Philipp von Boeselager - ein deutscher Held? Schon 1940, erst 23-jährig, verhinderte der junge Boeselager die völlig sinnlose Eroberung und Zerstörung eines französischen Dorfs, indem er den kommandierenden Offizier mit seiner Pistole bedrohte. Drei Jahre später wollte er zusammen mit einigen weiteren Offizieren Hitler in Smolensk erschießen. Für das Attentat am 20. Juli 1944 schließlich besorgte Boeselager den Sprengstoff und führte, während Stauffenberg in der Wolfsschanze die Bombe zündete, 1.200 Kavalleriesoldaten auf einen geheimen Gewaltritt, um in Berlin den Umsturz militärisch mit abzusichern. Nach dem Scheitern des Attentats überlebte er nur, weil alle Mitwisser selbst unter der Folter schwiegen. So ist Boeselager heute mit 90 Jahren nicht nur der letzte Zeitzeuge aus dem Kreis der Attentäter gegen Hitler. Er ist auch einer der wenigen, die überhaupt aus erster Hand von den Ereignissen berichten konnten, denn die meisten anderen Beteiligten wurden hingerichtet. Was bewog
den christlich und zum treuen Staatsdienst erzogenen Philipp von Boeselager, sich für die Ermordung Hitlers zu entscheiden? Wie ist er mit der Angst und der Einsamkeit des Widerständlers umgegangen? Worin besteht sein für heute vorbildliches Handeln? Dorothee von Meding und Hans Sarkowicz haben zahlreiche Interviews mit von Boeselager geführt, in seinem Privatarchiv forschen dürfen und erzählen nun, reich bebildert und mit bislang unbekannten Details, die Widerstandsgeschichte eines faszinierenden Mannes, der in der Geschichtsschreibung über den 20. Juli 1944 bislang noch viel zu wenig gewürdigt wurde.
den christlich und zum treuen Staatsdienst erzogenen Philipp von Boeselager, sich für die Ermordung Hitlers zu entscheiden? Wie ist er mit der Angst und der Einsamkeit des Widerständlers umgegangen? Worin besteht sein für heute vorbildliches Handeln? Dorothee von Meding und Hans Sarkowicz haben zahlreiche Interviews mit von Boeselager geführt, in seinem Privatarchiv forschen dürfen und erzählen nun, reich bebildert und mit bislang unbekannten Details, die Widerstandsgeschichte eines faszinierenden Mannes, der in der Geschichtsschreibung über den 20. Juli 1944 bislang noch viel zu wenig gewürdigt wurde.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 19.07.2008Kreuz und Widerstand
Philipp von Boeselager über den 20. Juli 1944
Wie Eisblöcke im Nordmeer treiben, kollidieren, zu größeren sich verbinden, um bald wieder zu zerfallen - so steht es mit der authentischen Erinnerung an das Attentat auf Hitler. Je näher man es anschaut, umso weniger einheitlich wird das Bild, umso geborstener erscheint die Überlieferung. Mit ihr selbst steht es so und mehr noch, wenn man ihr Verhältnis zur Rhetorik des Gedenkens betrachtet.
"Das wird ja auch nicht erzählt", sagte Philipp von Boeselager einmal, wie nebenbei gesprochen, in einem seiner letzten Interviews, das man jetzt nachlesen kann (Philipp von Boeselager: Der letzte Zeuge des 20. Juli 1944, Verlag Zabert Sandmann, München 2008). Der am Himmelfahrtstag im Alter von neunzig Jahren verstorbene Freiherr war der Sprengstoffexperte der Verschwörer gewesen. Mit seinen Reitern, die noch im Osten standen, sollte er nach dem Staatsstreich Berlin sichern. Man findet in seinen Erinnerungen packende Szenen aus dem Krieg und der Planungsphase des Attentats, lebendige Charakteristiken der Menschen des Widerstands, vor allem Henning von Tresckows, der ihn in den Kreis einführte.
Was aber ist es, das "auch nicht erzählt" wird? Mehreres. Es gab bei den Gegnern des Nationalsozialismus oder auch nur bei jenen, die Vorbehalte gegen das Regime hegten - Boeselager spricht mit nobler Bescheidenheit meist von seiner "Skepsis" -, Motive, über die heute im Schulunterricht zu reden einige intellektuelle Gymnastik erfordert. "Mein Vater", so berichtete Boeselager über dessen Mitgliedschaft in Hitlers Partei, "war 1934 eingetreten, der ist 1938 ausgetreten, als die Kreuze aus den Schulen kamen."
