Besprechungen, Essays und Vorträge aus 50 Jahren, geschrieben von Peter Hamm, der von einem scharfen Kritiker zu einem engen Freund des Dichters wurde.Dass ein Kritiker das Werk eines Schriftstellers über fast 50 Jahre begleitet, wird nicht eben häufig sein, aber dass so eine Geschichte mit einer Polemik beginnt, dann zu einer langsamen Annäherung führt, zu einer immer tiefer gehenden Auseinandersetzung, für die gerade das Stichwort Langsamkeit bedeutend ist, und schließlich zu einer Lebensfreundschaft - das dürfte einzigartig sein. Das erste Mal schrieb der junge Lyriker und Kritiker Peter Hamm schon im aufgeheizten politischen Klima von 1968 über den damals gerade 26-jährigen Peter Handke, dessen gegen die Sprache des SDS gerichteten Aufsatz »Totgeborene Sätze« er in der Zeit als »peinlich« und »bestürzend« zurückwies. Vier Jahre später bescheinigt er dem Autor von »Der kurze Brief zum langen Abschied« immerhin: »Jetzt kann er Ich sagen«. Aber es ist noch ein weiter Weg, bis aus Verständnis Einverständnis wird und bis Peter Hamm anlässlich der Verleihung des Schiller-Preises seine begeisterte Laudatio auf Peter Handke hält oder bis er im neuen Jahrtausend in weit ausholenden Aufsätzen »Mein Jahr in der Niemandsbucht« und »Der Bildverlust« würdigt.Peter Hamm legt verborgene Bezüge und Motive in Handkes Werk offen, und er beteiligt die Leser an diesem Entdeckungsprozess. Er kann das aus einer genauen Werkkenntnis heraus wie wohl kein anderer.
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 06.11.2017Langsame
Einkehr
Peter Hamm sammelt seine
Texte über Peter Handke
Vor bald fünfzig Jahren hatten Peter Hamm und Peter Handke Streit. Der Kritiker und Lyriker Hamm ging damals den frisch zu literarischem Popstarruhm gekommenen Handke in Die Zeit und Konkret heftig an. „Der neueste Fall von deutscher Innerlichkeit: Peter Handke“, so Titel und Vorwurf eines Hamm-Essays, auf den Handke dann gereizt reagierte, worauf wiederum Hamm noch gereizter erwiderte. Deutsche Innerlichkeit, damit wollte Peter Hamm wohl eine politikferne Haltung geißeln, mit der Handke seinerzeit die Provokation leicht fiel.
Etwa wenn er die Thesen der Berliner SDS-Gruppe „Kultur und Revolution“ über „Kunst als Ware der Bewusstseinsindustrie“ als „totgeborene Sätze“ qualifizierte. Mit solcher Sprachreflexion war im Klassenkampf nichts zu gewinnen, fand jedenfalls Hamm, der in seiner Handke-Kritik dann auch die größte Keule auspackte, die damals neben der Innerlichkeit zur Verfügung stand: die des „Idealismus“.
Hamms Sammlung von Essays, Reden und Rezensionen, die er zwischen 1968 und 2011 über Peter Handke geschrieben hat, berichtet, so der Untertitel, von „Stationen einer Annäherung“. Mit den wechselseitigen Beschimpfungen war es schon bald zu Ende. Schon in der Spiegel-Besprechung von Handkes „Kurzem Brief zum langen Abschied“ von 1972 hat der Kritiker auf Bewunderung umgestellt. Idealismus mag weiter ein Schimpfwort sein, nur wird es nicht mehr gegen Handke gerichtet. „Wie wenig idealistisch, wie materialistisch Handke übrigens denkt, zeigt sich immer im Detail“, schreibt Hamm jetzt und liegt vielleicht noch immer ein bisschen daneben. Was könnte materialistische Prosa im Gegensatz zu idealistischer sein?
In die Begrifflichkeit sind ideologische Prämissen eingebaut, die schon damals keine Berechtigung mehr besaßen. Hamm jedenfalls hat sich von solchen Voraussetzungen in der Folge frei gemacht und ist zu einem manchmal glühenden Bewunderer Handkes geworden. Für ihn verkörpert Handke nun alles, was an der Literatur überhaupt frei sein kann.
