Einer der größten deutschen Literaten des 20. Jahrhunderts - die BiografieFür eine publizistische Arbeit um Auskunft zur Person gebeten, teilte Peter Hacks mit: 'Er ist Schriftsteller; sein Leben enthält keine äußeren Ereignisse.' Die pure Provokation und der selbstbewusste Verweis auf sein Werk, das ihn als einen der sprachmächtigsten Dichter des 20. Jahrhunderts ausweist. Der Platz, den der Dramatiker im Literaturbetrieb der DDR einnahm, sorgte allein schon für reichlich 'äußere Ereignisse', zu denen Aufführungsverbote und legendäre Literaturstreits ebenso gehörten wie Gerüchte über 'sein Leben als Schlossherr' und Nachreden als 'Salonkommunist'.Ronald Weber analysiert kenntnisreich das Werk des Dramatikers, Lyrikers und Essayisten und hat eine immense Recherchearbeit über das Leben das Dichters geleistet, wobei er nicht nur Archive und den Nachlass nutzte, sondern zahlreiche Gespräche mit Wegbegleitern führte. Er hat Unbekanntes über Arbeitskontakte u.a. mit Brecht, Wolfgang Langhoff, Benno Besson zutage befördert, über Freundschaften, die im Zeichen eines regen geistigen Austausches standen und lebenslang hielten, wie die mit André Müller sen., Eberhard Esche, Wolfgang Kohlhaase, über Freundschaften, die Hacks aufkündigte, wie die mit Hartmut Lange, Heiner Müller, Wolf Biermann, über kurze und lange Liebschaften wie die mit Eva-Maria Hagen, Cox Habbema, Karin Gregorek.Die vorliegende Biografie handelt von Hacks' Literatur, von seinem Versuch, eine neue Klassik zu begründen, wie von seinem Scheitern, von seinen Leidenschaften und von seinen Lieben. Es ist die Lebensbeschreibung eines ungewöhnlichen Dichters und Kommunisten, dessen Positionen in vielerlei Hinsicht unvereinbar sind mit gängigen Wahrnehmungen von Welt und Geschichte.
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 18.12.2018Weltgeschichte
an Schnüren
Ronald Weber erzählt das Leben des Peter Hacks
Als Peter Hacks 1973 für die Münchner Kammerspiele einen Prolog zur Spielzeiteröffnung verfasste, bekannte er sich zu einem durchaus unzeitgemäß anmutenden Programm: „Kurzum, wir halten zu den alten Moden, / Das Wahre und das Schöne vorzuführen. / In unserem, mag sein, verstaubten Boden / Hängt eine Weltgeschichte an den Schnüren“. Auf dem Theater lässt sich Gesellschaft erzählen und verstehen, das stand für Hacks außer Frage. Sein lebenslanges Bemühen strebte nach Welterkenntnis durch Kunstmittel. Das zeigt die im Berliner Eulenspiegel-Verlag erschienene Biografie von Ronald Weber. Mit dem schlichten Titel „Peter Hacks – Leben und Werk“ ist es die erste Arbeit, die auf der Basis gründlicher Recherche des Dichters Lebensumstände erhellt.
Die Münchner Kammerspiele waren Hacks nicht fremd, dort feierte 1954 sein Stück „Die Eröffnung des indischen Zeitalters“ Uraufführung. Hacks war zu diesem Zeitpunkt 25 Jahre alt und studierte in der bayrischen Landeshauptstadt. Das Stück behandelte die verworrenen Schnüre der Weltgeschichte. Columbus, seinem Selbstverständnis nach ein Neuerer, schafft zunächst die Grundlagen eines grausamen Kolonialregimes. Als Leser von Marx und Hegel wusste Hacks aber auch, dass mit dem Kapitalismus als Weltsystem auch die Grundlagen universeller Emanzipation gelegt sind. Was schlimm beginnt, es muss ja nicht schlimm enden.
Alsbald geriet Hacks unter den Einfluss von Brecht. Als 1949 „Herr Puntila und sein Knecht Matti“ in der Regie von Hans Schweikart an den Kammerspielen lief, gehörte Hacks zu den beeindruckten Zuschauern. Das „Kleine Organon für das Theater“ prägte seine Auffassung vom Theater. Und als der junge Hacks erwog, in die DDR überzusiedeln, fragte er Brecht schriftlich um Rat. Dieser antwortete, dass gute Leute überall gut seien und auch überall besser würden. Hacks zeigte sich davon nicht entmutigt. Er ließ Brecht wissen, dass er seinen Rat nicht befolgen werde – und zog mit seiner Frau Elisabeth Wiede 1955 in die DDR. In dem östlichen der beiden deutschen Staaten wollten die beiden jungen Sozialisten künftig leben, arbeiten und wirken.
Hacks’ Wirkungsstätte im Theater wurde allerdings nicht das Berliner Ensemble, sondern das Deutsche Theater unter Wolfgang Langhoff. Dort hatte im Juni 1956 „Die Eröffnung des indischen Zeitalters“ unter dem neuen Titel „Columbus“ Premiere und feierte einen großen Erfolg. Hacks präsentierte sich auf der ersten Bühne des jungen sozialistischen Staates – und bestand. Er war als Dramatiker in der DDR angekommen. Er stürzte sich in die ästhetischen und kulturpolitischen Debatten seiner Zeit, mit einer großen Lust an der Auseinandersetzung sowie Witz und Schärfe. Mit Brecht argumentierte er zunächst für eine der Erkenntnis dienende Poesie. Doch schon Anfang der Sechzigerjahre kam Hacks zu der Ansicht, dass man aufgrund einer veränderten Wirklichkeit Brecht negieren müsse, um ihn fortzusetzen. Ähnlich formulierte es der zu dieser Zeit noch befreundete Heiner Müller.