Boeselager, 1917 geboren, wurde katholisch erzogen, er besuchte ein Kolleg der Jesuiten. Nicht das geistesaristokratische Wesen des Georgekreises, das für Stauffenberg entscheidend war, prägte ihn, sondern die Religion. Zu seinen ersten Erfahrungen einer Verletzung durch das neue Regime gehörte eine juden- und katholikenfeindliche Schmiererei an der Schule. Sein Cousin Ketteler wurde nach dem Anschluss Österreichs von der Gestapo ermordet. Dennoch wurde Boeselager Soldat. Mehr noch: Er wurde Soldat aus ungebrochenen patriotischem Geist. Den "Polenkrieg" begrüßte er. Warum? "Das wird ja auch nicht erzählt ... Die Deutschen und die Polen in ... Westpreußen bekämpften sich. Dauernd waren irgendwelche Tote und Schweinereien passiert. Heute wurden ein paar Deutsche umgebracht, morgen ein paar Polen. Es war auch beinahe Bürgerkrieg in Polen damals."
Boeselager zog in den Krieg, er war in Frankreich eingesetzt. Hier bewährte er den soldatischen Anstand zum ersten Mal mit einem kaum glaublichen Mut. Nachdem die friedliche Übergabe einer Stadt ausgehandelt war, wies er einen Offizier, der dennoch in letzter Stunde den Beschuss befehlen wollte, mit gezogener Pistole in seine Schranken. Fortan hatte er seinen Beinamen weg: "die Pistole".
Der Moment, sich für den Widerstand zu entscheiden, war lange vorbereitet - Boeselager wusste, wie viele in der Heeresgruppe Mitte, von den Greueltaten der Einsatzgruppen -, und doch war der Auslöser vergleichsweise geringfügig: ein Geschenk Hitlers an den Feldmarschall Kluge. Das entsprach nicht preußischem Ethos; allenfalls nach einem gewonnenen Krieg, so schien es Boeselager, sei dergleichen statthaft. Die Szene ist gerade deshalb glaubwürdig, weil sie das fast Beiläufige von großen Entscheidungen ins Licht rückt.
Der Sinn des 20. Juli war schlicht und klar: Es ging Boeselager und den anderen Verschwörern um die "Wiederherstellung des Rechts". Aber just an dieser Stelle des Interviews treten die Teilpersonen des Neunzigjährigen auseinander. Einmal scheint er geradezu erleichtert über das Scheitern des Attentats: "Wir hätten einen Staat des Rechtes und der Freiheit bekommen, aber dadurch, dass alles ganz kaputt war, hat man ja eine andere Chance gehabt, den Neuaufbau zu beginnen." Vor allem dort, wo über den endlichen Ausgang des Kriegs gesprochen wird, hat man den Eindruck, dass in Boeselager ganz unterschiedliche Epochen seines inneren Lebens zu Wort kommen: einmal die des Soldaten, ein anderes Mal die des Bürgers der Bundesrepublik. "Wir hätten den Krieg gewinnen können, wenn wir uns anständig benommen hätten", sagt er mit Blick auf den Russland-Feldzug. Ein Plan Tresckows zur Aufstellung russischer Freiwilligenverbände wurde von Hitler verworfen. Auch solche Erfahrungen stärkten den Entschluss zum Widerstand.
Nach dem Scheitern des Attentats führte Boeselager seine Reiter an die Front zurück. Ostpreußens Frauen und Kinder waren zu verteidigen, "wir haben da gekämpft wie die Verrückten ... Wir hatten das ja schon in Polen gesehen, wie die Russen gehaust hatten."
Wir leben in einer paradoxen Welt. Die gedenkpolitische Staatsräson und die Traditionserlasse der Bundeswehr verlangen immer ausschließlicher die Berufung auf den Widerstand, aber in genau diesem Maß wird der O-Ton - etwa Stauffenbergs Verwerfung der "Gleichheitslüge" - unerträglich. Wer morgen die Reden hört, mag sich an Boeselagers Wort von den Dingen erinnern, die "ja auch nicht erzählt" werden.
LORENZ JÄGER
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Philipp von Boeselager über den 20. Juli 1944
Wie Eisblöcke im Nordmeer treiben, kollidieren, zu größeren sich verbinden, um bald wieder zu zerfallen - so steht es mit der authentischen Erinnerung an das Attentat auf Hitler. Je näher man es anschaut, umso weniger einheitlich wird das Bild, umso geborstener erscheint die Überlieferung. Mit ihr selbst steht es so und mehr noch, wenn man ihr Verhältnis zur Rhetorik des Gedenkens betrachtet.
"Das wird ja auch nicht erzählt", sagte Philipp von Boeselager einmal, wie nebenbei gesprochen, in einem seiner letzten Interviews, das man jetzt nachlesen kann (Philipp von Boeselager: Der letzte Zeuge des 20. Juli 1944, Verlag Zabert Sandmann, München 2008). Der am Himmelfahrtstag im Alter von neunzig Jahren verstorbene Freiherr war der Sprengstoffexperte der Verschwörer gewesen. Mit seinen Reitern, die noch im Osten standen, sollte er nach dem Staatsstreich Berlin sichern. Man findet in seinen Erinnerungen packende Szenen aus dem Krieg und der Planungsphase des Attentats, lebendige Charakteristiken der Menschen des Widerstands, vor allem Henning von Tresckows, der ihn in den Kreis einführte.
