VerzweiflungMelina lehnte sich an den Fensterrahmen, ihr weißes, knöchellanges Nachthemd mit dem Spitzenbesatz auf der Brust erinnerte an längst vergangene Zeiten. Ihre Großmutter hatte es lange getragen. Erinnerungen waren manchmal eine wunderbare Fluchtmöglichkeit. Ein Halt, um sich wenigstens an etwas Gutes festzuhalten. Melinas blondes, langes Haar umschmeichelte sanft ihre Schultern und fand seinen Abschluss in der nostalgischen Spitze, die ihre Brüste um-spielte. Das spitze Kinn, der besorgte Blick in ihren Augen zeugten von Angst, aber auch von Mut, nicht nachzugeben, sich den Tatsachen zu stellen. Die schmale Nase, die hohen Wangen-knochen, die kleinen Grübchen um die Mund-winkel unterstrichen ihre Weiblichkeit.Ein tiefer Seufzer verschaffte Melina ein wenig Erleichterung, sie spürte, wie die kühle Luft in sie eindrang. Langsam hob sich ihr Brustkorb. Ein leichter Schauer überlief sie, unter dem feinen Stoff stellten sich die Härchen auf ihren Armen auf. Sie fröstelte.Der Regen prasselte gegen die Fensterscheibe, die Morgensonne kämpfte sich durch die dichten, dunklen Regenwolken. Von irgendwoher hörte man die Kirchenglocken sechs Uhr schlagen. Der Wind pfiff durch die Ritzen der Fenster, die Gardinen bewegten sich im Rhythmus des Win-des. Ein Wohnblock, der in die Jahre gekommen war, der eine Grundsanierung bitter nötig gehabt hätte.In der Küche war es kühl. Sie war spartanisch eingerichtet. Ein alter Herd, ein Kühlschrank, der wackelige Küchentisch mit zwei Stühlen aus den siebziger Jahren, die eigentlich auf dem Sperrmüll ihr Heil hätten finden sollen. Der Linoleumboden war einmal beige gewesen, aber die Jahre hatten ihn zu einem hellen Khaki verblassen lassen. Der Gang zwischen Tür und Tisch zum Herd war nicht zu übersehen.Die ersten Sonnenstrahlen brachen durch die Wolkendecke und berührten den Boden, Herd und Tisch warfen Schatten auf den Boden, langsam krochen sie an der Wand hoch.Das Licht war seit zwei Tagen ausgefallen. Die Stromrechnung war im Moment unbezahlbar, um halb neun würde der Gerichtsvollzieher kommen und den alten Schreibtisch aus dem 18. Jahr-hundert mitnehmen - das letzte Erinnerungsstück, das Melina von ihrer innig geliebten Großmutter geblieben war. Ein Erbstück, aber so konnte sie wenigstens mit dem Jungen in der Wohnung bleiben, hoffte sie. Und wer brauchte schon Strom? Es war völlig unklar, wie sie die Ölrechnung bezahlen sollte, zumal es in der hohen Altbau-wohnung an allen Ecken und Enden winterlich zugig war. Melinas Blick glitt hinunter in den Hof. Der rissige Betonboden war nass, kleine Pfützen hatten sich darin gebildet, in die sich der Regen mit kurzen Unterbrechungen immer wieder er-goss. Inzwischen waren die Tropfen immer größer und schwerer geworden, der Tag ließ trübe Aussichten erkennen.Die alte Eiche im Hof hätte viel zu erzählen ge-habt, jahrzehntelang hatte sie die Jahreszeiten miterlebt, Sommer wie Winter. Jetzt verrieten die wenigen Blätter, die noch an ihren Ästen hingen, dass die kalte Jahreszeit nahte.Melina hätte noch stundenlang am Fenster stehen und über die ausweglose Situation nachdenken können. Doch dann hörte sie einen fröhlichen, liebevollen Ruf:"Guten Morgen, Mama!"In diesem Moment läuteten die Kirchenglocken. Viertel vor sieben - seit einer geschlagenen Dreiviertelstunde stand sie hier? "Mama?"Der eindringliche Ton ließ Melina aufhorchen, holte sie in die Realität zurück. Sie drehte sich um. Strahlende Augen blickten sie fröhlich an."Mama, wann bekomme ich einen Hund?"Das leidige Thema seit Wochen. "Marvin, wir haben kaum etwas für uns und du willst einen Hund?"Marvin setzte sich auf den Küchenstuhl, ver-schränkte die Arme und schaute beleidigt, die Grübchen um seine Mundwinkel ließen seine Mutter nicht verleugnen. Die störrischen braunen Stoppelhaare, die frechen blauen Augen - kein Zweifel, hier saß ein sechsjähriger Lausbub, der bald in die Schule kommen würde. Kratzer an Armen und Beinen zeigten, dass kein Zaun und kein Baum vor ihm sicher war.Melina öffnete den Kühlschrank, dessen Surren verstummt war. Ein halber Liter Milch, eine halbe Packung Cornflakes würden Marvins Laune sicher deutlich heben. Mit hungrigen Augen und einem überdimensio-nalen Löffel in der Hand schob er sich die Cornflakes genüsslich in den Mund. Auf seinem blauen Spiderman-Pyjama waren schon ein paar Spritzer Milch zu sehen, als er sich den nächsten Löffel