This fascinating book charts the relationship between Mark Rowlands, a rootless philosopher, and Brenin, his well-travelled wolf. More than just an exotic pet, Brenin exerted an immense influence on Rowlands as both a person, and, strangely enough, as a philosopher, leading him to re-evaluate his attitude to love, happiness, nature and death. By turns funny (what do you do when your wolf eats your air-conditioning unit?) and poignant, this life-affirming book will make you reappraise what it means to be human.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 21.12.2008Der Wolf und das Croissant
Der Philosoph Mark Rowlands hat elf Jahre lang mit einem Wolf gelebt und nun ein komisches und inspirierendes Buch darüber geschrieben. Eine Begegnung in London
Der Philosoph lehnte sich vor und sah mir in die Augen, seine Stimme gegen den Lärm in der Bar anhebend: "Egal, was Sie im Leben tun: Schaffen Sie sich nie, nie einen Wolf an!" Ich säße aber nicht bei ihm, wenn er diese Regel nicht gebrochen hätte.
Anfang der neunziger Jahre arbeitete Mark Rowlands als Assistent für Philosophie an der Universität von Tuscaloosa in Alabama, wie der Name schon sagt, keine wirkliche Kapitale des abendländischen Denkens, aber da Rowlands damals selbst wenig vorzuweisen hatte, passte es ganz gut. Er war nach seiner Promotion für diesen Job aus England hergezogen und kannte kaum Leute. Beim Durchblättern der "Tuscaloosa News" fiel ihm eine Kleinanzeige auf: "Wolfswelpen zu verkaufen -96 %".
Ein altes Gesetz aus der Siedlerzeit verbietet die Haltung und die Zucht von Wölfen in den Vereinigten Staaten, aber Mischformen sind erlaubt. In diesem Fall waren die fehlenden vier Prozent bloß eine Tarnung, Rowlands sah im Hof des Inserenten eine eindrucksvolle, reinrassige Wolfsfamilie. Ihr Züchter stammte aus Alaska und hatte ein Paar mit in den Süden gebracht. Nun stand Mark Rowlands "Nase an Nase mit dem größten Wolf, den ich je gesehen habe". Yukon, der Vater der Welpen, hatte sich an einem Tor auf die Hinterbeine gestellt und war so größer als der Engländer, er musste zu dem Tier hinaufblicken. Ein Welpe kostete 500 Dollar, ungefähr das gesamte Vermögen des Nachwuchswissenschaftlers. Kaum hatte er das kuschelige Bündel zu Hause, raste es ins Wohnzimmer, riss beide Vorhänge von den Halterungen, stürmte aus der Hintertür in den Garten und - amerikanische Leichtbauweise - unter das Haus, wo der Miniwolf systematisch und nachhaltig jede einzelne Luftzufuhrleitung der Klimaanlage zerbiss. Innerhalb von Minuten hatte er einen Schaden angerichtet, der seinen Kaufpreis locker verdoppelte.
So begann die Liebesgeschichte zwischen dem Philosophen und Brenin, dem Wolf. Elf Jahre lang stellte der Mann sein Leben ins Zeichen des Tieres. Ging nur zum Sport oder zum Unterrichten aus dem Haus, hatte wenig Freunde und keine Familie. Nachts schrieb er seine Bücher, sieben sind in der Zeit mit Brenin entstanden, und es wurden sogar Erfolge.
Sie hatten eine Art Pakt: Brenin würde nicht mehr als unbedingt nötig zerstören, wenn Mark ihn dafür keine Minute alleinließe. So kam es, dass auf den Informationsblättern zu seinen Kursen und Seminaren ein in der Geschichte der Philosophie einmaliger Warnhinweis aufgedruckt wurde: "Schenken Sie dem Wolf keine Beachtung. Und tun Sie keine Lebensmittel in Ihren Rucksack."
Täglich zu Sonnenaufgang wurde Rowlands durch das hoch über ihm stehende, massige Tier geweckt, das ihm die Schmirgelpapierzunge durch das Gesicht zog, an guten Tagen. An schlechten Tagen fiel aus dem Maul ein toter Vogel, frisch aus dem Garten geschnappt.