Das Buch enthält subtile, oft liebevolle und zustimmende Lektüren aus der Nähe einer persönlichen Freundschaft. Ab und zu will Hamm Handke auch nicht folgen, etwa in seiner großen Besprechung des Romans „Langsame Heimkehr“ von 1979 in Die Zeit. Hier wird er einen „Eindruck des Erzwungenen“ nicht los, der sich in Handkes Wahl eines feierlichen, hohen Tons artikuliere. Spätere Bücher sagen Hamm dann wieder sehr zu, auch oder gerade die schwierigen wie der monumentale „Bildverlust“ von 2002. Was Hamm von Handke hält, welche nicht nur literarische Mission er durch ihn erfüllt sieht, das bringt er in seiner Laudatio bei der Verleihung des Schillerpreises 1995 an Handke auf den Punkt: „Peter Handke hat das Schwierigste und Höchste gewagt, was ein Schriftsteller nach Kafka überhaupt wagen konnte, nämlich erzählend wieder für Weltvertrauen zu werben und Weltvertrauen zu schaffen.“
Man stellt sich vor, wie Handke bei diesen Worten unruhig mit dem Stuhl zu wackeln beginnt. Man weiß, dass Handke manchmal gegen Kafka, den „ewigen Sohn“, stichelt, und sicher kann man auch ein Wort wie „Weltvertrauen“ im Handke-Kontext frisch betrachten. Aus Kritikermund sind Formeln wie „das Höchste…nach Kafka“ und „für Weltvertrauen… werben“ dann aber doch bedenklich. Hier wünscht man sich, es hätte noch mal der junge Hamm in dieses allzu harmonisch gewordene Verhältnis robust hinein gegrätscht. Vielleicht wäre er damit dem selten streitunlustigen Handke besser gerecht geworden als mit einer solchen Weihrauchspende.
Die späteren Hamm-Texte, in denen es um Handkes Haus, seine Freundschaften oder seine Briefe geht, machen klar: wenn man erst einmal in den Bannkreis des Meisters getreten ist, wird Distanz schwierig. Hamm hat im Lauf der Jahre die Handke-Kritik an den Nagel gehängt und sich in die Rolle der Fürsprechers, Beistehers und manchmal auch Freisprechers begeben. Er habe sich, schreibt er, „in den kalten Mai-Wochen des Jahres 2006, in denen Handke am Medien-Pranger stand, immer wieder einmal vorzustellen versucht, wie Hermann Lenz dem Freund Peter Handke beigestanden hätte.“ Bei dem damaligen Streit um Handkes Haltung zu Ex-Jugoslawien gab ein Wort das andere. Handke stand unter Beschuss, was ihn keineswegs hinderte, selbst kräftig auszuteilen. Beistand heißt in diesem konkreten Fall, den Dichter ungeachtet dessen, was er sagt, vor „den Medien“ in Schutz zu nehmen. Hat Peter Handke solchen Beistand nötig? Mit seinen Fürsprachen jedenfalls schafft es Hamm, Handke schutzbedürftiger aussehen zu lassen, als er wohl eigentlich ist.
CHRISTOPH BARTMANN
Hamm hat im Lauf der
Jahre die Handke-Kritik
an den Nagel gehängt
Peter Hamm: Peter Handke und kein Ende. Stationen einer Annäherung. Wallstein Verlag, Göttingen 2017.
164 Seiten, 20 Euro.
E-Book 15,99 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Einkehr
Peter Hamm sammelt seine
Texte über Peter Handke
Vor bald fünfzig Jahren hatten Peter Hamm und Peter Handke Streit. Der Kritiker und Lyriker Hamm ging damals den frisch zu literarischem Popstarruhm gekommenen Handke in Die Zeit und Konkret heftig an. „Der neueste Fall von deutscher Innerlichkeit: Peter Handke“, so Titel und Vorwurf eines Hamm-Essays, auf den Handke dann gereizt reagierte, worauf wiederum Hamm noch gereizter erwiderte. Deutsche Innerlichkeit, damit wollte Peter Hamm wohl eine politikferne Haltung geißeln, mit der Handke seinerzeit die Provokation leicht fiel.
Etwa wenn er die Thesen der Berliner SDS-Gruppe „Kultur und Revolution“ über „Kunst als Ware der Bewusstseinsindustrie“ als „totgeborene Sätze“ qualifizierte. Mit solcher Sprachreflexion war im Klassenkampf nichts zu gewinnen, fand jedenfalls Hamm, der in seiner Handke-Kritik dann auch die größte Keule auspackte, die damals neben der Innerlichkeit zur Verfügung stand: die des „Idealismus“.
Hamms Sammlung von Essays, Reden und Rezensionen, die er zwischen 1968 und 2011 über Peter Handke geschrieben hat, berichtet, so der Untertitel, von „Stationen einer Annäherung“. Mit den wechselseitigen Beschimpfungen war es schon bald zu Ende. Schon in der Spiegel-Besprechung von Handkes „Kurzem Brief zum langen Abschied“ von 1972 hat der Kritiker auf Bewunderung umgestellt. Idealismus mag weiter ein Schimpfwort sein, nur wird es nicht mehr gegen Handke gerichtet. „Wie wenig idealistisch, wie materialistisch Handke übrigens denkt, zeigt sich immer im Detail“, schreibt Hamm jetzt und liegt vielleicht noch immer ein bisschen daneben. Was könnte materialistische Prosa im Gegensatz zu idealistischer sein?
