Einer der größten deutschen Literaten des 20. Jahrhunderts - die BiografieFür eine publizistische Arbeit um Auskunft zur Person gebeten, teilte Peter Hacks mit: 'Er ist Schriftsteller; sein Leben enthält keine äußeren Ereignisse.' Die pure Provokation und der selbstbewusste Verweis auf sein Werk, das ihn als einen der sprachmächtigsten Dichter des 20. Jahrhunderts ausweist. Der Platz, den der Dramatiker im Literaturbetrieb der DDR einnahm, sorgte allein schon für reichlich 'äußere Ereignisse', zu denen Aufführungsverbote und legendäre Literaturstreits ebenso gehörten wie Gerüchte über 'sein Leben als Schlossherr' und Nachreden als 'Salonkommunist'.Ronald Weber analysiert kenntnisreich das Werk des Dramatikers, Lyrikers und Essayisten und hat eine immense Recherchearbeit über das Leben das Dichters geleistet, wobei er nicht nur Archive und den Nachlass nutzte, sondern zahlreiche Gespräche mit Wegbegleitern führte. Er hat Unbekanntes über Arbeitskontakte u.a. mit Brecht, Wolfgang Langhoff, Benno Besson zutage befördert, über Freundschaften, die im Zeichen eines regen geistigen Austausches standen und lebenslang hielten, wie die mit André Müller sen., Eberhard Esche, Wolfgang Kohlhaase, über Freundschaften, die Hacks aufkündigte, wie die mit Hartmut Lange, Heiner Müller, Wolf Biermann, über kurze und lange Liebschaften wie die mit Eva-Maria Hagen, Cox Habbema, Karin Gregorek.Die vorliegende Biografie handelt von Hacks' Literatur, von seinem Versuch, eine neue Klassik zu begründen, wie von seinem Scheitern, von seinen Leidenschaften und von seinen Lieben. Es ist die Lebensbeschreibung eines ungewöhnlichen Dichters und Kommunisten, dessen Positionen in vielerlei Hinsicht unvereinbar sind mit gängigen Wahrnehmungen von Welt und Geschichte.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 31.01.2019Nichts ist verloren, schon gar nicht das Spiel
Eine Biographie und eine fünfbändige Frühwerkausgabe bereichern die deutsche Literatur um mehr Peter Hacks
Zeitgenossenschaft verbat sich der Dichter schon als Abiturient: "Ich möchte hier nicht ausführen, warum ich an Stelle der heutigen innenpolitischen Entwicklung etwas anderes setzen möchte (Vernunft, Materialismus, Sozialismus), mein Bestreben war es lediglich zu zeigen, warum mir die heutige Menschheit, die das Gefühl so hoch wertet, das Gefühl, mit dem sie kürzlich auch ihre prächtigen Leidenschaften wie Heldentum und Vaterlandsretterei zu begründen wusste, aufs tiefste unsympathisch ist."
Ihr dialektisches Salz haben diese Sätze als Widerspruchsbelege; die Zurückweisung bloßer Emotionen ist darin nämlich selbst affektgeladen, die Wiederholung der Bannformel "das Gefühl" eine anaphorische Entladung. Der junge Mann hat also bereits Haltung, aber noch nicht genügend Argumente dafür. Die Wendung "Ich möchte hier nicht ausführen" verrät, dass er sie sich erarbeiten wird, sie steht im Abituraufsatz von Peter Hacks aus dem Jahr 1946, einer Betrachtung zu Versen aus Goethes "Tasso", die von Verwüstung handeln, vom "grausen Haufen Schutt". Die Reifeprüfungsfrage zur Goethe-Stelle lautet: "Kennzeichnen diese Worte die augenblickliche Lage Ihres Lebens?" Der Aufsatzautor erwidert, man sei in Deutschland trübe bis verzweifelt; "es scheint ein aussichtsloses Unterfangen, gegen diesen Zeitgeist anzugehen, obwohl es andererseits Notwendigkeit ist." Das Frühwerk der Großen lässt oft Zwecke und Tendenzen ihres Haupt- und Spätwerks erkennen, hat aber die erwachsenen Mittel nicht. Die "Dichtergespräche im Elysium" des unreifen Arno Schmidt etwa sind, nun ja, schon wie alles von ihm später, aber schlecht geschrieben, also doch ganz anders.