in den Mund schob.Da Marvin wie viele Kinder in seinem Alter mehrere Dinge gleichzeitig tat, zum Beispiel essen und sprechen - eine sehr ungünstige Kombination - konnte Melina ihn kaum verstehen. Aber aus den Worten "Hund" und "bester Freund" schloss sie, dass das Thema Vierbeiner noch lange nicht vom Tisch war.Inzwischen war es halb acht. Marvin putzte sich die Zähne, die blaue Latzhose und der gelbe Pullover lagen über der Badewanne. Als er end-lich Schuhe und Jacke angezogen hatte, lief Marvin zum Kindergarten, der nur fünf Gehmi-nuten entfernt war. Ein Abschiedskuss und die Eingangstür schloss sich hinter ihm.Melina drehte sich um und lehnte sich mit dem Rücken an die Tür, ihre Hand umfasste noch die Klinke.Stille.Ihre Augenlider wurden schwer. Ihre Finger umklammerten noch immer die Türklinke, eine Gänsehaut kroch langsam ihre Beine hinauf. Viertel nach acht. Ein letzter Blick auf den Schreibtisch, der direkt vor ihr im Flur stand. Es half alles nichts. Mit zusammengepressten Lip-pen zog sie sich an.Das Klingeln der Türglocke durchfuhr ihren Körper wie ein Blitz. Mit selbstbewusstem Blick und einem letzten prüfenden Blick in den Spiegel öffnete sie die Tür. Sie war ärmlich, aber nicht ungepflegt, sie pflegte sich sehr. Ihr Make-up war dezent, ihr Parfum sparsam. Sie öffnete die Tür, es war kein leichter Schritt, das war an ihren Bewegungen deutlich zu erkennen."Guten Morgen, Frau Menke!""Guten Morgen, Herr Fray, kommen Sie rein!""Nun, Frau Menke, es gibt wenige Menschen, die mir leidtun, sie sind eine seltene Ausnahme, aber der Schreibtisch wird Sie erst einmal über Wasser halten ..." Nun standen sie beide vor dem guten Stück. "Machen wir es kurz, die Möbelpacker sind unten! "Es war nicht der erste und leider auch nicht der letzte "Besuch".Mit ruhigem Blick beobachtete Melina, wie die Männer stöhnend das massive Möbelstück hochhievten und durch die Tür balancierten. Ein kräftiger Händedruck mit dem typischen "Nimm's nicht so schwer ", Blick, verabschiedete sich der Gerichtsvollzieher kurz und schmerzlos.Der leichte Windhauch, der beim Schließen der Tür entstand, vermittelte Melina die Endgültig-keit. Wieder diese Stille ... Irgendwie wollte sie nicht nachdenken, an Selbstmitleid dachte sie nicht im Entferntesten, aber der Unmut über die ausweglose Situation, in die sie geraten war, ließ Wut und Hass in ihr aufsteigen. Auf den Mann, dem sie das alles zu verdanken hatte. Wie hatte sie nur so dumm und naiv sein können!Die Bilanz der letzten Jahre lag ihr schwer im Magen. Die Erinnerung daran, wie das Unglück seinen Lauf genommen hatte, holte sie besonders an diesem Morgen wieder ein. Die Worte ihres Ex-Mannes, von dem sie seit einem Jahr ge-schieden war, klangen ihr noch in den Ohren. Wie er voller Überzeugung vor ihr gestanden hatte, wie er ihr voller Hingabe seine Idee vorgetragen hatte. Das wird schon... Sie hätte es wissen müssen, er war nie besonders fleißig und arbeitswillig ge-wesen. Und immer neue verrückte Ideen kamen ihm in den Sinn, sie hätte viel früher die Reißleine ziehen müssen. Aber da war ja Marvin ... Den Vater wollte sie ihm nicht nehmen. Obwohl der auch nicht gerade ein Vorzeigevater war. Aber sie hatte einfach die Augen vor den Tatsachen ver-schlossen.Er hatte von seinen besonderen Kontakten ge-schwärmt, dass er nur diese kleine, unscheinbare Summe von zwanzigtausend Euro für eine kurz-fristige Investition bräuchte, und alles würde gut werden.Melina stand wie angewurzelt im Flur, ihr Atem war ruhig und gelassen. Ihr Blick fiel auf die leere Stelle, an der der Schreibtisch gestanden hatte. Erinnerungen quälten sie und holten sie ein. Mit einem tiefen Seufzer dachte sie an den Moment zurück, als sie als Hauptbürgin ihre Unterschrift unter den Kreditvertrag gesetzt hatte.Unter den lächelnden Augen des Sachbearbeiters hatte sie ihr Schicksal in Form des Vertrages in die Hände der Bank gelegt. Kaum zwei Tage später war Udo mit dem Geld verschwunden.Eine Woche lang war sie nicht in der Lage ge-wesen, darüber nachzudenken. Zu begreifen, dass der eigene Mann einen ohne Rücksicht auf Verluste so ins Unglück gestürzt hatte. Das Ur-vertrauen bis ins Mark erschüttert, konnte sie weder weinen noch schreien.Diese absolute Schwere und Selbstverachtung, wie ihr das nur hatte passieren können. Wie hatte sie sich in diesem Mann so täuschen können? Sie hatten doch einen gemeinsamen Sohn! Ein