Zu ästhetischen Neubestimmungen wurde Hacks durch die eigenen Erfahrungen getrieben. Im Zuge des sogenannten Bitterfelder Weges hatte er sich dem Gegenwartsstück zugewandt. In „Die Sorgen und die Macht“ zeigte Hacks, inwieweit der Egoismus in der sozialistischen Wirtschaft aufgehoben werden kann. Ein Fabrikdrama über Sittlichkeit und Planwirtschaft, in dem Arbeiter wie Parteifunktionäre gänzlich unidealisiert dargestellt wurden. Den Kommunismus müsse man sich wie die Gegenwart vorstellen, nur das Gegenteil nehmend, ließ der Dramatiker eine junge Genossin in dem Stück sagen. Hacks‘ Thema war freilich, wie schon bei „Columbus“, die Dialektik der Geschichte. Das Stück wurde nach zwei Überarbeitungen 1962 am Deutschen Theater uraufgeführt. Und trotz des großen Erfolgs nach kurzer Zeit abgesetzt.
Nun war Hacks niemand, der schnell verzagte. Es waren aber vor allem künstlerische Erwägungen, die ihn dann vom Gegenwartsstück Abstand nehmen ließen. Mit der von Benno Besson inszenierten Aristophanes-Bearbeitung „Der Frieden“ landete Hacks 1962 nicht nur einen überragenden Erfolg, sondern leitete auch eine neue Phase seines Schaffens ein. Das Ausgreifen der Wirklichkeit in das Reich der Utopie wurde zu seinem bestimmenden Thema. Er prägte dafür den Ausdruck „sozialistische Klassik“. Die Kunst müsse sich nicht mehr polemisch gegen die Zumutungen der kapitalistischen Vergesellschaftung wenden, wie vorbildhaft Brecht, sondern könne die Vermenschlichung der Welt in den Mittelpunkt rücken. Statt Negation nun Affirmation, Bejahung dessen, was durch neue Eigentumsverhältnisse möglich geworden ist.
Hier trennte sich Hacks von Heiner Müller, der auf dem Fortwirken der Vorgeschichte auch unter neuen gesellschaftlichen Verhältnissen beharrte – so stand Hacks‘ Heiterkeit gegen Müllers Tragik.
Die politische Basis der sozialistischen Klassik war für Hacks mit den ökonomischen Reformen Walter Ulbrichts gegeben, die auf höhere Produktivität zielten. Besser produzieren als im Kapitalismus, das war die selbstgestellt Aufgabe – auch in der Kunst. Das Ideal der bewussten Produktion verfolgte Hacks ebenfalls in seiner eigenen künstlerischen, von den Stücken über die Gedichte bis zu den Kinderbüchern. Es gibt kaum ein größeres Werk, dem nicht ein Essay beigestellt ist, der damit verbundene formale Fragen behandelt. Ästhetische Souveränität, also künstlerische Freiheit war für Hacks mit Form verbunden. Formlosigkeit lehnte er ab.
Das betraf auch sein eigenes Leben. Die Wohnung in der Schönhauser Allee sollte ebenso wie die sogenannte Fenne, der vor den Toren Berlins gelegene Rückzugsort für die Sommermonate, den Anspruch auf vernünftige Ordnung ausdrücken: ausgesuchte Möbel, kunstvolle Arrangements, eigens angelegte Gärten, der Teich mit den Kois und sogar drei Pfauen unterstrichen dies.
Weber verbindet in seiner Biografie Hacks‘ Lebensumstände, seine Lieb-, Freund- und Feindschaften, mit einführenden Werkinterpretationen, sodass der Leser sich ein Bild von des Dichters Haltung zur Welt machen kann. Der war nach Ulbrichts Entmachtung zunehmend nicht einverstanden mit der Entwicklung in der DDR. Honeckers sogenannte Einheit von Wirtschafts- und Sozialpolitik hielt er für einen Fehler historischen Ausmaßes. Die Dummheit der Regierung wurde für Hacks von der der Opposition noch übertroffen. Dass die Romantik wieder hoffähig wurde, hielt er für ein Übel. Sie stand ihm schon zu Goethes Zeiten für die Verbindung zwischen antirepublikanischem, nationalistischem, antisemitischem Ungeist und literarischer Unbedarftheit.
Hacks heiterer Ton, geprägt von Heines feinem Spott und Goethes objektiver Ironie, wurde schärfer. Dass ein Künstler wie Wolf Biermann einen ganzen Staat auf die Probe stellte, war ihm unbegreiflich. Als der Liedermacher dann ausgebürgert wurde, hatte Hacks für diesen nur Spott übrig – die Ost-Intellektuellen verstanden sich mitgemeint und nahmen es ihm übel, im Westen verschwand er gänzlich von den Spielplänen.
Der alternde Dichter, der sich einst mit dem sozialistischen Weltlauf noch mehr oder minder verbunden gefühlt hatte, war zunehmend isoliert. Das Ende der DDR empfand Hacks insoweit als befreiend, als er meinte, der tiefste Punkt sei damit erreicht. Sich mit den neuen Verhältnissen zu arrangieren, gedachte er nicht. Er näherte sich wieder dem in die Ferne gerückten Vorbild Brecht an, seine Stücke wurden schärfer, kritischer, polemischer. „Der Geldgott“ ist ein solches Beispiel: eine bitter-komische Abrechnung mit der spätkapitalistischen Schuldenökonomie inklusive plebiszitärer Selbstentmachtung – was sich heute wie eine Vorwegnahme der sich in Griechenland manifestierenden Euro-Krise liest.