"Der junge Hacks", eine fünfbändige Ergänzung zum veröffentlichten Werk des sozialistischen Dichters, der 1955 im Alter von 27 Jahren aus der Bundesrepublik Deutschland in die Deutsche Demokratische Republik übersiedelte, weil ihm selbst der 1954 empfangene Dramatikerpreis der Stadt München die im Abituraufsatz ausgesprochenen Überzeugungen nicht wegbestechen konnte, zeigt einen anderen Fall: Die Haltung nimmt früh Form an, die Mittel sind auch gleich da, was jedoch fehlt, ist Gewicht. Vieles, was in den fünf himmelblauen Bänden steht, die lauter Stoff enthalten, den Hacks in der autorisierten Werkausgabe nicht haben wollte, liest sich, als wäre es mit zu viel Luft und Feuer, zu wenig Erde und Wasser geschrieben - als machte dem Künstler der Auftrieb zu schaffen, der ihn davontragen will ins allzu artistisch-zerebral errechnete Wolkenarchitektenvirtuosentum: antimilitaristische Sportbeschimpfungssketche, Kinderspaß, hochprozentige Jazzgedichte und Hörspielzerstreuungen.
Sein Instinkt verriet Hacks, der den Verstand höher stellen wollte als jeden Instinkt, dass er sein Talent würde belasten müssen, weil reine Kopfkunst zwar heiter, aber kaum klassisch sein kann, wie er sie aber wollte. So zog er sich Bleischuhe an und suchte ein Land auf, in dem er sein Tempo und seine Raketentriebwerke gegen Schwere und Schwierigkeit eines sehr großen politischen Projekts würde behaupten müssen, im künstlerischen Beitrag zum vorhandenen unvollkommenen Sozialismus wie beim kommunistischen Blick über ihn hinaus.
Zustatten kam ihm dabei ein Gestus, den er "historische Ironie" nannte - eine Art brechtisierter Thomas Mann, den man schon in trockenen Sentenzen der Abiturarbeit findet, wo es zum Beispiel über die Trümmerwüste Deutschland heißt: "Die Verkehrslage ist noch sehr ungünstig und die Ernährung vorübergehend recht wenig befriedigend." Den kühlen, unter der Hand aber mitfühlenden Witz dieses Stils verstehen nicht alle, auch nicht im Sozialismus - Ronald Webers jüngst erschienene Biographie "Peter Hacks - Leben und Werk" enthält frappante Schilderungen von Missverständnissen, bei denen das Hirn im Rückblick weinen will, etwa die Episode, bei der man dem Einwanderer eine Tierfabel vorhielt, die er vor seiner Ankunft in der DDR gedichtet hatte, weil darin ein Ziegenbock verspottet wird. Man hielt's für eine Spitze gegen Walter Ulbricht, dabei war's eine Attacke auf bajuwarisches Heimatgetue.
Hacks wusste: Im Westen hast du Fans oder Verächter in der Zivilgesellschaft, beim Theaterpublikum und im Feuilleton; im Osten aber will die Staatsmacht etwas von dir, was dir immerhin erlaubt, auch selbst Ansprüche an diesen Staat zu stellen. Er entschied sich, und das Erste, was nach dem Umzug geschah, war eine Straffung seiner Sprache, eine Veredelung als Zunahme der spezifischen Dichte der Komposition. Gestische Redundanzen wie im frühen, dem Vorbild Heine etwas zu treu verpflichteten Belsazar-Drama - wo ein Narr eingangs sagt: "Hallo Dickerchen, warum so trübselig. Gott, warum seht ihr so entsetzlich stumpfsinnig in die Welt." - passieren ihm unter Ulbricht nicht mehr, wenngleich die Tatsache, dass er da Punkte an die Satzenden setzt statt Fragezeichen, schon den Meister ausweist, der genau weiß, wie man Bühnentext schreibt, damit er richtig gesprochen werden kann.
In der Ouvertüre zum Kinderstück "Annabell und der Mond", wohl dem schönsten Text in den fünf Jugendbänden, sagt die Regieanweisung mehrfach: "Musik bedeutet." Auch wieder mit Punkt, denn bei diesem Jungen waren die Regieanweisungen eben genauer als bei manch altem Hasen die Dialogtexte. Die wiederum in "Annabell" noch besser sind als die Regieanweisungen. Der Mond erzählt: "Erst nur ein krummes Strichel / Schwamm ich durch den Ozon. / Dann war ich eine Sichel. / Dann fast ein Rettich schon."
