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Francesco Petrarca, die nach Dante beherrschende geistige Gestalt des 14. Jahrhunderts, war einer der großen Lyriker der europäischen Geschichte. Karlheinz Stierle legt jetzt eine umfangreiche Auswahl aus Petrarcas Werk in einer neuen, außerordentlichen Übersetzung vor: Kanzone und Sonette, Landschaftsbilder und Liebesgedichte an Laura werden ergänzt durch einen faszinierenden Essay, der Petrarcas Leben, Werk und Zeit anschaulich und verständlich macht.

Produktbeschreibung
Francesco Petrarca, die nach Dante beherrschende geistige Gestalt des 14. Jahrhunderts, war einer der großen Lyriker der europäischen Geschichte. Karlheinz Stierle legt jetzt eine umfangreiche Auswahl aus Petrarcas Werk in einer neuen, außerordentlichen Übersetzung vor: Kanzone und Sonette, Landschaftsbilder und Liebesgedichte an Laura werden ergänzt durch einen faszinierenden Essay, der Petrarcas Leben, Werk und Zeit anschaulich und verständlich macht.
Autorenporträt
Karlheinz Stierle, 1936 geboren, ist emeritierter Professor für Romanische Literaturen an der Universität Konstanz. Bei Hanser erschienen "Der Mythos von Paris" (Zeichen und Bewusstsein der Stadt, 1993), "Petrarca" (Fragmente eines Selbstentwurfs, 1998), "Francesco Petrarca" (Ein Intellektueller im Europa des 14. Jahrhunderts, 2003) und "Zeit und Werk. Prousts 'A la Recherche du Temps perdu' und Dantes 'Commedia'" (2008). Im Frühjahr 2016 erscheint "Pariser Prismen. Zeichen und Bilder der Stadt".
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 01.12.1998

Verwehte Verben, erfundene Dornen
Wenn Amor seine Locken schüttelt: Karlheinz Stierle als Übersetzer von Petrarca / Von Kurt Flasch

Lyrische Gedichte schreiben - das hieß über Jahrhunderte hin: den Raum betreten, den Petrarca eröffnet hatte. Mit seinen zunächst einflußreicheren lateinischen Schriften hat Petrarca das Zeitalter des Humanismus begonnen; mit der Sammlung seiner italienischen Gedichte, dem sogenannten "Canzoniere", hat er die Regeln einer ganzen literarischen Gattung bestimmt. Wer nach Petrarcas Tod (1374) Gedichte in der Volkssprache verfaßte, gehörte entweder zum Petrarcismus oder zum Anti-Petrarcismus. Allemal war Petrarca das Maß.

Es überrascht daher nicht, daß auch die Übersetzung Petrarcas ins Deutsche eine lange Tradition hat; seit einigen Jahren herrscht auf dem deutschen Petrarca-Markt sogar angstvolles Gedränge. Begonnen hat die Übersetzungsreihe August Wilhelm Schlegel, der 1804 in seinen "Blumensträußen" eine stattliche Auswahl vorlegte. Am längsten hat die von Schlegel abhängige Übersetzung von Karl Förster nachgewirkt. Sie ist 1827 in Wien erstmals erschienen; sie wurde noch 1987 neu herausgebracht, und mit einigen geglückten Wendungen - zum Beispiel mit dem Reim: "ernährte - währte" in der Eingangsstrophe gleich des ersten Gedichtes - wirkt sie noch in dem neuesten Versuch nach, sich von diesem romantischen Vorbild zu lösen. Unternommen hat ihn der Konstanzer Literaturwissenschaftler Karlheinz Stierle, nachdem der Münchener Romanist Gerhard Regn 1987 noch einmal die Förstersche Übersetzung gelobt und erneuert hatte.

Stierles lang vorbereitetes Buch besteht aus zwei Teilen: Ein einleitender Essay gibt die nötigsten biographischen und literaturgeschichtlichen Informationen; er charakterisiert Petrarcas volkssprachliche Dichtung als "Fragmente eines Selbstentwurfs" und als "Petrarcas Wege zur Neuzeit". Der zweite Teil gibt eine zweisprachige Auswahl aus dem "Canzoniere". Die Auswahl erfolgt eingestandenermaßen subjektiv: "Ich habe übersetzt, was sich in mir bei der Lektüre so festsetzte, was in mir einen solchen Widerhall auslöste, daß mich die Herausforderung reizte, ihm in meiner eigenen Sprache zu antworten." Dabei sollen die verschiedenen poetischen Formen - also neben dem Sonett auch Kanzonen, Sestinen, Madrigale - zur Geltung kommen. Dies läßt Neudichtungen, Nachdichtungen erwarten, keine bloßen Übersetzungen.

