Die Biologie gilt als die Leitwissenschaft des 21. Jahrhunderts, deren Denkmuster und Erklärungsansätze sich anschicken, auch traditionelle geisteswissenschaftliche Theorien in Frage zu stellen. Darauf antwortet die sich gegenwärtig rasch entwickelnde Philosophie der Biologie, indem sie die methodischen Grundlagen der Biologie sowie die Struktur biologischer Erklärungen und Theorien auf den Prüfstand stellt und Begriffe wie »Funktion«, »Organismus« oder »Lebewesen« aus philosophischer Perspektive analysiert. Der Band stellt eine kompakte Einführung in das noch junge Forschungsfeld der Philosophie der Biologie dar, in dem - nach Schlüsselbegriffen geordnet - die Grundfragen der Disziplin und die Brennpunkte aktueller Kontroversen dargestellt werden. Daher ist er auch als Seminarlektüre sowohl für Studierende der Philosophie als auch der Naturwissenschaft geeignet.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 25.11.2005Junge Hoffnungen
MIT DEN BIOPOLITISCHEN Debatten, wie zum Beispiel über die Stammzellenforschung, ist die Biologie als Wissenschaft mit einem Mal wieder stark ins öffentliche Bewußtsein gerückt. Auch dieser Wissenschaft kann man analytisch auf den Grund zu gehen versuchen. Die junge Philosophie der Biologie, das zeigt ein ungemein instruktiver Sammelband von Ulrich Krohs und Georg Toepfer, klärt deren Begriffe und Methoden sowie die Struktur ihrer Erklärungen. Daß dabei die traditionelle idealistische Philosophie des Geistes nicht ganz ins Schweigen fallen muß, macht Thomas Sören Hoffmann in seiner großen und verständlichen Einleitung in Hegels Denken deutlich, die vor allem zeigt, daß Hegels Denken nicht in einem Systemzwang steckenbleibt, wie Hegel-Gegner dem Philosophen gerne vorhalten, sondern gerade umgekehrt zur Freiheit des Denkens führt. Das Denken wird bei Hegel eben nicht zum Opfer des Systems einer sich überschätzenden Vernunft. Der Sorge des Souveräns um das Opfer geht Burkhardt Wolf in seiner ideenreichen Studie nach, indem er die reiche Diskursgeschichte dieses schillernden Begriffs in den letzten drei Jahrhunderten sondiert, die bei den Versicherungssystemen landet.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
MIT DEN BIOPOLITISCHEN Debatten, wie zum Beispiel über die Stammzellenforschung, ist die Biologie als Wissenschaft mit einem Mal wieder stark ins öffentliche Bewußtsein gerückt. Auch dieser Wissenschaft kann man analytisch auf den Grund zu gehen versuchen. Die junge Philosophie der Biologie, das zeigt ein ungemein instruktiver Sammelband von Ulrich Krohs und Georg Toepfer, klärt deren Begriffe und Methoden sowie die Struktur ihrer Erklärungen. Daß dabei die traditionelle idealistische Philosophie des Geistes nicht ganz ins Schweigen fallen muß, macht Thomas Sören Hoffmann in seiner großen und verständlichen Einleitung in Hegels Denken deutlich, die vor allem zeigt, daß Hegels Denken nicht in einem Systemzwang steckenbleibt, wie Hegel-Gegner dem Philosophen gerne vorhalten, sondern gerade umgekehrt zur Freiheit des Denkens führt. Das Denken wird bei Hegel eben nicht zum Opfer des Systems einer sich überschätzenden Vernunft. Der Sorge des Souveräns um das Opfer geht Burkhardt Wolf in seiner ideenreichen Studie nach, indem er die reiche Diskursgeschichte dieses schillernden Begriffs in den letzten drei Jahrhunderten sondiert, die bei den Versicherungssystemen landet.
