Vom Waisenkind zum Millionär - wie konnte das so schiefgehen?
Peter Holtz will das Glück für alle. Schon als Kind praktiziert er die Abschaffung des Geldes, erfindet den Punk aus dem Geist des Arbeiterliedes und bekehrt sich zum Christentum. Als CDU-Mitglied (Ost) kämpft er für eine christlich-kommunistische Demokratie. Doch er wundert sich: Der Lauf der Welt widerspricht aller Logik. Seine Selbstlosigkeit belohnt die Marktwirtschaft mit Reichtum. Hat er sich für das Falsche eingesetzt? Oder für das Richtige, aber auf dem falschen Weg? Und vor allem: Wie wird er das Geld mit Anstand wieder los? Peter Holtz nimmt die Verheißungen des Kapitalismus beim Wort. Mit Witz und Poesie lässt Ingo Schulze eine Figur erstehen, wie es sie noch nicht gab, wie wir sie aber heute brauchen: in Zeiten, in denen die Welt sich auf den Kopf stellt.
Peter Holtz will das Glück für alle. Schon als Kind praktiziert er die Abschaffung des Geldes, erfindet den Punk aus dem Geist des Arbeiterliedes und bekehrt sich zum Christentum. Als CDU-Mitglied (Ost) kämpft er für eine christlich-kommunistische Demokratie. Doch er wundert sich: Der Lauf der Welt widerspricht aller Logik. Seine Selbstlosigkeit belohnt die Marktwirtschaft mit Reichtum. Hat er sich für das Falsche eingesetzt? Oder für das Richtige, aber auf dem falschen Weg? Und vor allem: Wie wird er das Geld mit Anstand wieder los? Peter Holtz nimmt die Verheißungen des Kapitalismus beim Wort. Mit Witz und Poesie lässt Ingo Schulze eine Figur erstehen, wie es sie noch nicht gab, wie wir sie aber heute brauchen: in Zeiten, in denen die Welt sich auf den Kopf stellt.
bewundernswerte Leichtigkeit und Präzision bis zur letzten Seite [...] große Kunst [...] Mark Siemons Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung 20170903
Ingo Schulzes neuer Roman "Peter Holtz" ist ein "Schelmenstück für unsere Zeit", so Cornelia Geissler. Peter wächst in der DDR in einem Kinderheim auf, nimmt irgendwann aber Reißaus und wird, naiv indoktriniert wie er ist, mit der Welt konfrontiert, der er so unbedarft neugierig begegnet als käme er von einem anderen Stern, resümiert die Rezensentin. Nach der Wende wird aus Peter quasi wider Willen, oder zumindest aus Versehen, ein ziemlich erfolgreicher Kapitalist, der sich die Schultern mit Politikern reibt - die sich unschwer identifizieren lassen, selbst wenn nicht alle unter Klarnamen auftreten, verrät Geissler. Schulz mag einen Schelmenroman geschrieben haben, aber die politischen Seitenhiebe in verschiedenste Richtungen muss man nicht lange suchen, freut sich die Rezensentin.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Filou-Grundstücke
Ein Schelm, wer an das Gute glaubt: In seinem Roman „Peter Holtz. Sein glückliches Leben erzählt von ihm selbst“
schickt Ingo Schulze einen Homunkulus des Sozialismus in den Kapitalismus
VON GUSTAV SEIBT
Am Ende sehen wir Peter Holtz, den Helden und Ich-Erzähler von Ingo Schulzes neuem Roman, als „ökonomischen Häftling“ in Gewahrsam. Er hat Tausend-Mark-Scheine am Berliner Alexanderplatz angezündet, einen nach dem anderen. Das konnte die Zuschauer nicht lange ertragen. Mit der Einweisung in ein Heim schließt sich ein Kreis. Denn am Beginn der Erzählung war der zwölf Jahre alte Peter aus einem Kinderheim ausgerissen. Auf seiner Wanderung hatte er in einem Ausflugslokal gegessen und verweigerte nun die Bezahlung: „Warum soll mir die Gesellschaft das Geld erst aushändigen, wenn dieses Geld über kurz oder lang sowieso wieder bei ihr landet?“
Geld sei im Sozialismus unsinnig, so hat es Peter Holtz von seinen Lehrern gelernt: „Wenn du ohne Geld durch unsere Republik reisen und dich sattessen kannst, dann hat der Kommunismus gesiegt.“ Wir sind in der DDR, im Jahr 1974. Das Ende spielt 1998, am Beginn von Gerhard Schröders Kanzlerschaft. Die mehr als 500 Seiten dazwischen entrollen ein deutsch-deutsches Zeitpanorama, aus der Sicht eines Menschen, der sichtlich ein Problem mit dem Geld hat. Ingo Schulze nennt es im Nachwort einen „Schelmenroman“.