Und in der Tat wird man Stierles Petrarca am ehesten gerecht, wenn man ihn als den Versuch sieht, den deutschen Petrarca zu entromantisieren und in einer neuen, härteren Sprache der Rationalität der Dichtung Petrarcas poetisch wiederzugewinnen. In dieser Hinsicht ist Stierles Neubeginn ein markanter und bedeutender Schritt. Es sind ihm einige Übertragungen gelungen, von denen man erwarten kann, daß sie diese Gedichte Petrarcas für die deutschen Leser "retten". Dazu zähle ich das Gedicht Nr. 12 (der Originalzählung, bei Stierle Seite 112) und insbesondere das Sonett Nr. 90, das zurückblickt auf die ferne Begegnung mit Laura (bei Stierle Seite 123):

Die goldnen Haare wehten wild im Wind,

der süße Wirrnis aus den Locken flicht,

verlockend war und ohne Maß das Licht

der Augen, die nun matt und glanzlos

sind.

Legt man diese Strophe neben die früheren Übersetzungen, so springt der Gewinn ins Auge, den Stierles Übertragung einbringt. Die Übersetzung von Karl Förster lautete in leicht modernisierter Fassung:

Zerstreut im Wind die goldnen Locken

waren,

Und kreisten sich in tausend süßen

Ringen,

Ein mildes Licht sah' ohne Maß ich

dringen

Aus Augen, die damit so karg nun

sparen.

Abgesehen davon, daß es im Deutschen das Verb "sich kreisen" nicht gibt, sind insbesondere die beiden letzten Zeilen aus angebbaren Gründen schwach; die "goldnen Locken" mit ihren "süßen Ringen" gehören zur Sentimentalisierung der Laura-Legende.

Nun hat uns allerdings das Jahr 1989 unter anderem auch eine neue Petrarca-Übersetzung beschert; sie stammt als Linearübersetzung von Geraldine Gabor und wurde "in deutsche Verse gebracht" von Ernst-Jürgen Dreyer (Frankfurt am Main, Stroemfeld/Roter Stern). Das Unternehmen ist schon deshalb bemerkenswert, weil es mit ungewohnter Offenheit die Arbeitsteilung zwischen Frau und Mann ausspricht: Die Frau macht die Kleinarbeit, bringt sozusagen - wie in der Medizin der alten Griechen und der Scholastiker - den Stoff, der Mann bringt die poetische Form. Ob das gutgehen konnte? Jedenfalls sind nicht alle Gedichte so schlecht übersetzt wie das Sonett Nr. 90 (bei Gabor-Dreyer Seite 263):

Das goldne Haar wie hingestreut den

Winden,

die es zu tausend süßen Knoten flochten;

und jedes Feuers Helle unterjochten

die Augen, die jetzt kaum mehr davon

künden.

Zur Ehre dieser Übersetzung läßt sich dennoch einiges sagen. Sie bleibt dem Original näher; die "tausend süßen Knoten" stehen tatsächlich bei Petrarca, und auf das problematische Adjektiv "süß" für "dolce" verzichtet keiner unserer Übersetzer; Stierle macht aus "tausend süßen Knoten" eine "süße Wirrnis", insofern dauert die Romantisierung fort. Wie bei Förster klingt bei Gabor-Dreyer die dritte und die vierte Zeile besonders unbeholfen, gesucht - vor allem, daß die Helle des Feuers "unterjocht" worden sei, verdankt sich nur dem Reimzwang, dem Stierle in seiner dritten und vierten Zeile weniger erlegen ist, wenn er ihm auch das markante Verb "ardea" opfert, das in Petrarcas dritter Zeile an betonter Stelle steht. Dreyer hatte dieses Verb mit seiner selbsterfundenen Metapher des Unterjochens überpinselt, Stierle läßt es einfach weg. Er entverbalisiert diesen und viele andere Sätze Petrarcas und nimmt ihnen damit poetische Kraft und Anschaulichkeit. Ich würde diesen Verlust gar nicht erwähnen, weil es keine Übersetzung ohne Verluste geben kann, fände ich nicht in Stierles Übersetzung durchgehend eine Tendenz zur Unanschaulichkeit und Substanzialisierung, die Petrarcas Zauber zerstört. Stierles Vorgänger hätten sentimentalisiert, Stierle abstrahiert.

