Musik ist eine Herausforderung für die Philosophie - die von dieser oft nicht angenommen wurde. In den letzten Jahrzehnten hat sich jedoch die Musikphilosophie im deutschsprachigen Raum als ein zunehmend dynamisches interdisziplinäres Feld zwischen Philosophie, Ästhetik und Kunsttheorie, Musikwissenschaft, Musiktheorie und musikalischer Praxis entwickelt. Die Beiträge dieses Bandes, u. a. von Daniel Martin Feige, Gunnar Hindrichs, Richard Klein, Cosima Linke und Matthias Vogel, ziehen erstmals ein Fazit und beleuchten die Perspektiven des mittlerweile ausdifferenzierten Diskurses über diese scheinbar unmittelbarste und zugleich begrifflich am schwersten fassbare künstlerische Ausdrucksform.
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Rezensent Wolfgang Matz lobt den breiten Reflexionsraum, den der von Wolfgang Fuhrmann und Claus-Steffen Mahnkopf herausgegebene Band über Musikphilosophie eröffnet. Dass es Musikphilosophie von Adorno und Co. überhaupt gibt, scheint Matz erstaunlich genug. Noch erstaunlicher findet er die Beiträge im Band zur Gegenwartsmusik, zum Verstehen von Musik oder zur Unterscheidung von Kunst- und Popmusik. Die Texte öffnen neue Verstehenshorizonte, verspricht Matz, nicht zuletzt da, wo sie eine Selbstdefinition des Fachs versuchen.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 18.02.2022Sinn und Tonkunst
Ein Band über die Musikphilosophie
Musikphilosophie ist ein Nischenfach, doch in der Nische geht es recht lebendig zu. Wer etwa hätte es 1995 einer Zeitschrift "Musik & Ästhetik" zugetraut, dass sie es dereinst auf 101 sehr lesenswerte Hefte bringen werde? Aus ihrem Umkreis stammt jetzt auch der Sammelband "Perspektiven der Musikphilosophie", der sich ein gründliches Inventar der Räumlichkeiten vorgenommen hat. Schon das Vorhandensein von Musikphilosophie ist nicht selbstverständlich, hat man doch zum Beispiel von einer Literaturphilosophie kaum je gehört. Am Ende handelt es sich wohl um ein historisches Phänomen. Keine andere Kunst hat ein so spezifisches Interesse großer Philosophen hervorgerufen wie die Musik: Schopenhauer, Nietzsche, Bloch, Adorno. Die Namen aber bezeichnen bereits den Wandel heutigen Interesses: Glaubt man dem Band, so spielt Ernst Blochs expressionistische "Philosophie der Musik" keinerlei Rolle mehr; die Zeit ist nicht nach großen Worten wie: "Musik ist die Zentralkunst des utopischen Bewusstseins."
Den Maßstab bildet sein Zeitgenosse, Theodor W. Adorno. Wie immer man steht zu seiner Ästhetik, in der Musik führt kein Weg an ihr vorbei, im Guten wie im Schlechten. Im Schlechten finden sich Adornos Thesen oft reduziert auf Imitation und Jargon; im Guten prägt seine enge Verbindung von Theorie und künstlerischer Praxis das Nachdenken auch dort, wo heutige Autoren andere Wege einschlagen. Beides findet sich in dem neuen Band. Am produktivsten wird er dort, wo mit Adorno über ihn hinausgedacht wird, denn die Musik unserer Tage ist eben nicht mehr zeitgenössisch zu der großen Tradition, auf der seine "Philosophie der neuen Musik" beruhte.
Dafür steht die Kritik am Begriff des musikalischen Materials von dem jüngst verstorbenen Richard Klein; anknüpfend an die Frage nach der "Möglichkeit zeitgenössischen Komponierens als philosophisches Problem" kann er überzeugend darlegen, dass die Dualität von musikalischem Werk und musikalischem Material, so objektiv sie klingt, eben keineswegs unterschiedslos auf Kompositionen einer neuen Epoche anwendbar bleibt. Dass die Adorno'sche Unterscheidung von Fortschritt und Reaktion ästhetisch unhaltbar ist, ist beinahe schon Konsens. In einem gewissen Widerspruch dazu beschäftigt sich der Band fast ausschließlich mit ästhetischen Problemen der Gegenwartsmusik, obwohl doch mit der Kritik des Fortschrittsdenkens die traditionelle Perspektive vom "avanciertesten Stand" aus zweifelhaft wird.
