Seit über zwanzig Jahren lebt der Schriftsteller Peter Handke im unscheinbaren Vorort Chaville, in der "Niemandsbucht" am Rand von Paris. Von Beginn an kam die befreundete Pariser Fotografin Lillian Birnbaum dorthin zu Besuch. Fasziniert von den teils absichtsvollen, teils zufälligen, stets aber einem geheimnisvollen Gesetz gehorchenden Arrangements der Dinge des Lebens, fing sie im Haus und im Garten an zu fotografieren. Fünf Jacken in verschiedenen Blautönen übereinander auf einer Stuhllehne. Auf dem Küchentisch Federn in einer Vase, ein Schälchen mit Bohnen, eine arabische Zeitung. Ein blauer und ein grüner Gummiball in einem verrosteten Kinderwagen, daneben Gartenschuhe voller Laub. Bald entstand bei Lillian Birnbaum die Idee: ein Porträt des Dichters als Abwesender. Allenfalls seine Hände, die Pilze zurüsten, oder seine nackten Füße im Gras, sonst nur: die Dinge - wie sie bei diesem Dichter eine eigene poetische Ordnung des "geglückten Tags" bilden.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 18.11.2011Das Faxgerät fiel dem Efeu zum Opfer
Und das Dreirad bietet dem vertrockneten Palmwedel das "Du" an: Die Fotografin Lillian Birnbaum schaut sich in Haus und Garten von Peter Handke um und entdeckt dort lauter Dinge, die selbst in seiner Abwesenheit von dem Autor sprechen.
Ist ein Haus nur ein Haus? Oder ist es eine Repräsentation seiner Bewohner, gar ein Porträt? Während die moderne Streetview-Gesellschaft in dieser Frage bereits beim Fotografieren von Fassaden in Streit gerät, lässt sich Peter Handke im intimsten Inneren seiner Niemandsbucht Persönliches entlocken. Und das freiwillig, wenn auch nur in Abwesenheit seiner selbst. Das Haus, in einem Vorort von Paris gelegen, Geburtsort von "Versuch über den geglückten Tag", möge zu uns sprechen; das Arrangement der Möbel und Utensilien, die "geheimnisvolle Ordnung", der die Fotografin Lillian Birnbaum in der modernitätsverachtenden Unaufgeräumtheit von Garten und Wohnraum hinterherspürt. Der Dichter ist da und gleichzeitig auch nicht, man erahnt seine Anwesenheit in Nüssen und Pilzen, Büchern und Bildern, Bohnen und Ingwerwurzeln sowie allerlei Krimskrams. Insignien und Funde des Wanderers Peter Handke, wie uns Peter Hamm in seinem einleitenden "Versuch über das Haus des Dichters" wissen lässt.
Und in der Tat: Gleich im ersten Bild, auf diesem rostig-weißen Gartenstuhl neben dem Herbstlaub: Saß er da nicht gerade eben noch? Und das Faxgerät, das da im Unterholz dem Efeu zum Opfer fällt: War es nicht heiliger Zorn, aus dem er es dorthin geworfen hat, vor gar nicht allzu langer Zeit? Plastik trotzt der Verwitterung, wie neu sieht es aus - ein Luxus, um den es die Gartengarnitur beneidet. Auch die beiden Bambusleitern haben ihre besten Tage hinter sich, doch Handke gewährt ihnen an den Balkonen seines Hauses ein Gnadenbrot.
Auf dem Stiegenaufgang lebt das Hingeworfene mit dem Liegengebliebenen in trauter Nachbarschaft, das Dreirad parkt im Sperrmüllhaufen, der morsche Ast bietet dem vertrockneten Palmwedel das "Du" an. Dies sei ein Haus, durch das Bewegung geht, meint Hamm - ein Eindruck, den wir aus den Bildern nicht nachzuvollziehen vermögen. Sie legen vielmehr nahe, dass jegliche Bewegung zum Stillstand gekommen ist.
Schneckenhäuser in Vogelnestern auf Treppenstufen und Schreibtischflächen: Wie oft haben sie des Dichters Geschichten schon erzählt bekommen? Sie, von denen er bisweilen selbst sagt, sie seien die Einzigen, die ihm zuhörten. Und überall Bücher. Von und über Handke, in Chinesisch, Italienisch und Russisch, Bücher in der Ecke, Bücher unter dem Stuhl, dazwischen ein paar Fotos und auch einige Notizen, aber dann wieder Handke und immer wieder nur Handke: Selbstreferenz, du bist hier daheim.