Leben, nicht im Luxus, aber glücklich für sie, war das alles ein Irrtum gewesen? Sieben Jahre eine Lüge? Ein dicker Kloß sitzt ihr im Hals und verschlägt ihr die Stimme.Wenn ihre beste Freundin Yvonne nicht gewesen wäre, hätte sie nicht gewusst, wie es weitergehen sollte ...Das Schlimmste war, dass er das alles für eine andere Frau getan hatte, dass er mit dem Geld ein neues Leben begonnen hatte, ohne Melina, aber mit ihr, dieser anderen Frau. Als Melina für den Kredit gebürgt hatte, war die finanzielle Kata-strophe ins Rollen gekommen, in die sie sich zweifellos freiwillig begeben hatte.Zu allem Unglück wurde sie auch noch arbeitslos, nach zehn Jahren als Floristin. Ja, es hatte ihrem ehemaligen Chef sehr leid getan. Beide hatten Tränen in den Augen gehabt, weil das Geschäft nicht mehr zu halten war, aber was nützte es ihr jetzt? Alleine mit Kind - Gelegenheitsjobs reichten nicht einmal für das tägliche Brot.Erst viel später erfuhr sie, dass Udo auf ihren Namen im Internet Bestellungen für mehrere tausend Euro aufgegeben hatte, natürlich unbe-zahlt. Die monatlichen Lebenshaltungskosten und Ratenzahlungen waren schon mehr als knapp, doch die ausstehenden Forderungen, die Melina nicht begleichen konnte, brachen ihr endgültig das finanzielle Genick. Völlig über-fordert mit der Situation, wurde sie mit Briefen von Inkassobüros überschüttet.Wieder blickte sie auf die leere Stelle an der Wand. Ohne ersichtlichen Grund musste sie lachen, unwillkürlich musste sie an ihre Großmutter denken, die mit ihrem wackeligen Gebiss und den frechen Augen immer zu sagen pflegte: "Mein Kind, es sind nicht die glücklichen Tage, die uns stark machen, es sind die Schicksale und die Fehler, die uns lernen lassen, ... und alles besser machen!"Dass Großmutter mehr als nur Stärke und Standhaftigkeit besaß, hatte sie in ihrem sorgen-vollen Leben nur zu gut bewiesen. "Gut, dass ich so viel von ihr hatte", murmelte Melina sich aufmunternd zu. Die Entscheidung Der Blick auf den Briefkasten im Hausflur verhieß nichts Gutes. Heute nicht, entschied sie und ging zur Wohnungstür. Für heute reicht es wirklich, seufzte sie. Ich bin müde und unglaublich er-schöpft von all den Sorgen.Die Gedanken an Marvin lenkten sie ab, der kleine Racker ließ nicht lange auf sich warten. Nach den üblichen Geschichten aus dem Kin-dergarten, die Marvin immer sehr lebhaft erzählte, aßen sie zu Abend. Das abendliche Bad mit viel Gelächter... Melina dachte nicht mehr an das Gespräch mit Yvonne, obwohl es sie immer noch tief in ihrem Inneren aufwühlte. Es war wie ein Keim, der langsam, aber sicher zu wachsen be-gann, ob sie wollte oder nicht. Das Lachen und die Fröhlichkeit ihres Sohnes brachten Leben in die Wohnung, die Zeit verging wie im Flug, wenig später schlief Marvin friedlich mit seinem Teddy im Arm ein.Es war sehr dunkel, die Sterne leuchteten hell und klar in dieser Nacht. Da stand sie nun, in dem nostalgischen Nachthemd ihrer Großmutter mit der schönen Spitze, an das Küchenfenster ge-lehnt. Die sternenklare Nacht, der aufgehende Mond warf Schatten auf den Küchenboden. Ihre Gedanken kehrten zurück. Sie fühlte sich einsam, unendlich einsam. Es war halb drei, als sie end-lich ins Bett ging, mit dem Entschluss, den sie endlich gefasst hatte. Die Entschlossenheit stand ihr ins Gesicht geschrieben und in ihr Herz. Er-schöpft fielen ihr die Augen zu und sie schlief tief und fest ein.Der Morgen verlief wie immer, nur die Nacht war für Melina sehr kurz gewesen, viel zu kurz. Marvin war noch keine fünf Minuten aus dem Haus, als der Griff zum Handy zum Reflex wurde.Dreimal klingelte Yvonnes Handy, bis sich ihre vertraute Stimme meldete."Gut, ich mache es, sag mir Bescheid, wann Ali uns die Details erklären kann.""Gut, ich gebe dir Bescheid."Ohne weitere Erklärungen von beiden Seiten verlief dieses Gespräch so direkt, emotionslos und ohne unnötiges Geplänkel, dass die Ernst-haftigkeit dieser Entscheidung eine ganz beson-dere Atmosphäre in sich trug. Wahre Freund-schaft braucht nicht viele Worte. Freundinnen wie die beiden konnten die Gefühle der anderen genau spüren. Yvonne wusste genau, wie schwer Melina diese Entscheidung gefallen war. Sie hatte Angst, aber was blieb ihr anderes übrig?Yvonne war sich sicher, dass man Ali vertrauen konnte. Zu oft hatte sie erlebt, wie sehr er sich von seinen Schwiegereltern abgelehnt fühlte. Jahre-lang hatte er beteuert, wie sehr