Hacks kultivierte seine Haltung und das tat er ohne Rücksicht auf seine Mitwelt, die ihn sowieso mied. Allen voran die Theater, was durchaus auf Gegenseitigkeit beruhte. Die Nachwelt wiederum ließ der 2003 Verstorbene wissen, dass die Zeiten, in denen man auf den Bühnen Erkenntnis und Poesie schätzt, wieder kommen können, und das schneller, als allgemein erwartet. Auch wenn die Weltgeschichte manches Mal verworren oder gar auf Abwegen ist, Hacks wollte an ihr gutes Ende glauben.
JAKOB HAYNER
Nun konnte die Vermenschlichung
der Welt in den Mittelpunkt
rücken: Bejahung statt Negation
Ronald Weber: Peter Hacks. Leben und Werk. Eulenspiegel Verlag, Berlin 2018. 608 Seiten, 39 Euro.
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Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
an Schnüren
Ronald Weber erzählt das Leben des Peter Hacks
Als Peter Hacks 1973 für die Münchner Kammerspiele einen Prolog zur Spielzeiteröffnung verfasste, bekannte er sich zu einem durchaus unzeitgemäß anmutenden Programm: „Kurzum, wir halten zu den alten Moden, / Das Wahre und das Schöne vorzuführen. / In unserem, mag sein, verstaubten Boden / Hängt eine Weltgeschichte an den Schnüren“. Auf dem Theater lässt sich Gesellschaft erzählen und verstehen, das stand für Hacks außer Frage. Sein lebenslanges Bemühen strebte nach Welterkenntnis durch Kunstmittel. Das zeigt die im Berliner Eulenspiegel-Verlag erschienene Biografie von Ronald Weber. Mit dem schlichten Titel „Peter Hacks – Leben und Werk“ ist es die erste Arbeit, die auf der Basis gründlicher Recherche des Dichters Lebensumstände erhellt.
Die Münchner Kammerspiele waren Hacks nicht fremd, dort feierte 1954 sein Stück „Die Eröffnung des indischen Zeitalters“ Uraufführung. Hacks war zu diesem Zeitpunkt 25 Jahre alt und studierte in der bayrischen Landeshauptstadt. Das Stück behandelte die verworrenen Schnüre der Weltgeschichte. Columbus, seinem Selbstverständnis nach ein Neuerer, schafft zunächst die Grundlagen eines grausamen Kolonialregimes. Als Leser von Marx und Hegel wusste Hacks aber auch, dass mit dem Kapitalismus als Weltsystem auch die Grundlagen universeller Emanzipation gelegt sind. Was schlimm beginnt, es muss ja nicht schlimm enden.
Alsbald geriet Hacks unter den Einfluss von Brecht. Als 1949 „Herr Puntila und sein Knecht Matti“ in der Regie von Hans Schweikart an den Kammerspielen lief, gehörte Hacks zu den beeindruckten Zuschauern. Das „Kleine Organon für das Theater“ prägte seine Auffassung vom Theater. Und als der junge Hacks erwog, in die DDR überzusiedeln, fragte er Brecht schriftlich um Rat. Dieser antwortete, dass gute Leute überall gut seien und auch überall besser würden. Hacks zeigte sich davon nicht entmutigt. Er ließ Brecht wissen, dass er seinen Rat nicht befolgen werde – und zog mit seiner Frau Elisabeth Wiede 1955 in die DDR. In dem östlichen der beiden deutschen Staaten wollten die beiden jungen Sozialisten künftig leben, arbeiten und wirken.
Hacks’ Wirkungsstätte im Theater wurde allerdings nicht das Berliner Ensemble, sondern das Deutsche Theater unter Wolfgang Langhoff. Dort hatte im Juni 1956 „Die Eröffnung des indischen Zeitalters“ unter dem neuen Titel „Columbus“ Premiere und feierte einen großen Erfolg. Hacks präsentierte sich auf der ersten Bühne des jungen sozialistischen Staates – und bestand. Er war als Dramatiker in der DDR angekommen. Er stürzte sich in die ästhetischen und kulturpolitischen Debatten seiner Zeit, mit einer großen Lust an der Auseinandersetzung sowie Witz und Schärfe. Mit Brecht argumentierte er zunächst für eine der Erkenntnis dienende Poesie. Doch schon Anfang der Sechzigerjahre kam Hacks zu der Ansicht, dass man aufgrund einer veränderten Wirklichkeit Brecht negieren müsse, um ihn fortzusetzen. Ähnlich formulierte es der zu dieser Zeit noch befreundete Heiner Müller.
Zu ästhetischen Neubestimmungen wurde Hacks durch die eigenen Erfahrungen getrieben. Im Zuge des sogenannten Bitterfelder Weges hatte er sich dem Gegenwartsstück zugewandt. In „Die Sorgen und die Macht“ zeigte Hacks, inwieweit der Egoismus in der sozialistischen Wirtschaft aufgehoben werden kann. Ein Fabrikdrama über Sittlichkeit und Planwirtschaft, in dem Arbeiter wie Parteifunktionäre gänzlich unidealisiert dargestellt wurden. Den Kommunismus müsse man sich wie die Gegenwart vorstellen, nur das Gegenteil nehmend, ließ der Dramatiker eine junge Genossin in dem Stück sagen. Hacks‘ Thema war freilich, wie schon bei „Columbus“, die Dialektik der Geschichte. Das Stück wurde nach zwei Überarbeitungen 1962 am Deutschen Theater uraufgeführt. Und trotz des großen Erfolgs nach kurzer Zeit abgesetzt.