Peter Holtz hat keine Familie, das passt zu dieser Gattung. Er ist, ganz wörtlich, das Kind seines Staates. Ins Heims kam er, so wird ihm erzählt, weil seine Eltern einen tödlichen Unfall hatten. Erst nach der Wende erfährt er, dass sie in den Westen gingen und ihn nicht mitnehmen durften, ohne dass Peter das über die Maßen erschütterte. Auch dass der Leiter des Kinderheims, dessen antifaschistische Heldenhaftigkeit Peter als Kind verehrte, in Wahrheit sein leiblicher Großvater war, kommt erst nach dem Mauerfall ans Licht. Der klassische Schelmenroman hatte es immer mit unvermuteten Abstammungen und überraschenden Wiederbegegnungen zu tun.
Zum Zeitpunkt seiner Flucht aus dem Heim – sie galt der Suche nach dem wunderbaren Heimvater, der versetzt worden sei, in Wahrheit aber verstarb (wieder so eine nachträgliche Schicksalsinformation) – ist Peters kindliche sozialistische Persönlichkeit bereits so gefestigt, dass er von einer ziemlich bürgerlichen Familie des sozialistischen Adels, nämlich Nachfahren eines Widerstandskämpfers gegen die Nazis, adoptiert werden kann. Seine Heimat ist fortan eine bröckelnde Villa in Berlin-Treptow. Man kann an Uwe Tellkamps "Turm" denken. Peter, der schon als Heimkind gegen das Zertrampeln von Grünflächen gekämpft hatte - "warum zerstören wir mutwillig, was uns allen gehört?" - bleibt bei seiner unbedingten sozialistischen Gläubigkeit.
Wenn ein Mitschüler schlecht über den Staat redet, plappert Peter es entrüstet herum, worauf dieser von der Schule fliegt. Einer subversiven Punk-Band dient er als als Sänger, der Parteilieder wie „Sag mir, wo du stehst“ zu harten Elektroklängen so inbrünstig kräht, dass nur er die Ironie nicht versteht. Westbesuche will er mit dem Neuen Deutschland bekehren. Auch mit der Stasi spricht er - warum nicht mit Experten reden? -, allerdings erzählt er auch das herum, sodass die Konspiration misslingt.
Was ist das für ein Schelm? Einmal wird er „ein Kaspar Hauser“ genannt. Dass die Leute den kleinen Streber zu fürchten beginnen, entgeht ihm. Peter Holtz nimmt seine sozialistische Umgebung zum ideologischen Nennwert, als gäbe es keine Kluft zwischen den Worten und der Wirklichkeit. Macht, Gewalt, Zynismus – dafür ist er taub oder farbenblind. Ingo Schulze konstruiert einen Homunkulus des Sozialismus, von dem nicht immer klar ist, ob man ihn komisch oder grauenhaft finden soll.
Daher geht ihm die Filouhaftigkeit klassischer Schelmen von Lazarillo bis zum Soldaten Schweijk ab. Seine Affirmation ist total, sie hat auch nichts von Sklavensprache. Subversiv ist Peter Holtz durch die vollkommene Abwesenheit von Subversivität. Der Name scheint sprechend, er ist ein Holzkopf. Wie bringt man eine solche gläubig kommunistische Figur in den Kapitalismus? Das ist, nach einem etwas behäbig vor sich hintuckerndem Beginn, die interessante Aufgabe, die Ingo Schulze sich vorgenommen hat. Er löst sie mit sanftem Witz. Mit dem Jahr 1989 nimmt der Schelmenroman Fahrt auf.
