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Stanislaw Perfecki, ein Held des ukrainischen Underground, Dichter und Happening-Künstler, wird zu einem internationalen Symposion über den postkarnevalistischen Irrsinn der Welt in Venedig erwartet. Unterwegs in die Lagunenstadt gerät er in die Fänge von Bohemiens im dekadenten München, verliebt sich in eine Frau, die jemand als Spitzel auf ihn angesetzt hat, und wird in dämonische Intrigen und erotische Exzesse verstrickt. Am offenen Fenster des Hotels am Canal Grande verliert sich Perfeckis Spur. Hat dieser Künstler der Masken, der Fälschungen, Verdrehungen und anderen "Perversionen" sein…mehr

Produktbeschreibung
Stanislaw Perfecki, ein Held des ukrainischen Underground, Dichter und Happening-Künstler, wird zu einem internationalen Symposion über den postkarnevalistischen Irrsinn der Welt in Venedig erwartet. Unterwegs in die Lagunenstadt gerät er in die Fänge von Bohemiens im dekadenten München, verliebt sich in eine Frau, die jemand als Spitzel auf ihn angesetzt hat, und wird in dämonische Intrigen und erotische Exzesse verstrickt.
Am offenen Fenster des Hotels am Canal Grande verliert sich Perfeckis Spur. Hat dieser Künstler der Masken, der Fälschungen, Verdrehungen und anderen "Perversionen" sein Verschwinden nur inszeniert? Fest steht: Wie in Bulgakows "Der Meister und Margarita", Andruchowytschs "Musterbuch", bricht das Übersinnliche in die Alltagswirklichkeit ein und übernimmt die Regie.
Rabelais und Bachtin, Bulgakow und Esterházy haben Pate gestanden, als in der Ukraine die literarische Postmoderne in Gestalt dieses Buches das Licht der Welt erblickte. Ein entfesseltes Spiel mit Formen, Stilen, apokryphen Traditionen ein Lektüre-Abenteuer für alle, die lieber lachend mit der Literatur über das Leben triumphieren, als an ihm zu verzweifeln.
Autorenporträt
Andruchowytsch, Juri
Juri Andruchowytsch, geboren 1960 in Iwano-Frankiwsk/Westukraine, dem früheren galizischen Stanislau, studierte Journalistik und begann als Lyriker. Außerdem veröffentlicht er Essays und Romane. Andruchowytsch ist einer der bekanntesten europäischen Autoren der Gegenwart, sein Werk erscheint in 20 Sprachen. 1985 war er Mitbegründer der legendären literarischen Performance-Gruppe Bu-Ba-Bu (Burlesk-Balagan-Buffonada). Mit seinen drei Romanen Rekreacij (1992; dt. Karpatenkarneval, 2019), Moscoviada (1993, dt. Ausgabe 2006), Perverzija (1999, dt. Perversion, 2011), die unter anderem ins Englische, Spanische, Französische und Italienische übersetzt wurden, ist er unfreiwillig zum Klassiker der ukrainischen Gegenwartsliteratur geworden.

Stöhr, Sabine
Sabine Stöhr, 1968 geboren, studierte Slawistik in Mainz und Simferopol. Seit 2004 übersetzt sie aus dem Ukrainischen, v.a. die Werke von Juri Andruchowytsch und, gemeinsam mit Juri Durkot, das Romanwerk von Serhij Zhadan. 2014 wurde sie mit dem Johann-Heinrich-Voß-Preis für Übersetzung ausgezeichnet. Ebenfalls 2014 erhielt sie, gemeinsam mit Juri Durkot und dem Autor, den Brückepreis Berlin für Die Erfindung des Jazz im Donbass von Serhij Zhadan. 2018 wurde Sabine Stöhr und Juri Durkot der Preis der Leipziger Buchmesse verliehen für ihre Übersetzung des Romans Internat von Serhij Zhadan.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 08.10.2011

Als Orpheus in Venedig verlorenging

Frauen, Alkohol, lückenlose Überwachung: Mit Humor und Melancholie erzählt Juri Andruchowytsch von einem europäischen Abenteurer.

Von Nicole Henneberg

Literatur hat immer etwas mit der Weltgegend zu tun, aus der sie kommt: mit dem dortigen Licht und dem Staub, dem Unkraut an den Straßenrändern und den Hoffnungen der Menschen. Aus ihren Gesten und Gesichtern lässt sich der Alltag lesen, die Gerüche ihrer Kleider und Wohnungen verraten die Familiengeheimnisse. Alles das hallt in den davon erzählenden Sätzen nach, und wenn der Autor aus Osteuropa stammt, gesellt sich noch eine sehr spezielle Mischung aus skurrilem und bissigem Humor, aus Melancholie und Auflehnung dazu. Die Romane des 1960 im galizischen Stanislau (ukrainisch Iwano-Frankiwsk) geborenen Juri Andruchowytsch sind durchtränkt von den Aromen und politischen Stimmungen seiner Heimat, die heute ein Trümmerfeld der europäischen Geschichte ist. In seiner k.u.k.-geprägten Heimatstadt werden in der alten Synagoge Kloschüsseln und Zementsäcke verkauft, als Kind badete er in einem See, der über einem jüdischen Massengrab angelegt war, und übte Klettern auf sowjetischen Kriegerdenkmälern. Er ist ein kluger und skeptischer Beobachter, war leidenschaftlicher Mitkämpfer in der Orangen Revolution und ist von ihrem Scheitern bitter enttäuscht.