Nun war Hacks niemand, der schnell verzagte. Es waren aber vor allem künstlerische Erwägungen, die ihn dann vom Gegenwartsstück Abstand nehmen ließen. Mit der von Benno Besson inszenierten Aristophanes-Bearbeitung „Der Frieden“ landete Hacks 1962 nicht nur einen überragenden Erfolg, sondern leitete auch eine neue Phase seines Schaffens ein. Das Ausgreifen der Wirklichkeit in das Reich der Utopie wurde zu seinem bestimmenden Thema. Er prägte dafür den Ausdruck „sozialistische Klassik“. Die Kunst müsse sich nicht mehr polemisch gegen die Zumutungen der kapitalistischen Vergesellschaftung wenden, wie vorbildhaft Brecht, sondern könne die Vermenschlichung der Welt in den Mittelpunkt rücken. Statt Negation nun Affirmation, Bejahung dessen, was durch neue Eigentumsverhältnisse möglich geworden ist.
Hier trennte sich Hacks von Heiner Müller, der auf dem Fortwirken der Vorgeschichte auch unter neuen gesellschaftlichen Verhältnissen beharrte – so stand Hacks‘ Heiterkeit gegen Müllers Tragik.
Die politische Basis der sozialistischen Klassik war für Hacks mit den ökonomischen Reformen Walter Ulbrichts gegeben, die auf höhere Produktivität zielten. Besser produzieren als im Kapitalismus, das war die selbstgestellt Aufgabe – auch in der Kunst. Das Ideal der bewussten Produktion verfolgte Hacks ebenfalls in seiner eigenen künstlerischen, von den Stücken über die Gedichte bis zu den Kinderbüchern. Es gibt kaum ein größeres Werk, dem nicht ein Essay beigestellt ist, der damit verbundene formale Fragen behandelt. Ästhetische Souveränität, also künstlerische Freiheit war für Hacks mit Form verbunden. Formlosigkeit lehnte er ab.
Das betraf auch sein eigenes Leben. Die Wohnung in der Schönhauser Allee sollte ebenso wie die sogenannte Fenne, der vor den Toren Berlins gelegene Rückzugsort für die Sommermonate, den Anspruch auf vernünftige Ordnung ausdrücken: ausgesuchte Möbel, kunstvolle Arrangements, eigens angelegte Gärten, der Teich mit den Kois und sogar drei Pfauen unterstrichen dies.
Weber verbindet in seiner Biografie Hacks‘ Lebensumstände, seine Lieb-, Freund- und Feindschaften, mit einführenden Werkinterpretationen, sodass der Leser sich ein Bild von des Dichters Haltung zur Welt machen kann. Der war nach Ulbrichts Entmachtung zunehmend nicht einverstanden mit der Entwicklung in der DDR. Honeckers sogenannte Einheit von Wirtschafts- und Sozialpolitik hielt er für einen Fehler historischen Ausmaßes. Die Dummheit der Regierung wurde für Hacks von der der Opposition noch übertroffen. Dass die Romantik wieder hoffähig wurde, hielt er für ein Übel. Sie stand ihm schon zu Goethes Zeiten für die Verbindung zwischen antirepublikanischem, nationalistischem, antisemitischem Ungeist und literarischer Unbedarftheit.
Hacks heiterer Ton, geprägt von Heines feinem Spott und Goethes objektiver Ironie, wurde schärfer. Dass ein Künstler wie Wolf Biermann einen ganzen Staat auf die Probe stellte, war ihm unbegreiflich. Als der Liedermacher dann ausgebürgert wurde, hatte Hacks für diesen nur Spott übrig – die Ost-Intellektuellen verstanden sich mitgemeint und nahmen es ihm übel, im Westen verschwand er gänzlich von den Spielplänen.
Der alternde Dichter, der sich einst mit dem sozialistischen Weltlauf noch mehr oder minder verbunden gefühlt hatte, war zunehmend isoliert. Das Ende der DDR empfand Hacks insoweit als befreiend, als er meinte, der tiefste Punkt sei damit erreicht. Sich mit den neuen Verhältnissen zu arrangieren, gedachte er nicht. Er näherte sich wieder dem in die Ferne gerückten Vorbild Brecht an, seine Stücke wurden schärfer, kritischer, polemischer. „Der Geldgott“ ist ein solches Beispiel: eine bitter-komische Abrechnung mit der spätkapitalistischen Schuldenökonomie inklusive plebiszitärer Selbstentmachtung – was sich heute wie eine Vorwegnahme der sich in Griechenland manifestierenden Euro-Krise liest.
Hacks kultivierte seine Haltung und das tat er ohne Rücksicht auf seine Mitwelt, die ihn sowieso mied. Allen voran die Theater, was durchaus auf Gegenseitigkeit beruhte. Die Nachwelt wiederum ließ der 2003 Verstorbene wissen, dass die Zeiten, in denen man auf den Bühnen Erkenntnis und Poesie schätzt, wieder kommen können, und das schneller, als allgemein erwartet. Auch wenn die Weltgeschichte manches Mal verworren oder gar auf Abwegen ist, Hacks wollte an ihr gutes Ende glauben.
JAKOB HAYNER
Nun konnte die Vermenschlichung
der Welt in den Mittelpunkt
rücken: Bejahung statt Negation
Ronald Weber: Peter Hacks. Leben und Werk. Eulenspiegel Verlag, Berlin 2018. 608 Seiten, 39 Euro.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 31.01.2019Nichts ist verloren, schon gar nicht das Spiel
Eine Biographie und eine fünfbändige Frühwerkausgabe bereichern die deutsche Literatur um mehr Peter Hacks
Zeitgenossenschaft verbat sich der Dichter schon als Abiturient: "Ich möchte hier nicht ausführen, warum ich an Stelle der heutigen innenpolitischen Entwicklung etwas anderes setzen möchte (Vernunft, Materialismus, Sozialismus), mein Bestreben war es lediglich zu zeigen, warum mir die heutige Menschheit, die das Gefühl so hoch wertet, das Gefühl, mit dem sie kürzlich auch ihre prächtigen Leidenschaften wie Heldentum und Vaterlandsretterei zu begründen wusste, aufs tiefste unsympathisch ist."