"Die erste Regel im Leben mit einem Wolf: Erwarte das Unerwartete." Um Brenin zu ermüden, nahm er ihn auf ausgedehnte Laufstrecken mit, eine zweischneidige Sache: Je mehr sie rannten, desto fitter wurde der Wolf. Große Touren, die ihn anfangs nach der Heimkehr in komatösen Tiefschlaf fallen ließen, waren für Brenin bald nur noch eine nette Lockerungsübung. Der Vergleich in Sachen Bewegung fiel für den Philosophen erschütternd aus: Brenin glitt schnell und scheinbar mühelos, während er stampfte, der Wolf hatte eine weit überlegene Reaktionsgeschwindigkeit, eine bedeutend höhere Schmerzschwelle und verfügte über unermessliche Reserven von Kraft. "Ich erkannte", sagt Rowlands, "dass ich hier in Gegenwart eines Wesens lief, das mir in so ziemlich jeder Hinsicht überlegen war!" Nicht zuletzt in ästhetischer: Als bleifüßiger Menschenaffe hinter einem Wolf durch die Felder zu wackeln ist eine demütigende Erfahrung.
Zwei Dinge unterscheiden Rowlands' Buch von anderen Apologien schöner Tiere, von diesen spießigen Hymnen auf vermeintlich edlere Geschöpfe: Erst mal der Humor. Die Interaktion zwischen Wolf und Mensch, Wolf und Sessel, Wolf und Kuh ist oft Grund zur Sorge, öfter noch richtig komisch. Zum anderen ist es die Gegenseitigkeit der Beziehung: In vieler Hinsicht profitiert der Mann von seinem Wolf, das Leben mit Brenin ist schöner, intensiver und relativiert jede Annahme einer artenspezifischen Überlegenheit. Außerdem ist immer was los, man wird von den eigenen Grübeleien doch ganz gut abgelenkt, wenn man einen Wolf zu Hause hat, der jedes ihm fremde Ding auf dieselbe Methode begutachtet: erst beschnüffeln, dann vollständig zerstören.
Doch auch das Tier lernt. Rowlands las sich eine Methode an, ihm vier Signale und die dazugehörige Reaktion beizubringen: Still zu bleiben, bei Fuß zu gehen, aufzubrechen und - am wichtigsten - fallen zu lassen, was er gerade im Maul hat. Diese vier Signale waren die Grammatik, die das Tier brauchte, um Rowlands im Alltag folgen zu können. "Das war eine Sprache, mein Geschenk an ihn, die es ihm ermöglichte, ein Leben an meiner Seite zu führen." Gegen fundamentale Tierschutzeinwände, die die Anwesenheit eines Wolfes in einem Philosophiekurs als artfremd kritisieren würden, verwahrt sich Rowlands am Beispiel eines Fuchses, der in einem Biergarten nach Essensresten sucht und einen ganz fidelen Eindruck macht: Ist nur das Mäusejagen im Unterholz die optimale, die von der Natur intendierte Lebensart eines solchen Tieres? Davor steht eine grundlegendere Frage: Hat die Natur überhaupt Intentionen für die einzelnen Lebewesen? Und welche wären das für uns unbehaarte Menschenaffen?
Es ist, erläutert Rowlands im Buch auf sehr einnehmende Art, alles für alle da: auch Tiere sind Objekte der Geschichte. Ihr Leben verändert sich mit dem der Menschen, mit dem der anderen Tiere. Und jedes Tier ist anders. Brenin entwickelte einen persönlichen Geschmack. Das irrste Lebensmittel überhaupt war Käse. Wenn er den irgendwo vermutete, drehte er durch und griff zur, für einen Wolf extremsten Form der Meinungsäußerung: Er bettelte.
Mark Rowlands nahm Brenin auf alle Reisen und in alle Länder mit, in die der Beruf ihn führte. Das Tier wurde freilich nicht als Wolf deklariert, sondern als Malamute, eine wenig bekannte Schlittenhundrasse. In Irland erlebten Herr und Brenin, wie die Kunden eines Dorfladens die Panik erfasste, als bekannt wurde, dass in der Umgebung ein Wolfsmischling unterwegs sein soll. Alle forderten, zum Schutz von Kindern und Schafen müsse die Bestie erschossen werden, ohne wahrzunehmen, dass ein viel größerer Wolf direkt neben ihnen unter dem Tisch schlief. Man sieht eben nur, was man weiß.
Als ich vor einigen Monaten in Frankreich einen Mann mit einem großen, schönen Wolf an der Leine sah, traute ich meinen Augen nicht: Weil Wölfe nicht an der Leine gehen, konnte dieses Tier gar kein Wolf sein, sondern wohl eine Art Riesenhuskie. Nach der Lektüre dieses Buchs weiß ich, dass es ein Wolf war und dass wir wirklich unter Wölfen leben, und zwar in wörtlicher Bedeutung.
