Peter Yorck von Wartenburg (1904-1944) gehört zu den Schlüsselfiguren des Widerstands gegen Hitler. Auf der Grundlage vieler bislang unbekannter Dokumente beschreibt Günter Brakelmann, wie aus dem preußischen Adligen der "demokratische Graf" wurde, der zusammen mit Helmuth James von Moltke im Kreisauer Kreis ein Deutschland nach Hitler plante und zusammen mit Claus von Stauffenberg das Attentat vom 20. Juli 1944 vorbereitete.
Das schlesische Gut Klein-Oels war eine Welt für sich: Peter Yorcks Großvater hatte hier die größte Adelsbibliothek Deutschlands zusammengetragen. Sein Vater sprach sieben Sprachen und legte Wert auf seine "loyale Opposition" gegen den Kaiser. Das antike Griechenland war den zehn Geschwistern ebenso nah wie Preußen. Günter Brakelmann schildert einfühlsam die familiären Traditionen, aus denen heraus Peter Yorck Jurist wurde, auf eine Karriere als Beamter verzichtete und schließlich zusammen mit seiner Frau Marion in den Widerstand ging. Nach Stephan Hermlins Erzählung "Der Lieutnant Yorck von Wartenburg" von 1946 liegt mit diesem Buch die erste Biographie über eine der eindrucksvollsten Gestalten des deutschen Widerstands vor.
Das schlesische Gut Klein-Oels war eine Welt für sich: Peter Yorcks Großvater hatte hier die größte Adelsbibliothek Deutschlands zusammengetragen. Sein Vater sprach sieben Sprachen und legte Wert auf seine "loyale Opposition" gegen den Kaiser. Das antike Griechenland war den zehn Geschwistern ebenso nah wie Preußen. Günter Brakelmann schildert einfühlsam die familiären Traditionen, aus denen heraus Peter Yorck Jurist wurde, auf eine Karriere als Beamter verzichtete und schließlich zusammen mit seiner Frau Marion in den Widerstand ging. Nach Stephan Hermlins Erzählung "Der Lieutnant Yorck von Wartenburg" von 1946 liegt mit diesem Buch die erste Biographie über eine der eindrucksvollsten Gestalten des deutschen Widerstands vor.
Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Joachim Käppner begrüßt Günter Brakelmanns Biographie über Peter Yorck von Wartenburg, einen Widerstandskämpfer gegen den Nationalismus, der auch am gescheiterten Hitlerattentat vom 20. Juli 1944 beteiligt war. Er schätzt den Autor als einen der "besten Kenner" des deutschen Militärwiderstandes. Dem Historiker gelingt es in seinen Augen eindrucksvoll, die Herkunft, die Familie und das Milieu, aus dem der Adelige stammte, lebendig werden zu lassen, die Leistung von Wartenburgs, sich aus dem Bannkreis dieses Denkens zu befreien, zu vergegenwärtigen und zu zeigen, wie dieser zu einem der wichtigsten Köpfe des Kreisauer Kreises wurde. Spannend findet Käppner insbesondere, wie der Autor die theoretischen Debatten dieses Kreises entfaltet. Lobend erwähnt er zudem die jargonfreie Sprache des Buchs, die lebendige Darstellung und den Umstand, dass der Autor von Wartenburg in Briefen und anderen Dokumenten häufig selbst zu Wort kommt lässt.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 01.06.2012Das Fundament für ein anderes Deutschland
Sehnsucht nach dem Licht: Zwei neue Biografien erzählen vom Leben und vom Widerstand des Hans Scholl und des Peter Graf Yorck von Wartenburg
Inge Scholl hatte ihre Geschwister überlebt. Doch ihr Leben blieb, wie sie sagte, „durchwoben von Sophie und Hans“, den 1943 hingerichteten Begründern der Widerstandsgruppe „Weiße Rose“. Inge, gestorben 1981, hielt die Erinnerung an einen einzigartigen Kampf wach. „Alle Kraft, die man dort verschwendet“, hatte Hans Scholl über die Gruppe gesagt, „fließt unvermindert wieder ins eigene Herz.“
Einer der letzten, der Peter Graf Yorck von Wartenburg sah, war 1944 in Plötzensee der Gefängnispfarrer Harald Poelchau: „Der zurückhaltende, leise sprechende, im ersten Augenblick etwas degeneriert wirkende Mann überraschte durch die Schärfe seiner Redeweise.“ Yorck galt als Verbindungsmann zwischen den verschiedenen Gruppen des Widerstandes, was Poelchau sehr imponierte.