In die Begrifflichkeit sind ideologische Prämissen eingebaut, die schon damals keine Berechtigung mehr besaßen. Hamm jedenfalls hat sich von solchen Voraussetzungen in der Folge frei gemacht und ist zu einem manchmal glühenden Bewunderer Handkes geworden. Für ihn verkörpert Handke nun alles, was an der Literatur überhaupt frei sein kann.
Das Buch enthält subtile, oft liebevolle und zustimmende Lektüren aus der Nähe einer persönlichen Freundschaft. Ab und zu will Hamm Handke auch nicht folgen, etwa in seiner großen Besprechung des Romans „Langsame Heimkehr“ von 1979 in Die Zeit. Hier wird er einen „Eindruck des Erzwungenen“ nicht los, der sich in Handkes Wahl eines feierlichen, hohen Tons artikuliere. Spätere Bücher sagen Hamm dann wieder sehr zu, auch oder gerade die schwierigen wie der monumentale „Bildverlust“ von 2002. Was Hamm von Handke hält, welche nicht nur literarische Mission er durch ihn erfüllt sieht, das bringt er in seiner Laudatio bei der Verleihung des Schillerpreises 1995 an Handke auf den Punkt: „Peter Handke hat das Schwierigste und Höchste gewagt, was ein Schriftsteller nach Kafka überhaupt wagen konnte, nämlich erzählend wieder für Weltvertrauen zu werben und Weltvertrauen zu schaffen.“
Man stellt sich vor, wie Handke bei diesen Worten unruhig mit dem Stuhl zu wackeln beginnt. Man weiß, dass Handke manchmal gegen Kafka, den „ewigen Sohn“, stichelt, und sicher kann man auch ein Wort wie „Weltvertrauen“ im Handke-Kontext frisch betrachten. Aus Kritikermund sind Formeln wie „das Höchste…nach Kafka“ und „für Weltvertrauen… werben“ dann aber doch bedenklich. Hier wünscht man sich, es hätte noch mal der junge Hamm in dieses allzu harmonisch gewordene Verhältnis robust hinein gegrätscht. Vielleicht wäre er damit dem selten streitunlustigen Handke besser gerecht geworden als mit einer solchen Weihrauchspende.
Die späteren Hamm-Texte, in denen es um Handkes Haus, seine Freundschaften oder seine Briefe geht, machen klar: wenn man erst einmal in den Bannkreis des Meisters getreten ist, wird Distanz schwierig. Hamm hat im Lauf der Jahre die Handke-Kritik an den Nagel gehängt und sich in die Rolle der Fürsprechers, Beistehers und manchmal auch Freisprechers begeben. Er habe sich, schreibt er, „in den kalten Mai-Wochen des Jahres 2006, in denen Handke am Medien-Pranger stand, immer wieder einmal vorzustellen versucht, wie Hermann Lenz dem Freund Peter Handke beigestanden hätte.“ Bei dem damaligen Streit um Handkes Haltung zu Ex-Jugoslawien gab ein Wort das andere. Handke stand unter Beschuss, was ihn keineswegs hinderte, selbst kräftig auszuteilen. Beistand heißt in diesem konkreten Fall, den Dichter ungeachtet dessen, was er sagt, vor „den Medien“ in Schutz zu nehmen. Hat Peter Handke solchen Beistand nötig? Mit seinen Fürsprachen jedenfalls schafft es Hamm, Handke schutzbedürftiger aussehen zu lassen, als er wohl eigentlich ist.
CHRISTOPH BARTMANN
Hamm hat im Lauf der
Jahre die Handke-Kritik
an den Nagel gehängt
Peter Hamm: Peter Handke und kein Ende. Stationen einer Annäherung. Wallstein Verlag, Göttingen 2017.
164 Seiten, 20 Euro.
E-Book 15,99 Euro.
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»findet sich vieles in diesem Band, das die Lektüre lohnt« (Martin Sexl, literaturhaus.at, 18.09.2017) »Peter Hamm zeigt sich nicht nur hier, sondern auch in ausführlichen Besprechungen einzelner Bücher als intimer Kenner des Handke'schen Werks.« (APA, 10.11.2017) »man bekommt bei der Lektüre der Essays eine Ahnung von der Sache - von großer Literatur« (Ulrich Rüdenauer, Deutschlandfunk Büchermarkt, 06.12.2017) »Wer sich mit Handke auseinandersetzen und daraus ein ästhetisch-intellektuelles Vergnügen beziehen möchte, der wird mit Peter Hamm reich belohnt werden.« (Gerhard Zeilinger, Der Standard, 02.12.2017)