Ihr dialektisches Salz haben diese Sätze als Widerspruchsbelege; die Zurückweisung bloßer Emotionen ist darin nämlich selbst affektgeladen, die Wiederholung der Bannformel "das Gefühl" eine anaphorische Entladung. Der junge Mann hat also bereits Haltung, aber noch nicht genügend Argumente dafür. Die Wendung "Ich möchte hier nicht ausführen" verrät, dass er sie sich erarbeiten wird, sie steht im Abituraufsatz von Peter Hacks aus dem Jahr 1946, einer Betrachtung zu Versen aus Goethes "Tasso", die von Verwüstung handeln, vom "grausen Haufen Schutt". Die Reifeprüfungsfrage zur Goethe-Stelle lautet: "Kennzeichnen diese Worte die augenblickliche Lage Ihres Lebens?" Der Aufsatzautor erwidert, man sei in Deutschland trübe bis verzweifelt; "es scheint ein aussichtsloses Unterfangen, gegen diesen Zeitgeist anzugehen, obwohl es andererseits Notwendigkeit ist." Das Frühwerk der Großen lässt oft Zwecke und Tendenzen ihres Haupt- und Spätwerks erkennen, hat aber die erwachsenen Mittel nicht. Die "Dichtergespräche im Elysium" des unreifen Arno Schmidt etwa sind, nun ja, schon wie alles von ihm später, aber schlecht geschrieben, also doch ganz anders.
"Der junge Hacks", eine fünfbändige Ergänzung zum veröffentlichten Werk des sozialistischen Dichters, der 1955 im Alter von 27 Jahren aus der Bundesrepublik Deutschland in die Deutsche Demokratische Republik übersiedelte, weil ihm selbst der 1954 empfangene Dramatikerpreis der Stadt München die im Abituraufsatz ausgesprochenen Überzeugungen nicht wegbestechen konnte, zeigt einen anderen Fall: Die Haltung nimmt früh Form an, die Mittel sind auch gleich da, was jedoch fehlt, ist Gewicht. Vieles, was in den fünf himmelblauen Bänden steht, die lauter Stoff enthalten, den Hacks in der autorisierten Werkausgabe nicht haben wollte, liest sich, als wäre es mit zu viel Luft und Feuer, zu wenig Erde und Wasser geschrieben - als machte dem Künstler der Auftrieb zu schaffen, der ihn davontragen will ins allzu artistisch-zerebral errechnete Wolkenarchitektenvirtuosentum: antimilitaristische Sportbeschimpfungssketche, Kinderspaß, hochprozentige Jazzgedichte und Hörspielzerstreuungen.
Sein Instinkt verriet Hacks, der den Verstand höher stellen wollte als jeden Instinkt, dass er sein Talent würde belasten müssen, weil reine Kopfkunst zwar heiter, aber kaum klassisch sein kann, wie er sie aber wollte. So zog er sich Bleischuhe an und suchte ein Land auf, in dem er sein Tempo und seine Raketentriebwerke gegen Schwere und Schwierigkeit eines sehr großen politischen Projekts würde behaupten müssen, im künstlerischen Beitrag zum vorhandenen unvollkommenen Sozialismus wie beim kommunistischen Blick über ihn hinaus.
Zustatten kam ihm dabei ein Gestus, den er "historische Ironie" nannte - eine Art brechtisierter Thomas Mann, den man schon in trockenen Sentenzen der Abiturarbeit findet, wo es zum Beispiel über die Trümmerwüste Deutschland heißt: "Die Verkehrslage ist noch sehr ungünstig und die Ernährung vorübergehend recht wenig befriedigend." Den kühlen, unter der Hand aber mitfühlenden Witz dieses Stils verstehen nicht alle, auch nicht im Sozialismus - Ronald Webers jüngst erschienene Biographie "Peter Hacks - Leben und Werk" enthält frappante Schilderungen von Missverständnissen, bei denen das Hirn im Rückblick weinen will, etwa die Episode, bei der man dem Einwanderer eine Tierfabel vorhielt, die er vor seiner Ankunft in der DDR gedichtet hatte, weil darin ein Ziegenbock verspottet wird. Man hielt's für eine Spitze gegen Walter Ulbricht, dabei war's eine Attacke auf bajuwarisches Heimatgetue.
Hacks wusste: Im Westen hast du Fans oder Verächter in der Zivilgesellschaft, beim Theaterpublikum und im Feuilleton; im Osten aber will die Staatsmacht etwas von dir, was dir immerhin erlaubt, auch selbst Ansprüche an diesen Staat zu stellen. Er entschied sich, und das Erste, was nach dem Umzug geschah, war eine Straffung seiner Sprache, eine Veredelung als Zunahme der spezifischen Dichte der Komposition. Gestische Redundanzen wie im frühen, dem Vorbild Heine etwas zu treu verpflichteten Belsazar-Drama - wo ein Narr eingangs sagt: "Hallo Dickerchen, warum so trübselig. Gott, warum seht ihr so entsetzlich stumpfsinnig in die Welt." - passieren ihm unter Ulbricht nicht mehr, wenngleich die Tatsache, dass er da Punkte an die Satzenden setzt statt Fragezeichen, schon den Meister ausweist, der genau weiß, wie man Bühnentext schreibt, damit er richtig gesprochen werden kann.
In der Ouvertüre zum Kinderstück "Annabell und der Mond", wohl dem schönsten Text in den fünf Jugendbänden, sagt die Regieanweisung mehrfach: "Musik bedeutet." Auch wieder mit Punkt, denn bei diesem Jungen waren die Regieanweisungen eben genauer als bei manch altem Hasen die Dialogtexte. Die wiederum in "Annabell" noch besser sind als die Regieanweisungen. Der Mond erzählt: "Erst nur ein krummes Strichel / Schwamm ich durch den Ozon. / Dann war ich eine Sichel. / Dann fast ein Rettich schon."