Zwei Voraussetzungen muss Schulze seinem Peter dafür noch andichten. Schon vor der Wende wird Peter Holtz Christ. In aller Unschuld findet er nämlich, der Kommunismus sei nur die andere Seite des Christentums: „Mit dem Glauben verfüge ich über ein zweites Standbein.“ So kann er in die Ost-CDU eintreten, und mit sich im Reinen bleiben. Die zweite Voraussetzung für Peters Nachwende-Karriere ist sein Immobilienvermögen. Häuser sind eine Last in der DDR, renovierungsbedürftig, kostspielig, ertragsarm. Also wird dem linientreuen Maurer (das lernt der schlichte Schelm) von seiner ostbürgerlichen Umgebung ein Haus nach dem anderen überschrieben. Irgendwann hat er „zwölf Mietshäuser, eine Villa und zwei Buden in Mitte“, und dafür muss er schuften: Er fährt schwarz Taxi, um Geld für Handwerker aufzutreiben.
Beides, die Ost-CDU-Vergangenheit und das Immobilienvermögen, erlaubt Peter Holtz, der den Mauerfall im Koma verschläft wie die Mutter in dem Film „Good bye, Lenin“, eine politisch-ökonomische Blitzkarriere in der Nachwende-DDR. Er kommt in Berührung mit Roman-Stellvertretern von Lothar de Maizière und Angela Merkel. Die Schrottimmobilien sind auf einmal großes Kapital. Peter Holtz ist kurz Wende-Held, und auf Dauer Millionär.
Hier wird der Roman lustig, er bekommt etwas vom Brio der Anfänge Ingo Schulzes, die ja immer wieder vom Augenblick des Glücks der ungeheuren Offenheit 1989/90 handelten. Peter Holtz lernt den Kapitalismus nicht nur kennen, irgendwann verinnerlicht er ihn. Er will gut sein zu seinen Mietern, aber auch zu einer Prostituierten, bei der er zu seiner grenzenlosen Überraschung erfahren hat, dass Sex für Geld funktioniert. Also richtet er ihr ein kleines kuschliges Bordell in der Auguststraße, dem späteren Galerie- und Kunstkiez in Mitte ein.
„Holtz-Immobilien“ ist kurz davor, zum Imperium zu werden: Shopping-Malls an Fabkrikstandorten, Wellness in einer Traglufthalle, Schnäppchen bei der Treuhand. Peter schlafwandelt weiter treuherzig durch die Welt, diesmal lässt er sich, bezeichnenderweise von einem Kunsthändler, in Marktwirtschaft belehren. Wer Eigentum verschenken wolle, erklärt ihm dieser, der überlasse die Geschicke dem Zufall, schaffe bestenfalls Lottogewinne für die Empfänger.
Volkseigentum werde verschlissen (der zertrampelte Rasen vorm Kinderheim!), nur Eigentum erlaube Verantwortung, und überhaupt: „Es ist noch kein besseres Mittel als Geld erfunden worden, um Gerechtigkeit herzustellen.“ Die Religion von Eigentum und Verantwortung übernimmt Peters hölzerner Kopf erst einmal. Sogar shoppen und ein wenig genießen lernt er, das tiefe Befremden über die Warenwelt mit ihren nachwachsenden Regalen im Supermarkt und dem Service-Sprech des Personals, hält eine Erfahrung von 1990 frisch. Aber freilich: Es bleibt Peter unangenehm, von Dienern bedient zu werden, auch wenn man ihm hundertmal erklärt, das sei Arbeitsteilung. Das sozialistische Ich ist nicht tot, es wird ja noch gebraucht.
Fassungslos erkennt Peter Holtz, der eine subversive Halbschwester hat, die eine Galerie führt, dass Kunst Geld schaffen kann. Peter wird zu einer Performance verleitet, bei der er in einer Galerie mehr als 800 000 DM in Scheinen verbrennt. Wird hier Geld vernichtet? Keineswegs! Der Film, der das Event dokumentiert, bringt schon in erster Lizenz mehr als eine Million DM ein. Peter Holtz, der etwas von einem Midas hat, dem alles zu Gold wird, und der zugleich weniger Schelm als Candide in der besten aller ökonomischen Welten ist, kann das Geld nicht loswerden.