Kritisch diskutiert wird auch die Unterscheidung zwischen Kunstmusik und den verschiedensten Spielarten von populärer und Weltmusik; da aber bleibt noch viel zu tun, denn wenn es sinnvoll ist, den Blick auf diese anderen Traditionen zu richten, so ist das Kriterium der "Möglichkeiten zeitgenössischen Komponierens" hier seltsam deplatziert. Produktive Umwege eröffnen die Überlegungen zum alten Thema der Sprachähnlichkeit oder zum Verstehen und Missverstehen von Musik. Dass Musik womöglich einen "unmissverständlichen Sinn" habe, ist beim Hören immer wieder evident; die Frage, ob und wie man Musik auch missverstehen könne, eröffnet einen überraschenden Horizont, wie man ihn von einem solchen Band erhofft.
Ein nicht unerheblicher Teil der Aufsätze - und schon die Einführung des Mitherausgebers Wolfgang Fuhrmann - beschäftigt sich mit der Selbstdefinition des Faches in Abgrenzung von der zünftigen Musikwissenschaft. Die einzige wirkliche Leerstelle ist dabei eine philosophische Reflexion über die Nischenexistenz der zeitgenössischen Kunstmusik selbst. Vielleicht hat die Abtrennung der Musiksoziologie hier zu einer Selbstbegrenzung geführt, die ganz und gar nicht nötig wäre, denn geschichtliche Gründe für diese Entwicklung - von der Zwölftontechnik über den Serialismus - finden sich durchaus. Aber gerade eine Philosophie, die jede lineare Fortschrittslogik infrage stellt, müsste sich ebenfalls die Frage stellen, ob der Weg in die musikalische Spezialisierung, wie er das zeitgenössische Musikleben bestimmt, unausweichlich und unumkehrbar sein muss. Eine Antwort darauf gibt es noch nicht, wäre jedoch aus den vorhandenen Ansätzen vielleicht zu entwickeln. Die Perspektiven des Bandes sind breit genug, um die Lebendigkeit der Nische noch lange zu erhalten. WOLFGANG MATZ
"Perspektiven der Musikphilosophie".
Hrsg. von Wolfgang Fuhrmann und Claus-Steffen Mahnkopf. Suhrkamp Verlag, Berlin 2021. 369 S., br., 24,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Ein Band über die Musikphilosophie
Musikphilosophie ist ein Nischenfach, doch in der Nische geht es recht lebendig zu. Wer etwa hätte es 1995 einer Zeitschrift "Musik & Ästhetik" zugetraut, dass sie es dereinst auf 101 sehr lesenswerte Hefte bringen werde? Aus ihrem Umkreis stammt jetzt auch der Sammelband "Perspektiven der Musikphilosophie", der sich ein gründliches Inventar der Räumlichkeiten vorgenommen hat. Schon das Vorhandensein von Musikphilosophie ist nicht selbstverständlich, hat man doch zum Beispiel von einer Literaturphilosophie kaum je gehört. Am Ende handelt es sich wohl um ein historisches Phänomen. Keine andere Kunst hat ein so spezifisches Interesse großer Philosophen hervorgerufen wie die Musik: Schopenhauer, Nietzsche, Bloch, Adorno. Die Namen aber bezeichnen bereits den Wandel heutigen Interesses: Glaubt man dem Band, so spielt Ernst Blochs expressionistische "Philosophie der Musik" keinerlei Rolle mehr; die Zeit ist nicht nach großen Worten wie: "Musik ist die Zentralkunst des utopischen Bewusstseins."
