Zu Unrecht kennt weder die deutsch- noch die englischsprachige Literatur eine umfassende Gesamtschau von Leben und Werk von Felix Kaufmann (1895-1949), dem "Phänomenologen des Wiener Kreises". Diesem Mißstand abzuhelfen, ist Ziel dieser Publikation. Er war ein Mittler zwischen verschiedenen Forschungsbereichen - als Jurist, Philosoph, Wissenschaftstheoretiker und Sozialwissenschaftler mit naturwissenschaftlichen Interessen. In einer Zeit, die Interdisziplinarität zwar als Schlagwort und wiederkehrende Forderung im Wissenschaftsbetrieb kennt, in der aber eine Umsetzung in die Praxis dennoch erst in Teilbereichen erfolgt ist, kann Felix Kaufmann mehr denn je als ein Beispiel für die Möglichkeiten einer verstärkten Zusammenarbeit der Disziplinen gelten.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 08.09.1997Der kurze Alpenfrühling der Wissenschaftstheorie
Österreichs Wiener Kreis war ein Knäuel kontroverser Meinungen, die ein eigenes Forschungsinstitut zu entwirren versucht
Eine ganze Stadt, das gesamte österreichische Volk und ihr Goldesel, die Tourismusbranche, zehren von erlesenen Klischees, die noch weniger als die halbe Wahrheit sind, aber sich hartnäckig an den Namen Wien klammern. Zu den blinden Flecken im Blick auf die Nation gehört indes die Geschichte der österreichischen Wissenschaft. Ihrer Wirkung auf die moderne Welt widmet sich ein von Friedrich Stadler herausgegebener Band, der die Beiträge eines Frankfurter Symposions von 1995 sammelt.
Im Zentrum steht der sogenannte "Wiener Kreis", eine Gruppe wissenschaftstheoretisch interessierter Philosophen und Wissenschaftler, die sich während der zwanziger und dreißiger Jahre in Wien bei Abendgesellschaften trafen. Ihr Kopf war der Wissenschaftstheoretiker Moritz Schlick. Auch der Logiker Rudolf Carnap und der Mathematiker Kurt Gödel gehörten zu dem Zirkel, in dessen weiterem Umkreis der asketische Riese Ludwig Wittgenstein stand. Die Gruppe beeinflußte Denker wie Karl Popper, den Befürworter von Crash-Tests für Theorien, seinen Intimfeind, den Methodenanarchisten Paul Feyerabend, und auch den großen alten Mann der amerikanischen Philosophie, Willard Van Orman Quine.
Der Zirkel pflegte einen eigenen wissenschaftlichen Geist. Auf dem Banner, dem die Gelehrten in lockerer Marschordnung folgten, standen das ausgeprägte Mißtrauen gegenüber aller Metaphysik, die Betonung der Naturwissenschaften als Leitfaden des Denkens und ein tiefes Vertrauen auf die bindende Kraft der Logik. Mit diesen Glaubensartikeln verband sich ein bestimmter "Denkstil", wie der in Amerika lehrende Physiker und Kybernetiker Heinz von Foerster schreibt: ein beständiges Bestreben, ein einheitliches Fundament für die Wissenschaften zu legen, ein bisweilen spielerischer, bisweilen pedantischer Umgang mit Begriffs- und Regelbausätzen, aus denen Weltmodelle wuchsen (die dann wieder in sich zusammenstürzten), und nicht zuletzt ein unbarmherziges beständiges Prüfen der eigenen Position.
Der Elan entstammte einem in Österreich damals günstigen Klima für unspekulatives, empirisches Denken, das nicht nur Wissenschaftstheorie, sondern auch Künste wie die Musik oder die Architektur erfaßte. Der Musikwissenschaftler Kurt Blaukopf verweist auf die 1911 veröffentlichte "Harmonielehre" Arnold Schönbergs, in der sich der Komponist gegen die idealistische Ästhetik des neunzehnten Jahrhunderts wandte und versuchte, eine Musiklehre auf klaren musikalischen Grundsätzen aufzubauen. Ähnlich schafften Wiener Architekten wie Adolf Loos oder Josef Frank - zumindest in der Theorie - das Ornament des Historismus ab, um einen klaren, auf menschliche Bedürfnisse zugeschnittenen Baustil zu kreieren. Das hat nicht zuletzt in den Siedlungsbauten für die Wiener Arbeiterschaft seine Spuren hinterlassen.