Nicht, dass die Gesellschaft insgesamt besser würde. Anzeichen von Unordnung mehren sich: Das kleine Privat-Bordell zieht gewaltbereite Konkurrenz aus Osteuropa an. Abgewickelte Fabrikbelegschaften protestieren und suchen nach selbstbestimmten Managementalternativen. Nazis tauchen auf. Versuche, die Steuerverwaltung zu bereden, mehr zu zahlen, scheitern bürokratisch. Der Reichtum Peters zieht einen Erpresser an. Die Adoptivmutter wird Direktorin bei der Deutschen Bank und sackt das Filialnetz der Staatsbank der DDR ein. Anders als im Sozialismus übersieht Peter diesmal die Kollateralschäden nicht. Der Schelm wird auf dem rechten Auge sehend.
Eine Begegnung mit Gerhard Schröder - der „ist jemand, der zuhört, der nachfragt, den interessiert, was andere Menschen denken“, wird ihm versichert – gibt Peter den Rest. Übrigens tritt Schröder als einzige historische Figur mit Klarnamen auf, der Roman verlässt also an seinem Ende kurz den Bezirk der Fiktion. Nun sucht Peter verzweifelt die „Selbstreinigung des Kapitalismus“: „Wenn das Geld zum Henker der Dinge wird, hat es keine Berechtigung mehr.“ Am 1. September 1998, kurz vor Schröder Amtsantritt, ist es so weit: An der Weltzeituhr beginnt die diesmal nicht künstlerische, sondern unsymbolische Geldverbrennung, die zu Aufruhr und Einweisung ins Heim führt. Das Geld beweist seine dämonische Macht noch in der Vernichtung, welche die Menschen verrückt macht: „Se können doch nicht unser Jeld verbrenn!“ Allerdings: Geld kann man gar nicht verbrennen. Es steht ja in den Büchern.
Wie alle Kunstwerke vom Geld handelt Ingo Schulzes Roman von einem Fluch. Gibt es ein Jenseits? Ja, an einer Stelle. Peter Holtz reist einmal nach Südfrankreich. Die Schönheit der Sprache dort, das Licht, der Himmel, die Natur überwältigen ihn. „Ich sehe die Dinge und Wesen dieser Welt an, als würde ich zum ersten Mal ihrer Körperlichkeit gewahr. Plötzlich erschreckt mich die Idee: Es muss sich gar nichts ändern! Alles soll bleiben, wie es ist!“
Das wäre die Welt, in der es keine Kluft zwischen den Worten und den Verhältnissen gibt. Ist es wieder einmal das südliche Licht, das vom Hadern mit den Abstraktionen erlöst?
Peter Holtz hat etwas
von einem Midas,
dem alles zu Gold wird
Ingo Schulze
Foto: Regina Schmeken
Links:
Berlin Mitte,
Juli 1992.
Hier wird Peter Holtz
zum Millionär, indem er einstürzende
Altbauten renoviert.
Foto: Gade-Ullstein
Rechts:
Brüssel, Zentrum,
Mai 2017.
In Robert Menasses
Roman wird in der
Hauptstadt Europas
ein Mord vertuscht.
Foto: imago/ZUMA Press
Ingo Schulze:
Peter Holtz. Sein glückliches Leben erzählt von ihm selbst. Roman. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2017. 570 Seiten, 22 Euro. E-Book 19,99 Euro.