Irgendwann starb Brenin nach einer langen, schweren Krankheit, die zuvor eine aufreibende und eklige Pflege erforderte, auch das erspart das Buch dem Leser nicht.
Das Leben ohne Wolf musste neu gelernt werden. Rowlands begann, über Brenin zu schreiben, heiratete und bekam zwei Kinder. Heute lehrt er in Miami und verdient viel Geld.
Alles gut? Er zögert. Überhaupt ist es nicht ganz einfach, mit einem Mann zu kommunizieren, der einen großen Teil seines Erwachsenenlebens unter Vierbeinern verbracht hat. Macht es einen Unterschied, Menschenkinder im Haus zu haben oder Wolfswelpen? "Er ist nicht so groß, wie man denken würde, nein!" In seinem Kopf sieht er seine Kinder schnell wachsen. Und wenn sie aus dem Haus sind, die Kinder, sind wieder die Wölfe dran, ein Sanktuarium für alte oder verstoßene Wölfe soll es werden.
Rowlands ist kein Aktivist, er will keine Pro-Wolf-Kampagne starten, eigentlich nerven ihn vor allem die Affen und wir Menschen, vor allem, "weil dauernd etwas ist, immer hampeln sie so rum. Verstehen Sie, was ich meine?"
Der Blick in diese Londoner Bar, in der an dem Abend die Weihnachtspartys toben und eigentlich alle ununterbrochen trinken und kreischen und zum Rauchen rausgehen, dann wieder trinken und kreischen, wird ihn nicht widerlegen. Diese Anstrengung, das Leben noch mehr zu genießen, immer noch mehr rauszuholen, die folgt einem ganz unwölfischen, irgendwie minderen Schema, dem der unendlichen Glückssuche nämlich, und das, findet Rowlands, funktioniert einfach nicht besonders effektiv.
Im Buch erläutert er es anhand der Sache mit den Backwaren: Als er mit Brenin und zwei unterdessen dazugekommenen Hunden in Südfrankreich Ferien machte, kaufte er der Kleinmeute morgens immer ein Schokocroissant. Die unendliche Freude der Tiere auf dieses Ritual war durch nichts zu übertreffen - und sie schien sich auch nie abzunutzen. Nie vergaßen sie, schon vorher Freudentänze aufzuführen, zur Bäckerei vorzustürmen, nie äußerten sie einen Wunsch nach Abwechslung, Vervollkommnung, Wachstum. Das Glück bestand in der immerwährenden Wiederholung des einen guten Moments.
Und es gibt noch eine weitere philosophische Schlüsselszene, mit Brenin als kleinem Wolf. Ein Freund von Rowlands hatte einen massigen weißen Pitbull namens Rugger, eine richtige Muskelmaschine. Eines Tages riss sich der Pitbull los und hatte den damals noch viel kleineren Wolf am Nacken. Doch statt zu heulen, gab Brenin ein tiefes, kehliges Knurren von sich, das überhaupt nicht zu seiner völligen Unterlegenheit und zur objektiven Hoffnungslosigkeit der Lage passen wollte. Hoffnung haben kann jeder, schreibt Rowlands, aber in der Hoffnungslosigkeit noch Haltung zu bewahren, das können wir Menschenaffen von Brenin lernen. Rowlands grinst. Das Wichtigste im Leben hat er nicht von Edmund Husserl oder Ludwig Wittgenstein, sondern von einem Wolf gelernt. Wir plaudern noch ein wenig über die Frage, warum Martin Heidegger eigentlich keinen Hund hatte, dann verabschiede ich mich und gehe.
Draußen ist es kalt, und ich fuchtele mit dem neuen digitalen Aufnahmegerät, das womöglich nichts aufgenommen hat. Ich will gar keinen Wolf. Was habe ich überhaupt mit dem ganzen Thema zu tun? Man muss schon ein seltsamer Mensch sein, um auf den Wolf zu kommen. In diesem Augenblick fiel mir ein wie, so erzählt es meine Mutter, der erste Satz ging, den ich gesagt habe: "Le loup est derrière l'arbre." - Der Wolf ist hinter dem Baum.
Unser aller Kindheit ist voller Wölfe. Mit diesem Buch geht man endlich um den Baum und trifft einen. Darum kann man es nicht aus der Hand legen.
