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Eine Phänomenologie der Aufmerksamkeit gibt sich weder mit subjektiven Akten noch mit anonymen Mechanismen zufrieden. Sie bewegt sich zwischen Auffallen und Aufmerken in einem Schwerefeld, das die »Gewichte der Dinge« verändert. Wir sind daran beteiligt, aber nicht als autonome Subjekte. Dazu gehören räumliche Szenerien und zeitliche Verzögerungen. Etwas kommt auf uns zu, bevor wir darauf zugehen. Hinzu kommt ein Arsenal aus Techniken, Medien und sozialen Praktiken, das eine ökonomie und Politik der Aufmerksamkeit hervorbringt. Die Verankerung dieser Zwischeninstanzen im Leib, der als…mehr

Produktbeschreibung
Eine Phänomenologie der Aufmerksamkeit gibt sich weder mit subjektiven Akten noch mit anonymen Mechanismen zufrieden. Sie bewegt sich zwischen Auffallen und Aufmerken in einem Schwerefeld, das die »Gewichte der Dinge« verändert. Wir sind daran beteiligt, aber nicht als autonome Subjekte. Dazu gehören räumliche Szenerien und zeitliche Verzögerungen. Etwas kommt auf uns zu, bevor wir darauf zugehen. Hinzu kommt ein Arsenal aus Techniken, Medien und sozialen Praktiken, das eine ökonomie und Politik der Aufmerksamkeit hervorbringt. Die Verankerung dieser Zwischeninstanzen im Leib, der als Leibkörper auch neurologische Prozesse und das Wirken des Unbewußten einschließt, widersetzt sich der Hypostasierung von Körperkonstrukten, Netzwerken und Machtpraktiken. Aufmerksamkeitskonflikte verweisen auf ein Ethos, das uns mit Unerwartbarem konfrontiert und in einer Beachtung gipfelt, die wir anderen schulden, ob wir es wollen oder nicht.
Autorenporträt
Bernhard Waldenfels, geboren 1934 in Essen, ist Professor emeritus für Philosophie an der Ruhr-Universität Bochum. Für sein Werk wurde er u. a. mit dem Sigmund-Freud-Kulturpreis und dem Dr.-Leopold-Lucas-Preis ausgezeichnet.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 04.02.2005