Zwei Männer des Widerstandes, zwei Erinnerungen an sie. Heute kann man sich kaum noch vorstellen, wie viel Zeit und Kraft es in der Bundesrepublik gebraucht hatte, bis der Widerstand gegen Hitler anerkannt, gar als Vorbild und Traditionsstifter angesehen wurde. Mit der Zeit fand sich ein Dreigestirn von Hitlergegnern, die mit dem Selbstbild der jungen Bundesrepublik kompatibel waren und auf die sie sich stolz berief: Die bekennende Kirche, der 20. Juli, die „Weiße Rose“: Geistliche, Offiziere, bürgerliche Jugend. Es dauerte noch Jahrzehnte, bis viel breitere Kreise Anerkennung fanden: der Arbeiterwiderstand, die Kommunisten der „Roten Kapelle“, die Retter von Verfolgten und viele andere. CDU und CSU brauchten mehr als ein halbes Jahrhundert, um sich mit dem nicht allzu fernen Gedanken abzufinden, dass Männer, die nicht Soldaten für Hitlers Vernichtungskrieg sein wollten, vielleicht doch etwas anderes darstellen könnten als Drückeberger und Fahnenflüchtige. Ganz abgeschlossen ist der Prozess, den Widerstand jenseits elitärer Gruppen zu erforschen, noch nicht; doch weiterhin faszinieren diese die Leser wie Forscher am meisten, wie die beiden neuen Bücher zum Widerstand belegen.
Der Bochumer Zeitgeschichts-Professor Günter Brakelmann, Jahrgang 1931, ist einer der besten Kenner des deutschen Militärwiderstandes; seine Biografie von Peter Yorck von Wartenburg nimmt auf ruhige, aber sprachlich lebendige Weise einen der weniger bekannten Köpfe des 20. Juli zum Thema.
In dieser schlesischen Familie bildet sich das deutsche Verhängnis wie in einem Brennglas ab. Generalfeldmarschall Johann David Ludwig Graf Yorck zu Wartenburg zählte zu den Nationalheroen des 19. Jahrhunderts, ein mutiger Mann, welcher der Stimme des Gewissens folgte, als er im Winter des Jahres 1812 Preußen aus dem demütigenden Bündnis mit Napoleon löste, über den Kopf des zaudernden, furchtsamen Königs in Berlin hinweg.
Er wurde, wie Brakelmann schreibt, zu „einem frühen Beispiel für politische Mitverantwortung des militärischen Befehlshabers, dem es sein Gewissen verbietet, sich auf den unbedingten Gehorsam gegenüber der obersten Befehlsinstanz zu berufen“. Das Gegenteil also der Militärkamarilla, die einige Generationen später Adolf Hitler umgab.
Dem freisinnigen Feldmarschall folgten sein Sohn, der hochgebildete Reformer Ludwig Graf Yorck, und der Enkel, der Philosoph Paul Graf Yorck. Als dieser 1897 starb, hatte sich das Zeitklima radikal geändert; aus dem preußischen Humanismus war längst ein scharfer, demokratiefeindlicher Nationalismus geworden; die verlorene Revolution von 1848 hatte alles verändert und dauerhaft zum Schlechteren.
Die Einheit der Nation und die Freiheit, dies waren seither Gegensätze; und wo die Eliten in Frankreich, England und die USA den freiheitlichen Staat als den ihren betrachteten, gerieten die deutschen Oberschichten in den Bann eines unfreiheitlichen Denkens, das der Humorist Joachim Ringelnatz am Beispiel der Familie Yorck 1912 selbst erlebte: „Ich spielte mit den Knaben. Einmal im Jahr mussten sie mit Bleisoldaten in einem Zimmer die Schlacht bei Leipzig aufführen, und zwar nach Stellung, Regimentern usw., streng historisch.“
So also wuchs Peter Yorck auf, der Ururenkel des Marschalls; der Sohn Heinrich Graf Yorcks. Die lebendige Milieuschilderung Brakelmanns erlaubt es, die Leistung Peter Yorcks zu verstehen, sich diesem Denken zu entziehen und zu einem prägenden Mann des Kreisauer Kreises zu werden.
Am Ende dieses Weges wird er 1944 nach dem gescheiterten Attentat auf Hitler vor dem Volksgerichtshof stehen und den „Totalitätsanspruch des Staates“ zu verdammen „gegenüber dem Staatsbürger unter Ausschaltung seiner religiösen und sittlichen Verpflichtungen Gott gegenüber“. Er und seine Mitverschwörer wurden, wie Brakelmann am Ende schreibt, „zum Fundament für ein anderes Deutschland“.