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Ein Schelm, wer an das Gute glaubt: In seinem Roman „Peter Holtz. Sein glückliches Leben erzählt von ihm selbst“
schickt Ingo Schulze einen Homunkulus des Sozialismus in den Kapitalismus
VON GUSTAV SEIBT
Am Ende sehen wir Peter Holtz, den Helden und Ich-Erzähler von Ingo Schulzes neuem Roman, als „ökonomischen Häftling“ in Gewahrsam. Er hat Tausend-Mark-Scheine am Berliner Alexanderplatz angezündet, einen nach dem anderen. Das konnte die Zuschauer nicht lange ertragen. Mit der Einweisung in ein Heim schließt sich ein Kreis. Denn am Beginn der Erzählung war der zwölf Jahre alte Peter aus einem Kinderheim ausgerissen. Auf seiner Wanderung hatte er in einem Ausflugslokal gegessen und verweigerte nun die Bezahlung: „Warum soll mir die Gesellschaft das Geld erst aushändigen, wenn dieses Geld über kurz oder lang sowieso wieder bei ihr landet?“
Geld sei im Sozialismus unsinnig, so hat es Peter Holtz von seinen Lehrern gelernt: „Wenn du ohne Geld durch unsere Republik reisen und dich sattessen kannst, dann hat der Kommunismus gesiegt.“ Wir sind in der DDR, im Jahr 1974. Das Ende spielt 1998, am Beginn von Gerhard Schröders Kanzlerschaft. Die mehr als 500 Seiten dazwischen entrollen ein deutsch-deutsches Zeitpanorama, aus der Sicht eines Menschen, der sichtlich ein Problem mit dem Geld hat. Ingo Schulze nennt es im Nachwort einen „Schelmenroman“.
Peter Holtz hat keine Familie, das passt zu dieser Gattung. Er ist, ganz wörtlich, das Kind seines Staates. Ins Heims kam er, so wird ihm erzählt, weil seine Eltern einen tödlichen Unfall hatten. Erst nach der Wende erfährt er, dass sie in den Westen gingen und ihn nicht mitnehmen durften, ohne dass Peter das über die Maßen erschütterte. Auch dass der Leiter des Kinderheims, dessen antifaschistische Heldenhaftigkeit Peter als Kind verehrte, in Wahrheit sein leiblicher Großvater war, kommt erst nach dem Mauerfall ans Licht. Der klassische Schelmenroman hatte es immer mit unvermuteten Abstammungen und überraschenden Wiederbegegnungen zu tun.
Zum Zeitpunkt seiner Flucht aus dem Heim – sie galt der Suche nach dem wunderbaren Heimvater, der versetzt worden sei, in Wahrheit aber verstarb (wieder so eine nachträgliche Schicksalsinformation) – ist Peters kindliche sozialistische Persönlichkeit bereits so gefestigt, dass er von einer ziemlich bürgerlichen Familie des sozialistischen Adels, nämlich Nachfahren eines Widerstandskämpfers gegen die Nazis, adoptiert werden kann. Seine Heimat ist fortan eine bröckelnde Villa in Berlin-Treptow. Man kann an Uwe Tellkamps "Turm" denken. Peter, der schon als Heimkind gegen das Zertrampeln von Grünflächen gekämpft hatte - "warum zerstören wir mutwillig, was uns allen gehört?" - bleibt bei seiner unbedingten sozialistischen Gläubigkeit.
Wenn ein Mitschüler schlecht über den Staat redet, plappert Peter es entrüstet herum, worauf dieser von der Schule fliegt. Einer subversiven Punk-Band dient er als als Sänger, der Parteilieder wie „Sag mir, wo du stehst“ zu harten Elektroklängen so inbrünstig kräht, dass nur er die Ironie nicht versteht. Westbesuche will er mit dem Neuen Deutschland bekehren. Auch mit der Stasi spricht er - warum nicht mit Experten reden? -, allerdings erzählt er auch das herum, sodass die Konspiration misslingt.
Was ist das für ein Schelm? Einmal wird er „ein Kaspar Hauser“ genannt. Dass die Leute den kleinen Streber zu fürchten beginnen, entgeht ihm. Peter Holtz nimmt seine sozialistische Umgebung zum ideologischen Nennwert, als gäbe es keine Kluft zwischen den Worten und der Wirklichkeit. Macht, Gewalt, Zynismus – dafür ist er taub oder farbenblind. Ingo Schulze konstruiert einen Homunkulus des Sozialismus, von dem nicht immer klar ist, ob man ihn komisch oder grauenhaft finden soll.
