Paris, Wien, Berlin: Diese drei Städte stehen gewöhnlich für die Geburt der Moderne in Europa. Doch es fehlt eine vierte Stadt: St. Petersburg. Auch dort war zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts alles in Bewegung: Utopisten entwarfen ein neues Russland, Künstler suchten nach einem neuen Ausdruck für die Zeit und Bankiers und Industrielle verknüpften Sankt Petersburg mit der europäischen Ökonomie. Doch Krieg und Revolution setzten dem Aufbruch ein jähes Ende.
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 01.03.2007Bücherecke
Blicke auf eine geplante Stadt
Zwei Dutzend Autoren versuchen eine ideengeschichtliche Annäherung an Sankt Petersburg
So sehr sich Sankt Petersburg für solch ein Vorhaben eignet: Es erstaunt dann doch, wie überzeugend es den Herausgebern Karl Schlögel, Frithjof Benjamin Schenk und Markus Ackeret gelungen ist, eine profunde Stadtgeschichte zu veröffentlichen, die zugleich als kluger Reiseführer taugt. Herausgeber wie Autoren des Buchs „Sankt Petersburg. Schauplätze einer Stadtgeschichte” profitieren davon, dass sich die symbolische Topographie besonders anschaulich beschreiben lässt, weil Sankt Petersburg eine geplante Stadt ist. Ihr Charakter als Erinnerungsort und steinernes Monument für den Gründer Peter den Großen lässt sich ebenso deutlich ablesen wie ihre Position an der Schnittstelle zwischen Mitteleuropa und Russland sowie die ursprüngliche Bestimmung als Marinestadt. Um diesen Charakter der Stadt für Besucher erlebbar zu machen, verzichten Schlögel, Schenk und Ackeret auf eine streng chronologische Form der Stadtgeschichtsschreibung. Stattdessen erschließen sie die Historie über das bestehende Stadtbild, setzen also ideengeschichtlich an. Auf diese Art virtueller Spaziergänge prägen sich die städtische Entwicklung und die politischen Zusammenhänge um Vieles besser ein.
Zar Peter der Große hat den Schutzpatronen von Sankt Petersburg, die er gewählt hat und die wiederum stark auf ihn verweisen, zentrale Orte zugewiesen. Nukleus der Stadt ist die Peter-und-Paul-Festung auf der Haseninsel, hinzu kommen die Isaaks-Kathedrale – der Feiertag des Heiligen im Kirchenkalender fällt auf des Zaren Geburtstag – und das Alexander-Newskij-Kloster. Hatte Peter der Große den Kult um seine Person noch hinter der Heiligenverehrung verbrämt, richteten seine Nachfolger den Fokus auf ihn selbst: durch Sakralisierung authentischer Orte wie des Zaren erstes Wohngebäude und die Schaffung künstlicher Stätten wie das Reiterdenkmal neben der Isaaks-Kathedrale.
Schlüssig belegen die Autoren, warum die Neuausrichtung des symbolischen Koordinatennetzes auf Lenin fehlschlug, wie sich im späten 19. Jahrhundert die Bestrebungen einer Russifizierung in der Architektur dieser europäisch geprägten Metropole manifestierten oder welchen Stellenwert die Marine hatte: Die drei wichtigsten Sichtachsen von Sankt Petersburg laufen nicht auf die Festung zu, sondern auf die Admiralität. Anke Hilbrenner gelingt es schließlich sogar, „Spuren jüdischer Abwesenheit” ausfindig zu machen. STEFAN FISCHER
KARL SCHLÖGEL, FRITHJOF BENJAMIN SCHENK, MARKUS ACKERET (Hrsg.): Sankt Petersburg. Schauplätze einer Stadtgeschichte. Campus Verlag, Frankfurt am Main 2007, 440 Seiten, 29,90 Euro.
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Blicke auf eine geplante Stadt
Zwei Dutzend Autoren versuchen eine ideengeschichtliche Annäherung an Sankt Petersburg
So sehr sich Sankt Petersburg für solch ein Vorhaben eignet: Es erstaunt dann doch, wie überzeugend es den Herausgebern Karl Schlögel, Frithjof Benjamin Schenk und Markus Ackeret gelungen ist, eine profunde Stadtgeschichte zu veröffentlichen, die zugleich als kluger Reiseführer taugt. Herausgeber wie Autoren des Buchs „Sankt Petersburg. Schauplätze einer Stadtgeschichte” profitieren davon, dass sich die symbolische Topographie besonders anschaulich beschreiben lässt, weil Sankt Petersburg eine geplante Stadt ist. Ihr Charakter als Erinnerungsort und steinernes Monument für den Gründer Peter den Großen lässt sich ebenso deutlich ablesen wie ihre Position an der Schnittstelle zwischen Mitteleuropa und Russland sowie die ursprüngliche Bestimmung als Marinestadt. Um diesen Charakter der Stadt für Besucher erlebbar zu machen, verzichten Schlögel, Schenk und Ackeret auf eine streng chronologische Form der Stadtgeschichtsschreibung. Stattdessen erschließen sie die Historie über das bestehende Stadtbild, setzen also ideengeschichtlich an. Auf diese Art virtueller Spaziergänge prägen sich die städtische Entwicklung und die politischen Zusammenhänge um Vieles besser ein.
