Alexandre Yersin, Arzt, Forscher, Seefahrer, Landwirt, Geograf und Mitarbeiter Louis Pasteurs, wird von einer unbändigen Neugier um die Welt getrieben. Als Schiffsarzt befährt er die Meere Asiens und stürzt sich in immer neue wissenschaftliche Abenteuer. In China gelingt ihm unter dramatischen Umständen eine sensationelle Entdeckung: Er identifiziert den Pestbazillus und entwickelt als Erster einen Impfstoff gegen die Geißel der Menschheit.
Der französische Schriftsteller und Bestsellerautor Patrick Deville erzählt in einem leidenschaftlichen Abenteuerroman von diesem außergewöhnlichen Mann und seiner Epoche.
Der französische Schriftsteller und Bestsellerautor Patrick Deville erzählt in einem leidenschaftlichen Abenteuerroman von diesem außergewöhnlichen Mann und seiner Epoche.
»Patrick Deville hat nicht nur eine fulminante romanhafte Biografie geschrieben, sondern einen Wissenschaftskrimi, der die in Fachzeitschriften und Reagenzgläsern schlummernde Geschichte der modernen Medizin vom Staub der Bibliotheken befreit und auf stupende Weise zum Leben erweckt.« Hans Christoph Buch Frankfurter Allgemeine Zeitung
Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension
Sehr viel Gutes kann Ingeborg Waldinger an Patrick Devilles Roman "Pest und Cholera" finden. Es sei beeindruckend, freut sich die Rezensentin, wie es dem Autor gelinge, die biografischen Fakten in solch wundervolle und bewegende Geschichten zu verwandeln: In diesem Fall die Lebensgeschichte des Schweizer Arztes und Bakteriologen Alexandre Yersin. In dieser turbulenten Geschichte reist Waldinger von Paris nach Vietnam, von Berlin nach Hongkong und begleitet den Protagonisten, einen erfolgreichen Geschäftsmann und gefeierten Gelehrten im Kampf gegen Epidemien, Elend und gegen die eigene Unruhe. "Ein großer Mann. Ein großes Buch" schließt Waldinger seine mitreißenden Besprechung.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 10.02.2014Im Gehirn ist ein Gefäß explodiert
Die Gleichzeitigkeit von Wissenschafts- und Poesie-Revolution: Patrick Devilles fulminanter biographischer Roman "Pest & Cholera" über den Erfinder der Pestimpfung
Der Preis der Literaturpreise, der Prix Femina, und der Preis der Buchhandelskette FNAC - das ist eine Bilanz, die selbst den stärksten Appetit eines französischen Schriftstellers befriedigen sollte. All diese Auszeichnungen hat Patrick Deville für seinen Roman "Pest & Cholera" gewonnen. Der 1957 geborene Autor ist Literaturkennern in Frankreich schon lange ein Begriff, in Deutschland aber kaum bekannt und wenig übersetzt, also noch immer ein Geheimtipp. Anders als die in Sonntagsreden gefeierte Freundschaft beider Staaten suggeriert, sind deutsche und französische Kultur keine kommunizierenden Röhren, ganz zu schweigen von einem Antriebsmotor für Europa, und man muss froh sein, wenn sie einander überhaupt zur Kenntnis nehmen.
Der Name Patrick Deville steht stellvertretend für den "nouveau nouveau roman". Darunter fasst man eine innovative Erzählkunst, die den "Voyages extraordinaires" von Jules Verne ebenso viel verdankt wie den "Tristes tropiques" von Claude Lévi-Strauss: Reiseliteratur in Fortschreibung einer Tradition, die von Voltaires "Candide" bis zu den Büchern des französischen Literaturnobelpreisträgers Le Clézio reicht.
Die Rezeption von Patrick Devilles Werk wurde dadurch erschwert, dass man in Deutschland nach dem frühen Verlust der Kolonien die Antennen zu außereuropäischen Kulturen einfuhr und Reiseliteratur als minderwertiges Genre ansah. Exotismus ist hierzulande ein Schimpfwort. Devilles ins Deutsche übertragenen Texte wurden durch Fußnoten und Bilder ergänzt, die man im Original vergeblich sucht, und als Sachbücher präsentiert - ein Begriff, den es im Französischen so nicht gibt.