NILS MINKMAR
Mark Rowlands: "The Philosopher and the Wolf". Granta 2008, 246 Seiten, ca. 19 Euro
Die deutsche Fassung "Der Philosoph und der Wolf" erscheint im März 2009 bei Rogner und Bernhard.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Der Philosoph Mark Rowlands hat elf Jahre lang mit einem Wolf gelebt und nun ein komisches und inspirierendes Buch darüber geschrieben. Eine Begegnung in London
Der Philosoph lehnte sich vor und sah mir in die Augen, seine Stimme gegen den Lärm in der Bar anhebend: "Egal, was Sie im Leben tun: Schaffen Sie sich nie, nie einen Wolf an!" Ich säße aber nicht bei ihm, wenn er diese Regel nicht gebrochen hätte.
Anfang der neunziger Jahre arbeitete Mark Rowlands als Assistent für Philosophie an der Universität von Tuscaloosa in Alabama, wie der Name schon sagt, keine wirkliche Kapitale des abendländischen Denkens, aber da Rowlands damals selbst wenig vorzuweisen hatte, passte es ganz gut. Er war nach seiner Promotion für diesen Job aus England hergezogen und kannte kaum Leute. Beim Durchblättern der "Tuscaloosa News" fiel ihm eine Kleinanzeige auf: "Wolfswelpen zu verkaufen -96 %".
Ein altes Gesetz aus der Siedlerzeit verbietet die Haltung und die Zucht von Wölfen in den Vereinigten Staaten, aber Mischformen sind erlaubt. In diesem Fall waren die fehlenden vier Prozent bloß eine Tarnung, Rowlands sah im Hof des Inserenten eine eindrucksvolle, reinrassige Wolfsfamilie. Ihr Züchter stammte aus Alaska und hatte ein Paar mit in den Süden gebracht. Nun stand Mark Rowlands "Nase an Nase mit dem größten Wolf, den ich je gesehen habe". Yukon, der Vater der Welpen, hatte sich an einem Tor auf die Hinterbeine gestellt und war so größer als der Engländer, er musste zu dem Tier hinaufblicken. Ein Welpe kostete 500 Dollar, ungefähr das gesamte Vermögen des Nachwuchswissenschaftlers. Kaum hatte er das kuschelige Bündel zu Hause, raste es ins Wohnzimmer, riss beide Vorhänge von den Halterungen, stürmte aus der Hintertür in den Garten und - amerikanische Leichtbauweise - unter das Haus, wo der Miniwolf systematisch und nachhaltig jede einzelne Luftzufuhrleitung der Klimaanlage zerbiss. Innerhalb von Minuten hatte er einen Schaden angerichtet, der seinen Kaufpreis locker verdoppelte.
So begann die Liebesgeschichte zwischen dem Philosophen und Brenin, dem Wolf. Elf Jahre lang stellte der Mann sein Leben ins Zeichen des Tieres. Ging nur zum Sport oder zum Unterrichten aus dem Haus, hatte wenig Freunde und keine Familie. Nachts schrieb er seine Bücher, sieben sind in der Zeit mit Brenin entstanden, und es wurden sogar Erfolge.
Sie hatten eine Art Pakt: Brenin würde nicht mehr als unbedingt nötig zerstören, wenn Mark ihn dafür keine Minute alleinließe. So kam es, dass auf den Informationsblättern zu seinen Kursen und Seminaren ein in der Geschichte der Philosophie einmaliger Warnhinweis aufgedruckt wurde: "Schenken Sie dem Wolf keine Beachtung. Und tun Sie keine Lebensmittel in Ihren Rucksack."
Täglich zu Sonnenaufgang wurde Rowlands durch das hoch über ihm stehende, massige Tier geweckt, das ihm die Schmirgelpapierzunge durch das Gesicht zog, an guten Tagen. An schlechten Tagen fiel aus dem Maul ein toter Vogel, frisch aus dem Garten geschnappt.
