In her stunning debut novel, Anya Ulinich delivers a funny and unforgettable story of a Russian mail-order bride trying to find her place in America. After losing her father, her boyfriend, and her baby, Sasha Goldberg decides that getting herself to the United States is the surest path to deliverance. But she finds that life in Phoenix with her Red Lobster-loving fiancé isn't much better than life in Siberia, and so she treks across America on a misadventure-filled search for her long- lost father. Petropolis is a deeply moving story about the unexpected connections that create a family and the faraway places that we end up calling home.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 01.11.2008Die Katalogbraut, die keiner bestellt hat
Eine junge Russin flieht nach Amerika und hält es dort nicht aus: In ihrem bemerkenswerten Debüt "Petropolis" erzählt Anya Ulinich eine moderne Odyssee.
Von Julia Bähr
Sascha Goldberg ist ein personifizierter Randgruppenwitz. Als jüdische, dunkelhäutige Russin hat sie in ihrer Heimatstadt Asbest 2 einen schweren Stand. In der Schule wird sie verprügelt, obwohl sie größer und kräftiger ist als die anderen, und zu Hause versucht ihre Mutter Ljubow, ein Mitglied der Intelligenzija aus ihr zu machen. Vergeblich. Sascha hat kein Talent zum Geigespiel und auch keines zum Eiskunstlauf. Und die Diät, auf die Ljubow sie setzt, macht sie durch eine systematische Fressorgie quer durch den Kühlschrank der Nachbarn zunichte.
Als sie daraufhin mit Mutters Lackledergürtel verprügelt wird, kommen die wahren Talente der Sascha Goldberg zum Vorschein: Aushalten. Nicht jammern. Sascha braucht so wenig liebevolle Zuwendung wie ein Kaktus Wasser - und das ist gut so, denn in ihrem Elternhaus bekommt sie keine. Ihre überehrgeizige Mutter versucht zwar alles, um ihr eine bessere Zukunft zu ermöglichen, doch tut sie das weniger aus Liebe denn aus bloßem Stolz: im Gefühl, in diesem Moloch fehl am Platz zu sein, und in der Erwartung, das einzige Kind möge diesen Fehler des Schicksals ausbügeln.
Aus dieser mütterlichen Obsession heraus entsteht für Sascha eine wahre Odyssee. Sie nimmt ihren Anfang in einer kleinen Kunstschule, die das Mädchen nach dem Unterricht besucht. Besonders talentiert ist sie nicht, aber ihre Mutter hat bei ihrer Bewerbung ein paar Tricks angewendet. Sascha findet eine Freundin und in deren Bruder die Liebe - oder jedenfalls, was sie mit vierzehn Jahren dafür hält. Sie wird schwanger, der Junge wird zum Militär eingezogen. Ljubow reißt die Notbremse, schickt Sascha nach Moskau auf eine Kunstakademie und zieht das Baby als ihres auf.
Auf dem Moskauer Repin-Lyzeum vergleicht sich die traurige junge Mutter mit den anderen: "Sascha suchte so einen Eifer in sich, aber sie fand nur ein faules und dummes Gefühl", heißt es da. Doch von nun an geht es Schlag auf Schlag: Sascha reist als Katalogbraut nach Amerika, um ihren Vater zu suchen, der dort irgendwo leben soll. In Phoenix zieht sie zu Neal, einem achtunddreißigjährigen Intel-Techniker mit Glatze und Schnauzbart, der unbedingt eine Russin kennenlernen wollte, weil amerikanische Frauen ihre Männer angeblich nicht gut behandeln. Sascha gibt sich als volljährig aus und arrangiert sich allmählich mit der Situation - so, wie sie es immer schafft. "In zwei Dingen war Neal wirklich sexy: in Englisch und in Autofahren. Sie wollte nicht daran denken, dass für Amerikaner beides so natürlich wie Atmen war."