Die sprachliche Qualität von Devilles Prosa, ihre Feinnervigkeit und Eleganz, wurde dem Informationsgehalt geopfert, die Form dem Inhalt unterstellt: ein Missverständnis, das die nun im Bilgerverlag erschienene Übersetzung von "Pest & Cholera" glänzend widerlegt, indem sie die an Proust geschulte Erzählweise nachvollzieht, bei der Schnörkel und Arabesken keine Nebensache sind, sondern die Sache selbst. Der Weg ist das Ziel.
Worum geht es? Vordergründig um das Leben des Bakteriologen Alexandre Yersin, eines aus der Schweiz stammenden Schülers von Louis Pasteur, der unter anderem bei Robert Koch studiert, den Pestbazillus entdeckt und einen Impfstoff gegen die Seuche entwickelt hat, die noch heute seinen Namen trägt: Yersinia Pestis. Doch Patrick Deville hat nicht nur eine romanhafte Biographie geschrieben, sondern einen Wissenschaftskrimi, der die in Fachzeitschriften und Reagenzgläsern schlummernde Geschichte der modernen Medizin vom Staub der Bibliotheken befreit und auf stupende Weise zum Leben erweckt.
"Häufig rollt man die Wissenschaftsgeschichte aus wie einen Boulevard . . . Eher ist sie ein Netz von ausweglosen Pfaden, in denen sich das Denken verirrt und verfängt. Eine Ansammlung von kläglichen und manchmal lächerlichen Fehlschlägen. Darin ist sie mit der Geschichte der beginnenden Luftfahrt vergleichbar. Die wiederum mit den Anfängen des Films zusammenfällt. Jenen ruckelnden Filmen in Schwarzweiß, in denen man Holz splittern oder Leinwand reißen sieht."
Damit nicht genug. Patrick Deville verknüpft die Pioniertaten der Ärzte und Ingenieure mit neuen Sehweisen in Kunst und Literatur, die sein Held Yersin für Quatsch und überflüssigen Luxus hält: "Im selben Moment, da Mikroskop und Injektionsnadel als absolute Neuheiten auftauchen, verstummt der Alexandriner, erledigt durch den Meisterstreich des jungen Dichters, der aufgebrochen ist, um dem künftigen Kaiser von Äthiopien, Menelik II., Gewehre zu verkaufen."
Gemeint ist mit diesem jungen Dichter natürlich Rimbaud, und schon hier wird klar, wie unprätentiös der Autor seine Arbeitsfelder miteinander vernetzt und die "Pasteuriens", also die Schüler von Pasteur, mit den "Parnassiens" genannten Poeten zusammenbringt. Beide tagten gleichzeitig in Pariser Cafés und fanden doch nicht zueinander - so wenig wie Robert Koch und Louis Pasteur, deren berufliche Rivalität sich zu politischer Feindschaft verschärfte.
Mit leichter Feder, aber exakt und tiefenscharf, entwirft Deville das Panorama einer Epoche vom Zweiten Kaiserreich bis zum Zweiten Weltkrieg, als Yersin mit der letzten Maschine der Air France aus dem von der Wehrmacht besetzten Paris flieht, um einsam zu sterben in Vietnam, wo er ein Mustergut mit Versuchslabor errichtet hat und als Wohltäter verehrt wird. "Er sollte den Schutzschalter drücken, aufstehen, den Schaukelstuhl verlassen. Unmöglich. Die kurzen Blitze des Kurzschlusses. Die Explosion eines Gefäßes im Gehirn. Es ist ein Uhr morgens. Das Licht ist erloschen."
So lauten die letzten Sätze des Romans, dessen Autor als Gespenst der Zukunft durch das Buch geistert, Mauern durchdringen und in die Haut des Helden schlüpfen kann, trotzdem aber Diskretion walten lässt, was Yersins sexuelle Orientierung betrifft. Patrick Deville ist ein Weltbürger, der in seiner Heimatstadt Saint-Nazaire das Literaturhaus leitet und Romane aus und über Zentralamerika, Afrika und Asien schreibt. Für "Pest & Cholera" wurde er mit den bereits genannten Literaturpreisen geehrt, aber trotz oder gerade wegen dieses Erfolgs blieben Feinde nicht aus, die ihm vorgeworfen haben, den Kolonialismus schönzureden und Impfkampagnen gutzuheißen, die man unterdrückten Völkern gegen deren Willen aufoktroyiert habe.