Innerhalb des Wiener Kreises wurde kontrovers diskutiert. Die weitverbreitete Ansicht, es habe sich um eine auf den logischen Empirismus eingeschworene Versammlung gehandelt, trifft in Wahrheit nur auf bestimmte, wenn auch herausragende Köpfe zu, vor allem auf Carnap und Schlick. In der neueren Forschung werden individuelle Positionen klarer erkennbar. Das Bild des perfekten Kreises macht einem unregelmäßigen Vieleck Platz.
Das dokumentiert auch ein dem Leben und Werk des Rechtswissenschaftlers Felix Kaufmann gewidmeter Band derselben Reihe. Kaufmann, ein Mitglied des Wiener Kreises, lehnte die Metaphysik rigoros ab. Er suchte nach einer einheitlichen Grundlage allen Wissens und arbeitete an einem Regelwerk, dem alle Wissenschaft folgen sollte. Dabei ging es ihm aber nicht um formale Logik. Ihn interessierte der pragmatische Aspekt der Forschung. Kaufmann entwickelte eine von der Phänomenologie inspirierte Methodenlehre, die zu klären versuchte, wie in der Wissenschaft Entscheidungen fallen und Aussagen begründet werden. Damit nahm er in den dreißiger und vierziger Jahren bereits viele Themen vorweg, die erst Jahrzehnte später in der modernen Wissenschaftstheorie wieder aufkommen sollten.
Felix Kaufmann geriet aber rasch in Vergessenheit - so, wie auch der Wiener Kreis ein Opfer der Geschichte wurde. Hilde Spiel hat diese Entwicklung zusammengefaßt: "Alles Unheil, das ganze tragische Geschehen, das Wien bevorstand, warf seinen Schatten voraus, als Moritz Schlick im Juni 1936 auf den Stufen der Philosophischen Fakultät von einem verblendeten Studenten ermordet wurde. Danach war alles möglich geworden. Und alles, was möglich war, trat ein."
Nach dem Anschluß Österreichs emigrierten viele der herausragenden Mitglieder der Gruppe wie Carnap oder Gödel. Kaufmann starb 1949 an einer Herzattacke in New York, wo er an der Emigranten-Universität, der "New School for Social Research", gelehrt hatte. Die Früchte der Gedanken des Wiener Kreises wurden andernorts geerntet, vor allem in den Vereinigten Staaten, wo die Emigranten mithalfen, die analytische Philosophie zu begründen. HUBERTUS BREUER
Friedrich Stadler (Hrsg.): "Wissenschaft als Kultur". Österreichs Beitrag zur Moderne. Veröffentlichungen des Instituts Wiener Kreis, Band 6. Springer Verlag, Wien 1997. 328 S., Abb., br., 66,- DM.
Friedrich Stadler (Hrsg.): "Phänomenologie und Logischer Empirismus". Zentenarium Felix Kaufmann (1895-1949). Veröffentlichungen des Instituts Wiener Kreis, Band 7. Springer Verlag, Wien 1997. 163 S., br., 52,- DM.
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Österreichs Wiener Kreis war ein Knäuel kontroverser Meinungen, die ein eigenes Forschungsinstitut zu entwirren versucht
Eine ganze Stadt, das gesamte österreichische Volk und ihr Goldesel, die Tourismusbranche, zehren von erlesenen Klischees, die noch weniger als die halbe Wahrheit sind, aber sich hartnäckig an den Namen Wien klammern. Zu den blinden Flecken im Blick auf die Nation gehört indes die Geschichte der österreichischen Wissenschaft. Ihrer Wirkung auf die moderne Welt widmet sich ein von Friedrich Stadler herausgegebener Band, der die Beiträge eines Frankfurter Symposions von 1995 sammelt.
Im Zentrum steht der sogenannte "Wiener Kreis", eine Gruppe wissenschaftstheoretisch interessierter Philosophen und Wissenschaftler, die sich während der zwanziger und dreißiger Jahre in Wien bei Abendgesellschaften trafen. Ihr Kopf war der Wissenschaftstheoretiker Moritz Schlick. Auch der Logiker Rudolf Carnap und der Mathematiker Kurt Gödel gehörten zu dem Zirkel, in dessen weiterem Umkreis der asketische Riese Ludwig Wittgenstein stand. Die Gruppe beeinflußte Denker wie Karl Popper, den Befürworter von Crash-Tests für Theorien, seinen Intimfeind, den Methodenanarchisten Paul Feyerabend, und auch den großen alten Mann der amerikanischen Philosophie, Willard Van Orman Quine.