er seine Frau und seine Kinder liebte, hatte unermüdlich für sein kleines Glück, für ein wenig Respekt gekämpft. Er war als Flüchtling in dieses Land gekommen, hatte sich verliebt. Seitdem kämpft er um seine Liebe. Ali hatte seit Jahren eine unbefristete Aufenthaltsgenehmigung, sie hätten sich längst trennen können... aber es war Liebe.Der Stein war ins Rollen gekommen. Das erhoffte Glück begann mit diesem Telefonat. Wie gut, dass man manches nicht sehen konnte, dass die Zu-kunft nicht entschieden war und im Verborgenen blieb. Einem gemeinsamen Treffen stand nun nichts mehr im Weg, wenige Tage später war es dann soweit.Ali saß auf dem eigenwilligen Sofa, man sah ihm an, dass ihm der Geschmack von Yvonnes Wohnzimmer ein gewisses Unbehagen in der Bauchgegend verursachte. Yvonne kramte wie immer in irgendeiner Ecke, um wieder einmal ein exquisites Kunstwerk zu präsentieren. Ali hatte die eigenwillige Wohnungseinrichtung noch nicht verkraftet, jetzt ertrug er die gezeigten "Kunst-gegenstände" nur schwer. Sein gepresstes "Sehr schön!" war wohl seiner guten Erziehung ge-schuldet, er lächelte und musterte Yvonne, sie war ihm sympathisch. Keine dieser Frauen, die immer taten, was man ihnen sagte. Er konnte seine traditionelle Herkunft ohnehin nicht mit Überzeugung leben. Die Bewunderung für starke, eigenwillige Frauen war ihm anzumerken. Er lebte Gleichberechtigung und Respekt in jeder Bezie-hung, nur so - so war er überzeugt - sei ein glückliches Leben, eine glückliche Zweisamkeit in der Liebe möglich. Leider kannte er das aus seiner Heimat ganz anders. Dort standen Tradi-tion und Familienehre immer über dem Indivi-duum, das Wohl des Clans immer im Vorder-grund.Yvonnes grüne Haare passten in seinen Augen perfekt zu ihrem schwarzen Lederoutfit, das mit einer opulenten Silberkette um die Taille abge-rundet wurde. Dieses selbstbewusste Auftreten bestätigte seine Meinung über Frauen.Wahrscheinlich verstanden sich die beiden des-halb so gut. Nicht, dass er je daran gedacht hätte, mehr von ihr zu wollen. Nein, Respekt war für Ali mehr als nur ein Wort. Frauen waren für ihn das Tüpfelchen auf dem i, das die Welt noch reicher und interessanter machte.Der Blick auf seine Armbanduhr machte ihn ungeduldig, denn es stand viel auf dem Spiel ... sehr viel. War es die Mühe wert? Konnte man dieser Frau trauen?Yvonne spürte instinktiv seine Zweifel und be-ruhigte ihn. "Sie kommt um elf, und jetzt ist es erst halb elf. Du musst dich schon noch ein bisschen gedulden", lächelte sie. Mit einem tiefen Seufzer ließ sie sich in ihren Ohrensessel fallen. "Man kann ihr vertrauen." Als hätte sie geahnt, was Ali durch den Kopf ging. "Ali, wie oft noch ... sie ist lieb wie ein Lamm und absolut vertrauenswürdig. Sie ist bodenständig und hat einen wunderbaren Charakter, übrigens ist sie auch sehr misstrauisch und auch ängstlich ... du wirst sie mögen." Yvonne wollte ihm klarmachen, dass es nichts zu befürchten gab. Andererseits sollte er nicht glauben, dass alles so einfach sei. Melina war kritisch, auch weil es um viel Geld ging. "Jetzt lerne sie erst einmal kennen, bilde dir selbst ein Urteil", schloss Yvonne.Er lächelte angespannt, der vielsagende Blick-wechsel wurde jäh durch das Klingeln der Türglocke unterbrochen. Die Ungeduld hatte ein Ende. Wenig später stand Melina im Wohnzim-mer, die bedrückende Stille wurde durch das gegenseitige Abtasten noch verstärkt. Ihr ent-schlossener Blick unterstrich ihre würdevolle Haltung.Das apricotfarbene Kleid zauberte selbst Yvonne ein bewunderndes Lächeln auf die Lippen, das dezente Make-up betonte Melinas schöne, tief-blaue Augen und kam durch die offenen Haare besonders zur Geltung.Der selbstbewusste Händedruck, gepaart mit einem liebevollen Blick, ließ bei Ali jeden kriti-schen Gedanken verfliegen.Behutsam, nicht ohne Bewunderung, streifte sein Blick die sympathische Persönlichkeit, die vor ihm stand. Es gab Momente, die über das Ja oder Nein jeder weiteren Entscheidung eines Men-schen entschieden. Eine angenehme Frau wie Melina, die durch ihre Ausstrahlung überzeugte, aber keineswegs durch aufdringliches Verhalten auffiel. Ihre warme, ruhige Art breitete sich in der exotischen Lounge aus, die "Verhandlungen" bekamen eine entspannte Basis. Alle saßen be-quem. Ali durchbrach die erdrückende Stille."Also, Melina", etwas unsicher suchte er nach den richtigen Worten. "Wir kennen uns ja schon