"Die erste Regel im Leben mit einem Wolf: Erwarte das Unerwartete." Um Brenin zu ermüden, nahm er ihn auf ausgedehnte Laufstrecken mit, eine zweischneidige Sache: Je mehr sie rannten, desto fitter wurde der Wolf. Große Touren, die ihn anfangs nach der Heimkehr in komatösen Tiefschlaf fallen ließen, waren für Brenin bald nur noch eine nette Lockerungsübung. Der Vergleich in Sachen Bewegung fiel für den Philosophen erschütternd aus: Brenin glitt schnell und scheinbar mühelos, während er stampfte, der Wolf hatte eine weit überlegene Reaktionsgeschwindigkeit, eine bedeutend höhere Schmerzschwelle und verfügte über unermessliche Reserven von Kraft. "Ich erkannte", sagt Rowlands, "dass ich hier in Gegenwart eines Wesens lief, das mir in so ziemlich jeder Hinsicht überlegen war!" Nicht zuletzt in ästhetischer: Als bleifüßiger Menschenaffe hinter einem Wolf durch die Felder zu wackeln ist eine demütigende Erfahrung.
Zwei Dinge unterscheiden Rowlands' Buch von anderen Apologien schöner Tiere, von diesen spießigen Hymnen auf vermeintlich edlere Geschöpfe: Erst mal der Humor. Die Interaktion zwischen Wolf und Mensch, Wolf und Sessel, Wolf und Kuh ist oft Grund zur Sorge, öfter noch richtig komisch. Zum anderen ist es die Gegenseitigkeit der Beziehung: In vieler Hinsicht profitiert der Mann von seinem Wolf, das Leben mit Brenin ist schöner, intensiver und relativiert jede Annahme einer artenspezifischen Überlegenheit. Außerdem ist immer was los, man wird von den eigenen Grübeleien doch ganz gut abgelenkt, wenn man einen Wolf zu Hause hat, der jedes ihm fremde Ding auf dieselbe Methode begutachtet: erst beschnüffeln, dann vollständig zerstören.
Doch auch das Tier lernt. Rowlands las sich eine Methode an, ihm vier Signale und die dazugehörige Reaktion beizubringen: Still zu bleiben, bei Fuß zu gehen, aufzubrechen und - am wichtigsten - fallen zu lassen, was er gerade im Maul hat. Diese vier Signale waren die Grammatik, die das Tier brauchte, um Rowlands im Alltag folgen zu können. "Das war eine Sprache, mein Geschenk an ihn, die es ihm ermöglichte, ein Leben an meiner Seite zu führen." Gegen fundamentale Tierschutzeinwände, die die Anwesenheit eines Wolfes in einem Philosophiekurs als artfremd kritisieren würden, verwahrt sich Rowlands am Beispiel eines Fuchses, der in einem Biergarten nach Essensresten sucht und einen ganz fidelen Eindruck macht: Ist nur das Mäusejagen im Unterholz die optimale, die von der Natur intendierte Lebensart eines solchen Tieres? Davor steht eine grundlegendere Frage: Hat die Natur überhaupt Intentionen für die einzelnen Lebewesen? Und welche wären das für uns unbehaarte Menschenaffen?
Es ist, erläutert Rowlands im Buch auf sehr einnehmende Art, alles für alle da: auch Tiere sind Objekte der Geschichte. Ihr Leben verändert sich mit dem der Menschen, mit dem der anderen Tiere. Und jedes Tier ist anders. Brenin entwickelte einen persönlichen Geschmack. Das irrste Lebensmittel überhaupt war Käse. Wenn er den irgendwo vermutete, drehte er durch und griff zur, für einen Wolf extremsten Form der Meinungsäußerung: Er bettelte.
Mark Rowlands nahm Brenin auf alle Reisen und in alle Länder mit, in die der Beruf ihn führte. Das Tier wurde freilich nicht als Wolf deklariert, sondern als Malamute, eine wenig bekannte Schlittenhundrasse. In Irland erlebten Herr und Brenin, wie die Kunden eines Dorfladens die Panik erfasste, als bekannt wurde, dass in der Umgebung ein Wolfsmischling unterwegs sein soll. Alle forderten, zum Schutz von Kindern und Schafen müsse die Bestie erschossen werden, ohne wahrzunehmen, dass ein viel größerer Wolf direkt neben ihnen unter dem Tisch schlief. Man sieht eben nur, was man weiß.
Als ich vor einigen Monaten in Frankreich einen Mann mit einem großen, schönen Wolf an der Leine sah, traute ich meinen Augen nicht: Weil Wölfe nicht an der Leine gehen, konnte dieses Tier gar kein Wolf sein, sondern wohl eine Art Riesenhuskie. Nach der Lektüre dieses Buchs weiß ich, dass es ein Wolf war und dass wir wirklich unter Wölfen leben, und zwar in wörtlicher Bedeutung.
Irgendwann starb Brenin nach einer langen, schweren Krankheit, die zuvor eine aufreibende und eklige Pflege erforderte, auch das erspart das Buch dem Leser nicht.
