Auswahl der untersuchten Arbeitsmarktmodelle. Mit der (zwar stichhaltigen) Begründung, in den Vereinigten Staaten und Kanada lägen empirische Erfahrungen über Effizienz und Effektivität einzelner Maßnahmen vor, werden fast ausschließlich Arbeitsmarktansätze aus Übersee analysiert. Das Problem liegt dabei in der Übertragbarkeit der amerikanischen Modelle auf deutsche Verhältnisse. Die amerikanische Arbeitsmarktpolitik verfolgt ein anderes Ziel als ihr deutsches Pendant: So wollen die Amerikaner die Einkommen der betroffenen Personen steigern und damit die Arbeitsaufnahme allenfalls indirekt erleichtern. In Deutschland will man dagegen Arbeitslose direkt wieder in Beschäftigung bringen, der Lohnaspekt ist Nebensache. Deshalb stehen auch Weiterbildung und Vermittlung im Mittelpunkt der deutschen Politik und nicht wie in den Vereinigten Staaten der Einkommenszuschuß des "Earned Income Tax Credit".
Die umfangreiche Darstellung der amerikanischen Modellprojekte fiele weniger ins Gewicht, wenn die Erfahrungen der europäischen Nachbarn genug Beachtung gefunden hätten. Die Arbeitsmarktreformen in Frankreich, den Niederlanden, Dänemark und Großbritannien werden indes auf nur 15 Seiten abgehandelt. Neue Entwicklungen wie die französische Beschäftigungsprämie fallen durch den Forschungsrost.
Lohnt sich das Studium dieser Lektüre nach soviel Kritik überhaupt noch? Ja. Denn Klaus Zimmermann und sein Forscherteam scheuen sich nicht, Salz in die offenen Wunden zu streuen und der Politik detaillierte Handlungsempfehlungen zu geben. Die drei wichtigsten Botschaften lauten: Die vielfältigen Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen sollten wegen Erfolglosigkeit und Verdrängung privater Unternehmen besser heute als morgen eingestellt werden. Den wirksamsten Ansatz, um den Arbeitsmarkt zu reformieren und das Beschäftigungsziel zu erreichen, bieten flächendeckende Lohnsubventionen an den Arbeitgeber, kombiniert mit Weiterbildungsmaßnahmen der Arbeitnehmer. Und Deutschland braucht endlich eine wissenschaftliche Evaluation der aktiven Arbeitsmarktpolitik. Bislang werden - wenn überhaupt - nur "Verbleibsquoten" errechnet, die aber über die Wirksamkeit der einzelnen Modelle keine echten Auskünfte geben. Nur wenn das Wissen über die einzelnen arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen deutlich verbessert wird, können gute Ansätze vertieft und erfolglose Konzepte aussortiert werden.
Was bleibt zu tun? Die Forschergruppe rund um den DIW-Chef hat einen Aktionsplan erarbeitet, der die gröbsten Probleme beseitigen soll. In einer ersten Phase sollen die einzelnen Maßnahmen der aktiven Arbeitsmarktpolitik verbessert werden. Es folgen simultane Teilprojekte, um die empirische Basis für eine fundierte wissenschaftliche Bewertung der aktiven Arbeitsmarktpolitik aufzubauen. Dann werden die Daten ausgewertet und Empfehlungen erarbeitet, so daß die Rahmenbedingungen angepaßt und einzelne Maßnahmen verbessert, eingestellt oder hinzugefügt werden. Dem Bundeskanzler wird dieser Stufenplan nicht mehr helfen, sein Wahlversprechen einzuhalten, die Arbeitslosigkeit bis zum kommenden Wahltag unter 3,5 Millionen zu senken. Langfristig könnte sich aus dem Zimmermann-Vorschlag aber ein Umdenkprozeß ergeben. Nicht die teuersten, sondern die effizienten Maßnahmen schaffen Beschäftigung. Ob der Königsweg wirklich "Lohnsubvention plus Weiterbildung" heißt, wie Klaus Zimmermann herausgefunden hat, bedarf indes noch eingehender Diskussion.