flüchtig, Yvonne hat dir sicher schon einiges erzählt?""Ja, ich habe allerdings noch ein paar Fragen." Sie wusste genau, was sie wissen wollte, es hatte in den letzten Tagen kaum einen Moment gegeben, in dem sie nicht alle Szenarien durchgespielt hatte, so selbstbewusst sprudelte es aus ihr heraus. " Ihr seid verwandt?" Natürlich wollte Melina wissen, worauf sie sich einließ. Sie wollte sicher sein, dass Ali diesen Mann kannte, am besten sehr gut. Dass er sie nicht gleich in Schwierigkeiten bringen würde. Und weder sie noch Yvonne wussten letztendlich, wer dieser Mann war. Es hätte auch eine arrangierte Vermittlung durch einen Fremden sein können, aber das hätte Melina kategorisch abgelehnt."Er ist mein Cousin, wir sind wie Geschwister aufgewachsen und zusammen zur Schule ge-gangen." Aus seinen Worten klang großes Ver-trauen, gepaart mit einem beruhigenden Tonfall, und es fiel Ali nicht schwer, über ihren zukünf-tigen Mann zu sprechen. Man merkte sofort, dass die beiden sich sehr nahe standen."Wie wird die Hochzeit ablaufen? Wer ist mein zukünftiger Bräutigam? Außerdem möchte ich wissen, worauf ich nach der Hochzeit achten muss, um nicht aufzufallen. Wie ist das mit den Behörden, es ist doch bestimmt nicht so einfach, dass er hierher kommen kann, oder?" Melina überschlug sich fast mit ihren Fragen, was wohl daran lag, dass sie sich in den letzten Tagen jedes Wort genau überlegt hatte. Es war alles gleichzeitig in ihrem Kopf, fast ein bisschen zu viel. Würde es Ali überfordern?Aber nein. "Gut, du kommst gleich zur Sache, das gefällt mir!" Er war überrascht, es ging nicht gleich ums Geld, sondern um ernste Themen, was seinen ersten Eindruck noch unterstrich. Yvonne wunderte sich über die Entschlossenheit ihrer Freundin.Yvonnes Augenzwinkern machte Melina Mut, die Nervosität, die sie frösteln ließ, normalisierte sich allmählich. Die Unterstützung, die Anwesenheit ihrer besten Freundin gab ihr Sicherheit.Ali bemerkte ihre Nervosität, fand das aber sympathisch und vor allem ehrlich. Außerdem konnte Ali Melina klar und ohne Umschweife erklären, was genau auf sie zukommt. Er ließ sie nicht im Unklaren. Sein offener Blick, seine wachen Augen zeugten von seiner Loyalität, die keinen Zweifel an seiner Ehrlichkeit ließ. "Ich erzähle dir erstmal etwas über deinen zukünftigen Mann. Er heißt Petrit Dershani, ist 38 Jahre alt und lebt in den Bergen Nordalbaniens. Er ernährt seine Mutter, und unterstützt seine vier jüngeren Schwestern und deren Familien Die von Land-wirtschaft leben. Nach dem Tod seines Stiefvaters vor einigen Jahren hat er den kleinen Ein-Mann-Handwerksbetrieb übernommen. Malerarbeiten, Reparaturen, aber auch alles, was im Hausbau anfällt, kann er erledigen, er musste schon früh seinem Stiefvater helfen und hat schnell gelernt. Zusammen mit seiner Mutter lebt er auf einem Bauernhof, sie kümmert sich um das Vieh, hauptsächlich Schafe - sie stellt Wolle her und färbt, soweit ich weiß, auch selbst mit Na-turfarben, die sie aus selbst gesammelten Pflan-zen herstellt. Petrit hat den Hof vor dem Ruin gerettet. Er ist fleißig, ehrlich, sehr aufrichtig. Auf sein Wort ist immer Verlass. Schon in der Schule hat er zu Hause Deutsch gelernt. Seine Deutsch-kenntnisse sind sehr gut. Ali räusperte sich, konnte Melina das alles überhaupt aufnehmen? Als er sah, dass sie ihm zunickte, fuhr er fort. "Die Hochzeit findet in Albanien statt. Das Geld wird am Tag der Hochzeit übergeben. Mit der Heiratsurkunde meldest du ihn hier in Deutsch-land an. Ich bürge für ihn, das ist jetzt sehr wichtig, sonst wird es sehr schwierig, natürlich ist es nicht einfach. Die Einreise ... aber da helfe ich dir."Er kannte sich wirklich aus, hatte sich gut in-formiert. Das Schwierigste waren die Behörden-gänge und die ganzen Auflagen, aber auch da hatte Ali Lösungen. Langsam kam er zum Ende. "Petrit wird bei mir und meiner Familie wohnen. Er hat schon einen Job in einem kleinen Maler- und Maurerbetrieb. Du musst ihn nur bei dir anmel-den und ein paar Sachen wie Kleidung, Hygie-neartikel usw. unterbringen, damit das Zusam-menleben realistisch aussieht, falls ihr von der Ausländerbehörde kontrolliert werdet. Es wäre auch gut, wenn ihr euch kennenlernen könntet, einige Fotos zusammen hättet." Ali atmete er-leichtert auf, griff in seine linke Hosentasche und zog eine Schachtel Zigaretten heraus. Er öffnete sie und hielt sie in die Runde. Yvonne