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Phantasie und Geschlecht - Benjamin, Jessica
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In diesem Band greift Jessica Benjamin Kernfragen wieder auf, die sie bereits in ihrem Buch "Fesseln der Liebe" thematisiert hat. Ihre Essays sind eine Fortsetzung ihres Versuches, "zwischen Problemen der Theorieentwicklung in der Psychoanalyse und im Feminismus Brücken zu schlagen". Sie beschäftigen sich u.a. mit der Herausbildung der Geschlechtsidentität und dem Verhältnis von Sexualität, Aggression und Pornographie.

Produktbeschreibung
In diesem Band greift Jessica Benjamin Kernfragen wieder auf, die sie bereits in ihrem Buch "Fesseln der Liebe" thematisiert hat. Ihre Essays sind eine Fortsetzung ihres Versuches, "zwischen Problemen der Theorieentwicklung in der Psychoanalyse und im Feminismus Brücken zu schlagen". Sie beschäftigen sich u.a. mit der Herausbildung der Geschlechtsidentität und dem Verhältnis von Sexualität, Aggression und Pornographie.
Autorenporträt
Jessica Benjamin praktiziert als Psychoanalytikerin in New York City und unterrichtet am Postdoctoral Psychology Program in Psychoanalysis and Psychotherapy an der New York University. Im April 2015 erhielt sie den "Hans Kilian Preis zur Erforschung und Förderung der metakulturellen Humanisation".
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 15.02.2001

Wenn du zum Weibe gehst, vergiß den Füller nicht
Begegnung mit den Urmüttern der Konstruktionsforschung: Ein Blick auf Psychoanalyse und Feminismus sagt einiges über die Differenz von Basis und Unterleib

Konstruktion oder Nichtkonstruktion, das ist die Gretchenfrage des Feminismus. Mit ihr wird ein Geschichtsprozeß bezeichnet. Die frühen Feministinnen waren ohne Konstruktion Kämpferinnen für das Frauenrecht. Darin steckte schon ihr späteres Problem: Ist "die Frau" Konstruktion? Kämpften sie für das Menschenrecht auch im Frauenkörper? Heute beginnt man sich zu fragen, ob nicht der Phantasmenbau der Genderforschung die feministische Bewegung ausgebremst hat, weil er ihnen die Erkenntnis der Weiblichkeit verbaut hat: Was bleibt von der Weiblichkeit, wenn seine Bestimmung allein von der jeweiligen Konstruktion abhängig ist? Wofür lohnt der Einsatz? Da liegt die Häsin im Pfeffer.

Männer und Frauen befinden sich noch immer in einer schon von Freud diagnostizierten Selbstverstümmelungsphase. Den ersten Befreiungsschritt machte Freud selbst mit seiner Psychoanalyse - der korrespondierende weibliche Befreiungsschritt wäre der Feminismus, und ideal wäre zweifellos, wenn beide sich nicht als Gegenbewegungen zueinander verhielten. Lisa Appignanes und John Forrester schreiben in ihrem Buch "Die Frauen Sigmund Freuds": "Auch wenn die Auseinandersetzung des Feminismus mit Freud einer Liebesaffäre gleicht, die ganz nach dem Freudschen Muster von Idealisierung und Erniedrigung abläuft: es ist und bleibt eine Liebesbeziehung." Dieser Satz ist ebenso realistisch wie utopisch, ebenso vernünftig wie irreal.

Der Stand der Veröffentlichungen ist sehr uneinheitlich. So ist der kleine Band "Aggression, Symbolisierung, Geschlecht" ein Musterbeispiel reflektierter feministischer Psychoanalyse, weil er die Geschlechterdifferenz als grundsätzliche Differenz mitdenkt. Die schlechte Nachricht: Das im selben Verlag erschienene Bändchen "Neues vom Weib. Französische Beiträge" treibt einem eher die Zornesröte ins Gesicht. So fällt der Beitrag von Jacqueline Schaeffer weit hinter das zurück, was man vornehm Freuds "Kulturbefangenheit" nennen könnte. Freuds Genialität ist ja, die Gleichzeitigkeit verschiedener Strebungen, die Widersprüche stets präsent zu halten; alles fließt bei ihm, das Oszillieren gehört zum Stil, und nur - ausgerechnet! - bei den Ausführungen zur Weiblichkeit kommt sein sonst so verflüssigendes Denken merkwürdig ins Stocken. Dieses Stocken, das viele fundamentalistische Nachfolger Freuds bis zur Parodie gesteigert haben und das man allmählich überwunden zu haben meinte, treiben diese Autorinnen, die wirklich wissen, wo Gott wohnt und wie es ist mit den Männern und Frauen, auf die Spitze. Hätte unter diesen Beiträgen als Quellennachweis gestanden "Erschienen 1950 in den USA", würde einen nichts mehr wundern.