ANDREAS GEHLHAAR
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Viel Arbeit mit dem Arbeitsmarkt: Das Zimmermann-Gutachten enthält einen Aktionsplan
Christoph Schmidt/Klaus Zimmermann/Michael Fertig/Jochen Kluve: Perspektiven der Arbeitsmarktpolitik. Verlag Springer, Heidelberg 2001, 174 Seiten, 79,90 DM.
Das vom Bundesfinanzministerium in Auftrag gegebene Gutachten zur Arbeitsmarktpolitik, kürzlich öffentlich präsentiert von Klaus Zimmermann, dem Präsidenten des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) und des Instituts zur Zukunft der Arbeit (IZA), hat einige Beachtung gefunden. Bei rund vier Millionen offiziell gemeldeten Arbeitslosen und zusätzlich einigen hunderttausend Jobsuchenden in der sogenannten stillen Reserve und auf dem zweiten Arbeitsmarkt genießt die Beschäftigungspolitik in Deutschland Priorität. Doch dem Anspruch, eine Vergleichsstudie vorzulegen, aus der Erkenntnisse und Empfehlungen für Deutschland gewonnen werden können, wird das Zimmermann-Gutachten nur teilweise gerecht.
Das liegt zum einen an handwerklichen Fehlern. So gehen die Wissenschaftler von einem Mittelvolumen der aktiven Arbeitsmarktpolitik 1998 von rund 30 Milliarden DM aus. Tatsächlich wurden vor drei Jahren aber knapp 40 Milliarden DM ausgegeben; heute sind es fast 44 Milliarden DM. Die Forscher haben sich verrechnet - oder fast ein Viertel aller Maßnahmen übersehen. Auch wirkt die Studie in Teilen veraltet. Die jüngsten Zahlen für Deutschland stammen von 1998; aus Amerika werden Fallstudien der sechziger und siebziger Jahre zitiert. Folglich können die Forscher auch neue Entwicklungen nicht berücksichtigen. So sind die Gelder für Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen, welche die Arbeitsmarktexperten abschaffen wollen, in den vergangenen beiden Jahren bereits deutlich gesenkt worden. Ob dies auf einen Politikwechsel hindeutet, bleibt unbeantwortet.
Zum anderen liegt ein Hauptmanko des Gutachtens in der Auswahl der untersuchten Arbeitsmarktmodelle. Mit der (zwar stichhaltigen) Begründung, in den Vereinigten Staaten und Kanada lägen empirische Erfahrungen über Effizienz und Effektivität einzelner Maßnahmen vor, werden fast ausschließlich Arbeitsmarktansätze aus Übersee analysiert. Das Problem liegt dabei in der Übertragbarkeit der amerikanischen Modelle auf deutsche Verhältnisse. Die amerikanische Arbeitsmarktpolitik verfolgt ein anderes Ziel als ihr deutsches Pendant: So wollen die Amerikaner die Einkommen der betroffenen Personen steigern und damit die Arbeitsaufnahme allenfalls indirekt erleichtern. In Deutschland will man dagegen Arbeitslose direkt wieder in Beschäftigung bringen, der Lohnaspekt ist Nebensache. Deshalb stehen auch Weiterbildung und Vermittlung im Mittelpunkt der deutschen Politik und nicht wie in den Vereinigten Staaten der Einkommenszuschuß des "Earned Income Tax Credit".
Die umfangreiche Darstellung der amerikanischen Modellprojekte fiele weniger ins Gewicht, wenn die Erfahrungen der europäischen Nachbarn genug Beachtung gefunden hätten. Die Arbeitsmarktreformen in Frankreich, den Niederlanden, Dänemark und Großbritannien werden indes auf nur 15 Seiten abgehandelt. Neue Entwicklungen wie die französische Beschäftigungsprämie fallen durch den Forschungsrost.