griff be-herzt zu, Melina lehnte dankend ab.Die weißen Rauchschwaden zogen in langen Bahnen gegen die Decke, der Zigarettenrauch verlieh der Stille, die nun herrschte, eine beru-higende Wirkung. Melina presste die Lippen zusammen und überlegte, mit einer kurzen Be-wegung sah sie zu Yvonne hinüber, die ihr lä-chelnd zunickte.Ali blickte Melina fragend an, ohne nachzuden-ken antwortete sie: "Das klingt nach einem per-fekten Ehemann. Ich frage mich nur, was er hier macht, wenn sein Geschäft so gut läuft? Lebt er in einer Beziehung? Hast du etwas über mich er-zählt?"Ihr war klar, dass Yvonne wahrscheinlich alles, aber auch wirklich alles über sie erzählt hatte, bis hin zu der Tatsache, dass sie allergisch auf Erd-beeren reagierte. Melina wusste nichts über die albanische Kultur, aber Ali erklärte ihr, dass die Albaner sehr viel Wert auf den guten Ruf einer Person legen, das zähle sehr viel, vor allem, wenn es um Geschäfte geht, egal welcher Art. Das machte er deutlich, es waren so viele Informati-onen, die auf sie einprasselten.Ali zog an seiner Zigarette und schnippte die Asche in den schwarzen Aschenbecher, der auf dem Tisch stand, ab. Ein Lächeln huschte über sein Gesicht, seine braunen Augen blickten be-sonders freundlich. "Weißt du, Melina", atmete Ali tief durch. "Nach dem Krieg waren die Hoffnungen auf Besserung seit der Unabhän-gigkeit des Kosovo groß, auch Albanien hatte große Erwartungen, aber es hat sich nicht viel verändert. Die Wirtschaft liegt am Boden, es gibt kaum Arbeit ... Perspektiven für die Bevölkerung, vor allem für die Jugend, gibt es kaum. Die Ge-sundheitsversorgung ist katastrophal. Alles hängt von Beziehungen und Geld ab. Petrit möchte, dass seine Nichten eine gute Zukunft haben, und dazu gehört Bildung, die es in Albanien einfach nicht gibt. Im Moment lebt die Familie von der Hand in den Mund. Eine Basis gibt es in einem der ärmsten Länder Europas nicht. Der Stiefvater starb an einem Herzinfarkt, es gab keine Medi-kamente, der nächste Arzt war zu weit weg, aber die Familie hätte ihn auch nicht bezahlen können. Er war gerade erst 50 Jahre alt, als er starb. Mit der richtigen Medizinischen Versorgung wäre der Vater noch am Leben".Seit dem Tod seines Stiefvaters hatte Petrit nur noch einen Gedanken: zu sparen, um nach Deutschland gehen zu können. Dafür hat Petrit hart gearbeitet.Ali war sichtlich gerührt, die Familienbande wa-ren in Albanien sehr eng. Petrit war wie ein Bruder für ihn, sie hatten immer ein sehr enges Verhält-nis. Auch als Ali nach Deutschland ging, ist die Verbindung nie abgerissen. Ali wollte immer, dass Petrit hierher kommt, weil er seiner Meinung nach so viel Potenzial hat, das er in Deutschland viel besser nutzen kann. Schon in der Schule hat Petrit ihn abschreiben lassen, wenn der Lehrer nicht hingesehen hat. Ali dachte kurz an die Vergangenheit - wie sie zusammen Fußball spielten und auf Bäume kletterten sie waren nicht nur Verwandte, sie waren Freunde. Er sammelte sich kurz, dann erzählte er weiter. "Außerdem hat Petrit nur Schwestern, wer übernimmt den Hof später? Vielleicht kann er ihn verpachten und hier in Deutschland den Grundstock für seine Familie legen. Vielleicht werden seine Nichten später hier studieren. Bildung ist ihm sehr wichtig. In Alba-nien zählt nur der Mann ... leider". In einem Land, in dem das Patriarchat, die Religion und vor allem die Ehre, die Meinung der anderen über einen Menschen im Vordergrund standen, zählte das Individuum nicht viel. Ali wusste das nur zu gut. "Er hatte noch keine Gelegenheit, eine Partnerin zu finden zudem hat Petrit Pläne, die für Ihn im Vordergrund stehen." Ali hielt kurz inne, es fiel ihm irgendwie schwer zuzugeben, dass Petrit keine Partnerschaft hatte.Aber Melina wollte nicht weiter nachfragen, schließlich war die Ehe eine sehr intime Angele-genheit, eine Entscheidung, die jeder für sich traf."Die letzten Jahre waren nicht leicht für ihn", fuhr Ali schließlich fort. "Zu deiner letzten Frage: Habe ich ihm von dir erzählt? Ja, das habe ich. Ich habe ihm gesagt, dass du mit Blumen arbeitest, 28 Jahre alt bist und einen sechsjährigen Sohn hast. Aber jetzt kann ich ihm auch sagen, dass du schön bist."Auf so ein Kompliment war Melina nicht vor-bereitet, sichtlich stieg ihr die Röte ins Gesicht, aber sie blieb gleich wieder konzentriert, schließlich wollte sie sich durch nichts ablenken lassen.Alis Kompliment