Die Autorin Anya Ulinich kam selbst als Siebzehnjährige mit ihrer Familie von Moskau in die Vereinigten Staaten. Sie studierte Malerei, zog es aber vor, ihre Erlebnisse als Immigrantin in Worte zu fassen, anstatt sie bildlich zu verarbeiten. Das Ergebnis ist "Petropolis", benannt nach einem russischen Gedicht, aber geschrieben in der neuen Sprache: Englisch. Ulinich beschreibt in ihrem Roman viele Gefühle und Erfahrungen, die wohl nur Immigranten kennen. Als Sascha sich gerade einigermaßen zwischen Fastfood und vollklimatisierter Behausung eingerichtet hat, trifft sie Marina. Sobald sie diese russisch sprechen hört, ist es vorbei mit der fast perfekten Assimilierung - Flucht ist Saschas einziger Gedanke. Dass ausgerechnet ihre Muttersprache sie plötzlich daran erinnert, dass das neue Leben unerträglich ist, ist so bizarr wie überzeugend.
Saschas Stationen werden immer obskurer. Sie kommt bei einer reichen jüdischen Familie unter, deren Mutter ganztägig ihren gigantischen Samariterkomplex auslebt und über die ausgestopften Tiere in ihrem Haus sagt: "Ich finde, sie haben etwas Heiteres." Sie übernachtet bei einem alten russischen Ehepaar auf Coney Island, das eine Heidenangst vor Schwarzen hat, und deshalb die Polizei rufen will, als der Gast vor der Tür steht. Alle Menschen, denen sie begegnet, zeichnet Anya Ulinich bemerkenswert differenziert, realistisch, aber stets mit einer gewissen Grundsympathie.
Es ist ein Vergnügen, diesen Ritt durch Irrenhäuser aller Art mitzuerleben, weil die Autorin überdies einen feinen Sinn für böseste Satire hat und auch weiß, wann man ihn einsetzen darf - und wann nicht. Als Sascha in das heruntergekommene Asbest 2 zurückkommt, ist kein Platz für Stichelei, hier ist Ulinichs Ton ernst und voller Respekt vor ihren Figuren. Ebenso wie in einer Liebesszene mit einem gelähmten Freund, die so großartig geschrieben und übersetzt ist, dass keine Sekunde lang Voyeurismus oder Peinlichkeit aufkommt.
Die stete Wandlung des Stehaufmännchens Sascha Goldberg wird offenbar, als sie ihren Vater schließlich findet. Am Ziel all ihrer Wünsche angelangt, steht sie zu Recht enttäuscht davor - und entwickelt neue Träume, neue Ziele. Insofern kann das Treffen mit ihrem Vater nicht den Schluss bilden. Der Entwicklungsroman aber findet hier seinen Höhepunkt, da er zeigt, welche Veränderungen im Äußeren ein Mensch ertragen kann und welche er im Innern selbst zu vollziehen in der Lage ist.
- Anya Ulinich: "Petropolis". Die große Reise der Mailorder-Braut Sascha Goldberg. Roman. Aus dem Englischen übersetzt von Pieke Biermann. Deutscher Taschenbuch Verlag, München 2008. 420 S., br., 14,90 [Euro]
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Eine junge Russin flieht nach Amerika und hält es dort nicht aus: In ihrem bemerkenswerten Debüt "Petropolis" erzählt Anya Ulinich eine moderne Odyssee.
Von Julia Bähr
Sascha Goldberg ist ein personifizierter Randgruppenwitz. Als jüdische, dunkelhäutige Russin hat sie in ihrer Heimatstadt Asbest 2 einen schweren Stand. In der Schule wird sie verprügelt, obwohl sie größer und kräftiger ist als die anderen, und zu Hause versucht ihre Mutter Ljubow, ein Mitglied der Intelligenzija aus ihr zu machen. Vergeblich. Sascha hat kein Talent zum Geigespiel und auch keines zum Eiskunstlauf. Und die Diät, auf die Ljubow sie setzt, macht sie durch eine systematische Fressorgie quer durch den Kühlschrank der Nachbarn zunichte.