Wie fern die Verschwörer freilich der parlamentarischen Demokratie waren, zeigen die erregten Theoriedebatten des Kreisauer Kreises, die Brakelmann in fesselnder Weise entfaltet. In der Auseinandersetzung mit und im Gegensatz zu Helmuth James von Moltke sah Yorck im Staat „eine Schöpfungsordnung Gottes, die vom Menschen innerlich als Voraussetzung für ein gutes Zusammenleben bejaht werden musste“.
Männer wie Yorck waren einsam, sehr einsam sogar, sie lebten ein Leben unter enormem Risiko und mit geringen Aussichten, die bessere Zukunft, die sie auf ihren heimlichen Treffen entwarfen, jemals selbst zu sehen. Das war bei Yorck, dem Adeligen aus bestem Hause, nicht anders als dem bürgerlichen Medizinstudenten Hans Scholl.
Die junge Historikerin Barbara Ellermeier hat nun die erste eigenständige Biografie dieses Gründungsmitgliedes der „Weißen Rose“ aus München vorgelegt; Hans Scholl hat in der Nachbetrachtung stets im Schatten seiner Schwester Sophie gestanden. Beide wurden 1943 ermordet, nachdem sie Flugblätter gegen das Regime im Lichthof der Münchner Universität ausgelegt hatten.
Es ist ein fesselndes, ja packendes Buch, geschrieben mit literarischem Anspruch, gestützt auf viele erst seit kurzem zugängliche persönliche Zeugnisse Scholls aus dem Institut für Zeitgeschichte. Es ist ein Leben in Nahaufnahme, das Ellermeier da zeigt, fast wie in einer Kamerafahrt begleitet sie ihn von seinen Jugendjahren als HJ-Führer und völkisch-mystischem Schwärmer zu einem ebenfalls stark christlich motivierten Kampf gegen das Nazitum: „Je dunkler die Schatten über eine Epoche hereinfallen, desto größer wird die Sehnsucht einzelner Menschen nach dem Lichte . . . : Christus.“
Nicht, dass Hans Scholl dies als junger Mann im Sinn gehabt hätte. Er war zum Verdruss des Vaters begeisterter Anführer der Hitlerjugend, und er sei dort, schrieb er der Mutter, „eine Stufe höher gestiegen. Heil! Dein Hans.“ In der Nazijugend, Teilnahme verpflichtend, „können sich halbe Kinder eine Welt ohne Eltern einrichten“, schreibt die Autorin zutreffend, dort werden sie indoktriniert. Weil der junge Scholl aber auch der schwärmerisch-mystischen bündischen Jugend nahesteht, wird er 1937, damals schon Soldat, in Untersuchungshaft genommen.
Der Schock öffnet ihm die Augen, und der Krieg sowie die Begegnung mit dem katholischen Intellektuellen Carl Muth führen den Jungen immer tiefer in den Widerstand hinein. „Ein Ungeist ist es, dem Du dienst in dieser verzweifelten Stunde“, schreibt er 1942 in Russland in sein Tagebuch.
Es ist das Verdienst der Autorin, die führende Rolle, die Hans Scholl neben seiner Schwester Sophie in der „Weißen Rose“ spielte, deutlich ausgeleuchtet zu haben. Ob das verehrte Vorbild Carl Muth in deren Aktionen eingeweiht war, diese alte Frage kann übrigens auch Ellermeier mangels Quellen nicht beantworten. Die Scholls haben dies nach ihrer Verhaftung 1943 bestritten, vielleicht nur, um ihn zu schonen – was auch gelang.
Es sind zwei kluge, den Blick erweiternde Bücher. Beide Autoren lassen mehr ihre Hauptpersonen sprechen, durch Briefe, Zeugenberichte, Dokumente, als dass sie sich selbst in der Vordergrund drängen würden. Beide vermeiden es glücklicherweise, in jenes unbegreifliche Fachkauderwelsch zu verfallen, das nicht wenige deutsche Historiker noch immer für einen Ausweis ihrer Wissenschaftlichkeit betrachten (nach dem Motto: Je weniger Leser mich verstehen, desto besser muss ich sein).