Zar Peter der Große hat den Schutzpatronen von Sankt Petersburg, die er gewählt hat und die wiederum stark auf ihn verweisen, zentrale Orte zugewiesen. Nukleus der Stadt ist die Peter-und-Paul-Festung auf der Haseninsel, hinzu kommen die Isaaks-Kathedrale – der Feiertag des Heiligen im Kirchenkalender fällt auf des Zaren Geburtstag – und das Alexander-Newskij-Kloster. Hatte Peter der Große den Kult um seine Person noch hinter der Heiligenverehrung verbrämt, richteten seine Nachfolger den Fokus auf ihn selbst: durch Sakralisierung authentischer Orte wie des Zaren erstes Wohngebäude und die Schaffung künstlicher Stätten wie das Reiterdenkmal neben der Isaaks-Kathedrale.
Schlüssig belegen die Autoren, warum die Neuausrichtung des symbolischen Koordinatennetzes auf Lenin fehlschlug, wie sich im späten 19. Jahrhundert die Bestrebungen einer Russifizierung in der Architektur dieser europäisch geprägten Metropole manifestierten oder welchen Stellenwert die Marine hatte: Die drei wichtigsten Sichtachsen von Sankt Petersburg laufen nicht auf die Festung zu, sondern auf die Admiralität. Anke Hilbrenner gelingt es schließlich sogar, „Spuren jüdischer Abwesenheit” ausfindig zu machen. STEFAN FISCHER
KARL SCHLÖGEL, FRITHJOF BENJAMIN SCHENK, MARKUS ACKERET (Hrsg.): Sankt Petersburg. Schauplätze einer Stadtgeschichte. Campus Verlag, Frankfurt am Main 2007, 440 Seiten, 29,90 Euro.
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Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension
Dietrich Geyer beschäftigt sich mit Literatur über Petersburg, wobei er sich drei Bücher über die russische Stadt genauer angesehen hat. Karl Schlögels "Petersburg" kann er gar nicht genug preisen, derart begeistert ist er. Er rühmt das Buch, das sich mit Petersburgs Entwicklung von der Zarenstadt zur "modernen Industrie- und Kulturmetropole" befasst, als "meisterhaft" und hält es für das "beste" Werk, das es über die Stadt gibt. Obwohl bereits 1988 erschienen und nun neu ediert, sei es stilistisch und inhaltlich immer noch so "frisch und eigenwillig" wie damals, schwärmt der Rezensent und er kann die "sprachliche und intellektuelle Brillanz" des Autors gar nicht genug loben. Die beiden anderen Bücher, die Geyer bespricht, sind Nikolai P. Anziferows "Die Seele Petersburgs" und Erich Donnerts "Sankt Petersburg".
© Perlentaucher Medien GmbH
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"Eines der besten Bücher über Petersburg. ... Dass Schlögel das Rad der Geschichte im Moment seiner höchsten Beschleunigung anhält, dass er kein Ergebnis, sondern Wandlungen und Fantasien beschreibt, entspricht dem quecksilbrigen Charakter der Stadt perfekt." Sonja Zekri, Süddeutsche Zeitung, 18.12.02
"Ein meisterhaftes Buch ... Der Text, dessen intellektuelle und sprachliche Brillanz manchen Fachvertreter vor 15 Jahren irritierte, blieb unverändert und wirkt so frisch und eigenwillig wie ehedem. Schlögels "Petersburg" gehört zu den Edelsteinen der deutschen Russlandliteratur." Dietrich Geyer, Die Zeit, 15.05.03
"Ein meisterhaftes Buch ... Der Text, dessen intellektuelle und sprachliche Brillanz manchen Fachvertreter vor 15 Jahren irritierte, blieb unverändert und wirkt so frisch und eigenwillig wie ehedem. Schlögels "Petersburg" gehört zu den Edelsteinen der deutschen Russlandliteratur." Dietrich Geyer, Die Zeit, 15.05.03