war ehrlich gemeint, das spürte sie. Ihre Unsicherheit wich allmählich. Sie wurde neugierig auf ihren zukünftigen Ehemann, und gleichzeitig stach ihr Misstrauen nach dem, was ihr mit Udo widerfahren war, in die Magengrube. Die Gedanken waren allgegenwärtig. "Petrit ist also ein Mann, den man sofort heiraten sollte, so wie du ihn beschreibst."Der leichte Sarkasmus in diesem Satz war nicht zu überhören. Bevor Melina weitersprechen konnte, unterbrach Ali sie."Er ist ein anständiger, aufrichtiger Mann, der noch an die Grundwerte des Lebens glaubt. Er hat mein volles Vertrauen. Für ihn lege ich meine Hand ins Feuer, ich kenne ihn, seit ich denken kann. Er ist wie ein Bruder für mich.Beeindruckt blickte Melina Ali an, der jedes Wort bis ins Mark ernst meinte."Das sollte keine Beleidigung sein", entschuldigte sie sich augenblicklich."Ich habe es auch nicht so gemeint. Petrit ist ein ganz lieber Kerl. Du wirst ihn mögen. Es ist schwer, ihn nicht zu mögen.Yvonne verhielt sich ungewöhnlich still, sie verfolgte das Gespräch aufmerksam, saß ruhig in ihrem Sessel - ganz ungewöhnlich für einen solchen Wirbelwind. Sie trat gerne für ihre Freundin zurück, denn Yvonne war alles andere als still, sie stand sonst gerne im Mittelpunkt. Außerdem konnte sie sich ein Bild von dem Gespräch machen und später ihrer Freundin sachlich mit Rat und Tat zur Seite stehen - bisher hatte sie sich sehr gut geschlagen.Obwohl sie eine kleine Kritik an Petrit geäußert hatte, hatte das der Sympathie in der Runde kei-nen Abbruch getan. Es bewies nur, dass sie sich nicht kopflos in irgendetwas stürzte. Im Gegen-teil, Ali empfand einen gewissen Respekt vor ihr. Es beeindruckte ihn, dass die Frage des Geldes nicht im Vordergrund stand. Ohne sie näher zu kennen, ohne ersichtlichen Grund wurde er das Gefühl nicht los, dass Melina Petrit gefallen könnte. Nicht nur wegen ihres warmherzigen Wesens, sondern auch als Frau. Ali ahnte schon lange, dass Petrit, wenn Interesse an einer Part-nerschaft bestünde, eher Frauen für Petrit in Frage kämen. Seine Gedanken verselbständigten sich plötzlich. Er musste sich sehr bemühen, nicht versehentlich das fache Pronomen zu verwenden. Und somit Das gut gehütete Geheimnis nicht zu verraten.Aber er behielt seine Gedanken für sich. Es wäre auch völlig utopisch an eine "Lovestory" zu denken, da beide Seiten, sowohl Petrit als auch Melina jetzt in schwierigen Situationen lebten. Aber irgendwie wünschte er den beiden von ganzem Herzen Glück. Melina war einfach ein bezaubernder Mensch.Die Welt ist schnelllebig und leider sehr ober-flächlich, dachte er. Konnte es nicht einfach einen Stillstand für zwei Menschen geben? Die beiden würden zusammenpassen, Ali sah sie als Paar in seinem Kopf, aber er verwarf diesen kurzen Ausflug schnell wieder, außerdem ...Zwei Frauen, das passt nicht zusammen. Das ... Ge-heimnis, das Petrit mit sich trug, würde es unmöglich machen, jemals eine Liebesbeziehung einzugehen. Ali fühlte Mitleid mit Petrit, da er fest davon überzeugt war, dass i in besonderen Situation jegliches Glück verwehrt bleiben würde. Die Tradition verbot es, es musste unter allen Umständen ein Geheimnis bleiben.Die Runde riss ihn aus seinen tiefen Gedanken. Melina dachte angespannt nach, schlug die Beine übereinander und richtete ihr Kleid. Mit einer lässigen Bewegung strich sie sich eine Haar-strähne aus dem Gesicht. Ihr Blick wanderte erst zu ihrer Freundin, dann zu Ali."Das klingt alles gar nicht so schlecht. Ich habe mir in den letzten Tagen viele Gedanken gemacht, ich will natürlich kein Risiko eingehen. Wenn das alles stimmt, was du sagst, dann bin ich interes-siert!""Glaub mir, ich würde das sicher nicht jeder Frau anbieten. Schließlich geht es um meine Familie, sie bedeutet uns Albanern alles und wir haben eine große Familie. Natürlich gibt es ein gewisses Risiko, weniger für dich als für Petrit. Seine ganze Existenz, seine Pläne, seine Träume hängen an diesem Projekt, deshalb ist es mir ein persönli-ches Anliegen, eine seriöse Frau zu finden. Die auch optisch zu ihm passt, es muss glaubwürdig sein". Ali war kein oberflächlicher Mann, aber es war wichtig, dass die beiden irgendwie harmo-nierten, denn nur so konnte die Ehe nach außen authentisch wirken."Ich kenne mich zum Beispiel mit den nötigen Papieren überhaupt nicht aus, ich spreche die Sprache nicht ...", wandte Melina besorgt ein.Ali hob die rechte Hand, wieder