Als sie daraufhin mit Mutters Lackledergürtel verprügelt wird, kommen die wahren Talente der Sascha Goldberg zum Vorschein: Aushalten. Nicht jammern. Sascha braucht so wenig liebevolle Zuwendung wie ein Kaktus Wasser - und das ist gut so, denn in ihrem Elternhaus bekommt sie keine. Ihre überehrgeizige Mutter versucht zwar alles, um ihr eine bessere Zukunft zu ermöglichen, doch tut sie das weniger aus Liebe denn aus bloßem Stolz: im Gefühl, in diesem Moloch fehl am Platz zu sein, und in der Erwartung, das einzige Kind möge diesen Fehler des Schicksals ausbügeln.
Aus dieser mütterlichen Obsession heraus entsteht für Sascha eine wahre Odyssee. Sie nimmt ihren Anfang in einer kleinen Kunstschule, die das Mädchen nach dem Unterricht besucht. Besonders talentiert ist sie nicht, aber ihre Mutter hat bei ihrer Bewerbung ein paar Tricks angewendet. Sascha findet eine Freundin und in deren Bruder die Liebe - oder jedenfalls, was sie mit vierzehn Jahren dafür hält. Sie wird schwanger, der Junge wird zum Militär eingezogen. Ljubow reißt die Notbremse, schickt Sascha nach Moskau auf eine Kunstakademie und zieht das Baby als ihres auf.
Auf dem Moskauer Repin-Lyzeum vergleicht sich die traurige junge Mutter mit den anderen: "Sascha suchte so einen Eifer in sich, aber sie fand nur ein faules und dummes Gefühl", heißt es da. Doch von nun an geht es Schlag auf Schlag: Sascha reist als Katalogbraut nach Amerika, um ihren Vater zu suchen, der dort irgendwo leben soll. In Phoenix zieht sie zu Neal, einem achtunddreißigjährigen Intel-Techniker mit Glatze und Schnauzbart, der unbedingt eine Russin kennenlernen wollte, weil amerikanische Frauen ihre Männer angeblich nicht gut behandeln. Sascha gibt sich als volljährig aus und arrangiert sich allmählich mit der Situation - so, wie sie es immer schafft. "In zwei Dingen war Neal wirklich sexy: in Englisch und in Autofahren. Sie wollte nicht daran denken, dass für Amerikaner beides so natürlich wie Atmen war."
Die Autorin Anya Ulinich kam selbst als Siebzehnjährige mit ihrer Familie von Moskau in die Vereinigten Staaten. Sie studierte Malerei, zog es aber vor, ihre Erlebnisse als Immigrantin in Worte zu fassen, anstatt sie bildlich zu verarbeiten. Das Ergebnis ist "Petropolis", benannt nach einem russischen Gedicht, aber geschrieben in der neuen Sprache: Englisch. Ulinich beschreibt in ihrem Roman viele Gefühle und Erfahrungen, die wohl nur Immigranten kennen. Als Sascha sich gerade einigermaßen zwischen Fastfood und vollklimatisierter Behausung eingerichtet hat, trifft sie Marina. Sobald sie diese russisch sprechen hört, ist es vorbei mit der fast perfekten Assimilierung - Flucht ist Saschas einziger Gedanke. Dass ausgerechnet ihre Muttersprache sie plötzlich daran erinnert, dass das neue Leben unerträglich ist, ist so bizarr wie überzeugend.
Saschas Stationen werden immer obskurer. Sie kommt bei einer reichen jüdischen Familie unter, deren Mutter ganztägig ihren gigantischen Samariterkomplex auslebt und über die ausgestopften Tiere in ihrem Haus sagt: "Ich finde, sie haben etwas Heiteres." Sie übernachtet bei einem alten russischen Ehepaar auf Coney Island, das eine Heidenangst vor Schwarzen hat, und deshalb die Polizei rufen will, als der Gast vor der Tür steht. Alle Menschen, denen sie begegnet, zeichnet Anya Ulinich bemerkenswert differenziert, realistisch, aber stets mit einer gewissen Grundsympathie.