Dass ihm seine frühen Künste nicht gereicht haben, dürften heute vor allem die bedauern, die ihn vorsichtig loben und viel lauter lieben würden, wäre er nicht Kommunist gewesen. Als letztes Jahr die "Marxistischen Hinsichten" erschienen, sein politischer Nachlass, regte sich im geistigen Unterholz des Landes einige Freude darüber, dass dieser Kommunist letztlich wohl keiner gewesen sei, habe er doch ausweislich der in den "Hinsichten" versammelten Texte nicht an die Erreichbarkeit der klassenlosen Gesellschaft geglaubt. Das ist eine Fehllektüre: Hacks pflichtete seinem Lieblingskönig Ulbricht lediglich darin bei, man könne durch den Sozialismus, die niedere Form des Kommunismus, nicht wie durch ein Kaufhaus hindurcheilen, denn dieser Sozialismus sei eine "historisch relativ selbständige Epoche", in der die Produktivkräfte erst einmal bis zu dem Reichtum entwickelt werden müssten, der allenfalls eine klassenlose Gesellschaft möglich mache.
Die korrekte Darstellung dieser klassisch sozialistischen, schon bei Marx, Engels und Lenin vorzufindenden Position in ihrem historischen Zusammenhang ist das wohl größte Verdienst von Webers Hacks-Lebensbild. Dass und wie Ulbricht sein Neues Ökonomisches System der Planung und Leitung gegen Widerstände nicht nur aus der Sowjetunion (wirtschaftliche Erfolge der DDR bargen stets ein Unabhängigkeitsrisiko), sondern auch von Seiten seiner eigenen Hagers, Honeckers, Stophs und Verners aufziehen musste, stand selten irgendwo so plastisch geschildert wie in Webers Kapitel "Liberalisierung und Kahlschlag". Das kann der studierte Literaturwissenschaftler nicht zuletzt deshalb, weil er kein simpel ökonomistischer Basis-Überbau-Schemadenker ist, sondern vor dem Hintergrund sozialpolitisch-ökonomischer Vorgänge die Eigenbewegung künstlerischer Leistung zu erkennen und zu beurteilen vermag (wer beim Lesen der Hacks-Vita auf den Weber-Geschmack kommt, wird des Verfassers älteres, siebenhundertseitiges Buch "Peter Hacks, Heiner Müller und das antagonistische Drama des Sozialismus" aus dem Jahr 2015 als wahres Herkuleswerk für die mittlere philologische Ewigkeit lieben).
Was der Ulbricht-Bewunderer Hacks in Händen hielt, als er mahnte, man solle die klassenlose Taube auf dem Dach in Ruhe lassen, war kein realsozialistischer Spatz, sondern ein ziemlich kommunistischer Adler. Dass Hacks nicht nur im politischen Nachlass, sondern beispielsweise auch im (von der DDR-Kritik Mitte der Sechziger gründlich missverstandenen) Stück "Moritz Tassow" den Schwarmgeistern des Aber-bitte-sofort-Kommunismus die Gemeinschaft verweigerte, bedeutet gerade nicht, dass seine Perspektive den Kommunismus nicht als Fluchtpunkt gebraucht hätte, ohne den es Orientierung in Leben und Kunst für ihn nie gab. Die Physikerin weiß ja auch, dass alles, was sie rauskriegt, an keinem Tag die absolute Wahrheit ist, und muss trotzdem auf diese absolute Wahrheit zielen, damit das, was sie weiß, heute wahrer ist als gestern. Schwer zu verstehen ist dergleichen nur für Leute, die weder Physik noch Kommunismus mögen und überhaupt nichts, was auf Verbesserung zielt. Die kriegen dann den Job, den sie verdienen: die Rechtfertigung des Vorhandenen, am besten als Zeitstimmung, eben "Gefühl".
Gegen sie schrieb Hacks auch nach 1989 weiter, und man verkennt den Alten schwer, wenn man glaubt, er wäre am Ende bitter gewesen. In seinem Seneca-Stück sagt der Denker, man verlasse ein verlorenes Spiel ungern. Hacks hat seins überhaupt nicht verlassen; die Nachwelt ist für einen Klassizisten wie ihn ja nicht die Nachspielzeit, sondern die eigentliche Partie, die man mit dem Tod nicht aufgibt, sondern eröffnet. In Deutschland steht er heute kaum gelesen da, damit aber auch unbehelligt, unvereinnahmt. Kommunismus ist das sicherste Mittel, von der den verblassenden Kulturdurchschnitt bildenden linksliberalen Intelligenz nicht umarmt zu werden; selbst mit Faschisten will sie eher reden, um sie zu belehren, nur Lenins Leute sind verlässlich hors concours. Die Partie um Hacks geht weiter; die fünf himmelblauen Bände und die Biographie sind darin zwei starke Spielzüge, die der Zeitgeist wieder einmal mit nichts Substantiellem wird parieren können.
DIETMAR DATH
Peter Hacks: "Der junge Hacks". 5 Bände.
Hrsg. von Gunther Nickel in Zusammenarbeit mit Meike Bohn. Eulenspiegel Verlag, Berlin 2018. Zus. 3248 S., geb., 149,75 [Euro].
Ronald Weber:
"Peter Hacks - Leben und Werk".
Eulenspiegel Verlag,
Berlin 2018. 608 S., Abb., geb., 39,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Eine Biographie und eine fünfbändige Frühwerkausgabe bereichern die deutsche Literatur um mehr Peter Hacks
Zeitgenossenschaft verbat sich der Dichter schon als Abiturient: "Ich möchte hier nicht ausführen, warum ich an Stelle der heutigen innenpolitischen Entwicklung etwas anderes setzen möchte (Vernunft, Materialismus, Sozialismus), mein Bestreben war es lediglich zu zeigen, warum mir die heutige Menschheit, die das Gefühl so hoch wertet, das Gefühl, mit dem sie kürzlich auch ihre prächtigen Leidenschaften wie Heldentum und Vaterlandsretterei zu begründen wusste, aufs tiefste unsympathisch ist."
