Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 21.11.19951905
Hermann Hesse "Peter Camenzind"
Der Schwarzwald im Süden, oder wo er ins Badische hinabzieht, an den Rhein, das geht; aber der Norden, der Osten, da ist es furchtbar. Wer da geboren wird, der dichtet tauben Ohren, dem hört man erst einmal ein Jahr lang gar nicht zu, schlimm, ganz schlimm. Noch schlimmer ist bloß, daß, wer dort (etwa in Calw) den Seinen was sagen will (wenn es nicht Gottes persönliches Wort ist), selber erst viel später wissen wird, was er hat sagen wollen, und auch das nur, wenn er wenigstens ein bißchen was von der schwäbischen Schlauheit mitbekommen hat. Und so tönte denn Hermann Hesse (aus Calw, Sohn eines Missionspredigers und einer Missionarstochter) in seinem ersten Roman lautstark los: "Im Anfang war der Mythus" - klang das nicht bergeversetzend selbstbewußt? Aber wie er dann weiterschrieb, da kam ihm allmählich, wem er da was in die verstockten Ohren sagen würde, und es kam ihm vor allem, wer er selbst womöglich bloß wäre als einer von dort. Und so beendete er sein kleines Buch "Peter Camenzind" mit einem der schmerzlich verdrehtesten Sätze, die selbst aus schwarzwaldschwäbischen Seelen je ans Licht gekommen waren: Nämlich er ließ seinen Erzähler, als er zurückkehrt in die anfangs so groß beschworene Heimat, jetzt aber vermutlich, statt ein Dichter, wie er beim Fortgehn vorhatte, ein Gastwirt werden wird, er ließ ihn da also sagen: "Vielleicht kommt doch noch einmal die Zeit, daß ich von neuem beginne, fortfahre und vollende; dann hat meine Jugendsehnsucht recht gehabt und ich bin doch ein Dichter gewesen." Von diesem sonderbarsten aller poetischen Selbstbegriffe hat sich der nördliche Schwarzwald, hat sich das ganze Land bis heute noch nicht erholt. Hesse ist darüber greisenalt (fündundachtzigjährig 1962) gestorben, und das Rätsel bleibt. (Hermann Hesse: "Peter Camenzind". Roman. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 1975. 178 Seiten, br., 12,80 DM.) R.V.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Hermann Hesse "Peter Camenzind"
Der Schwarzwald im Süden, oder wo er ins Badische hinabzieht, an den Rhein, das geht; aber der Norden, der Osten, da ist es furchtbar. Wer da geboren wird, der dichtet tauben Ohren, dem hört man erst einmal ein Jahr lang gar nicht zu, schlimm, ganz schlimm. Noch schlimmer ist bloß, daß, wer dort (etwa in Calw) den Seinen was sagen will (wenn es nicht Gottes persönliches Wort ist), selber erst viel später wissen wird, was er hat sagen wollen, und auch das nur, wenn er wenigstens ein bißchen was von der schwäbischen Schlauheit mitbekommen hat. Und so tönte denn Hermann Hesse (aus Calw, Sohn eines Missionspredigers und einer Missionarstochter) in seinem ersten Roman lautstark los: "Im Anfang war der Mythus" - klang das nicht bergeversetzend selbstbewußt? Aber wie er dann weiterschrieb, da kam ihm allmählich, wem er da was in die verstockten Ohren sagen würde, und es kam ihm vor allem, wer er selbst womöglich bloß wäre als einer von dort. Und so beendete er sein kleines Buch "Peter Camenzind" mit einem der schmerzlich verdrehtesten Sätze, die selbst aus schwarzwaldschwäbischen Seelen je ans Licht gekommen waren: Nämlich er ließ seinen Erzähler, als er zurückkehrt in die anfangs so groß beschworene Heimat, jetzt aber vermutlich, statt ein Dichter, wie er beim Fortgehn vorhatte, ein Gastwirt werden wird, er ließ ihn da also sagen: "Vielleicht kommt doch noch einmal die Zeit, daß ich von neuem beginne, fortfahre und vollende; dann hat meine Jugendsehnsucht recht gehabt und ich bin doch ein Dichter gewesen." Von diesem sonderbarsten aller poetischen Selbstbegriffe hat sich der nördliche Schwarzwald, hat sich das ganze Land bis heute noch nicht erholt. Hesse ist darüber greisenalt (fündundachtzigjährig 1962) gestorben, und das Rätsel bleibt. (Hermann Hesse: "Peter Camenzind". Roman. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 1975. 178 Seiten, br., 12,80 DM.) R.V.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main