Damit war zu rechnen, nicht aber mit Drohungen sektenmäßig organisierter Gruppen, die Impfstoffe für Teufelszeug halten und Injektionen so pauschal ablehnen wie Operationen und jegliche moderne Medizin. Auch das gab es. Zu solchen Einstellungen hat Patrick Deville jedoch gleich zu Anfang dieses von Sabine Müller und Holger Fock kongenial übersetzten Romans das Entscheidende gesagt: "Yersin lacht darüber, und mit ihm die ganze verschworene Bande . . . Sie alle hätten sich kaum ausmalen können, dass eineinhalb Jahrhunderte nach ihnen die Hälfte der Weltbevölkerung noch immer den Kreationismus verteidigt."
HANS CHRISTOPH BUCH.
Patrick Deville: "Pest & Cholera". Roman.
Aus dem Französischen von Holger Fock und Sabine Müller. Bilgerverlag, Zürich 2013. 240 S., br., 19,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Die Gleichzeitigkeit von Wissenschafts- und Poesie-Revolution: Patrick Devilles fulminanter biographischer Roman "Pest & Cholera" über den Erfinder der Pestimpfung
Der Preis der Literaturpreise, der Prix Femina, und der Preis der Buchhandelskette FNAC - das ist eine Bilanz, die selbst den stärksten Appetit eines französischen Schriftstellers befriedigen sollte. All diese Auszeichnungen hat Patrick Deville für seinen Roman "Pest & Cholera" gewonnen. Der 1957 geborene Autor ist Literaturkennern in Frankreich schon lange ein Begriff, in Deutschland aber kaum bekannt und wenig übersetzt, also noch immer ein Geheimtipp. Anders als die in Sonntagsreden gefeierte Freundschaft beider Staaten suggeriert, sind deutsche und französische Kultur keine kommunizierenden Röhren, ganz zu schweigen von einem Antriebsmotor für Europa, und man muss froh sein, wenn sie einander überhaupt zur Kenntnis nehmen.
Der Name Patrick Deville steht stellvertretend für den "nouveau nouveau roman". Darunter fasst man eine innovative Erzählkunst, die den "Voyages extraordinaires" von Jules Verne ebenso viel verdankt wie den "Tristes tropiques" von Claude Lévi-Strauss: Reiseliteratur in Fortschreibung einer Tradition, die von Voltaires "Candide" bis zu den Büchern des französischen Literaturnobelpreisträgers Le Clézio reicht.
Die Rezeption von Patrick Devilles Werk wurde dadurch erschwert, dass man in Deutschland nach dem frühen Verlust der Kolonien die Antennen zu außereuropäischen Kulturen einfuhr und Reiseliteratur als minderwertiges Genre ansah. Exotismus ist hierzulande ein Schimpfwort. Devilles ins Deutsche übertragenen Texte wurden durch Fußnoten und Bilder ergänzt, die man im Original vergeblich sucht, und als Sachbücher präsentiert - ein Begriff, den es im Französischen so nicht gibt.
Die sprachliche Qualität von Devilles Prosa, ihre Feinnervigkeit und Eleganz, wurde dem Informationsgehalt geopfert, die Form dem Inhalt unterstellt: ein Missverständnis, das die nun im Bilgerverlag erschienene Übersetzung von "Pest & Cholera" glänzend widerlegt, indem sie die an Proust geschulte Erzählweise nachvollzieht, bei der Schnörkel und Arabesken keine Nebensache sind, sondern die Sache selbst. Der Weg ist das Ziel.
Worum geht es? Vordergründig um das Leben des Bakteriologen Alexandre Yersin, eines aus der Schweiz stammenden Schülers von Louis Pasteur, der unter anderem bei Robert Koch studiert, den Pestbazillus entdeckt und einen Impfstoff gegen die Seuche entwickelt hat, die noch heute seinen Namen trägt: Yersinia Pestis. Doch Patrick Deville hat nicht nur eine romanhafte Biographie geschrieben, sondern einen Wissenschaftskrimi, der die in Fachzeitschriften und Reagenzgläsern schlummernde Geschichte der modernen Medizin vom Staub der Bibliotheken befreit und auf stupende Weise zum Leben erweckt.