Ihr dialektisches Salz haben diese Sätze als Widerspruchsbelege; die Zurückweisung bloßer Emotionen ist darin nämlich selbst affektgeladen, die Wiederholung der Bannformel "das Gefühl" eine anaphorische Entladung. Der junge Mann hat also bereits Haltung, aber noch nicht genügend Argumente dafür. Die Wendung "Ich möchte hier nicht ausführen" verrät, dass er sie sich erarbeiten wird, sie steht im Abituraufsatz von Peter Hacks aus dem Jahr 1946, einer Betrachtung zu Versen aus Goethes "Tasso", die von Verwüstung handeln, vom "grausen Haufen Schutt". Die Reifeprüfungsfrage zur Goethe-Stelle lautet: "Kennzeichnen diese Worte die augenblickliche Lage Ihres Lebens?" Der Aufsatzautor erwidert, man sei in Deutschland trübe bis verzweifelt; "es scheint ein aussichtsloses Unterfangen, gegen diesen Zeitgeist anzugehen, obwohl es andererseits Notwendigkeit ist." Das Frühwerk der Großen lässt oft Zwecke und Tendenzen ihres Haupt- und Spätwerks erkennen, hat aber die erwachsenen Mittel nicht. Die "Dichtergespräche im Elysium" des unreifen Arno Schmidt etwa sind, nun ja, schon wie alles von ihm später, aber schlecht geschrieben, also doch ganz anders.
"Der junge Hacks", eine fünfbändige Ergänzung zum veröffentlichten Werk des sozialistischen Dichters, der 1955 im Alter von 27 Jahren aus der Bundesrepublik Deutschland in die Deutsche Demokratische Republik übersiedelte, weil ihm selbst der 1954 empfangene Dramatikerpreis der Stadt München die im Abituraufsatz ausgesprochenen Überzeugungen nicht wegbestechen konnte, zeigt einen anderen Fall: Die Haltung nimmt früh Form an, die Mittel sind auch gleich da, was jedoch fehlt, ist Gewicht. Vieles, was in den fünf himmelblauen Bänden steht, die lauter Stoff enthalten, den Hacks in der autorisierten Werkausgabe nicht haben wollte, liest sich, als wäre es mit zu viel Luft und Feuer, zu wenig Erde und Wasser geschrieben - als machte dem Künstler der Auftrieb zu schaffen, der ihn davontragen will ins allzu artistisch-zerebral errechnete Wolkenarchitektenvirtuosentum: antimilitaristische Sportbeschimpfungssketche, Kinderspaß, hochprozentige Jazzgedichte und Hörspielzerstreuungen.
Sein Instinkt verriet Hacks, der den Verstand höher stellen wollte als jeden Instinkt, dass er sein Talent würde belasten müssen, weil reine Kopfkunst zwar heiter, aber kaum klassisch sein kann, wie er sie aber wollte. So zog er sich Bleischuhe an und suchte ein Land auf, in dem er sein Tempo und seine Raketentriebwerke gegen Schwere und Schwierigkeit eines sehr großen politischen Projekts würde behaupten müssen, im künstlerischen Beitrag zum vorhandenen unvollkommenen Sozialismus wie beim kommunistischen Blick über ihn hinaus.
Zustatten kam ihm dabei ein Gestus, den er "historische Ironie" nannte - eine Art brechtisierter Thomas Mann, den man schon in trockenen Sentenzen der Abiturarbeit findet, wo es zum Beispiel über die Trümmerwüste Deutschland heißt: "Die Verkehrslage ist noch sehr ungünstig und die Ernährung vorübergehend recht wenig befriedigend." Den kühlen, unter der Hand aber mitfühlenden Witz dieses Stils verstehen nicht alle, auch nicht im Sozialismus - Ronald Webers jüngst erschienene Biographie "Peter Hacks - Leben und Werk" enthält frappante Schilderungen von Missverständnissen, bei denen das Hirn im Rückblick weinen will, etwa die Episode, bei der man dem Einwanderer eine Tierfabel vorhielt, die er vor seiner Ankunft in der DDR gedichtet hatte, weil darin ein Ziegenbock verspottet wird. Man hielt's für eine Spitze gegen Walter Ulbricht, dabei war's eine Attacke auf bajuwarisches Heimatgetue.
Hacks wusste: Im Westen hast du Fans oder Verächter in der Zivilgesellschaft, beim Theaterpublikum und im Feuilleton; im Osten aber will die Staatsmacht etwas von dir, was dir immerhin erlaubt, auch selbst Ansprüche an diesen Staat zu stellen. Er entschied sich, und das Erste, was nach dem Umzug geschah, war eine Straffung seiner Sprache, eine Veredelung als Zunahme der spezifischen Dichte der Komposition. Gestische Redundanzen wie im frühen, dem Vorbild Heine etwas zu treu verpflichteten Belsazar-Drama - wo ein Narr eingangs sagt: "Hallo Dickerchen, warum so trübselig. Gott, warum seht ihr so entsetzlich stumpfsinnig in die Welt." - passieren ihm unter Ulbricht nicht mehr, wenngleich die Tatsache, dass er da Punkte an die Satzenden setzt statt Fragezeichen, schon den Meister ausweist, der genau weiß, wie man Bühnentext schreibt, damit er richtig gesprochen werden kann.