Vielleicht gerade wegen der spezifisch amerikanischen Orthodoxie der Psychoanalyse entwickelte sich dort ein geradezu festungsartiger Feminismus. "Das Erbe der Mütter" von Nancy Chodorow und Jessica Benjamins "Fesseln der Liebe" gehören zum Allgemeingut genderbewußter Studentinnen. In dem von Benjamin herausgegebenen Sammelband "Unbestimmte Grenzen" hat sie namhafte Autorinnen der Szene - unter anderen Judith Butler, Toril Moi, Nancy Chodorow, Jane Gallop - versammelt. Einige von ihnen gehören zu einem Kreis von New Yorker Analytikerinnen, die schon lange in Seminaren und an der Zeitschrift "Psychoanalysis and Gender" zusammenarbeiten. Wieder gewinnt man den Eindruck, als hätten die amerikanischen Frauen gar keinen anderen Gegenstand als "den Feminismus"; als sei er das, worüber sie sich professionalisiert haben, ihr Universitätsthema. Die Kitschgefahr ist nie fern.

Bei Benjamin bleibt erfrischend ihr bewußtes Engagement gegen die selbstverschuldete Unmündigkeit der Frauen und die Anerkennungsproblematik. Ihre Verknüpfung Hegelscher Kategorien mit der Psychoanalyse mag oberflächlich, "typisch amerikanisch" erscheinen, aber sie ist eben eine beinharte alte Feministin, die nach Gleichheit und Gleichstellung strebt. Alle anderen Sachen sind ihr zu verschnörkelt, zu abstrakt und verspielt, so lange diese Anerkennung noch nicht da ist. Und das zumindest ist nicht unsympathisch. Freilich erreicht sie nirgends das psychoanalytische Niveau der "Gründungsmutter" des Projekts "Psychoanalyse und Feminismus" - so der Titel von Juliet Mitchells Klassiker aus dem Jahr 1976. Weiblichkeit, so Mitchell, sei kein Gegenstand für die Psychoanalyse, sei kein Symptom, und folglich interessiere sie sich auch nicht "einfach so" für Weiblichkeit, sondern beispielsweise für Hysterie, die das Symptom eines unbewußten Konflikts sei. Mitchell kommt mit ihrem Plädoyer für das Unbewußte auf ihre Weise in die Nähe des ominösen Lacan-Satzes: "La femme n'existe pas." Einen Satz, den man natürlich gegen seinen als Provokation vorgetragenen male chauvinism wenden und dann einen quasi utopischen Gehalt daraus gewinnen kann: Die Frau ist noch nicht definiert. Die Frau ist immer nur eine Projektion. Aus der Falle dieser in sich widersprüchlichen Projektion - ein mythologisches Erbe - ist bislang noch niemand herausgekommen. Das wäre ein Argument, wenig über "die" Frauen zu diskutieren und statt dessen einzelne Biographien in den Blick zu nehmen.

Julia Kristeva wagt sich meist ins spekulative Feld. Das macht sie den Feministinnen wichtig. Von den beiden verfügbaren Einführungen zu Julia Kristeva ist eher die sachliche von Inge Suchsland im Juniusverlag zu empfehlen. Bettina Schmitz' "Die Unterwelt bewegen" ist sozusagen ein sportlicher Versuch, sich durch Kristevas Denkwelt zu turnen, mit einer gewissen Kühnheit, mit viel zu wenig Kritik gegenüber Kristevas verwaschenen Kategorien, von denen sie aber vorgibt, sie seien scharf.