Dass ihm seine frühen Künste nicht gereicht haben, dürften heute vor allem die bedauern, die ihn vorsichtig loben und viel lauter lieben würden, wäre er nicht Kommunist gewesen. Als letztes Jahr die "Marxistischen Hinsichten" erschienen, sein politischer Nachlass, regte sich im geistigen Unterholz des Landes einige Freude darüber, dass dieser Kommunist letztlich wohl keiner gewesen sei, habe er doch ausweislich der in den "Hinsichten" versammelten Texte nicht an die Erreichbarkeit der klassenlosen Gesellschaft geglaubt. Das ist eine Fehllektüre: Hacks pflichtete seinem Lieblingskönig Ulbricht lediglich darin bei, man könne durch den Sozialismus, die niedere Form des Kommunismus, nicht wie durch ein Kaufhaus hindurcheilen, denn dieser Sozialismus sei eine "historisch relativ selbständige Epoche", in der die Produktivkräfte erst einmal bis zu dem Reichtum entwickelt werden müssten, der allenfalls eine klassenlose Gesellschaft möglich mache.
Die korrekte Darstellung dieser klassisch sozialistischen, schon bei Marx, Engels und Lenin vorzufindenden Position in ihrem historischen Zusammenhang ist das wohl größte Verdienst von Webers Hacks-Lebensbild. Dass und wie Ulbricht sein Neues Ökonomisches System der Planung und Leitung gegen Widerstände nicht nur aus der Sowjetunion (wirtschaftliche Erfolge der DDR bargen stets ein Unabhängigkeitsrisiko), sondern auch von Seiten seiner eigenen Hagers, Honeckers, Stophs und Verners aufziehen musste, stand selten irgendwo so plastisch geschildert wie in Webers Kapitel "Liberalisierung und Kahlschlag". Das kann der studierte Literaturwissenschaftler nicht zuletzt deshalb, weil er kein simpel ökonomistischer Basis-Überbau-Schemadenker ist, sondern vor dem Hintergrund sozialpolitisch-ökonomischer Vorgänge die Eigenbewegung künstlerischer Leistung zu erkennen und zu beurteilen vermag (wer beim Lesen der Hacks-Vita auf den Weber-Geschmack kommt, wird des Verfassers älteres, siebenhundertseitiges Buch "Peter Hacks, Heiner Müller und das antagonistische Drama des Sozialismus" aus dem Jahr 2015 als wahres Herkuleswerk für die mittlere philologische Ewigkeit lieben).
Was der Ulbricht-Bewunderer Hacks in Händen hielt, als er mahnte, man solle die klassenlose Taube auf dem Dach in Ruhe lassen, war kein realsozialistischer Spatz, sondern ein ziemlich kommunistischer Adler. Dass Hacks nicht nur im politischen Nachlass, sondern beispielsweise auch im (von der DDR-Kritik Mitte der Sechziger gründlich missverstandenen) Stück "Moritz Tassow" den Schwarmgeistern des Aber-bitte-sofort-Kommunismus die Gemeinschaft verweigerte, bedeutet gerade nicht, dass seine Perspektive den Kommunismus nicht als Fluchtpunkt gebraucht hätte, ohne den es Orientierung in Leben und Kunst für ihn nie gab. Die Physikerin weiß ja auch, dass alles, was sie rauskriegt, an keinem Tag die absolute Wahrheit ist, und muss trotzdem auf diese absolute Wahrheit zielen, damit das, was sie weiß, heute wahrer ist als gestern. Schwer zu verstehen ist dergleichen nur für Leute, die weder Physik noch Kommunismus mögen und überhaupt nichts, was auf Verbesserung zielt. Die kriegen dann den Job, den sie verdienen: die Rechtfertigung des Vorhandenen, am besten als Zeitstimmung, eben "Gefühl".