Beide Bücher sind mit Gewinn zu lesen, freilich muss man als Leser kein Beckmesser sein, um hier wie dort etwas zu vermissen: sowohl eine Einleitung, die mit dem Forschungsstand vertraut machen würde, als auch ein Fazit, das Yorck von Wartenburg und Hans Scholl noch einmal historisch einordnen würde. In Ellermeiers Buch findet sich gar ein Kuriosum, das hoffentlich nicht Schule macht. Es enthält zwar ein paar Literaturtitel, verweist für weitere Anmerkungen und Belege aber auf die Homepage von Verlag und Autorin. Bei Hoffmann und Campe darf sich der Suchende dann namentlich auf eine Online-Liste setzen lassen, die seit dem 10. Mai dann „kostenlos“ gemailt wird, als sei die Lieferung von Anmerkungen eine überaus großherzige Gabe des Verlages. Derlei kannte man bisher eher aus Computerspielchen. Das ist nicht nur albern, sondern für den Leser auch sehr lästig.
JOACHIM KÄPPNER
GÜNTER BRAKELMANN: Peter Yorck von Wartenburg 1904-1944. Eine Biographie. Verlag C. H. Beck, München 2012. 336 Seiten, 24,95 Euro.
BARBARA ELLERMEIER: Hans Scholl. Biographie. Hoffmann und Campe, Hamburg 2012. 429 Seiten, 24,99 Euro.
Vor dem Volksgerichtshof
verdammte er den
„Totalitätsanspruch des Staates“
Hier kommen vor allem die
Hauptpersonen zu Wort,
in Briefen und Zeitdokumenten
Peter Graf Yorck von Wartenburg als Leutnant der Reserve (oben, um 1942) Hans Scholl, Gründer der Widerstandsorganisation „ Die Weiße Rose“. Fotos: bpk, Geschwister-Scholl-Archiv
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Sehnsucht nach dem Licht: Zwei neue Biografien erzählen vom Leben und vom Widerstand des Hans Scholl und des Peter Graf Yorck von Wartenburg
Inge Scholl hatte ihre Geschwister überlebt. Doch ihr Leben blieb, wie sie sagte, „durchwoben von Sophie und Hans“, den 1943 hingerichteten Begründern der Widerstandsgruppe „Weiße Rose“. Inge, gestorben 1981, hielt die Erinnerung an einen einzigartigen Kampf wach. „Alle Kraft, die man dort verschwendet“, hatte Hans Scholl über die Gruppe gesagt, „fließt unvermindert wieder ins eigene Herz.“
Einer der letzten, der Peter Graf Yorck von Wartenburg sah, war 1944 in Plötzensee der Gefängnispfarrer Harald Poelchau: „Der zurückhaltende, leise sprechende, im ersten Augenblick etwas degeneriert wirkende Mann überraschte durch die Schärfe seiner Redeweise.“ Yorck galt als Verbindungsmann zwischen den verschiedenen Gruppen des Widerstandes, was Poelchau sehr imponierte.
Zwei Männer des Widerstandes, zwei Erinnerungen an sie. Heute kann man sich kaum noch vorstellen, wie viel Zeit und Kraft es in der Bundesrepublik gebraucht hatte, bis der Widerstand gegen Hitler anerkannt, gar als Vorbild und Traditionsstifter angesehen wurde. Mit der Zeit fand sich ein Dreigestirn von Hitlergegnern, die mit dem Selbstbild der jungen Bundesrepublik kompatibel waren und auf die sie sich stolz berief: Die bekennende Kirche, der 20. Juli, die „Weiße Rose“: Geistliche, Offiziere, bürgerliche Jugend. Es dauerte noch Jahrzehnte, bis viel breitere Kreise Anerkennung fanden: der Arbeiterwiderstand, die Kommunisten der „Roten Kapelle“, die Retter von Verfolgten und viele andere. CDU und CSU brauchten mehr als ein halbes Jahrhundert, um sich mit dem nicht allzu fernen Gedanken abzufinden, dass Männer, die nicht Soldaten für Hitlers Vernichtungskrieg sein wollten, vielleicht doch etwas anderes darstellen könnten als Drückeberger und Fahnenflüchtige. Ganz abgeschlossen ist der Prozess, den Widerstand jenseits elitärer Gruppen zu erforschen, noch nicht; doch weiterhin faszinieren diese die Leser wie Forscher am meisten, wie die beiden neuen Bücher zum Widerstand belegen.
Der Bochumer Zeitgeschichts-Professor Günter Brakelmann, Jahrgang 1931, ist einer der besten Kenner des deutschen Militärwiderstandes; seine Biografie von Peter Yorck von Wartenburg nimmt auf ruhige, aber sprachlich lebendige Weise einen der weniger bekannten Köpfe des 20. Juli zum Thema.