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Bernhard Waldenfels’ „Phänomenologie der Aufmerksamkeit”
Je unübersichtlicher die Warenwelt wird, desto lauter, bunter und trickreicher gerät der Kampf um die Kaufkraft der Konsumenten. Wer um jeden Preis auffallen will, darf Geiz nicht geil finden. So stellt sich als eine der Paradoxien der ausufernden Werbewelt heraus, dass nicht mehr in erster Linie für etwas geworben wird, nämlich ein Produkt, das verkauft werden soll. Geworben wird vielmehr selbst in der Sphäre des Ökonomischen um etwas, das letztlich nicht in Geldäquivalente zu verrechnen ist: darum, einen Blick auf sich zu lenken oder für einen kurzen Moment ein Ohr zu erhaschen. „Die Werbung für etwas”, beschreibt der Philosoph Bernhard Waldenfels diese Verschiebung vom Gegenstand auf den Adressaten, „geht unmittelbar über in eine Werbung um die Aufmerksamkeit selbst.”
Der Aufmerksamkeit nähert sich Bernhard Waldenfels in einer Reihe von Einzelstudien, in denen sich phänomenologische Analysen zu Erfahrung und ihren medialen Ermöglichungsbedingungen ablösen mit Exkursen zu Psychoanalyse oder Erzähltheorie. Dieses geduldige Einkreisen gilt einem Gegenstand, der definitorisch kaum auf einen Nenner zu bringen ist. So bemüht sich einerseits eine ganze Industrie darum, Auffälligkeiten und Aufmerksamkeiten zu steuern. Andererseits erschöpft sich das Phänomen selbst jedoch nicht in den Techniken, die zu seiner Steuerung erdacht wurden, auch wenn sie direkt an dem ansetzen, was Waldenfels „Zwischeninstanzen” nennt. Diese Zwischeninstanzen stellen ein ganzes „Arsenal aus Techniken, Medien, sozialen Praktiken” dar, angefangen von der „Weckung” der Aufmerksamkeit mittels Farb- oder Lautkontrasten bis zur technischen Umsetzung in Signal- oder Überwachungsgeräten, etwa dem Wecker oder der Alarmanlage.
Diese Techniken sind aber letztlich nicht mehr als die diskursanalytisch beschreibbare Oberfläche der Erfahrung, unter denen das Phänomen der Aufmerksamkeit gleichsam hindurchgleitet. Über diese Beschreibungsebenen geht Waldenfels hinaus und kritisiert den sich in ihnen manifestierenden Kulturbegriff als Verfestigung kultureller Merk- oder Wirkwelten, eine „Feststellung” des Menschen mit anderen Mitteln. Ohne „Feststellungen”, konstatiert Waldenfels, gäbe es zwar nur Schocks oder ein Aufblitzen zusammenhangloser Ereignisse. Daher muss Erfahrung modelliert werden, um „verlässliche Erfahrungsordnungen” herzustellen.
Zwischenereignis Fokussierung
Allerdings erzeugt Erfahrung wiederum einen Überschuss jenseits der bloßen Wiederholung von vorgegebenen Rastern. Die Aufmerksamkeit erlaubt es, den Blick auf dieses Charakteristikum jeder Erfahrung zu schärfen. Waldenfels’ phänomenologische Erkundungsgänge spielen sich ab im Zwischenreich zwischen der Eröffnung von Erfahrungsspielräumen und der Habitualisierung von Wahrnehmungsweisen, dort, wo wir auf das „Unerwartbare im Erwarteten” treffen, das, „was uns aufhorchen oder aufschrecken lässt”.
Damit nähert sich der Bochumer Emeritus Waldenfels einem „Zwischen”, das er schon in früheren Arbeiten als Übergangszone ausgezeichnet hatte, in der die klassischen Oppositionen von Aktivität und Passivität oder Spontaneität und Rezeptivität aufgehoben sind. In Waldenfels’ „Bruchlinien der Erfahrung” waren es die „Zwischenorte”, hier sind es „Zwischenereignisse”. In ihnen wird allerdings keine Vermittlung beschrieben, sondern eher eine Differenz eröffnet - etwa der Hiatus, der zwischen Aufmerken und Bemerken liegt, der kurze Moment der Fokussierung, die Differenz zwischen dem Blick in den Spiegel und dem Blick, der mir aus dem Spiegel entgegenkommt, die zur Folge hat, dass „immer ein Moment der Fremdheit in den Selbstanblick eindringt.”
Waldenfels nennt seine Herangehensweise eine „pathische Form der Phänomenologie”. Erfahren ist auch Erleiden: „Nur Erfahrungen ohne Widerfahrnisse lassen sich in einem Wissen aufheben, weil der Vorsprung in diesem Fall tatsächlich nur in einem Vorwissen besteht. Eine Erfahrung, die nicht aus dem Pathos kommt, durchläuft nur Wissensschleifen.”
Damit ordnet er sich selbst ein in die phänomenologische Tradition eines Merleau-Ponty oder Levinas. Er verlängert diese Tradition insbesondere in der ethischen Ausrichtung seiner Überlegungen, die ansetzen bei der sprachlichen Bedeutungsvielfalt von Aufmerksamkeit „von dem, was uns auffällt und anregt, bis zur Beachtung, die wir einander schenken oder vorenthalten”. Dies öffnet den Blick auf die soziale Dimension der Aufmerksamkeit: Das Aufmerksamkeitsgeschehen spielt sich zwischen mehreren Personen ab - sei es im Wahlkampf oder in der Werbung.
Von hier ist es nicht mehr als ein kleiner Schritt zu einer Reflexion der Machtverhältnisse: Wer auf sich aufmerksam macht, setzt sich gegen andere durch. Schon der Schritt auf den Markt folgt Mechanismen der Macht, selbst „der Eintritt in die Sphäre der Auffälligkeit” erweist sich als beschränkt und umstritten. Waldenfels setzt dagegen mit utopisch anmutendem Gestus das „Anarchische und Atechnische” der Aufmerksamkeit. Von hier aus fällt ein mildes Licht auf seine gelegentlich kulturkonservativ daherkommende Kritik am „hypermodernen Kampf um die Aufmerksamkeit”, der Sphäre der Werbung und der ökonomisierten Politik: „Was uns auffällt, bleibt auf radikale Weise unbemerkt und unbewirkt, es bleibt uns fremd und eben dadurch verführerisch.”
SONJA ASAL
BERNHARD WALDENFELS: Phänomenologie der Aufmerksamkeit. Suhrkamp Verlag, Frankfurt 2004. 11 Euro, 304 Seiten.
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Schade, dass Sonja Asal sich keine zwei Zentimeter von der abstrakten Sprache des vorliegenden Buches lösen und damit die Brücke zum Leser der Rezension schlagen kann - was in der Studie sicher argumentativen Wert und intellektuelle Berechtigung, sogar Notwendigkeit hat, ist als isoliertes Zitat in der Besprechung schwer nachvollziehbar. Immerhin, es wird deutlich, dass Waldenfels an Maurice Merleau-Ponty und Emmanuel Levinas geschulte "phänomenologische Erkundungsgänge" unternimmt, um sich dem Begriff und der Realität der "Aufmerksamkeit" zu nähern - einem gesellschaftlich relevanten, weil umkämpften Gegenstand, geht es doch in Werbung und Politik vor allem darum: "Wer auf sich aufmerksam macht, setzt sich gegen andere durch." Waldenfels nähert sich der Aufmerksamkeit über eine "Reihe von Einzelstudien", also von verschiedenen Seiten: Phänomenologie, Erzähltheorie, Psychoanalyse. Und er tut das augenscheinlich zur Zufriedenheit der Rezensentin.

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