Wie jeder nette Besuch bei einem guten Gastgeber endet auch dieser an einem reich gedeckten Küchentisch. Nüsse, Kräuter, Bohnen, Weißbrot, Olivenöl, dazwischen ein Teller Nudeln und - was sonst? - natürlich frische Pilze. Schöne, kräftige, große Pilze, gesammelt und zubereitet mit den eigenen Händen. Und wenigstens mit ihnen ist der Dichter auf dem allerletzten Bild sogar selbst zugegen. Handkes Vorstellung von einem geglückten Tag. (Lillian Birnbaum: "Peter Handke. Portrait des Dichters in seiner Abwesenheit", Verlag Müry Salzmann. Salzburg 2011. 104 S., Abb., geb., 28,- .)
THOMAS STROBL
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Und das Dreirad bietet dem vertrockneten Palmwedel das "Du" an: Die Fotografin Lillian Birnbaum schaut sich in Haus und Garten von Peter Handke um und entdeckt dort lauter Dinge, die selbst in seiner Abwesenheit von dem Autor sprechen.
Ist ein Haus nur ein Haus? Oder ist es eine Repräsentation seiner Bewohner, gar ein Porträt? Während die moderne Streetview-Gesellschaft in dieser Frage bereits beim Fotografieren von Fassaden in Streit gerät, lässt sich Peter Handke im intimsten Inneren seiner Niemandsbucht Persönliches entlocken. Und das freiwillig, wenn auch nur in Abwesenheit seiner selbst. Das Haus, in einem Vorort von Paris gelegen, Geburtsort von "Versuch über den geglückten Tag", möge zu uns sprechen; das Arrangement der Möbel und Utensilien, die "geheimnisvolle Ordnung", der die Fotografin Lillian Birnbaum in der modernitätsverachtenden Unaufgeräumtheit von Garten und Wohnraum hinterherspürt. Der Dichter ist da und gleichzeitig auch nicht, man erahnt seine Anwesenheit in Nüssen und Pilzen, Büchern und Bildern, Bohnen und Ingwerwurzeln sowie allerlei Krimskrams. Insignien und Funde des Wanderers Peter Handke, wie uns Peter Hamm in seinem einleitenden "Versuch über das Haus des Dichters" wissen lässt.
Und in der Tat: Gleich im ersten Bild, auf diesem rostig-weißen Gartenstuhl neben dem Herbstlaub: Saß er da nicht gerade eben noch? Und das Faxgerät, das da im Unterholz dem Efeu zum Opfer fällt: War es nicht heiliger Zorn, aus dem er es dorthin geworfen hat, vor gar nicht allzu langer Zeit? Plastik trotzt der Verwitterung, wie neu sieht es aus - ein Luxus, um den es die Gartengarnitur beneidet. Auch die beiden Bambusleitern haben ihre besten Tage hinter sich, doch Handke gewährt ihnen an den Balkonen seines Hauses ein Gnadenbrot.
Auf dem Stiegenaufgang lebt das Hingeworfene mit dem Liegengebliebenen in trauter Nachbarschaft, das Dreirad parkt im Sperrmüllhaufen, der morsche Ast bietet dem vertrockneten Palmwedel das "Du" an. Dies sei ein Haus, durch das Bewegung geht, meint Hamm - ein Eindruck, den wir aus den Bildern nicht nachzuvollziehen vermögen. Sie legen vielmehr nahe, dass jegliche Bewegung zum Stillstand gekommen ist.
Schneckenhäuser in Vogelnestern auf Treppenstufen und Schreibtischflächen: Wie oft haben sie des Dichters Geschichten schon erzählt bekommen? Sie, von denen er bisweilen selbst sagt, sie seien die Einzigen, die ihm zuhörten. Und überall Bücher. Von und über Handke, in Chinesisch, Italienisch und Russisch, Bücher in der Ecke, Bücher unter dem Stuhl, dazwischen ein paar Fotos und auch einige Notizen, aber dann wieder Handke und immer wieder nur Handke: Selbstreferenz, du bist hier daheim.
Wie jeder nette Besuch bei einem guten Gastgeber endet auch dieser an einem reich gedeckten Küchentisch. Nüsse, Kräuter, Bohnen, Weißbrot, Olivenöl, dazwischen ein Teller Nudeln und - was sonst? - natürlich frische Pilze. Schöne, kräftige, große Pilze, gesammelt und zubereitet mit den eigenen Händen. Und wenigstens mit ihnen ist der Dichter auf dem allerletzten Bild sogar selbst zugegen. Handkes Vorstellung von einem geglückten Tag. (Lillian Birnbaum: "Peter Handke. Portrait des Dichters in seiner Abwesenheit", Verlag Müry Salzmann. Salzburg 2011. 104 S., Abb., geb., 28,- .)
THOMAS STROBL
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