In dieser schlesischen Familie bildet sich das deutsche Verhängnis wie in einem Brennglas ab. Generalfeldmarschall Johann David Ludwig Graf Yorck zu Wartenburg zählte zu den Nationalheroen des 19. Jahrhunderts, ein mutiger Mann, welcher der Stimme des Gewissens folgte, als er im Winter des Jahres 1812 Preußen aus dem demütigenden Bündnis mit Napoleon löste, über den Kopf des zaudernden, furchtsamen Königs in Berlin hinweg.
Er wurde, wie Brakelmann schreibt, zu „einem frühen Beispiel für politische Mitverantwortung des militärischen Befehlshabers, dem es sein Gewissen verbietet, sich auf den unbedingten Gehorsam gegenüber der obersten Befehlsinstanz zu berufen“. Das Gegenteil also der Militärkamarilla, die einige Generationen später Adolf Hitler umgab.
Dem freisinnigen Feldmarschall folgten sein Sohn, der hochgebildete Reformer Ludwig Graf Yorck, und der Enkel, der Philosoph Paul Graf Yorck. Als dieser 1897 starb, hatte sich das Zeitklima radikal geändert; aus dem preußischen Humanismus war längst ein scharfer, demokratiefeindlicher Nationalismus geworden; die verlorene Revolution von 1848 hatte alles verändert und dauerhaft zum Schlechteren.
Die Einheit der Nation und die Freiheit, dies waren seither Gegensätze; und wo die Eliten in Frankreich, England und die USA den freiheitlichen Staat als den ihren betrachteten, gerieten die deutschen Oberschichten in den Bann eines unfreiheitlichen Denkens, das der Humorist Joachim Ringelnatz am Beispiel der Familie Yorck 1912 selbst erlebte: „Ich spielte mit den Knaben. Einmal im Jahr mussten sie mit Bleisoldaten in einem Zimmer die Schlacht bei Leipzig aufführen, und zwar nach Stellung, Regimentern usw., streng historisch.“
So also wuchs Peter Yorck auf, der Ururenkel des Marschalls; der Sohn Heinrich Graf Yorcks. Die lebendige Milieuschilderung Brakelmanns erlaubt es, die Leistung Peter Yorcks zu verstehen, sich diesem Denken zu entziehen und zu einem prägenden Mann des Kreisauer Kreises zu werden.
Am Ende dieses Weges wird er 1944 nach dem gescheiterten Attentat auf Hitler vor dem Volksgerichtshof stehen und den „Totalitätsanspruch des Staates“ zu verdammen „gegenüber dem Staatsbürger unter Ausschaltung seiner religiösen und sittlichen Verpflichtungen Gott gegenüber“. Er und seine Mitverschwörer wurden, wie Brakelmann am Ende schreibt, „zum Fundament für ein anderes Deutschland“.
Wie fern die Verschwörer freilich der parlamentarischen Demokratie waren, zeigen die erregten Theoriedebatten des Kreisauer Kreises, die Brakelmann in fesselnder Weise entfaltet. In der Auseinandersetzung mit und im Gegensatz zu Helmuth James von Moltke sah Yorck im Staat „eine Schöpfungsordnung Gottes, die vom Menschen innerlich als Voraussetzung für ein gutes Zusammenleben bejaht werden musste“.
Männer wie Yorck waren einsam, sehr einsam sogar, sie lebten ein Leben unter enormem Risiko und mit geringen Aussichten, die bessere Zukunft, die sie auf ihren heimlichen Treffen entwarfen, jemals selbst zu sehen. Das war bei Yorck, dem Adeligen aus bestem Hause, nicht anders als dem bürgerlichen Medizinstudenten Hans Scholl.
Die junge Historikerin Barbara Ellermeier hat nun die erste eigenständige Biografie dieses Gründungsmitgliedes der „Weißen Rose“ aus München vorgelegt; Hans Scholl hat in der Nachbetrachtung stets im Schatten seiner Schwester Sophie gestanden. Beide wurden 1943 ermordet, nachdem sie Flugblätter gegen das Regime im Lichthof der Münchner Universität ausgelegt hatten.