Daher geht ihm die Filouhaftigkeit klassischer Schelmen von Lazarillo bis zum Soldaten Schweijk ab. Seine Affirmation ist total, sie hat auch nichts von Sklavensprache. Subversiv ist Peter Holtz durch die vollkommene Abwesenheit von Subversivität. Der Name scheint sprechend, er ist ein Holzkopf. Wie bringt man eine solche gläubig kommunistische Figur in den Kapitalismus? Das ist, nach einem etwas behäbig vor sich hintuckerndem Beginn, die interessante Aufgabe, die Ingo Schulze sich vorgenommen hat. Er löst sie mit sanftem Witz. Mit dem Jahr 1989 nimmt der Schelmenroman Fahrt auf.
Zwei Voraussetzungen muss Schulze seinem Peter dafür noch andichten. Schon vor der Wende wird Peter Holtz Christ. In aller Unschuld findet er nämlich, der Kommunismus sei nur die andere Seite des Christentums: „Mit dem Glauben verfüge ich über ein zweites Standbein.“ So kann er in die Ost-CDU eintreten, und mit sich im Reinen bleiben. Die zweite Voraussetzung für Peters Nachwende-Karriere ist sein Immobilienvermögen. Häuser sind eine Last in der DDR, renovierungsbedürftig, kostspielig, ertragsarm. Also wird dem linientreuen Maurer (das lernt der schlichte Schelm) von seiner ostbürgerlichen Umgebung ein Haus nach dem anderen überschrieben. Irgendwann hat er „zwölf Mietshäuser, eine Villa und zwei Buden in Mitte“, und dafür muss er schuften: Er fährt schwarz Taxi, um Geld für Handwerker aufzutreiben.
Beides, die Ost-CDU-Vergangenheit und das Immobilienvermögen, erlaubt Peter Holtz, der den Mauerfall im Koma verschläft wie die Mutter in dem Film „Good bye, Lenin“, eine politisch-ökonomische Blitzkarriere in der Nachwende-DDR. Er kommt in Berührung mit Roman-Stellvertretern von Lothar de Maizière und Angela Merkel. Die Schrottimmobilien sind auf einmal großes Kapital. Peter Holtz ist kurz Wende-Held, und auf Dauer Millionär.
Hier wird der Roman lustig, er bekommt etwas vom Brio der Anfänge Ingo Schulzes, die ja immer wieder vom Augenblick des Glücks der ungeheuren Offenheit 1989/90 handelten. Peter Holtz lernt den Kapitalismus nicht nur kennen, irgendwann verinnerlicht er ihn. Er will gut sein zu seinen Mietern, aber auch zu einer Prostituierten, bei der er zu seiner grenzenlosen Überraschung erfahren hat, dass Sex für Geld funktioniert. Also richtet er ihr ein kleines kuschliges Bordell in der Auguststraße, dem späteren Galerie- und Kunstkiez in Mitte ein.
„Holtz-Immobilien“ ist kurz davor, zum Imperium zu werden: Shopping-Malls an Fabkrikstandorten, Wellness in einer Traglufthalle, Schnäppchen bei der Treuhand. Peter schlafwandelt weiter treuherzig durch die Welt, diesmal lässt er sich, bezeichnenderweise von einem Kunsthändler, in Marktwirtschaft belehren. Wer Eigentum verschenken wolle, erklärt ihm dieser, der überlasse die Geschicke dem Zufall, schaffe bestenfalls Lottogewinne für die Empfänger.
Volkseigentum werde verschlissen (der zertrampelte Rasen vorm Kinderheim!), nur Eigentum erlaube Verantwortung, und überhaupt: „Es ist noch kein besseres Mittel als Geld erfunden worden, um Gerechtigkeit herzustellen.“ Die Religion von Eigentum und Verantwortung übernimmt Peters hölzerner Kopf erst einmal. Sogar shoppen und ein wenig genießen lernt er, das tiefe Befremden über die Warenwelt mit ihren nachwachsenden Regalen im Supermarkt und dem Service-Sprech des Personals, hält eine Erfahrung von 1990 frisch. Aber freilich: Es bleibt Peter unangenehm, von Dienern bedient zu werden, auch wenn man ihm hundertmal erklärt, das sei Arbeitsteilung. Das sozialistische Ich ist nicht tot, es wird ja noch gebraucht.