Hinter seinen listigen und frechen, größenwahnsinnigen und demütigen Helden lugt stets der Autor selbst hervor, der entlang seiner eigenen Erlebnisse erzählt. So auch im Roman "Perversion", der 1999 auf Ukrainisch erschien und an seine Studienjahre im vermüllten, versoffenen und streitsüchtigen Moskau (beschrieben in "Moscoviada") anknüpft. 1992 also macht sich sein Held - wie der Autor selbst - auf den Weg nach Westen, und es kommt ihm wie ein Traum vor, dass er tatsächlich eines Morgens in einer Münchner Wohnung aufwacht. Damit ihn der Sprung nicht zu sehr verstört, hat der Autor eine dämpfende Rahmenhandlung dazwischengeschoben: die Geschichte von Stanislaus Perfezki berichtet uns, vom ukrainischen Lemberg aus, ein Freund und Schulkamerad des in Venedig Verschollenen. Er recherchiert und sammelt alles, was über den mysteriösen Fall zu erfahren ist, ausgehend von einem dicken Konvolut persönlicher Unterlagen des Vermissten, die ihm ein Unbekannter zugespielt hat. Dieses klassische (und etwas abgenutzte) Muster der Herausgeberschaft hat hier eine echte, wenn auch spöttisch heruntergedimmte Funktion, erlaubt es doch dem Erzähler, seinen Helden zu belächeln oder zusammenzustauchen und im gleichen Atemzug um ihn zu bangen. Mit leichter Hand und ganz selbstverständlich fügt der Autor so die Tagebuchnotizen, Zeitungsartikel und verschiedensten Berichte zu einem Ganzen, das in unterschiedlichem Tempo um seine Achse, ebenjenen geheimnisvollen und verschrobenen Perfezki, kreist und ihn von allen Seiten beleuchtet.

Lauter vertraute Muster aus der sowjetischen Zeit schleppt der Arme hinter sich her: katastrophale Frauengeschichten, Alkoholexzesse, lückenlose Überwachung. Gleich zwei Spitzel, ein weiblicher und ein männlicher, sind auf ihn angesetzt, und zwar genau dort, wo der Mensch am verletzlichsten ist, in seinem Intimleben. Dieses ihm unbekannte Paar löst ihn bei der Münchner Polizei aus, wo Perfezki volltrunken nach einer sonderbaren Party mit lauter Asylanten gelandet war, setzt ihn in ihr Auto und bringt ihn nach Italien. In Venedig ist er angeblich zu einer Konferenz über "Post-karnevalistischen Irrsinn der Welt: Was dräut am Horizont?" eingeladen - programmatisch für den Roman, mit dem in der Ukraine die Postmoderne begann.

Schon die in den "Spitzelberichten" wunderbar lakonisch geschilderte Autofahrt mit dem verkaterten, nach Alkohol jammernden Dichter, Musiker und Performer Perfezki macht deutlich, dass es sich hier auch um ein Musterbuch literarischer Genres und Stile handelt. Ununterbrochen sondert der Gast Kalauer, erotische Prosa-Miniaturen, Rilke-Persiflagen und konkrete Gedichte als Landschaftbeschreibungen ab, die seine Mitfahrer zur Weißglut treiben. Je näher sie der Lagunenstadt kommen, desto hysterischer dichtet er vor sich hin, denn er hat Angst, verrückt zu werden, wenn dieser heißersehnte Venedig-Traum tatsächlich in Erfüllung geht. Vor lauter innerem Stress verliebt er sich natürlich in die Beifahrerin Ada, was diese freut, denn es bereichert ihre Berichte ungemein.

Ein Meisterstück ist die Schilderung der Tagung: Changierend zwischen bitterböser Satire und magischem Chaos, zwischen großem Fressen und "lingual-kabbalistischen Exerzitien" im Reggae-Sound, spiegelt sie Perfezkis Verstörung über dieses schrille Spektakel und seine kindliche Begeisterung - denn wer würde nicht gern hören, was eine feministische Professorin aus (William Faulkners imaginärem) Yoknapatawpha County zu sagen hat? Fasziniert lauscht er auch dem greisen Vorsitzenden, einer Mischung aus Casanova und Großinquisitor, der als Spezialist für Dekonstruktion gilt, und flirtet mit den Hostessen, die historische Kurtisanenkostüme tragen und den Anwesenden auch ausgefallene Wünsche erfüllen.