In der Ouvertüre zum Kinderstück "Annabell und der Mond", wohl dem schönsten Text in den fünf Jugendbänden, sagt die Regieanweisung mehrfach: "Musik bedeutet." Auch wieder mit Punkt, denn bei diesem Jungen waren die Regieanweisungen eben genauer als bei manch altem Hasen die Dialogtexte. Die wiederum in "Annabell" noch besser sind als die Regieanweisungen. Der Mond erzählt: "Erst nur ein krummes Strichel / Schwamm ich durch den Ozon. / Dann war ich eine Sichel. / Dann fast ein Rettich schon."
Dass ihm seine frühen Künste nicht gereicht haben, dürften heute vor allem die bedauern, die ihn vorsichtig loben und viel lauter lieben würden, wäre er nicht Kommunist gewesen. Als letztes Jahr die "Marxistischen Hinsichten" erschienen, sein politischer Nachlass, regte sich im geistigen Unterholz des Landes einige Freude darüber, dass dieser Kommunist letztlich wohl keiner gewesen sei, habe er doch ausweislich der in den "Hinsichten" versammelten Texte nicht an die Erreichbarkeit der klassenlosen Gesellschaft geglaubt. Das ist eine Fehllektüre: Hacks pflichtete seinem Lieblingskönig Ulbricht lediglich darin bei, man könne durch den Sozialismus, die niedere Form des Kommunismus, nicht wie durch ein Kaufhaus hindurcheilen, denn dieser Sozialismus sei eine "historisch relativ selbständige Epoche", in der die Produktivkräfte erst einmal bis zu dem Reichtum entwickelt werden müssten, der allenfalls eine klassenlose Gesellschaft möglich mache.
Die korrekte Darstellung dieser klassisch sozialistischen, schon bei Marx, Engels und Lenin vorzufindenden Position in ihrem historischen Zusammenhang ist das wohl größte Verdienst von Webers Hacks-Lebensbild. Dass und wie Ulbricht sein Neues Ökonomisches System der Planung und Leitung gegen Widerstände nicht nur aus der Sowjetunion (wirtschaftliche Erfolge der DDR bargen stets ein Unabhängigkeitsrisiko), sondern auch von Seiten seiner eigenen Hagers, Honeckers, Stophs und Verners aufziehen musste, stand selten irgendwo so plastisch geschildert wie in Webers Kapitel "Liberalisierung und Kahlschlag". Das kann der studierte Literaturwissenschaftler nicht zuletzt deshalb, weil er kein simpel ökonomistischer Basis-Überbau-Schemadenker ist, sondern vor dem Hintergrund sozialpolitisch-ökonomischer Vorgänge die Eigenbewegung künstlerischer Leistung zu erkennen und zu beurteilen vermag (wer beim Lesen der Hacks-Vita auf den Weber-Geschmack kommt, wird des Verfassers älteres, siebenhundertseitiges Buch "Peter Hacks, Heiner Müller und das antagonistische Drama des Sozialismus" aus dem Jahr 2015 als wahres Herkuleswerk für die mittlere philologische Ewigkeit lieben).
Was der Ulbricht-Bewunderer Hacks in Händen hielt, als er mahnte, man solle die klassenlose Taube auf dem Dach in Ruhe lassen, war kein realsozialistischer Spatz, sondern ein ziemlich kommunistischer Adler. Dass Hacks nicht nur im politischen Nachlass, sondern beispielsweise auch im (von der DDR-Kritik Mitte der Sechziger gründlich missverstandenen) Stück "Moritz Tassow" den Schwarmgeistern des Aber-bitte-sofort-Kommunismus die Gemeinschaft verweigerte, bedeutet gerade nicht, dass seine Perspektive den Kommunismus nicht als Fluchtpunkt gebraucht hätte, ohne den es Orientierung in Leben und Kunst für ihn nie gab. Die Physikerin weiß ja auch, dass alles, was sie rauskriegt, an keinem Tag die absolute Wahrheit ist, und muss trotzdem auf diese absolute Wahrheit zielen, damit das, was sie weiß, heute wahrer ist als gestern. Schwer zu verstehen ist dergleichen nur für Leute, die weder Physik noch Kommunismus mögen und überhaupt nichts, was auf Verbesserung zielt. Die kriegen dann den Job, den sie verdienen: die Rechtfertigung des Vorhandenen, am besten als Zeitstimmung, eben "Gefühl".
Gegen sie schrieb Hacks auch nach 1989 weiter, und man verkennt den Alten schwer, wenn man glaubt, er wäre am Ende bitter gewesen. In seinem Seneca-Stück sagt der Denker, man verlasse ein verlorenes Spiel ungern. Hacks hat seins überhaupt nicht verlassen; die Nachwelt ist für einen Klassizisten wie ihn ja nicht die Nachspielzeit, sondern die eigentliche Partie, die man mit dem Tod nicht aufgibt, sondern eröffnet. In Deutschland steht er heute kaum gelesen da, damit aber auch unbehelligt, unvereinnahmt. Kommunismus ist das sicherste Mittel, von der den verblassenden Kulturdurchschnitt bildenden linksliberalen Intelligenz nicht umarmt zu werden; selbst mit Faschisten will sie eher reden, um sie zu belehren, nur Lenins Leute sind verlässlich hors concours. Die Partie um Hacks geht weiter; die fünf himmelblauen Bände und die Biographie sind darin zwei starke Spielzüge, die der Zeitgeist wieder einmal mit nichts Substantiellem wird parieren können.
DIETMAR DATH
Peter Hacks: "Der junge Hacks". 5 Bände.
Hrsg. von Gunther Nickel in Zusammenarbeit mit Meike Bohn. Eulenspiegel Verlag, Berlin 2018. Zus. 3248 S., geb., 149,75 [Euro].
Ronald Weber:
"Peter Hacks - Leben und Werk".
Eulenspiegel Verlag,
Berlin 2018. 608 S., Abb., geb., 39,- [Euro].
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