Das Leben ohne Wolf musste neu gelernt werden. Rowlands begann, über Brenin zu schreiben, heiratete und bekam zwei Kinder. Heute lehrt er in Miami und verdient viel Geld.
Alles gut? Er zögert. Überhaupt ist es nicht ganz einfach, mit einem Mann zu kommunizieren, der einen großen Teil seines Erwachsenenlebens unter Vierbeinern verbracht hat. Macht es einen Unterschied, Menschenkinder im Haus zu haben oder Wolfswelpen? "Er ist nicht so groß, wie man denken würde, nein!" In seinem Kopf sieht er seine Kinder schnell wachsen. Und wenn sie aus dem Haus sind, die Kinder, sind wieder die Wölfe dran, ein Sanktuarium für alte oder verstoßene Wölfe soll es werden.
Rowlands ist kein Aktivist, er will keine Pro-Wolf-Kampagne starten, eigentlich nerven ihn vor allem die Affen und wir Menschen, vor allem, "weil dauernd etwas ist, immer hampeln sie so rum. Verstehen Sie, was ich meine?"
Der Blick in diese Londoner Bar, in der an dem Abend die Weihnachtspartys toben und eigentlich alle ununterbrochen trinken und kreischen und zum Rauchen rausgehen, dann wieder trinken und kreischen, wird ihn nicht widerlegen. Diese Anstrengung, das Leben noch mehr zu genießen, immer noch mehr rauszuholen, die folgt einem ganz unwölfischen, irgendwie minderen Schema, dem der unendlichen Glückssuche nämlich, und das, findet Rowlands, funktioniert einfach nicht besonders effektiv.
Im Buch erläutert er es anhand der Sache mit den Backwaren: Als er mit Brenin und zwei unterdessen dazugekommenen Hunden in Südfrankreich Ferien machte, kaufte er der Kleinmeute morgens immer ein Schokocroissant. Die unendliche Freude der Tiere auf dieses Ritual war durch nichts zu übertreffen - und sie schien sich auch nie abzunutzen. Nie vergaßen sie, schon vorher Freudentänze aufzuführen, zur Bäckerei vorzustürmen, nie äußerten sie einen Wunsch nach Abwechslung, Vervollkommnung, Wachstum. Das Glück bestand in der immerwährenden Wiederholung des einen guten Moments.
Und es gibt noch eine weitere philosophische Schlüsselszene, mit Brenin als kleinem Wolf. Ein Freund von Rowlands hatte einen massigen weißen Pitbull namens Rugger, eine richtige Muskelmaschine. Eines Tages riss sich der Pitbull los und hatte den damals noch viel kleineren Wolf am Nacken. Doch statt zu heulen, gab Brenin ein tiefes, kehliges Knurren von sich, das überhaupt nicht zu seiner völligen Unterlegenheit und zur objektiven Hoffnungslosigkeit der Lage passen wollte. Hoffnung haben kann jeder, schreibt Rowlands, aber in der Hoffnungslosigkeit noch Haltung zu bewahren, das können wir Menschenaffen von Brenin lernen. Rowlands grinst. Das Wichtigste im Leben hat er nicht von Edmund Husserl oder Ludwig Wittgenstein, sondern von einem Wolf gelernt. Wir plaudern noch ein wenig über die Frage, warum Martin Heidegger eigentlich keinen Hund hatte, dann verabschiede ich mich und gehe.
Draußen ist es kalt, und ich fuchtele mit dem neuen digitalen Aufnahmegerät, das womöglich nichts aufgenommen hat. Ich will gar keinen Wolf. Was habe ich überhaupt mit dem ganzen Thema zu tun? Man muss schon ein seltsamer Mensch sein, um auf den Wolf zu kommen. In diesem Augenblick fiel mir ein wie, so erzählt es meine Mutter, der erste Satz ging, den ich gesagt habe: "Le loup est derrière l'arbre." - Der Wolf ist hinter dem Baum.
Unser aller Kindheit ist voller Wölfe. Mit diesem Buch geht man endlich um den Baum und trifft einen. Darum kann man es nicht aus der Hand legen.
NILS MINKMAR
Mark Rowlands: "The Philosopher and the Wolf". Granta 2008, 246 Seiten, ca. 19 Euro
Die deutsche Fassung "Der Philosoph und der Wolf" erscheint im März 2009 bei Rogner und Bernhard.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main