Der Preis der Postmoderne ist exemplarisch ablesbar an der Weiblichkeitstheorie von Jacques Derrida, wie er sie vor allem in "Die Stile Nietzsches" formuliert. Der Trick ist dem Argumentationsmuster des Antisemitismus vergleichbar, wo die Juden jeweils das Andere sind - entweder sie sind zu weiblich oder zu väterlich oder zu dies oder zu das. So sind die Frauen bei Derrida: entweder die Wahrheit oder die Nichtwahrheit, können also zum Joker im Mystifizierungsspiel werden. Die "Veränderung der Geschlechterordnung", die Derrida vorgeblich anstrebt, wird dadurch erreicht, daß er sie bestätigt. Vergleichbar den Saltos von Slavoj Zizek ist das "Gesetz" der Durchbruch, das die Ordnung aufrichtet und zugleich durchbricht. Diese Dekonstruktionsmasche funktioniert freilich nur unter der Voraussetzung eines absoluten Signifikanten, der vom Himmel fällt. Natürlich macht Derrida keine "praktische" Philosophie, aber der Impuls, der die seltsamen Volten hervorbringt, hängt insofern mit dem "Praktischen" zusammen, als die Frau immer "raus" - also hinausprojiziert werden - muß.

Feministische Theorien zur Einführung, so von Regina Becker-Schmidt und Gudrun-Axeli Knapp, sind glänzend gelungen. Bei ihrem "unmöglichen Anspruch", in einem Bändchen von 180 Seiten sowohl die Konturen der Entwicklung der deutschsprachigen Frauenforschung zu skizzieren als auch die aktuellen internationalen Debatten feministischer Theorie, kann man über das Ergebnis nur erfreut sein. Die Autorinnen arbeiten sehr praxisbezogen und sind soziologisch orientiert. Ihre Stärke liegt darin, das Geschlecht über das Soziale zu bestimmen: We are doing gender. Sympathetisch und gut belegt ist der Überblick über Judith Butler, auch die Porträts von Donna Haraway und Iris Marion Young sind gut lesbar. Die psychoanalytische "Szene" ist freilich schnellebig - in Berlin ist Judith Butler schon wieder "out". Das ist kein großes Wunder bei jemandem, der sich selbst als Szenefigur inszeniert hat - damit unterliegt Judith Butler nur den Verfallsgesetzen, die sie selbst aufgestellt hat. Dabei kann man gerade von Butler immer noch eine Menge lernen, und sei es nur, welche methodologischen Fehler einer so feuerwerksartig operierenden Theoretikerin unterlaufen können.

Die Autorinnen verlieren sich nicht in den dargestellten Theorien, sondern das Ganze ist auch ein Versuch, die Theorien von außen und innen zugleich zu beschreiben, also Grenzen und Rechte der einzelnen Theorien herauszustellen. Gerade weil sie nicht ausufern, sind die Literaturhinweise ausgezeichnet. Das erste Kapitel über "Frauenforschung, Geschlechterforschung, Geschlechterverhältnisforschung" stellt ein Stück Wissenschaftsgeschichte der beginnenden feministischen Diskussionen dar. Die mutigen Frauen werden genannt, die die Geschichte der Frauenforschung in Gang gesetzt haben, beispielsweise Ursula Scheu mit ihrem programmatischen Buch "Wir werden nicht als Mädchen geboren, wir werden dazu gemacht", der einen bekannten Ausspruch von Simone de Beauvoir abwandelt. Das Ganze ist sehr "seriös", verständlicherweise, denn Frauen stehen heute an der Universität unter großem legitimatorischen Druck. Von daher haben sich die Autorinnen wohl verkniffen, auf verrücktere Erscheinungen wie Alice Schwarzers "Emma", die "Schwarze Botin" oder Liliths Frauenbuchladen hinzuweisen. Darüber sind sie offenbar heute erhaben; immerhin gilt weiterhin, daß alle Theorie - also in dem Fall die Frauenforschung - grau ist, während die grüne Lebenswelt immerhin belegt hätte, daß es auch besser gelaunt hätte zugehen können.