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 13.01.2006Mozart ist ein Säugetier
Mehr als Ethikrat: Ein Band zur Philosophie der Biologie präsentiert den aktuellen - angelsächsischen - Forschungsstand
In den USA gibt es Lehrstühle, die allein der Philosophie der Biologie gewidmet sind. In Deutschland wird dieses Thema nur ansatzweise verhandelt, hier denkt man bei „Biologie” immer gleich an Bioethik und Stammzellforschung. Doch der Philosophie der Biologie geht es auch um Fragen, die nicht im Nationalen Ethikrat diskutiert werden.
Ihr grundlegendstes Problem ist der Gegenstand der Biologie. Was unterscheidet etwa ein menschliches Auge von einem Elektron, also einem Gegenstand der Physik? Die Kausalgesetze müssen für beide, für Auge und Elektron gleichermaßen gelten. Doch das Elektron kann gewissermaßen unvoreingenommener betrachtet werden, ihm wird nichts unterstellt, was man nicht auch beobachten könnte. Beim Auge ist das anders, seine Einzelteile, Netzhaut, Pupille, Linse werden immer schon daraufhin untersucht, wie sie am Ende zusammenstimmen, damit der eigentliche Zweck eines Auges erfüllt ist. Der Zweck des Sehenkönnens ist jedoch etwas, das die Biologie hinzudenkt. Sie spricht von Zwecken, obwohl es niemanden gibt, der sie sich gesetzt hat, wie schon Immanuel Kant erkannte. Denn das Sehenkönnen des Auges steht nun einmal erst am Ende der Kausalkette und nicht an ihrem Anfang.
Mit dreiundzwanzig Aufsätzen möchte ein neuer Sammelband, den Ulrich Krohs und Georg Toepfer herausgegeben haben, den Leser in die elementaren Diskussionen einführen und gleichzeitig mit dem neuesten Forschungsstand kurzschließen. Der Anspruch ist erfüllt, allerdings erscheinen die vermeintlich bloß historischen Hintergründe manchesmal aufschlussreicher als der aktuelle angelsächsische Schlagabtausch um den neuesten und passendsten Begriff. Die kleinteilige Argumentation und der Humor analytischer Beispielsätze („Mozart ist ein Säugetier”) weichen da auch schon einmal dem eigentlichen Gedanken aus.
Spannender als emergente oder superveniente Eigenschaften, die ausdrücken sollen, dass die biologische und die physikalische Ebene zwar nicht aufeinander reduzierbar sind, aber doch aneinander gekoppelt, sind hier die mitgeteilten Details der biologischen Forschung. So wird deutlich, dass die Rede von „dem Gen” problematisch ist, denn der Ableseapparat ist letztlich genauso wichtig wie die DNA, erst er macht ihre Informationen zu wirklichen Informationen.
Neben Debatten um Grundbegriffe wie Teleologie, Organismus, Leben, Genetik, Morphologie oder Evolution räumt der Band auch - auf den ersten Blick jedenfalls - abseitigeren Theorien wie einer „Developmental Systems Theory”, die Dichotomien wie Biologie und Kultur auflösen möchte, Platz ein. Aber keine Sorge - die Kreationisten und ihr göttliches Design bleiben das allgemein anerkannte Feindbild. Anzumerken bleibt allein, dass zur Vollständigkeit eine Auseinandersetzung fehlt: eine spekulative Naturphilosophie à la Schelling oder Hegel.
ANNE TILKORN
ULRICH KROHS, GEORG TOEPFER (Hrsg.): Philosophie der Biologie. Eine Einführung. Suhrkamp Verlag, Frankfurt 2005. 456 Seiten, 16 Euro.
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Mehr als Ethikrat: Ein Band zur Philosophie der Biologie präsentiert den aktuellen - angelsächsischen - Forschungsstand
In den USA gibt es Lehrstühle, die allein der Philosophie der Biologie gewidmet sind. In Deutschland wird dieses Thema nur ansatzweise verhandelt, hier denkt man bei „Biologie” immer gleich an Bioethik und Stammzellforschung. Doch der Philosophie der Biologie geht es auch um Fragen, die nicht im Nationalen Ethikrat diskutiert werden.