Es ist ein fesselndes, ja packendes Buch, geschrieben mit literarischem Anspruch, gestützt auf viele erst seit kurzem zugängliche persönliche Zeugnisse Scholls aus dem Institut für Zeitgeschichte. Es ist ein Leben in Nahaufnahme, das Ellermeier da zeigt, fast wie in einer Kamerafahrt begleitet sie ihn von seinen Jugendjahren als HJ-Führer und völkisch-mystischem Schwärmer zu einem ebenfalls stark christlich motivierten Kampf gegen das Nazitum: „Je dunkler die Schatten über eine Epoche hereinfallen, desto größer wird die Sehnsucht einzelner Menschen nach dem Lichte . . . : Christus.“
Nicht, dass Hans Scholl dies als junger Mann im Sinn gehabt hätte. Er war zum Verdruss des Vaters begeisterter Anführer der Hitlerjugend, und er sei dort, schrieb er der Mutter, „eine Stufe höher gestiegen. Heil! Dein Hans.“ In der Nazijugend, Teilnahme verpflichtend, „können sich halbe Kinder eine Welt ohne Eltern einrichten“, schreibt die Autorin zutreffend, dort werden sie indoktriniert. Weil der junge Scholl aber auch der schwärmerisch-mystischen bündischen Jugend nahesteht, wird er 1937, damals schon Soldat, in Untersuchungshaft genommen.
Der Schock öffnet ihm die Augen, und der Krieg sowie die Begegnung mit dem katholischen Intellektuellen Carl Muth führen den Jungen immer tiefer in den Widerstand hinein. „Ein Ungeist ist es, dem Du dienst in dieser verzweifelten Stunde“, schreibt er 1942 in Russland in sein Tagebuch.
Es ist das Verdienst der Autorin, die führende Rolle, die Hans Scholl neben seiner Schwester Sophie in der „Weißen Rose“ spielte, deutlich ausgeleuchtet zu haben. Ob das verehrte Vorbild Carl Muth in deren Aktionen eingeweiht war, diese alte Frage kann übrigens auch Ellermeier mangels Quellen nicht beantworten. Die Scholls haben dies nach ihrer Verhaftung 1943 bestritten, vielleicht nur, um ihn zu schonen – was auch gelang.
Es sind zwei kluge, den Blick erweiternde Bücher. Beide Autoren lassen mehr ihre Hauptpersonen sprechen, durch Briefe, Zeugenberichte, Dokumente, als dass sie sich selbst in der Vordergrund drängen würden. Beide vermeiden es glücklicherweise, in jenes unbegreifliche Fachkauderwelsch zu verfallen, das nicht wenige deutsche Historiker noch immer für einen Ausweis ihrer Wissenschaftlichkeit betrachten (nach dem Motto: Je weniger Leser mich verstehen, desto besser muss ich sein).
Beide Bücher sind mit Gewinn zu lesen, freilich muss man als Leser kein Beckmesser sein, um hier wie dort etwas zu vermissen: sowohl eine Einleitung, die mit dem Forschungsstand vertraut machen würde, als auch ein Fazit, das Yorck von Wartenburg und Hans Scholl noch einmal historisch einordnen würde. In Ellermeiers Buch findet sich gar ein Kuriosum, das hoffentlich nicht Schule macht. Es enthält zwar ein paar Literaturtitel, verweist für weitere Anmerkungen und Belege aber auf die Homepage von Verlag und Autorin. Bei Hoffmann und Campe darf sich der Suchende dann namentlich auf eine Online-Liste setzen lassen, die seit dem 10. Mai dann „kostenlos“ gemailt wird, als sei die Lieferung von Anmerkungen eine überaus großherzige Gabe des Verlages. Derlei kannte man bisher eher aus Computerspielchen. Das ist nicht nur albern, sondern für den Leser auch sehr lästig.
JOACHIM KÄPPNER
GÜNTER BRAKELMANN: Peter Yorck von Wartenburg 1904-1944. Eine Biographie. Verlag C. H. Beck, München 2012. 336 Seiten, 24,95 Euro.
BARBARA ELLERMEIER: Hans Scholl. Biographie. Hoffmann und Campe, Hamburg 2012. 429 Seiten, 24,99 Euro.
Vor dem Volksgerichtshof
verdammte er den
„Totalitätsanspruch des Staates“
Hier kommen vor allem die
Hauptpersonen zu Wort,
in Briefen und Zeitdokumenten
Peter Graf Yorck von Wartenburg als Leutnant der Reserve (oben, um 1942) Hans Scholl, Gründer der Widerstandsorganisation „ Die Weiße Rose“. Fotos: bpk, Geschwister-Scholl-Archiv
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