Natürlich ist dieses Musterbuch durchweht von den Lieblingslektüren des Poeta doctus, der bei uns als politischer und literarischer Essayist bekannt wurde: von Bulgakow - die zauberkundige Ada ist unverkennbar eine kleine Schwester Margaritas, aber auch von der spöttischen Traurigkeit eines Bruno Schulz und Esterházys barocker Fabulierlust. Wie in der "Einführung in die Schöne Literatur" wird hier mit dem ironisch durchgeschüttelten Extrakt aus vielen Romanen und leicht verrutschten, klassischen Erzählmustern gearbeitet, aber auch mit Kolportage und Mafia-Story, und der Leser hat ständig das Gefühl, auf Bekanntes zu stoßen. Deshalb heißt der Zeremonienmeister der Tagung auch Monsieur Déjàvu. Doch das Besondere ist die Erzählstimme des Autors, die durch alle Tonlagen wandert: eine hinreißende Mischung aus übermütiger Hoffnung und Trauer, aus Fatalismus, überschäumender Begeisterung und trotziger Sehnsucht. Staunend und so liebenswert stur wie Don Quichote irrt unser Orpheusky durch das labyrinthische und stinkende Venedig, eine Stadt der Echos und Zitate, des Zerfalls und der Schönheit. Der kunstgeschichtliche Overkill und der Luxus machen ihn trunken vor Glück und lassen ihn im selben Moment verzweifeln, denn, fragt er sich, wie konnte er nur so viele Jahre ohne all das leben?

Diesen Katzenjammer krönt seine unglückliche Liebe, weil die unnahbare Schöne nur ihrem Führungsoffizier gesteht, wie schwer ihr dieser Auftrag und die dafür nötige Distanz fallen. So bleibt für die Liebenden als einziger Trost das Aufschreiben und Erzählen, auch wenn das die langsam versinkende Stadt sowenig retten wird wie die Welt oder unseren jungen, aus Lemberg geflüchteten Teufel, "der wie kein anderer über den Straßen fliegen und durch die Cafés rasen konnte". Ständig änderte er dabei sein Aussehen und dichtete unentwegt - eine lupenreine, in Venedig spurlos sich auflösende Bu-Ba-Bu-Figur ("Burleske, Balagan, Buffonade" - so heißt die von Andruchowytsch und Freunden 1987 gegründete Performance-Gruppe). Ein erzwungener Selbstmord, befürchtet der Erzähler, und ein unschätzbarer Verlust für die Stadt. Zum Glück kehrte der unruhige, reiselustige Autor nach Jahren des Umherstreifens heil zurück und ist ein für die Politik unbequemer, vom Publikum geliebter Sammler der prekären Wirklichkeit. Und er beharrt darauf, dass Stanislau im Zentrum Europas liegt.

Juri Andruchowytsch: "Perversion". Roman.

Aus dem Ukrainischen von Sabine Stöhr. Suhrkamp Verlag, Berlin 2011. 334 S., 22,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension

Tollen Stoff hat Rezensent Mathias Schnitzler hier vom Ukrainer Juri Andruchowytsch aufgetischt bekommen, beglückt frohlockt er: "Mehr Intertextualität, mehr Mystifikation und mehr intellektuelles Spektakel geht nicht." Dabei geht es um folgendes: Ein Lemberger Dichterkünstler, Stanislaus Perfezki, stürzt aus einem Hotelzimmer in Venedig in den Canal Grande, ob es sich dabei Mord oder Selbstmord handelt, bleibt ungeklärt. Aufzeichnungen und Dokumente, die bei dem Dichter gefunden werden, schildern seine letzten Tage, geben aber auch Hinweise (Achtung: Postmoderne!), dass der Perfezki noch am Leben sein könnte. Seine letzten Tage waren jedenfalls sehr bunt, nach einer ausgelassenen Asylfeier in München ("golden german tor lass uns ein als große fisch" wurde dabei gesungen), gehen die Orgien in Venedig weiter, die betörende Ada spielt eine Rolle, und schließlich geht es um die Abweichung von der Norm und die Ukraine als fantastischen Raum. Schnitzler hält das alles für eine "famose Falschmünzerei".

© Perlentaucher Medien GmbH
»Andruchowytsch verknüpft die russische Tradition des Absurden mit dem Post- oder auch Postpostmodernen. Das Labyrinthische ist Programm, so wie das Spiel auch: 'Der Gestank des Wassers, der Geruch der Frauen, die sterbenden Gebäude, das Gras in den Ritzen zwischen den Steinen ... ' - all das wird in voller Ironie und im heiligen Ernst zugleich beschworen.« Christoph Schröder taz. die tageszeitung 20111012