Es ist ein Vergnügen, diesen Ritt durch Irrenhäuser aller Art mitzuerleben, weil die Autorin überdies einen feinen Sinn für böseste Satire hat und auch weiß, wann man ihn einsetzen darf - und wann nicht. Als Sascha in das heruntergekommene Asbest 2 zurückkommt, ist kein Platz für Stichelei, hier ist Ulinichs Ton ernst und voller Respekt vor ihren Figuren. Ebenso wie in einer Liebesszene mit einem gelähmten Freund, die so großartig geschrieben und übersetzt ist, dass keine Sekunde lang Voyeurismus oder Peinlichkeit aufkommt.
Die stete Wandlung des Stehaufmännchens Sascha Goldberg wird offenbar, als sie ihren Vater schließlich findet. Am Ziel all ihrer Wünsche angelangt, steht sie zu Recht enttäuscht davor - und entwickelt neue Träume, neue Ziele. Insofern kann das Treffen mit ihrem Vater nicht den Schluss bilden. Der Entwicklungsroman aber findet hier seinen Höhepunkt, da er zeigt, welche Veränderungen im Äußeren ein Mensch ertragen kann und welche er im Innern selbst zu vollziehen in der Lage ist.
- Anya Ulinich: "Petropolis". Die große Reise der Mailorder-Braut Sascha Goldberg. Roman. Aus dem Englischen übersetzt von Pieke Biermann. Deutscher Taschenbuch Verlag, München 2008. 420 S., br., 14,90 [Euro]
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 03.02.2009Mondschein in Asbest
„Petropolis” – das erstaunliche Romandebüt der Anya Ulinich
Kann ein Leben unter einem schlimmeren Unstern beginnen als das von Sascha Goldberg? Ihr Name verrät ihren jüdischen, Haar und Haut ihren afrikanischen Ursprung (Ergebnis eines Festivals der Völkerfreundschaft noch zu Sowjetzeiten), die Klassenkameraden drangsalieren sie, ihr Vater ist nach Amerika abgehauen, aufwachsen muss sie unter der Zuchtrute ihrer halbverrückten Mutter Ljubow, und das alles in einer Stadt am nördlichen Polarkreis mit dem anheimelnden Namen „Asbest 2”.
„Die Wohnungen waren zwar inzwischen privatisiert, aber Grund und Boden gehörten immer noch Dem Volk, und Das Volk schnitt nun mal Ecken ab, trampelte Pfade durch Schluchten und über Müllkippen und schlug sich durch die Büsche, zwecks immerwährender Optimierung seiner Wege. Wenn Das Volk schlief, glitzerten seine Fußabdrücke, von Eis verkrustet oder mit Matsch aufgefüllt, im Mondschein wie ein silbernes Band. In klaren Nächten verknüpfte dieses Band die Schule mit dem Schnapsladen, den Schnapsladen mit der Asbestmine, die Mine mit der Leichenhalle und die Leichenhalle mit dem Telefonamt. Ein leicht vorsehbares Diagramm des Alltagslebens in einer Stadt, die nicht fürs Leben geschaffen war.”
So, mit einem scharfen Blick für bezeichnende Details, mit Witz in hoffnungslosen Lagen und einer eigenwilligen Poesie, schildert Anya Ulinich, 1973 in Russland geboren und als Siebzehnjährige in die USA ausgewandert, in ihrem ersten Buch den Lebenslauf einer Heldin, der mit ihrem eigenen wohl mehr als zufällige Ähnlichkeiten aufweist. Sascha will um jeden Preis da raus und lässt sich von der Agentur „Amors Bogen” einem Bräutigam in Tucson / Arizona vermitteln, den sie, als sie erst mal drüben ist, leicht entbehren kann.
