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Produktdetails
  • Verlag: Lenos
  • ISBN-13: 9783857873997
  • ISBN-10: 385787399X
  • Artikelnr.: 23844383
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 01.12.2008

Pflanzen haben einfach keine Nerven
Von Duftvokabeln und Seelen-Energie: Florianne Koechlin belauscht die botanische Welt
„PflanzenPalaver” nennt Florianne Koechlin ihr neues Buch, und tatsächlich konfrontiert es den Leser mit reichlich Geplauder: Auf ihrer Reise zu den „Geheimnissen der botanischen Welt” macht die Autorin bei gut einem Dutzend Pflanzennarren – Bauern, Wissenschaftlern, Malern, Philosophen – Station. Die Gespräche, die sie mit diesen Spezialisten geführt hat, gibt sie in „PflanzenPalaver”, reportagehaft eingebettet, jedoch nicht unbedingt immer sonderlich pointiert, wieder.
Der Titel allerdings ist doppeldeutig: Koechlin, ausgebildete Biologin, fragt sich nämlich durchaus, ob auch Pflanzen miteinander reden. Auf der Suche nach einer Antwort trifft sie unter anderem Günther Witzany, einen „Biosemiotiker”. Witzany ist der Überzeugung, dass nicht nur Menschen und Tiere – wie die Bienen – miteinander kommunizieren, sondern dass auch Pflanzen auf die eine oder andere Weise ihr Zusammenleben zeichenhaft organisieren – durch „Duftvokablen” etwa. So können Tomatenpflanzen ihresgleichen mittels Duftstoffen vor Raupen warnen.
Doch beginnt Koechlin ihre Reise durch die botanische Welt nicht im Labor, sondern auf einem Bauernhof in Österreich, wo in 1400 Metern Höhe die Orangen blühen. Sie bereist „Homegardens”, besonders artenreiche Gärten in Indien. Unermüdlich preist sie die Vorzüge von Anbaumethoden, die auf Pflanzenvielfalt und natürliche Düngung setzen, Gegenmodelle zu den vermeintlich ertragreicheren Monokulturen. Wilde Baumwollpflanzen etwa, schreibt Koechlin, produzieren zehnmal so viele Duftstoffe wie gezüchtete. Im Zweifelsfall besäßen sie also ein besseres Immunsystem.
Den Gedanken, dass sie damit vielleicht auch redseliger sind als ihre überzüchteten Artgenossen, lässt Koechlin nicht aufkommen, wie bei ihr überhaupt nie die Rede davon ist, dass möglicherweise eine Notwendigkeit bestehen könnte, Landwirtschaft konventionell zu betreiben. So ist ihren Pflanzenbetrachtungen eine gewisse Naturromantik, etwas durchaus Fetischhaftes eigen. Als wäre die Pflanzenwelt die bessere Welt.
Der Büro-Ficus als Individuum?
Dabei ist Koechlin durchaus bemüht, ja beinahe überbemüht, nicht esoterisch zu wirken. Ganz entrinnen aber kann sie dieser Gefahr nicht. Wenn sie in Bonn etwa František Baluška besucht, der eine Art Neurophysiologie der Pflanzen betreibt, dann mag der Laie das hinnehmen; viele Wissenschaftler aber schlagen die Hände über dem Kopf zusammen: Pflanzen haben eben keine Nerven.
Wenn Koechlin dann aber auch noch Andreas Schwarz trifft, der, aufgepasst, „Naturgespüri-Kurse” anbietet, bei denen man sich auf die „Energien der Pflanzen” einlässt und die Grundlage akzeptiert, „dass in jeder Pflanze etwas Übersinnliches wirkt”, dann muss man doch, um sich zu erden, dem Ficus im Büro erst einmal einen Tritt verpassen oder die Topfpflanze ein wenig rupfen. Leider bezieht Koechlin bei all dem nicht klar Stellung. Erst im letzten Kapitel zieht so etwas wie philosophische Vernunft in ihr Buch ein. Hier reagiert der Philosoph Hans Werner Ingensiep geradezu allergisch auf die in vorherigen Kapiteln immer wieder sehr ins Ungefähre gestellte Frage, ob Pflanzen denn Empfindungen, ob sie gar eine Seele haben. Was heiße schon Seele, sagt er, „es gibt in der abendländischen Tradition mindestens zwei Dutzend Vorstellungen über die Seele.” Es folgt ein Schnellkurs in Pflanzenphilosophie, von Platon über Descartes bis Fechner, und schließlich die Einsicht, dass Leute wie František Baluška heute im Grunde „Seele” durch „Gehirn” oder „Nervensystem” austauschten.
Dagegen mag sich auch Florianne Koechlin nicht stemmen. In den das Buch beschließenden „Rheinauer Thesen zu den Rechten der Pflanzen” ist von Seele dann nicht mehr die Rede, stattdessen wird den Pflanzen der Status von „Individuen” zugesprochen, ein, zugegeben, sicherlich nicht weniger problematischer Begriff. Dass sich der Mensch im Umgang mit Pflanzen aber allzu oft rücksichtslos verhält, ihr „Eigensein” missachtet, das mag man, Palaver hin, Seele her, durchaus unterschreiben. TOBIAS LEHMKUHL
FLORIANNE KOECHLIN: PflanzenPalaver. Belauschte Geheimnisse der botanischen Welt. Lenos Verlag, Basel 2008. 238 Seiten, 19,90 Euro.
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Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.sz-content.de
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

So doppeldeutig der Titel ist, so zweischneidig erscheint dem Rezensenten Tobias Lehmkuhl auch das Lesevergnügen. Die Biologin Florianna Koechlin begibt sich in "PflanzenPalaver" auf eine Reise zu den "Geheimnissen der botanischen Welt", wie Lehmkuhl meint, wobei sie in Reportagen die Gespräche wiedergibt, die sie mit Bauern, Wissenschaftlern, Malern und Philosophen geführt hat - laut Lehmkuhl leider nicht immer sonderlich pointiert. Die zentrale Frage, der die Autorin dabei nachgeht, ist, ob auch Pflanzen untereinander kommunizieren. Doch obwohl sich Koechlin bemüht, nicht esoterisch zu wirken, wie Rezensent Lehmkuhl einräumt, stört er sich an ihrer "Naturromantik", die er fast schon "fetischhaft" nennt - als würde sie die Welt der Pflanzen letztendlich für die bessere halten. Unterstützen kann er aber die Botschaft der Autorin, dass die Menschen verantwortungslos mit Pflanzen umgehen und ihr "Eigensein" gefährden.

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