Platons Dialog "Phaidon" entstand vermutlich zwischen 380 und 390 v. Chr. und gehört zu den bis heute wirkmächtigsten Texten der antiken Philosophie. Benannt ist der Dialog nach dem griechischen Philosophen Phaidon von Elis, der in der Rahmenhandlung von der Verurteilung und Hinrichtung seines Lehrers Sokrates wegen Religionsfrevels und Verführung der Jugend berichtet. Dialogisch wird dabei ein weites Spektrum von Themen behandelt, so die vorbildlich gelassene Haltung des Sokrates angesichts eines krassen Fehlurteils, die Einheit von Leben und Handeln sowie die Frage nach einer möglichen Existenz nach dem Tod. Nicht zuletzt beeindruckt "Phaidon" durch Platons literarisch ausgestaltete, präzise Schilderung von Sokrates' Todeskampf nach Einnahme des Pflanzengifts Coniin.
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 09.06.2010Unsterblich sterben
Wolf Redl und Jochen Tovote
sprechen Platons „Phaidon“
Als die Schauspieler Wolf Redl und Jochen Tovote im Februar 1986 an der Schaubühne in Berlin Platons „Phaidon“ aufführten, waren eine große Schiefertafel und ein Stück Kreide ihre wichtigsten Requisiten. Sie zeichneten, während sie sprachen, das über der Diagonale eines gegebenen Quadrats errichtete Quadrat, von dem Sokrates spricht, an die Tafel. Und mit nicht geringem, jedenfalls sehr hartnäckigen Eifer ließen sie die Unsterblichkeit der Seele, von der ihre Rede handelte, wie eine Rechenaufgabe aussehen, die sich hartnäckig weigerte, durch einen befriedigenden Beweis gelöst zu werden.
Fast ein Vierteljahrhundert später ist nun die damals in einem Tonstudio produzierte Hörfassung veröffentlicht worden. Die Tafel hat sich darin in die Unsichtbarkeit zurückgezogen wie die Schauspieler, aber es gibt sie noch. Sie ist noch immer Schauplatz der Beweisführung und Schauplatz des Zweifels zugleich, während die beiden Stimmen Sokrates am letzten Tag seines Lebens, seine Schüler und den Gefängniswächter, der den Todestrank bringt, in sich aufnehmen. Sie sprechen die Übersetzung Friedrich Schleiermachers, aber sie ist in der von Wolf Redl und Klaus-Rüdiger Wöhrmann erstellten Textfassung gestrafft, hier und da syntaktisch vereinfacht und durch Tilgung manches „nun“, „wohl aber“ und „gewiss“ verschlankt.
Man könnte meinen, die Dramatisierung eines Platon-Dialogs müsse sich ganz auf den Dialog konzentrieren und die Stimmen auf die Sprecher aufteilen. Aber eben dies ist hier – zum Glück – nicht der Fall. Denn der „Phaidon“ ist ja von Beginn an ein Zwitter, er lebt geradezu davon, dass er Dialog und Erzählung zugleich ist. Er scheint zwar wie ein Drama voranzurücken, bis er den Tod des Sokrates erreicht hat; aber dieses gesamte Voranrücken ist Erzählung, rückblickender Bericht des Phaidon, der dem Echekrates Auskunft gibt. Nur eine Stimme, die von Jochen Tovote, spricht den Anfangsdialog zwischen Phaidon und Echekrates, in dem alle eingeführt werden, die beim Tod des Sokrates zugegen waren. Dann erst mischt sich, fast unhörbar zunächst, die zweite Stimme ein, mit der Wolf Redl den Sokrates so spricht, dass er ihn zugleich zitiert. Aber er spricht nicht nur ihn.
Denn es gibt in diesem Stimmentheater keine festen Zuordnungen. Die Schauspieler leihen ihre Stimmen eher den Worten, den Sätzen, den Gedanken als den Figuren. Eher leise, aber unmissverständlich geben sie dem Unmut der Schüler Raum, ihrem Misstrauen gegen die Unsterblichkeit, virtuos malen sie gegen Ende in dichter Wechselrede, die manchmal den antiken Chor anklingen lässt, die Unterwelt aus. Und anders als in vielen Schulstunden herrscht hier nicht die Regel: Sokrates hat immer Recht. „Wir können nicht zuverlässig sagen, dass eine Seele noch irgendwo da ist, wenn der Mensch stirbt“, „Wer stirbt, muss in Sorge sein, ob nicht seine Seele gerade mit dieser Trennung vom Leib ganz und gar untergeht“, diesen Sätzen der Schüler steht hier nicht die überlegene Beweisführung für die Unsterblichkeit der Seele gegenüber, sondern der sterbende Sokrates. Er ist es, der stirbt, er redet für die Unsterblichkeit, und er ist es, der fragt: „Welcher Rede soll man nun noch glauben?“ Das zielt auf die falschen Redner, die Sophisten. Aber kein Redner hat das letzte Wort. Auch nicht er selbst.