Gegen sie schrieb Hacks auch nach 1989 weiter, und man verkennt den Alten schwer, wenn man glaubt, er wäre am Ende bitter gewesen. In seinem Seneca-Stück sagt der Denker, man verlasse ein verlorenes Spiel ungern. Hacks hat seins überhaupt nicht verlassen; die Nachwelt ist für einen Klassizisten wie ihn ja nicht die Nachspielzeit, sondern die eigentliche Partie, die man mit dem Tod nicht aufgibt, sondern eröffnet. In Deutschland steht er heute kaum gelesen da, damit aber auch unbehelligt, unvereinnahmt. Kommunismus ist das sicherste Mittel, von der den verblassenden Kulturdurchschnitt bildenden linksliberalen Intelligenz nicht umarmt zu werden; selbst mit Faschisten will sie eher reden, um sie zu belehren, nur Lenins Leute sind verlässlich hors concours. Die Partie um Hacks geht weiter; die fünf himmelblauen Bände und die Biographie sind darin zwei starke Spielzüge, die der Zeitgeist wieder einmal mit nichts Substantiellem wird parieren können.
DIETMAR DATH
Peter Hacks: "Der junge Hacks". 5 Bände.
Hrsg. von Gunther Nickel in Zusammenarbeit mit Meike Bohn. Eulenspiegel Verlag, Berlin 2018. Zus. 3248 S., geb., 149,75 [Euro].
Ronald Weber:
"Peter Hacks - Leben und Werk".
Eulenspiegel Verlag,
Berlin 2018. 608 S., Abb., geb., 39,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Eine Biographie und eine fünfbändige Frühwerkausgabe bereichern die deutsche Literatur um mehr Peter Hacks
Zeitgenossenschaft verbat sich der Dichter schon als Abiturient: "Ich möchte hier nicht ausführen, warum ich an Stelle der heutigen innenpolitischen Entwicklung etwas anderes setzen möchte (Vernunft, Materialismus, Sozialismus), mein Bestreben war es lediglich zu zeigen, warum mir die heutige Menschheit, die das Gefühl so hoch wertet, das Gefühl, mit dem sie kürzlich auch ihre prächtigen Leidenschaften wie Heldentum und Vaterlandsretterei zu begründen wusste, aufs tiefste unsympathisch ist."
Ihr dialektisches Salz haben diese Sätze als Widerspruchsbelege; die Zurückweisung bloßer Emotionen ist darin nämlich selbst affektgeladen, die Wiederholung der Bannformel "das Gefühl" eine anaphorische Entladung. Der junge Mann hat also bereits Haltung, aber noch nicht genügend Argumente dafür. Die Wendung "Ich möchte hier nicht ausführen" verrät, dass er sie sich erarbeiten wird, sie steht im Abituraufsatz von Peter Hacks aus dem Jahr 1946, einer Betrachtung zu Versen aus Goethes "Tasso", die von Verwüstung handeln, vom "grausen Haufen Schutt". Die Reifeprüfungsfrage zur Goethe-Stelle lautet: "Kennzeichnen diese Worte die augenblickliche Lage Ihres Lebens?" Der Aufsatzautor erwidert, man sei in Deutschland trübe bis verzweifelt; "es scheint ein aussichtsloses Unterfangen, gegen diesen Zeitgeist anzugehen, obwohl es andererseits Notwendigkeit ist." Das Frühwerk der Großen lässt oft Zwecke und Tendenzen ihres Haupt- und Spätwerks erkennen, hat aber die erwachsenen Mittel nicht. Die "Dichtergespräche im Elysium" des unreifen Arno Schmidt etwa sind, nun ja, schon wie alles von ihm später, aber schlecht geschrieben, also doch ganz anders.
"Der junge Hacks", eine fünfbändige Ergänzung zum veröffentlichten Werk des sozialistischen Dichters, der 1955 im Alter von 27 Jahren aus der Bundesrepublik Deutschland in die Deutsche Demokratische Republik übersiedelte, weil ihm selbst der 1954 empfangene Dramatikerpreis der Stadt München die im Abituraufsatz ausgesprochenen Überzeugungen nicht wegbestechen konnte, zeigt einen anderen Fall: Die Haltung nimmt früh Form an, die Mittel sind auch gleich da, was jedoch fehlt, ist Gewicht. Vieles, was in den fünf himmelblauen Bänden steht, die lauter Stoff enthalten, den Hacks in der autorisierten Werkausgabe nicht haben wollte, liest sich, als wäre es mit zu viel Luft und Feuer, zu wenig Erde und Wasser geschrieben - als machte dem Künstler der Auftrieb zu schaffen, der ihn davontragen will ins allzu artistisch-zerebral errechnete Wolkenarchitektenvirtuosentum: antimilitaristische Sportbeschimpfungssketche, Kinderspaß, hochprozentige Jazzgedichte und Hörspielzerstreuungen.