Was aber ist es, das "auch nicht erzählt" wird? Mehreres. Es gab bei den Gegnern des Nationalsozialismus oder auch nur bei jenen, die Vorbehalte gegen das Regime hegten - Boeselager spricht mit nobler Bescheidenheit meist von seiner "Skepsis" -, Motive, über die heute im Schulunterricht zu reden einige intellektuelle Gymnastik erfordert. "Mein Vater", so berichtete Boeselager über dessen Mitgliedschaft in Hitlers Partei, "war 1934 eingetreten, der ist 1938 ausgetreten, als die Kreuze aus den Schulen kamen."
Boeselager, 1917 geboren, wurde katholisch erzogen, er besuchte ein Kolleg der Jesuiten. Nicht das geistesaristokratische Wesen des Georgekreises, das für Stauffenberg entscheidend war, prägte ihn, sondern die Religion. Zu seinen ersten Erfahrungen einer Verletzung durch das neue Regime gehörte eine juden- und katholikenfeindliche Schmiererei an der Schule. Sein Cousin Ketteler wurde nach dem Anschluss Österreichs von der Gestapo ermordet. Dennoch wurde Boeselager Soldat. Mehr noch: Er wurde Soldat aus ungebrochenen patriotischem Geist. Den "Polenkrieg" begrüßte er. Warum? "Das wird ja auch nicht erzählt ... Die Deutschen und die Polen in ... Westpreußen bekämpften sich. Dauernd waren irgendwelche Tote und Schweinereien passiert. Heute wurden ein paar Deutsche umgebracht, morgen ein paar Polen. Es war auch beinahe Bürgerkrieg in Polen damals."
Boeselager zog in den Krieg, er war in Frankreich eingesetzt. Hier bewährte er den soldatischen Anstand zum ersten Mal mit einem kaum glaublichen Mut. Nachdem die friedliche Übergabe einer Stadt ausgehandelt war, wies er einen Offizier, der dennoch in letzter Stunde den Beschuss befehlen wollte, mit gezogener Pistole in seine Schranken. Fortan hatte er seinen Beinamen weg: "die Pistole".
Der Moment, sich für den Widerstand zu entscheiden, war lange vorbereitet - Boeselager wusste, wie viele in der Heeresgruppe Mitte, von den Greueltaten der Einsatzgruppen -, und doch war der Auslöser vergleichsweise geringfügig: ein Geschenk Hitlers an den Feldmarschall Kluge. Das entsprach nicht preußischem Ethos; allenfalls nach einem gewonnenen Krieg, so schien es Boeselager, sei dergleichen statthaft. Die Szene ist gerade deshalb glaubwürdig, weil sie das fast Beiläufige von großen Entscheidungen ins Licht rückt.
Der Sinn des 20. Juli war schlicht und klar: Es ging Boeselager und den anderen Verschwörern um die "Wiederherstellung des Rechts". Aber just an dieser Stelle des Interviews treten die Teilpersonen des Neunzigjährigen auseinander. Einmal scheint er geradezu erleichtert über das Scheitern des Attentats: "Wir hätten einen Staat des Rechtes und der Freiheit bekommen, aber dadurch, dass alles ganz kaputt war, hat man ja eine andere Chance gehabt, den Neuaufbau zu beginnen." Vor allem dort, wo über den endlichen Ausgang des Kriegs gesprochen wird, hat man den Eindruck, dass in Boeselager ganz unterschiedliche Epochen seines inneren Lebens zu Wort kommen: einmal die des Soldaten, ein anderes Mal die des Bürgers der Bundesrepublik. "Wir hätten den Krieg gewinnen können, wenn wir uns anständig benommen hätten", sagt er mit Blick auf den Russland-Feldzug. Ein Plan Tresckows zur Aufstellung russischer Freiwilligenverbände wurde von Hitler verworfen. Auch solche Erfahrungen stärkten den Entschluss zum Widerstand.
Nach dem Scheitern des Attentats führte Boeselager seine Reiter an die Front zurück. Ostpreußens Frauen und Kinder waren zu verteidigen, "wir haben da gekämpft wie die Verrückten ... Wir hatten das ja schon in Polen gesehen, wie die Russen gehaust hatten."
Wir leben in einer paradoxen Welt. Die gedenkpolitische Staatsräson und die Traditionserlasse der Bundeswehr verlangen immer ausschließlicher die Berufung auf den Widerstand, aber in genau diesem Maß wird der O-Ton - etwa Stauffenbergs Verwerfung der "Gleichheitslüge" - unerträglich. Wer morgen die Reden hört, mag sich an Boeselagers Wort von den Dingen erinnern, die "ja auch nicht erzählt" werden.
LORENZ JÄGER
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main