mit diesem be-ruhigenden Blick. "Egal, welche Fragen oder Probleme du hast, ich bin immer für dich da, Tag und Nacht. Für dich und für Petrit." Er hatte sich alles genau überlegt, er kannte schließlich die Behördenwege, wusste, was auf sie zukommen würde.Melinas Mundwinkel zuckten leicht, ihre Stirn runzelte sich, sie machte es sich nicht zu leicht. Sicher, sie hatte viel Zeit zum Nachdenken gehabt, konnte ihre Angst und Unsicherheit vor sich selbst kaum verbergen, es war schließlich kri-minell, was sie da planten. Trotzdem ließ sie sich von dem Angebot überzeugen und streckte lä-chelnd die Hand nach Ali aus, der ihr gegenüber saß. Ihr Herz schlug ihr bis zum Hals, denn diese Entscheidung war das Aufregendste, was sie je getan hatte.Ali lächelte breit. "Ich freue mich für Petrit, dass er so eine nette Frau an seiner Seite hat, auch wenn es nur vorübergehend ist."Ein fester Händedruck besiegelte den Deal. Die Erleichterung war nicht nur zu spüren, sie war förmlich greifbar.Yvonne sprang auf und eilte in die Küche. "Jetzt erst mal einen Kaffee!"Ali und Melina mussten schmunzeln. Beide wussten, dass der Kaffee alle Geschmackssinne herausforderte, aber das passte einfach zu Yvonne, zu ihrer Persönlichkeit, das machte sie aus. Und warum nicht ... ein schrecklicher Kaffee, so blieb man wenigstens bei der Sache."Wir werden gemeinsam zu den Behörden gehen, es wird eine Weile dauern, bis du alle Unterlagen zusammen hast. Es ist leider ein ziemlicher Hürdenlauf, aber du bist nicht allein." Ali hatte schon alles geplant und war bereit, alles in die Wege zu leiten."Na ja, um Marvin brauchst du dir auch keine Sorgen zu machen", warf Yvonne ein, "der bleibt bei mir, solange du weg bist, ich habe noch Resturlaub." Ohne dass die beiden es bemerkten, war sie mit einem Tablett ins Wohnzimmer zu-rückgekehrt. Sie stellte es auf den Tisch und bot jedem eine Tasse an. Zum ersten Mal schaute Ali ganz ernst in die Runde. Melina musste laut la-chen. Mit einem leichten Hüftschwung versuchte Yvonne, ihre "Ehre" zu verteidigen. Doch schließlich sprach Ali aus, was Melina dachte."Man gönnt sich ja sonst nichts." Mit diesen Worten schluckte er vorsichtig den Kaffee hin-unter, nur um festzustellen, dass ihm noch eine ordentliche Portion Milch und Zucker fehlte."Du sprichst sehr gut Deutsch", lobte ihn Melina."Danke, ich bin - wie du wahrscheinlich weißt - seit 15 Jahren mit einer Deutschen verheiratet und habe auch drei Jahre lang einen Deutschkurs besucht." Ali war sehr bemüht, er hatte seine Ziele immer klar vor Augen, Grundvoraussetzung war die Sprache.Trotz des lockeren Umgangstons blieb eine ge-wisse Ernsthaftigkeit. Melina war es wichtig, etwas über den Menschen zu erfahren, um sich ein besseres Bild machen zu können. Mit Neu-gierde hatte das für sie nichts zu tun. Im Gegenteil, schließlich würde Ali in den nächsten Wochen an ihrer Seite sein. Sie war unglaublich froh, dass die Chemie zwischen ihnen zu stimmen schien."Du arbeitest?""Nun, ich bin seit zwei Wochen arbeitslos, aber am ersten November fange ich eine neue Stelle an.""Das ist gut, dann hast du noch ein paar Wochen Zeit, um alles zu regeln. In dieser Zeit können wir die nötigen Papiere besorgen und dann einen Flug organisieren." Ali hatte nur noch auf die richtige Kandidatin gewartet, jetzt würde alles seinen Lauf nehmen.Melina schaute ein wenig überrascht, es ging alles ein bisschen schnell. Plötzlich überkamen sie so viele gemischte Gefühle, dass sie gar nicht wusste, welche sie zuerst zulassen sollte. Aber eines wusste sie ganz genau: Von nun an ging es für sie seit langer Zeit wieder aufwärts. Ein un-glaubliches Gefühl, in ihren Augen war dieses Geschäft nicht kriminell, sondern für sie le-bensrettend."Melina, mach dir keine Sorgen." Yvonne lä-chelte, es war ein befreiendes Lächeln. Die Chance, wieder da zu sein, wieder atmen zu können. Ihre Sorgen lösten sich mehr und mehr auf.Das Gespräch verlief noch sehr locker und an-genehm, es wurden noch Kleinigkeiten bespro-chen, mehr würde sich sowieso ergeben. Nach kurzer Zeit verabschiedeten sich alle voneinan-der. Melina genoss besonders die feste und herzliche Umarmung von Yvonne.Als sie auf der Straße stand und Ali nachsah, wie er davonfuhr, konnte sie zum ersten Mal an diesem ereignisreichen Nachmittag ein ganz be-stimmtes Gefühl herausfiltern: Hoffnung.
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