Ihr verschlungener weiterer Weg führt sie nach New York, sie sucht und findet ihren Vater (diese „menschliche Amöbe” bereitet ihr eine bodenlose Enttäuschung), und es gelingt ihr der Aufstieg in die Existenz einer selbständigen Putzfrau – einer Feng-Shui-Putzfrau mit Visitenkarte, die ihren Kundinnen im links-esoterischen Milieu, ohne mit der Wimper zu zucken, 25 Dollar pro Stunde abknöpft.
Auch ihre siebenjährige Tochter, die sie als Baby zurücklassen musste, holt sie nach; Nadja lernt sofort Englisch und weiß genau, was sie will. „Ich wihl Rucksack, was ihst glänzend!” Das ist komisch und traurig zugleich – und deutet an, wie hellhörig die Übersetzerin Pieke Biermann den hier erforderlichen Ton getroffen hat.
Zwei Vorsilben, ein Satz
Anya Ulinich weiß, wie man Figuren entwirft, die den Leser, auch wenn sie noch so ekelhaft sind, zur Anteilnahme zwingen, und sie weiß, wie man aus den Funken, die beim Zusammenstoß zweier Kulturen fliegen, Licht macht. „Auf dem Weg zum posjolok versucht Sascha, das Lamento der Alten zu übersetzen. Das kurze Wort ponajechali heißt so viel wie ,die sind über einen langen Zeitraum hergekommen und in solchen Mengen, dass sie ein Ärgernis geworden sind’. Oh großartige und mächtige russische Sprache! In ihr entfaltet Brutalität geballte Wirkung. Zwei Vorsilben ersetzen einen ganzen Satz. Plötzlich wird ihr klar, wie sehr ihr Brooklyn fehlt, wo die Leute sich gegenseitig einfach motherfucker nennen.” Ein in jeder Hinsicht überraschendes, ein intelligentes, ein humanes Buch.
BURKHARD MÜLLER
ANYA ULINICH: Petropolis. Die große Reise der Mailorder-Braut Sascha Goldberg. Roman. Aus dem Englischen übersetzt von Pieke Biermann. dtv, München 2008. 419 Seiten, 14,90 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.sz-content.de
„Petropolis” – das erstaunliche Romandebüt der Anya Ulinich
Kann ein Leben unter einem schlimmeren Unstern beginnen als das von Sascha Goldberg? Ihr Name verrät ihren jüdischen, Haar und Haut ihren afrikanischen Ursprung (Ergebnis eines Festivals der Völkerfreundschaft noch zu Sowjetzeiten), die Klassenkameraden drangsalieren sie, ihr Vater ist nach Amerika abgehauen, aufwachsen muss sie unter der Zuchtrute ihrer halbverrückten Mutter Ljubow, und das alles in einer Stadt am nördlichen Polarkreis mit dem anheimelnden Namen „Asbest 2”.
„Die Wohnungen waren zwar inzwischen privatisiert, aber Grund und Boden gehörten immer noch Dem Volk, und Das Volk schnitt nun mal Ecken ab, trampelte Pfade durch Schluchten und über Müllkippen und schlug sich durch die Büsche, zwecks immerwährender Optimierung seiner Wege. Wenn Das Volk schlief, glitzerten seine Fußabdrücke, von Eis verkrustet oder mit Matsch aufgefüllt, im Mondschein wie ein silbernes Band. In klaren Nächten verknüpfte dieses Band die Schule mit dem Schnapsladen, den Schnapsladen mit der Asbestmine, die Mine mit der Leichenhalle und die Leichenhalle mit dem Telefonamt. Ein leicht vorsehbares Diagramm des Alltagslebens in einer Stadt, die nicht fürs Leben geschaffen war.”