Sein Instinkt verriet Hacks, der den Verstand höher stellen wollte als jeden Instinkt, dass er sein Talent würde belasten müssen, weil reine Kopfkunst zwar heiter, aber kaum klassisch sein kann, wie er sie aber wollte. So zog er sich Bleischuhe an und suchte ein Land auf, in dem er sein Tempo und seine Raketentriebwerke gegen Schwere und Schwierigkeit eines sehr großen politischen Projekts würde behaupten müssen, im künstlerischen Beitrag zum vorhandenen unvollkommenen Sozialismus wie beim kommunistischen Blick über ihn hinaus.
Zustatten kam ihm dabei ein Gestus, den er "historische Ironie" nannte - eine Art brechtisierter Thomas Mann, den man schon in trockenen Sentenzen der Abiturarbeit findet, wo es zum Beispiel über die Trümmerwüste Deutschland heißt: "Die Verkehrslage ist noch sehr ungünstig und die Ernährung vorübergehend recht wenig befriedigend." Den kühlen, unter der Hand aber mitfühlenden Witz dieses Stils verstehen nicht alle, auch nicht im Sozialismus - Ronald Webers jüngst erschienene Biographie "Peter Hacks - Leben und Werk" enthält frappante Schilderungen von Missverständnissen, bei denen das Hirn im Rückblick weinen will, etwa die Episode, bei der man dem Einwanderer eine Tierfabel vorhielt, die er vor seiner Ankunft in der DDR gedichtet hatte, weil darin ein Ziegenbock verspottet wird. Man hielt's für eine Spitze gegen Walter Ulbricht, dabei war's eine Attacke auf bajuwarisches Heimatgetue.
Hacks wusste: Im Westen hast du Fans oder Verächter in der Zivilgesellschaft, beim Theaterpublikum und im Feuilleton; im Osten aber will die Staatsmacht etwas von dir, was dir immerhin erlaubt, auch selbst Ansprüche an diesen Staat zu stellen. Er entschied sich, und das Erste, was nach dem Umzug geschah, war eine Straffung seiner Sprache, eine Veredelung als Zunahme der spezifischen Dichte der Komposition. Gestische Redundanzen wie im frühen, dem Vorbild Heine etwas zu treu verpflichteten Belsazar-Drama - wo ein Narr eingangs sagt: "Hallo Dickerchen, warum so trübselig. Gott, warum seht ihr so entsetzlich stumpfsinnig in die Welt." - passieren ihm unter Ulbricht nicht mehr, wenngleich die Tatsache, dass er da Punkte an die Satzenden setzt statt Fragezeichen, schon den Meister ausweist, der genau weiß, wie man Bühnentext schreibt, damit er richtig gesprochen werden kann.
In der Ouvertüre zum Kinderstück "Annabell und der Mond", wohl dem schönsten Text in den fünf Jugendbänden, sagt die Regieanweisung mehrfach: "Musik bedeutet." Auch wieder mit Punkt, denn bei diesem Jungen waren die Regieanweisungen eben genauer als bei manch altem Hasen die Dialogtexte. Die wiederum in "Annabell" noch besser sind als die Regieanweisungen. Der Mond erzählt: "Erst nur ein krummes Strichel / Schwamm ich durch den Ozon. / Dann war ich eine Sichel. / Dann fast ein Rettich schon."
Dass ihm seine frühen Künste nicht gereicht haben, dürften heute vor allem die bedauern, die ihn vorsichtig loben und viel lauter lieben würden, wäre er nicht Kommunist gewesen. Als letztes Jahr die "Marxistischen Hinsichten" erschienen, sein politischer Nachlass, regte sich im geistigen Unterholz des Landes einige Freude darüber, dass dieser Kommunist letztlich wohl keiner gewesen sei, habe er doch ausweislich der in den "Hinsichten" versammelten Texte nicht an die Erreichbarkeit der klassenlosen Gesellschaft geglaubt. Das ist eine Fehllektüre: Hacks pflichtete seinem Lieblingskönig Ulbricht lediglich darin bei, man könne durch den Sozialismus, die niedere Form des Kommunismus, nicht wie durch ein Kaufhaus hindurcheilen, denn dieser Sozialismus sei eine "historisch relativ selbständige Epoche", in der die Produktivkräfte erst einmal bis zu dem Reichtum entwickelt werden müssten, der allenfalls eine klassenlose Gesellschaft möglich mache.