Am Ende des Buchs kommen die üblichen und sehr langweiligen Erörtungen zur Krise der feministischen Zentralkategorie "Geschlecht" - statt einfach davon auszugehen, daß es Geschlecht gibt wie Wasser oder Luft und Erde als Element, in dem man lebt, daß die Frauen sich nicht immer unter Definitionszwang sehen müssen. Hier liegen die Grenzen der meisten feministischen Theorieansätze, daß sie immer wieder aufs Prinzipielle zurückgehen und das Prinzipielle nicht als selbstverständliche Grundannahme gelten lassen, so wie Foucault sagen würde: Es gibt Ordnung, es gibt einfach das Geschlecht. Il y a . . . Punktum.

Fehlt dem Feminismus in der Auseinandersetzung mit dem "Patriarchat" eine zureichende Gesellschaftstheorie, so fehlt ihm in der Auseinandersetzung mit der Psychoanalyse ein zureichender Begriff des Unbewußten. Das, was der weiblichen Sexualität von jeher zugemutet wurde: sich einzuschränken und schließlich ganz zu verleugnen, nehmen viele Feministinnen heute als freiwilliges Schicksal auf sich. Ihre Anatomie ist ihr Schicksal. Und zwar durchaus auch dann und vielleicht sogar gerade dann, wenn die Anatomie vollkommen verleugnet wird. Der Extremfall sind radikale Konstruktivistinnen wie Gesa Lindemann oder Donna Haraway.

Gesa Lindemann hält es nicht nur für legitim, sondern für gut, in den eigenen Körper chirurgisch einzugreifen. So könne man ihn konstruieren, wie man ihn selbst haben will, und das ist als Theorieansatz doch ein bißchen dürftig. Hinter einer solchen Haltung, die glaubt, daß der eigene Körper radikal manipulierbar sei, steckt die alte Vorstellung vom Geist, der sich seinen Leib herstellt, wie man im Sandkasten Kuchen backt. Bei solchen Feministinnen feiert nicht nur eine uralte theologische Dichotomie fröhliche Urstände, sondern auch die hierarchische Ordnung dieser Pole. Der Geist macht sich als Konquistador und Kolonialherr den Körper untertan, der offenbar vollkommen verfügbares Material ist. Was heißt es, die befreite Sexualität zum politischen Programm zu machen? Der Achtundsechziger-Mythos wurde als eine Art Religionsersatz konsumiert, und der ihm folgende weibliche Protest gegen dieses Machotum und seine vitalistischen Utopien war auch ein Symptom der Enttäuschung über solche Befreiungskonzepte.

Mit dem Topos des Gebärneids - die schlagendste theologische Fassung dafür ist die Geburt des Sohnes aus dem Vater - scheint sich eine ähnliche unbewußte Remythisierung zu vollziehen, nur gewissermaßen unter umgekehrtem Vorzeichen. Vom üblichen Gebärneid sind natürlich Männer befallen. Jetzt kann man aber auch so etwas wie Gebärneid von Frauen gegenüber Männern diagnostizieren. Jedenfalls sieht der Bienenfleiß, mit dem in den Gender-Veröffentlichungen szientifische Muster gestrickt werden, in der Umdrehung fast so aus, als ob an die Stelle des männlichen Gebärneids ein weiblicher getreten wäre. Wie gebärfreudig war die männliche Philosophie und Wissenschaft nicht! Jetzt wollen dieser männlichen Philosophie es die Frauen gleichtun.

Man muß noch immer sagen, daß die Weiblichkeitsfrage nicht "gelöst" ist, vom Feminismus schon gar nicht, aber auch von der Psychoanalyse nicht. Das Verdikt über die weibliche Entwicklung, daß sie ein minderwertiges Imitat der männlichen sei, ist längst gefallen. Aber gibt es ein Äquivalent dafür, etwas, das eine der männlichen nicht gleichzusetzende Theorie wäre? Es scheint so, als ob die Kastrationsthese - das weibliche Geschlecht als Kastrationsprodukt - noch immer als Schatten über die ganze Diskussion fällt und keine wirklich innovative Diskussion über die weibliche Entwicklung hat entstehen lassen. Vielleicht ist diese "Schattentheorie" auch zu pessimistisch. Vielleicht ist es aber auch einfach nur gut, daß, wie Dolto, und zwar keinesfalls mystifizierenderweise, sagt, "die Frau als Wesen weiblichen Geschlechts für die Gattung Mensch ein Phänomen ist, dem das Denken nicht beikommt".

CAROLINE NEUBAUR

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