So, mit einem scharfen Blick für bezeichnende Details, mit Witz in hoffnungslosen Lagen und einer eigenwilligen Poesie, schildert Anya Ulinich, 1973 in Russland geboren und als Siebzehnjährige in die USA ausgewandert, in ihrem ersten Buch den Lebenslauf einer Heldin, der mit ihrem eigenen wohl mehr als zufällige Ähnlichkeiten aufweist. Sascha will um jeden Preis da raus und lässt sich von der Agentur „Amors Bogen” einem Bräutigam in Tucson / Arizona vermitteln, den sie, als sie erst mal drüben ist, leicht entbehren kann.
Ihr verschlungener weiterer Weg führt sie nach New York, sie sucht und findet ihren Vater (diese „menschliche Amöbe” bereitet ihr eine bodenlose Enttäuschung), und es gelingt ihr der Aufstieg in die Existenz einer selbständigen Putzfrau – einer Feng-Shui-Putzfrau mit Visitenkarte, die ihren Kundinnen im links-esoterischen Milieu, ohne mit der Wimper zu zucken, 25 Dollar pro Stunde abknöpft.
Auch ihre siebenjährige Tochter, die sie als Baby zurücklassen musste, holt sie nach; Nadja lernt sofort Englisch und weiß genau, was sie will. „Ich wihl Rucksack, was ihst glänzend!” Das ist komisch und traurig zugleich – und deutet an, wie hellhörig die Übersetzerin Pieke Biermann den hier erforderlichen Ton getroffen hat.
Zwei Vorsilben, ein Satz
Anya Ulinich weiß, wie man Figuren entwirft, die den Leser, auch wenn sie noch so ekelhaft sind, zur Anteilnahme zwingen, und sie weiß, wie man aus den Funken, die beim Zusammenstoß zweier Kulturen fliegen, Licht macht. „Auf dem Weg zum posjolok versucht Sascha, das Lamento der Alten zu übersetzen. Das kurze Wort ponajechali heißt so viel wie ,die sind über einen langen Zeitraum hergekommen und in solchen Mengen, dass sie ein Ärgernis geworden sind’. Oh großartige und mächtige russische Sprache! In ihr entfaltet Brutalität geballte Wirkung. Zwei Vorsilben ersetzen einen ganzen Satz. Plötzlich wird ihr klar, wie sehr ihr Brooklyn fehlt, wo die Leute sich gegenseitig einfach motherfucker nennen.” Ein in jeder Hinsicht überraschendes, ein intelligentes, ein humanes Buch.
BURKHARD MÜLLER
ANYA ULINICH: Petropolis. Die große Reise der Mailorder-Braut Sascha Goldberg. Roman. Aus dem Englischen übersetzt von Pieke Biermann. dtv, München 2008. 419 Seiten, 14,90 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
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"Audacious, clever, and lively . . . a nervy social satire in the spirit of Tom Wolfe, Aleksandar Hemon, Gish Jen, Gary Shteyngart, and Lara Vapnyar."
-Chicago Tribune
"Ulinich has a knack for the tragicomic. . . . Petropolis is engaging, funny, and genuinely moving in all the right places."
-Los Angeles Times Book Review
"A moving account of a perpetual outsider's desire to belong, both to her family and to the wide, weird world she encounters with a sometimes weary heart and plenty of chutzpah."
-USA Today
"A beautiful far-ranging voice equally at home on both sides of the Atlantic . . . Anya Ulinich's satiric romp gives new meaning to the word 'bittersweet.'"
-Gary Shteyngart, author of Absurdistan and The Russian Debutante's Handbook
-Chicago Tribune
"Ulinich has a knack for the tragicomic. . . . Petropolis is engaging, funny, and genuinely moving in all the right places."
-Los Angeles Times Book Review
"A moving account of a perpetual outsider's desire to belong, both to her family and to the wide, weird world she encounters with a sometimes weary heart and plenty of chutzpah."
-USA Today
"A beautiful far-ranging voice equally at home on both sides of the Atlantic . . . Anya Ulinich's satiric romp gives new meaning to the word 'bittersweet.'"
-Gary Shteyngart, author of Absurdistan and The Russian Debutante's Handbook