Wenn es bei Petrarca heißt, daß Amor "nicht tötet (non m'uccide Amore)", macht Stierle daraus: "von Amor kommt kein Tod mir" (Seite 90). Das prägnante "Töten" fällt dem Zug ins Blasse, bloß Gedachte zum Opfer; Stierles Dichtung zeigt einen Widerwillen gegen das anschaulich Genaue. Die erste Strophe des außerordentlich wichtigen Gedichts "I'vo pensando" lautet bei ihm:

Wenn die Gedanken mir ins Innere

dringen,

mein Herz mit mir oft solches Mitleid

spürt,

daß es mich tiefer führt

und anders jetzt der Schmerz in mir

erbebt. (Seite 94).

Wer von diesem Wortgebilde zu Petrarcas Gedicht geht, erlebt Überraschungen. "I'vo pensando": Das Prädikat dieses Satzes heißt "gehe, wandere"; es ruft die Vorstellung eines einsamen Wanderers auf, der ins Grübeln verfallen ist, also: "Ich wandre grübelnd." Diese Bewegung in der Außenwelt nimmt Stierle gar nicht erst wahr; er läßt statt dessen "Gedanken ins Innere dringen" - eine vermutlich sinnlose, jedenfalls aber unanschauliche Vorstellung; er bietet ein "Herz" auf, das bei Petrarca keine Entsprechung findet, und er redet gefühlig-unbestimmt von "Erbeben", wo Petrarca schlicht von "Weinen" spricht.

Stierle setzt also innerhalb von vier Zeilen zweimal abstrakte Bezeichnungen von Innenzuständen an die Stelle sichtbarer Vorgänge: Petrarca spricht von Gehen und von Weinen, beides fehlt bei Stierle. Das Gedicht wird zerredet. Hinzu kommt ein willkürlicher Wechsel von Präsenz und Perfekt in den nächsten vier Zeilen; ich gestehe, Stierles Gedicht erst verstanden zu haben, nachdem ich Petrarca gelesen hatte. Dabei kritisiert Stierle seinen Vorgänger Dreyer unbarmherzig hart; er wirft ihm "Verfälschung" von Petrarcas Dichtung vor. Niemals würde ich diesen Vorwurf gegen Stierle selbst richten, aber bei dem Kerngedicht "I'vo pensando" ziehe ich Dreyers Übersetzung vor.

Dabei haben wir die Talsohle von Stierles Nachdichtung noch nicht erreicht. Wenn Petrarca den einfachen Gedanken ausspricht, noch niemals habe Feuer ein Feuer "gelöscht" (spense), so eilt Stierle über dies sinnliche Bild gleich zur nächsthöheren Ebene und schreibt: "Wenn Feuer niemals Feuer überwand." Im nächsten Satz schreibt Petrarca, noch nie sei ein Fluß durch Regen ausgetrocknet; auch hier läßt Stierle die Vorstellungen von "Fluß" und "Regen" und "Austrocknen" als zu sinnlich weit unter sich und schreibt: "und niemals noch versiegte Flut in Flut". Nun gut, "Flut" reimt sich auf "Glut", aber Petrarcas Poesie ist verschwunden. Zwar ist sie abstrakter als die Dichtung Dantes; aber sie ist deswegen nicht verblasen; sie nennt ihre konkreten Ausgangserfahrungen: Gehen und Weinen, Regen und Fluß. Stierle fühlt zuweilen seinen Mangel und ersetzt die fehlende Petrarca-Poesie durch eigene Poesie. Das sieht dann so aus: Während Petrarca davon spricht, daß "geblendet" wird, wer in die Sonne blickt, schreibt Stierle: "die Sonne macht blind wie mit tausend Dornen".

Das ist ein bemerkenswerter Vers. Statt "blenden" sagt er "blind macht", als wäre das im Deutschen dasselbe. Überdies blendet er den Außenweltvorgang des Geblendetwerden aus. Dem drohenden Mangel an sinnlicher Direktheit hilft Stierle auf, indem er die Metapher der "tausend Dornen" ersinnt. Dabei wäre ein einziger Dorn im Auge doch auch schon etwas, aber nein, es müssen "tausend Dornen" sein, womit auch dieses Bild zerstört wäre. Und das alles, um Petrarcas Verb "blenden" zu nobilitieren.