Lohnt sich das Studium dieser Lektüre nach soviel Kritik überhaupt noch? Ja. Denn Klaus Zimmermann und sein Forscherteam scheuen sich nicht, Salz in die offenen Wunden zu streuen und der Politik detaillierte Handlungsempfehlungen zu geben. Die drei wichtigsten Botschaften lauten: Die vielfältigen Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen sollten wegen Erfolglosigkeit und Verdrängung privater Unternehmen besser heute als morgen eingestellt werden. Den wirksamsten Ansatz, um den Arbeitsmarkt zu reformieren und das Beschäftigungsziel zu erreichen, bieten flächendeckende Lohnsubventionen an den Arbeitgeber, kombiniert mit Weiterbildungsmaßnahmen der Arbeitnehmer. Und Deutschland braucht endlich eine wissenschaftliche Evaluation der aktiven Arbeitsmarktpolitik. Bislang werden - wenn überhaupt - nur "Verbleibsquoten" errechnet, die aber über die Wirksamkeit der einzelnen Modelle keine echten Auskünfte geben. Nur wenn das Wissen über die einzelnen arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen deutlich verbessert wird, können gute Ansätze vertieft und erfolglose Konzepte aussortiert werden.
Was bleibt zu tun? Die Forschergruppe rund um den DIW-Chef hat einen Aktionsplan erarbeitet, der die gröbsten Probleme beseitigen soll. In einer ersten Phase sollen die einzelnen Maßnahmen der aktiven Arbeitsmarktpolitik verbessert werden. Es folgen simultane Teilprojekte, um die empirische Basis für eine fundierte wissenschaftliche Bewertung der aktiven Arbeitsmarktpolitik aufzubauen. Dann werden die Daten ausgewertet und Empfehlungen erarbeitet, so daß die Rahmenbedingungen angepaßt und einzelne Maßnahmen verbessert, eingestellt oder hinzugefügt werden. Dem Bundeskanzler wird dieser Stufenplan nicht mehr helfen, sein Wahlversprechen einzuhalten, die Arbeitslosigkeit bis zum kommenden Wahltag unter 3,5 Millionen zu senken. Langfristig könnte sich aus dem Zimmermann-Vorschlag aber ein Umdenkprozeß ergeben. Nicht die teuersten, sondern die effizienten Maßnahmen schaffen Beschäftigung. Ob der Königsweg wirklich "Lohnsubvention plus Weiterbildung" heißt, wie Klaus Zimmermann herausgefunden hat, bedarf indes noch eingehender Diskussion.
ANDREAS GEHLHAAR
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Andreas Gehlhaar hat an dieser Studie allerhand auszusetzen: Zum einen diagnostiziert er einige "handwerkliche Fehler", denn die Zahlen zum Mittelvolumen, von denen hier ausgegangen werde, seien schlicht falsch. Zum anderen findet er die Zahlen teilweise auch veraltet und neuere Entwicklungen würden hier nicht berücksichtigt. Das größte Manko jedoch liegt nach Gehlhaar in der "Auswahl der untersuchten Arbeitsmarktmodelle". Denn die amerikanischen Zustände können, so der Rezensent, nicht ohne weiteres auf Deutschland übertragen werden. Die "Erfahrungen der europäischen Nachbarn" würden außerdem zu knapp abgehandelt. Dennoch lohnt die Lektüre der Studie, findet Gehlhaar. Die Autoren hätten keine Scheu gezeigt, "Salz in die offenen Wunden zu streuen und der Politik detaillierte Handlungsanweisungen zu geben", findet Gehlhaar - etwa, was Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen betrifft oder das Fehlen einer "wissenschaftlichen Evaluation der aktiven Arbeitsmarktpolitik".
© Perlentaucher Medien GmbH
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