"Häufig rollt man die Wissenschaftsgeschichte aus wie einen Boulevard . . . Eher ist sie ein Netz von ausweglosen Pfaden, in denen sich das Denken verirrt und verfängt. Eine Ansammlung von kläglichen und manchmal lächerlichen Fehlschlägen. Darin ist sie mit der Geschichte der beginnenden Luftfahrt vergleichbar. Die wiederum mit den Anfängen des Films zusammenfällt. Jenen ruckelnden Filmen in Schwarzweiß, in denen man Holz splittern oder Leinwand reißen sieht."
Damit nicht genug. Patrick Deville verknüpft die Pioniertaten der Ärzte und Ingenieure mit neuen Sehweisen in Kunst und Literatur, die sein Held Yersin für Quatsch und überflüssigen Luxus hält: "Im selben Moment, da Mikroskop und Injektionsnadel als absolute Neuheiten auftauchen, verstummt der Alexandriner, erledigt durch den Meisterstreich des jungen Dichters, der aufgebrochen ist, um dem künftigen Kaiser von Äthiopien, Menelik II., Gewehre zu verkaufen."
Gemeint ist mit diesem jungen Dichter natürlich Rimbaud, und schon hier wird klar, wie unprätentiös der Autor seine Arbeitsfelder miteinander vernetzt und die "Pasteuriens", also die Schüler von Pasteur, mit den "Parnassiens" genannten Poeten zusammenbringt. Beide tagten gleichzeitig in Pariser Cafés und fanden doch nicht zueinander - so wenig wie Robert Koch und Louis Pasteur, deren berufliche Rivalität sich zu politischer Feindschaft verschärfte.
Mit leichter Feder, aber exakt und tiefenscharf, entwirft Deville das Panorama einer Epoche vom Zweiten Kaiserreich bis zum Zweiten Weltkrieg, als Yersin mit der letzten Maschine der Air France aus dem von der Wehrmacht besetzten Paris flieht, um einsam zu sterben in Vietnam, wo er ein Mustergut mit Versuchslabor errichtet hat und als Wohltäter verehrt wird. "Er sollte den Schutzschalter drücken, aufstehen, den Schaukelstuhl verlassen. Unmöglich. Die kurzen Blitze des Kurzschlusses. Die Explosion eines Gefäßes im Gehirn. Es ist ein Uhr morgens. Das Licht ist erloschen."
So lauten die letzten Sätze des Romans, dessen Autor als Gespenst der Zukunft durch das Buch geistert, Mauern durchdringen und in die Haut des Helden schlüpfen kann, trotzdem aber Diskretion walten lässt, was Yersins sexuelle Orientierung betrifft. Patrick Deville ist ein Weltbürger, der in seiner Heimatstadt Saint-Nazaire das Literaturhaus leitet und Romane aus und über Zentralamerika, Afrika und Asien schreibt. Für "Pest & Cholera" wurde er mit den bereits genannten Literaturpreisen geehrt, aber trotz oder gerade wegen dieses Erfolgs blieben Feinde nicht aus, die ihm vorgeworfen haben, den Kolonialismus schönzureden und Impfkampagnen gutzuheißen, die man unterdrückten Völkern gegen deren Willen aufoktroyiert habe.
Damit war zu rechnen, nicht aber mit Drohungen sektenmäßig organisierter Gruppen, die Impfstoffe für Teufelszeug halten und Injektionen so pauschal ablehnen wie Operationen und jegliche moderne Medizin. Auch das gab es. Zu solchen Einstellungen hat Patrick Deville jedoch gleich zu Anfang dieses von Sabine Müller und Holger Fock kongenial übersetzten Romans das Entscheidende gesagt: "Yersin lacht darüber, und mit ihm die ganze verschworene Bande . . . Sie alle hätten sich kaum ausmalen können, dass eineinhalb Jahrhunderte nach ihnen die Hälfte der Weltbevölkerung noch immer den Kreationismus verteidigt."
HANS CHRISTOPH BUCH.
Patrick Deville: "Pest & Cholera". Roman.
Aus dem Französischen von Holger Fock und Sabine Müller. Bilgerverlag, Zürich 2013. 240 S., br., 19,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main