Der Zirkel pflegte einen eigenen wissenschaftlichen Geist. Auf dem Banner, dem die Gelehrten in lockerer Marschordnung folgten, standen das ausgeprägte Mißtrauen gegenüber aller Metaphysik, die Betonung der Naturwissenschaften als Leitfaden des Denkens und ein tiefes Vertrauen auf die bindende Kraft der Logik. Mit diesen Glaubensartikeln verband sich ein bestimmter "Denkstil", wie der in Amerika lehrende Physiker und Kybernetiker Heinz von Foerster schreibt: ein beständiges Bestreben, ein einheitliches Fundament für die Wissenschaften zu legen, ein bisweilen spielerischer, bisweilen pedantischer Umgang mit Begriffs- und Regelbausätzen, aus denen Weltmodelle wuchsen (die dann wieder in sich zusammenstürzten), und nicht zuletzt ein unbarmherziges beständiges Prüfen der eigenen Position.
Der Elan entstammte einem in Österreich damals günstigen Klima für unspekulatives, empirisches Denken, das nicht nur Wissenschaftstheorie, sondern auch Künste wie die Musik oder die Architektur erfaßte. Der Musikwissenschaftler Kurt Blaukopf verweist auf die 1911 veröffentlichte "Harmonielehre" Arnold Schönbergs, in der sich der Komponist gegen die idealistische Ästhetik des neunzehnten Jahrhunderts wandte und versuchte, eine Musiklehre auf klaren musikalischen Grundsätzen aufzubauen. Ähnlich schafften Wiener Architekten wie Adolf Loos oder Josef Frank - zumindest in der Theorie - das Ornament des Historismus ab, um einen klaren, auf menschliche Bedürfnisse zugeschnittenen Baustil zu kreieren. Das hat nicht zuletzt in den Siedlungsbauten für die Wiener Arbeiterschaft seine Spuren hinterlassen.
Innerhalb des Wiener Kreises wurde kontrovers diskutiert. Die weitverbreitete Ansicht, es habe sich um eine auf den logischen Empirismus eingeschworene Versammlung gehandelt, trifft in Wahrheit nur auf bestimmte, wenn auch herausragende Köpfe zu, vor allem auf Carnap und Schlick. In der neueren Forschung werden individuelle Positionen klarer erkennbar. Das Bild des perfekten Kreises macht einem unregelmäßigen Vieleck Platz.
Das dokumentiert auch ein dem Leben und Werk des Rechtswissenschaftlers Felix Kaufmann gewidmeter Band derselben Reihe. Kaufmann, ein Mitglied des Wiener Kreises, lehnte die Metaphysik rigoros ab. Er suchte nach einer einheitlichen Grundlage allen Wissens und arbeitete an einem Regelwerk, dem alle Wissenschaft folgen sollte. Dabei ging es ihm aber nicht um formale Logik. Ihn interessierte der pragmatische Aspekt der Forschung. Kaufmann entwickelte eine von der Phänomenologie inspirierte Methodenlehre, die zu klären versuchte, wie in der Wissenschaft Entscheidungen fallen und Aussagen begründet werden. Damit nahm er in den dreißiger und vierziger Jahren bereits viele Themen vorweg, die erst Jahrzehnte später in der modernen Wissenschaftstheorie wieder aufkommen sollten.
Felix Kaufmann geriet aber rasch in Vergessenheit - so, wie auch der Wiener Kreis ein Opfer der Geschichte wurde. Hilde Spiel hat diese Entwicklung zusammengefaßt: "Alles Unheil, das ganze tragische Geschehen, das Wien bevorstand, warf seinen Schatten voraus, als Moritz Schlick im Juni 1936 auf den Stufen der Philosophischen Fakultät von einem verblendeten Studenten ermordet wurde. Danach war alles möglich geworden. Und alles, was möglich war, trat ein."
Nach dem Anschluß Österreichs emigrierten viele der herausragenden Mitglieder der Gruppe wie Carnap oder Gödel. Kaufmann starb 1949 an einer Herzattacke in New York, wo er an der Emigranten-Universität, der "New School for Social Research", gelehrt hatte. Die Früchte der Gedanken des Wiener Kreises wurden andernorts geerntet, vor allem in den Vereinigten Staaten, wo die Emigranten mithalfen, die analytische Philosophie zu begründen. HUBERTUS BREUER
Friedrich Stadler (Hrsg.): "Wissenschaft als Kultur". Österreichs Beitrag zur Moderne. Veröffentlichungen des Instituts Wiener Kreis, Band 6. Springer Verlag, Wien 1997. 328 S., Abb., br., 66,- DM.
Friedrich Stadler (Hrsg.): "Phänomenologie und Logischer Empirismus". Zentenarium Felix Kaufmann (1895-1949). Veröffentlichungen des Instituts Wiener Kreis, Band 7. Springer Verlag, Wien 1997. 163 S., br., 52,- DM.
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