Fassungslos erkennt Peter Holtz, der eine subversive Halbschwester hat, die eine Galerie führt, dass Kunst Geld schaffen kann. Peter wird zu einer Performance verleitet, bei der er in einer Galerie mehr als 800 000 DM in Scheinen verbrennt. Wird hier Geld vernichtet? Keineswegs! Der Film, der das Event dokumentiert, bringt schon in erster Lizenz mehr als eine Million DM ein. Peter Holtz, der etwas von einem Midas hat, dem alles zu Gold wird, und der zugleich weniger Schelm als Candide in der besten aller ökonomischen Welten ist, kann das Geld nicht loswerden.
Nicht, dass die Gesellschaft insgesamt besser würde. Anzeichen von Unordnung mehren sich: Das kleine Privat-Bordell zieht gewaltbereite Konkurrenz aus Osteuropa an. Abgewickelte Fabrikbelegschaften protestieren und suchen nach selbstbestimmten Managementalternativen. Nazis tauchen auf. Versuche, die Steuerverwaltung zu bereden, mehr zu zahlen, scheitern bürokratisch. Der Reichtum Peters zieht einen Erpresser an. Die Adoptivmutter wird Direktorin bei der Deutschen Bank und sackt das Filialnetz der Staatsbank der DDR ein. Anders als im Sozialismus übersieht Peter diesmal die Kollateralschäden nicht. Der Schelm wird auf dem rechten Auge sehend.
Eine Begegnung mit Gerhard Schröder - der „ist jemand, der zuhört, der nachfragt, den interessiert, was andere Menschen denken“, wird ihm versichert – gibt Peter den Rest. Übrigens tritt Schröder als einzige historische Figur mit Klarnamen auf, der Roman verlässt also an seinem Ende kurz den Bezirk der Fiktion. Nun sucht Peter verzweifelt die „Selbstreinigung des Kapitalismus“: „Wenn das Geld zum Henker der Dinge wird, hat es keine Berechtigung mehr.“ Am 1. September 1998, kurz vor Schröder Amtsantritt, ist es so weit: An der Weltzeituhr beginnt die diesmal nicht künstlerische, sondern unsymbolische Geldverbrennung, die zu Aufruhr und Einweisung ins Heim führt. Das Geld beweist seine dämonische Macht noch in der Vernichtung, welche die Menschen verrückt macht: „Se können doch nicht unser Jeld verbrenn!“ Allerdings: Geld kann man gar nicht verbrennen. Es steht ja in den Büchern.
Wie alle Kunstwerke vom Geld handelt Ingo Schulzes Roman von einem Fluch. Gibt es ein Jenseits? Ja, an einer Stelle. Peter Holtz reist einmal nach Südfrankreich. Die Schönheit der Sprache dort, das Licht, der Himmel, die Natur überwältigen ihn. „Ich sehe die Dinge und Wesen dieser Welt an, als würde ich zum ersten Mal ihrer Körperlichkeit gewahr. Plötzlich erschreckt mich die Idee: Es muss sich gar nichts ändern! Alles soll bleiben, wie es ist!“
Das wäre die Welt, in der es keine Kluft zwischen den Worten und den Verhältnissen gibt. Ist es wieder einmal das südliche Licht, das vom Hadern mit den Abstraktionen erlöst?
Peter Holtz hat etwas
von einem Midas,
dem alles zu Gold wird
Ingo Schulze
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Links:
Berlin Mitte,
Juli 1992.
Hier wird Peter Holtz
zum Millionär, indem er einstürzende
Altbauten renoviert.
Foto: Gade-Ullstein
Rechts:
Brüssel, Zentrum,
Mai 2017.
In Robert Menasses
Roman wird in der
Hauptstadt Europas
ein Mord vertuscht.
Foto: imago/ZUMA Press
Ingo Schulze:
Peter Holtz. Sein glückliches Leben erzählt von ihm selbst. Roman. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2017. 570 Seiten, 22 Euro. E-Book 19,99 Euro.
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