Ihr grundlegendstes Problem ist der Gegenstand der Biologie. Was unterscheidet etwa ein menschliches Auge von einem Elektron, also einem Gegenstand der Physik? Die Kausalgesetze müssen für beide, für Auge und Elektron gleichermaßen gelten. Doch das Elektron kann gewissermaßen unvoreingenommener betrachtet werden, ihm wird nichts unterstellt, was man nicht auch beobachten könnte. Beim Auge ist das anders, seine Einzelteile, Netzhaut, Pupille, Linse werden immer schon daraufhin untersucht, wie sie am Ende zusammenstimmen, damit der eigentliche Zweck eines Auges erfüllt ist. Der Zweck des Sehenkönnens ist jedoch etwas, das die Biologie hinzudenkt. Sie spricht von Zwecken, obwohl es niemanden gibt, der sie sich gesetzt hat, wie schon Immanuel Kant erkannte. Denn das Sehenkönnen des Auges steht nun einmal erst am Ende der Kausalkette und nicht an ihrem Anfang.
Mit dreiundzwanzig Aufsätzen möchte ein neuer Sammelband, den Ulrich Krohs und Georg Toepfer herausgegeben haben, den Leser in die elementaren Diskussionen einführen und gleichzeitig mit dem neuesten Forschungsstand kurzschließen. Der Anspruch ist erfüllt, allerdings erscheinen die vermeintlich bloß historischen Hintergründe manchesmal aufschlussreicher als der aktuelle angelsächsische Schlagabtausch um den neuesten und passendsten Begriff. Die kleinteilige Argumentation und der Humor analytischer Beispielsätze („Mozart ist ein Säugetier”) weichen da auch schon einmal dem eigentlichen Gedanken aus.
Spannender als emergente oder superveniente Eigenschaften, die ausdrücken sollen, dass die biologische und die physikalische Ebene zwar nicht aufeinander reduzierbar sind, aber doch aneinander gekoppelt, sind hier die mitgeteilten Details der biologischen Forschung. So wird deutlich, dass die Rede von „dem Gen” problematisch ist, denn der Ableseapparat ist letztlich genauso wichtig wie die DNA, erst er macht ihre Informationen zu wirklichen Informationen.
Neben Debatten um Grundbegriffe wie Teleologie, Organismus, Leben, Genetik, Morphologie oder Evolution räumt der Band auch - auf den ersten Blick jedenfalls - abseitigeren Theorien wie einer „Developmental Systems Theory”, die Dichotomien wie Biologie und Kultur auflösen möchte, Platz ein. Aber keine Sorge - die Kreationisten und ihr göttliches Design bleiben das allgemein anerkannte Feindbild. Anzumerken bleibt allein, dass zur Vollständigkeit eine Auseinandersetzung fehlt: eine spekulative Naturphilosophie à la Schelling oder Hegel.
ANNE TILKORN
ULRICH KROHS, GEORG TOEPFER (Hrsg.): Philosophie der Biologie. Eine Einführung. Suhrkamp Verlag, Frankfurt 2005. 456 Seiten, 16 Euro.
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Erhellend findet Rezensentin Anne Tilkorn diesen Band mit dreiundzwanzig Aufsätzen zur Philosophie der Biologie, der einen Überblick über den aktuellen - angelsächsischen - Forschungsstand präsentiert. Das Ziel dieses von Ulrich Krohs und Georg Toepfer herausgegeben Sammelbands, den Leser in die elementaren Diskussionen einführen und gleichzeitig mit dem neuesten Forschungsstand kurzschließen, betrachtet Tilkorn als erreicht. Allerdings erscheinen ihr die Beiträge, die sich mit den historischen Hintergründen befassen, aufschlussreicher als der aktuelle angelsächsische Schlagabtausch um den neuesten und passendsten Begriff. Die Argumentation hält sie teilweise für etwas "kleinteilig" und dem eigentlichen Gedanken ausweichend. Neben Debatten um Grundbegriffe wie Teleologie, Organismus, Leben, Genetik, Morphologie oder Evolution räumt der Band nach Auskunft Tilkorn auch abseitigeren Theorien wie einer "Developmental Systems Theory" oder dem Kreationismus Platz ein.
© Perlentaucher Medien GmbH
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