Je länger ich dem italienischen Original nachgehe, um so blasser wirken daneben Stierles Verse. Immer wieder verschluckt er anschauliche Verben. Während Petrarca fragt, ob Apollo jetzt die goldenen Haare "hasse" (ài), macht Stierle daraus die Frage, ob deren "Helle" seinem "Sinn entschwand" (Nr. 35, Zeile 4). Wenn Petrarca sagt, er "zittere" (tremo) im Sommer vor Kälte, heißt es bei Stierle: "Ich bin im Sommer Eis" (Nr. 132, Zeile 14). Obwohl Stierle in seinem einleitenden Essay auf die Rolle der Verben in Petrarcas Gedichten eigens aufmerksam macht, tilgt er sie, wo er nur kann. Wo bleibt das "Conobbi", mit dem das Gedicht Nr. 339 einsetzt? Das Verb, das am Satzanfang, also an betonter Stelle steht, verschwindet fast in Stierles Vers: "Soviel mir Sehkraft gab . . ." Wenn bei Petrarca Amor "heilt" und "tötet", macht Stierle daraus "der Liebe Lust und Leiden . . .".

Ich habe mir eine ganze Liste verschwundener Verben angelegt, trauernd über versäumte poetische Valeurs, aber dann rettet mich eine einzig schöne Stelle aus der Novemberdepression:

wie einst von Hoffnung leb ich jetzt von

Klagen.

Vom Tod errettet einzig mich - der Tod.

Hier sind die Verben erhalten. Kein Reimschema erzwingt unhaltbare Konstruktionen wie dann leider wieder diese:

Wenn Vögel klagen man und grünes

Beben

des Laubes hört in sanfter Sommer luft . . . (Nr. 279).

Ich zitiere nicht weiter; ich behaupte nur, die Übersetzung dieses Satzes bei Dreyer war nicht viel schlechter; sie war syntaktisch weniger verdreht und bot uns statt "grünes Beben" ein textnäheres "grünes Laub", das bebte. Der Petrarca des Verlages Stroemfeld/Roter Stern war überdies vollständig, das heißt, er erlaubte einen Einblick in Petrarcas "Canzoniere" als ganzes, den Stierle willkürlich zerlegt, und er gab dem italienischen Text die Ehre, in gleicher Schriftgröße gedruckt zu werden, während Stierle ihn in verschwindend kleiner Schrift an den untersten Rand preßt. Eine weitere Merkwürdigkeit: Stierle behauptet in seinem Essay mit Recht, die Gedichte bedürften des Kommentars, und er hat seinerzeit Gabor-Dreyer getadelt, ihr Kommentar sei zu kurz. Dabei umfaßte dieser etwa achtzig Seiten, Stierles Anmerkungen hingegen genau eine halbe Seite.

Der einleitende "Essay" gibt nicht nur die nötigen biographischen Details; er zeigt, wie Petrarca sich zum Mittelpunkt einer Lebenslegende machte. Petrarca hat sich selbst erfunden, aber Stierle geht nicht so weit, daß Petrarca auch Laura erfunden hat. Er bleibt bei einer zaghaft realistisch-biographischen Deutung, während es sich doch wohl eher um Petrarcas Kunstgriffe im Sinne der rhetorischen Tradition handelt: Wer sich selbst erfinden kann, der kann auch eine Geliebte, eine Bergersteigerung und ein Poetenexamen bei König Robert von Neapel erfinden.

Stierles poetischer Versuch, den Deutschen Petrarca neu zu erschließen, ist in einigen Teilen gelungen, bleibt aber in Vagheit stecken und wird durch Reimzwang verzerrt. Wer Petrarcas Lyrik lesen will, lernt am besten selbst Italienisch, wofür es noch andere gute Gründe gibt. Sonst braucht er immer noch die Ausgabe aus dem Hause Stroemfeld/Roter Stern.

Oder er greife für den Anfang zu der schönen Prosaübersetzung: Francesco Petrarca, "Sonette" von Walter Naumann, eine Auswahl, die 1994 im Verlag der Technischen Hochschule Darmstadt erschienen ist und nicht die Beachtung gefunden hat, die sie verdient. Sie verzichtet auf den Reim aufgrund der Einsicht, daß in der italienischen Sprache der Reim unter anderen Bedingungen steht als im Deutschen, so daß, wer am Reim in der Übersetzung festhalten will, zwar das Reimskelett festhält, aber die Bilder, den Satzbau und die Gedanken Petrarcas immer wieder verlassen muß. An dieser Klippe, scheint mir, ist auch der Versuch Stierles gescheitert.

Karlheinz Stierle: "Petrarca". Fragmente eines Selbstentwurfs. Essay. Aus dem Canzoniere. Zweisprachige Ausgabe. Carl Hanser Verlag, München 1998. 211 S., geb., 38,- DM.

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