Die korrekte Darstellung dieser klassisch sozialistischen, schon bei Marx, Engels und Lenin vorzufindenden Position in ihrem historischen Zusammenhang ist das wohl größte Verdienst von Webers Hacks-Lebensbild. Dass und wie Ulbricht sein Neues Ökonomisches System der Planung und Leitung gegen Widerstände nicht nur aus der Sowjetunion (wirtschaftliche Erfolge der DDR bargen stets ein Unabhängigkeitsrisiko), sondern auch von Seiten seiner eigenen Hagers, Honeckers, Stophs und Verners aufziehen musste, stand selten irgendwo so plastisch geschildert wie in Webers Kapitel "Liberalisierung und Kahlschlag". Das kann der studierte Literaturwissenschaftler nicht zuletzt deshalb, weil er kein simpel ökonomistischer Basis-Überbau-Schemadenker ist, sondern vor dem Hintergrund sozialpolitisch-ökonomischer Vorgänge die Eigenbewegung künstlerischer Leistung zu erkennen und zu beurteilen vermag (wer beim Lesen der Hacks-Vita auf den Weber-Geschmack kommt, wird des Verfassers älteres, siebenhundertseitiges Buch "Peter Hacks, Heiner Müller und das antagonistische Drama des Sozialismus" aus dem Jahr 2015 als wahres Herkuleswerk für die mittlere philologische Ewigkeit lieben).
Was der Ulbricht-Bewunderer Hacks in Händen hielt, als er mahnte, man solle die klassenlose Taube auf dem Dach in Ruhe lassen, war kein realsozialistischer Spatz, sondern ein ziemlich kommunistischer Adler. Dass Hacks nicht nur im politischen Nachlass, sondern beispielsweise auch im (von der DDR-Kritik Mitte der Sechziger gründlich missverstandenen) Stück "Moritz Tassow" den Schwarmgeistern des Aber-bitte-sofort-Kommunismus die Gemeinschaft verweigerte, bedeutet gerade nicht, dass seine Perspektive den Kommunismus nicht als Fluchtpunkt gebraucht hätte, ohne den es Orientierung in Leben und Kunst für ihn nie gab. Die Physikerin weiß ja auch, dass alles, was sie rauskriegt, an keinem Tag die absolute Wahrheit ist, und muss trotzdem auf diese absolute Wahrheit zielen, damit das, was sie weiß, heute wahrer ist als gestern. Schwer zu verstehen ist dergleichen nur für Leute, die weder Physik noch Kommunismus mögen und überhaupt nichts, was auf Verbesserung zielt. Die kriegen dann den Job, den sie verdienen: die Rechtfertigung des Vorhandenen, am besten als Zeitstimmung, eben "Gefühl".
Gegen sie schrieb Hacks auch nach 1989 weiter, und man verkennt den Alten schwer, wenn man glaubt, er wäre am Ende bitter gewesen. In seinem Seneca-Stück sagt der Denker, man verlasse ein verlorenes Spiel ungern. Hacks hat seins überhaupt nicht verlassen; die Nachwelt ist für einen Klassizisten wie ihn ja nicht die Nachspielzeit, sondern die eigentliche Partie, die man mit dem Tod nicht aufgibt, sondern eröffnet. In Deutschland steht er heute kaum gelesen da, damit aber auch unbehelligt, unvereinnahmt. Kommunismus ist das sicherste Mittel, von der den verblassenden Kulturdurchschnitt bildenden linksliberalen Intelligenz nicht umarmt zu werden; selbst mit Faschisten will sie eher reden, um sie zu belehren, nur Lenins Leute sind verlässlich hors concours. Die Partie um Hacks geht weiter; die fünf himmelblauen Bände und die Biographie sind darin zwei starke Spielzüge, die der Zeitgeist wieder einmal mit nichts Substantiellem wird parieren können.
DIETMAR DATH
Peter Hacks: "Der junge Hacks". 5 Bände.
Hrsg. von Gunther Nickel in Zusammenarbeit mit Meike Bohn. Eulenspiegel Verlag, Berlin 2018. Zus. 3248 S., geb., 149,75 [Euro].
Ronald Weber:
"Peter Hacks - Leben und Werk".
Eulenspiegel Verlag,
Berlin 2018. 608 S., Abb., geb., 39,- [Euro].
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