LOTHAR MÜLLER
PLATON: Phaidon. Dargeboten von Wolf Redl und Jochen Tovote. MP-3-CD. Ca. 90 Min. Quartino Verlag, München 2010. 14,95 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.sz-content.de
Wolf Redl und Jochen Tovote
sprechen Platons „Phaidon“
Als die Schauspieler Wolf Redl und Jochen Tovote im Februar 1986 an der Schaubühne in Berlin Platons „Phaidon“ aufführten, waren eine große Schiefertafel und ein Stück Kreide ihre wichtigsten Requisiten. Sie zeichneten, während sie sprachen, das über der Diagonale eines gegebenen Quadrats errichtete Quadrat, von dem Sokrates spricht, an die Tafel. Und mit nicht geringem, jedenfalls sehr hartnäckigen Eifer ließen sie die Unsterblichkeit der Seele, von der ihre Rede handelte, wie eine Rechenaufgabe aussehen, die sich hartnäckig weigerte, durch einen befriedigenden Beweis gelöst zu werden.
Fast ein Vierteljahrhundert später ist nun die damals in einem Tonstudio produzierte Hörfassung veröffentlicht worden. Die Tafel hat sich darin in die Unsichtbarkeit zurückgezogen wie die Schauspieler, aber es gibt sie noch. Sie ist noch immer Schauplatz der Beweisführung und Schauplatz des Zweifels zugleich, während die beiden Stimmen Sokrates am letzten Tag seines Lebens, seine Schüler und den Gefängniswächter, der den Todestrank bringt, in sich aufnehmen. Sie sprechen die Übersetzung Friedrich Schleiermachers, aber sie ist in der von Wolf Redl und Klaus-Rüdiger Wöhrmann erstellten Textfassung gestrafft, hier und da syntaktisch vereinfacht und durch Tilgung manches „nun“, „wohl aber“ und „gewiss“ verschlankt.
Man könnte meinen, die Dramatisierung eines Platon-Dialogs müsse sich ganz auf den Dialog konzentrieren und die Stimmen auf die Sprecher aufteilen. Aber eben dies ist hier – zum Glück – nicht der Fall. Denn der „Phaidon“ ist ja von Beginn an ein Zwitter, er lebt geradezu davon, dass er Dialog und Erzählung zugleich ist. Er scheint zwar wie ein Drama voranzurücken, bis er den Tod des Sokrates erreicht hat; aber dieses gesamte Voranrücken ist Erzählung, rückblickender Bericht des Phaidon, der dem Echekrates Auskunft gibt. Nur eine Stimme, die von Jochen Tovote, spricht den Anfangsdialog zwischen Phaidon und Echekrates, in dem alle eingeführt werden, die beim Tod des Sokrates zugegen waren. Dann erst mischt sich, fast unhörbar zunächst, die zweite Stimme ein, mit der Wolf Redl den Sokrates so spricht, dass er ihn zugleich zitiert. Aber er spricht nicht nur ihn.
Denn es gibt in diesem Stimmentheater keine festen Zuordnungen. Die Schauspieler leihen ihre Stimmen eher den Worten, den Sätzen, den Gedanken als den Figuren. Eher leise, aber unmissverständlich geben sie dem Unmut der Schüler Raum, ihrem Misstrauen gegen die Unsterblichkeit, virtuos malen sie gegen Ende in dichter Wechselrede, die manchmal den antiken Chor anklingen lässt, die Unterwelt aus. Und anders als in vielen Schulstunden herrscht hier nicht die Regel: Sokrates hat immer Recht. „Wir können nicht zuverlässig sagen, dass eine Seele noch irgendwo da ist, wenn der Mensch stirbt“, „Wer stirbt, muss in Sorge sein, ob nicht seine Seele gerade mit dieser Trennung vom Leib ganz und gar untergeht“, diesen Sätzen der Schüler steht hier nicht die überlegene Beweisführung für die Unsterblichkeit der Seele gegenüber, sondern der sterbende Sokrates. Er ist es, der stirbt, er redet für die Unsterblichkeit, und er ist es, der fragt: „Welcher Rede soll man nun noch glauben?“ Das zielt auf die falschen Redner, die Sophisten. Aber kein Redner hat das letzte Wort. Auch nicht er selbst.
LOTHAR MÜLLER
PLATON: Phaidon. Dargeboten von Wolf Redl und Jochen Tovote. MP-3-CD. Ca. 90 Min. Quartino Verlag, München 2010. 14,95 Euro.
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»Diese Ausgabe des platonischen Phaidon ist ohne Einschränkung zu empfehlen.« Prof. Dr. Rudolf Rehn
»Alle abendländische Philosophie ist als 'Fußnote zu Platon' zu verstehen.« ALFRED NORTH WHITEHEAD »Es gibt keinen Zweifel: Wer sich eine Bibliothek mit Weltliteratur in Form von Hörbüchern aufbauen möchte, kommt an dieser Edition nicht vorbei.« WDR 3 »Hier wird fündig, wer an Hörbuchproduktionen Freude hat, die nicht schnell hingeschludert sind, sondern mit einer Regie-Idee zum Text vom und für den Rundfunk produziert sind.« NDR KULTUR »Mehr Zeit hätte man ja immer gern, aber für diese schönen Hörbücher [...] besonders.« WAZ »Die Hörbuch-Edition 'Große Werke. Große Stimmen.' umfasst herausragende Lesungen deutschsprachiger Sprecherinnen und Sprecher, die in den Archiven der Rundfunkanstalten schlummern.« SAARLÄNDISCHER RUNDFUNK