Den Maßstab bildet sein Zeitgenosse, Theodor W. Adorno. Wie immer man steht zu seiner Ästhetik, in der Musik führt kein Weg an ihr vorbei, im Guten wie im Schlechten. Im Schlechten finden sich Adornos Thesen oft reduziert auf Imitation und Jargon; im Guten prägt seine enge Verbindung von Theorie und künstlerischer Praxis das Nachdenken auch dort, wo heutige Autoren andere Wege einschlagen. Beides findet sich in dem neuen Band. Am produktivsten wird er dort, wo mit Adorno über ihn hinausgedacht wird, denn die Musik unserer Tage ist eben nicht mehr zeitgenössisch zu der großen Tradition, auf der seine "Philosophie der neuen Musik" beruhte.
Dafür steht die Kritik am Begriff des musikalischen Materials von dem jüngst verstorbenen Richard Klein; anknüpfend an die Frage nach der "Möglichkeit zeitgenössischen Komponierens als philosophisches Problem" kann er überzeugend darlegen, dass die Dualität von musikalischem Werk und musikalischem Material, so objektiv sie klingt, eben keineswegs unterschiedslos auf Kompositionen einer neuen Epoche anwendbar bleibt. Dass die Adorno'sche Unterscheidung von Fortschritt und Reaktion ästhetisch unhaltbar ist, ist beinahe schon Konsens. In einem gewissen Widerspruch dazu beschäftigt sich der Band fast ausschließlich mit ästhetischen Problemen der Gegenwartsmusik, obwohl doch mit der Kritik des Fortschrittsdenkens die traditionelle Perspektive vom "avanciertesten Stand" aus zweifelhaft wird.
Kritisch diskutiert wird auch die Unterscheidung zwischen Kunstmusik und den verschiedensten Spielarten von populärer und Weltmusik; da aber bleibt noch viel zu tun, denn wenn es sinnvoll ist, den Blick auf diese anderen Traditionen zu richten, so ist das Kriterium der "Möglichkeiten zeitgenössischen Komponierens" hier seltsam deplatziert. Produktive Umwege eröffnen die Überlegungen zum alten Thema der Sprachähnlichkeit oder zum Verstehen und Missverstehen von Musik. Dass Musik womöglich einen "unmissverständlichen Sinn" habe, ist beim Hören immer wieder evident; die Frage, ob und wie man Musik auch missverstehen könne, eröffnet einen überraschenden Horizont, wie man ihn von einem solchen Band erhofft.
Ein nicht unerheblicher Teil der Aufsätze - und schon die Einführung des Mitherausgebers Wolfgang Fuhrmann - beschäftigt sich mit der Selbstdefinition des Faches in Abgrenzung von der zünftigen Musikwissenschaft. Die einzige wirkliche Leerstelle ist dabei eine philosophische Reflexion über die Nischenexistenz der zeitgenössischen Kunstmusik selbst. Vielleicht hat die Abtrennung der Musiksoziologie hier zu einer Selbstbegrenzung geführt, die ganz und gar nicht nötig wäre, denn geschichtliche Gründe für diese Entwicklung - von der Zwölftontechnik über den Serialismus - finden sich durchaus. Aber gerade eine Philosophie, die jede lineare Fortschrittslogik infrage stellt, müsste sich ebenfalls die Frage stellen, ob der Weg in die musikalische Spezialisierung, wie er das zeitgenössische Musikleben bestimmt, unausweichlich und unumkehrbar sein muss. Eine Antwort darauf gibt es noch nicht, wäre jedoch aus den vorhandenen Ansätzen vielleicht zu entwickeln. Die Perspektiven des Bandes sind breit genug, um die Lebendigkeit der Nische noch lange zu erhalten. WOLFGANG MATZ
"Perspektiven der Musikphilosophie".
Hrsg. von Wolfgang Fuhrmann und Claus-Steffen Mahnkopf. Suhrkamp Verlag, Berlin 2021. 369 S., br., 24,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
»[Es] sollte dieser Band als repräsentatives Dokument eines im Musikphilosophischen ungegenständlichen und erfahrungsarmen Zeitgeistes zu Anfang der 2020er Jahre in keiner wissenschaftlichen Musikbibliothek fehlen.« Peter Sühring Forum Musikbibliothek