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Die Menschenrechte sind in der Gegenwart zur schlechthin grundlegenden und weltweit gültigen politischen Idee geworden. Auch wenn ihre Geschichte sehr viel weiter zurückreicht, beginnt der eigentliche Aufstieg der Menschenrechtsidee erst nach dem Zweiten Weltkrieg: in Reaktion auf die 'Akte der Barbarei' totalitärer Politik. Diese haben nicht nur die Praxis, sondern auch die Theorie der Menschenrechte vor gänzlich neue Herausforderungen gestellt, deren Umrisse in diesem Band erkundet werden. Es geht darin um philosophische Grundfragen der Menschenrechtsidee im Lichte gegenwärtiger…mehr

Produktbeschreibung
Die Menschenrechte sind in der Gegenwart zur schlechthin grundlegenden und weltweit gültigen politischen Idee geworden. Auch wenn ihre Geschichte sehr viel weiter zurückreicht, beginnt der eigentliche Aufstieg der Menschenrechtsidee erst nach dem Zweiten Weltkrieg: in Reaktion auf die 'Akte der Barbarei' totalitärer Politik. Diese haben nicht nur die Praxis, sondern auch die Theorie der Menschenrechte vor gänzlich neue Herausforderungen gestellt, deren Umrisse in diesem Band erkundet werden. Es geht darin um philosophische Grundfragen der Menschenrechtsidee im Lichte gegenwärtiger politisch-moralischer Erfahrungen. Wie kann die politische Leitidee, dass alle Menschen als Gleiche zu berücksichtigen sind, heute verstanden, begründet und verwirklicht werden?
Autorenporträt
Christoph Menke ist Professor für Philosophie mit Schwerpunkt Politische Philosophie und Rechtsphilosophie an der Goethe-Universität Frankfurt am Main.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 14.01.2008

Wo sich der Spaten zurückbiegt

Den Philosophen Christoph Menke und Arnd Pollmann ist eine hochaktuelle und ungewöhnlich inspirierte Studie über die Menschenrechte gelungen. Auch die Aporien des Themas werden dort nicht ausgespart.

Die Menschenrechte, so kann man ohne Übertreibung sagen, sind in der Gegenwart zu der schlechthin grundlegenden und weltweit gültigen politischen Idee geworden." Mit diesem Fanfarenstoß eröffnen Christoph Menke und Arnd Pollmann ihr schmales, aber gehaltvolles Buch über die Philosophie der Menschenrechte. Als Befund über die heutige Menschenrechtsrhetorik ist dies zweifellos zutreffend: Wer es wagt, die politische Leitfunktion der Menschenrechte öffentlich anzuzweifeln, kann außerhalb von Nordkorea, Kuba oder Syrien kaum erwarten, weiterhin als ernstzunehmender Gesprächspartner anerkannt zu werden.

Paradoxerweise ist aber zugleich mit dem politischen Siegeszug der Menschenrechtsidee die Einsicht gewachsen, dass deren traditionelle Begründungsinstanzen - Glaube, Natur und Vernunft - ihre Tragfähigkeit eingebüßt haben. John Lockes Berufung auf den "allmächtigen und unendlich weisen Schöpfer", dessen Werk und Eigentum die Menschen seien und der ihnen das grundlegende Recht auf Selbsterhaltung verliehen habe, ist mit der konsequenten Selbstsäkularisierung der politischen Philosophie obsolet geworden. Rousseaus Glaube an den "natürlichen Widerwillen dagegen, irgendein fühlendes Wesen, vor allem unseresgleichen, umkommen oder leiden zu sehen", ist durch die politischen Gewaltexzesse des vorigen Jahrhunderts so nachhaltig diskreditiert worden, dass man ihn nur noch mit einem Seufzer der Rührung zur Kenntnis nehmen kann. Die Berufung auf die Vernunft schließlich steht, wie Menke und Pollmann zeigen, vor einem unüberwindlichen Dilemma.

Entweder man versteht den Begriff der Vernunft so, dass er ein Vermögen bezeichnet, das tatsächlich jedem Menschen zumindest der Möglichkeit nach zukommt. Dazu wird von Hobbes bis Höffe die Fähigkeit gerechnet, das eigene Selbsterhaltungsinteresse in kluger Weise zu verfolgen. Jedoch bleibt unklar, wie man von diesem Vernunftbegriff aus zur Anerkennung des gleichen Rechts aller Menschen gelangen will. Rational ist es nämlich allein, mit jenen Individuen eine Verständigung zu suchen, von denen ich zu wissen glaube, dass sie für die Beförderung oder Behinderung meiner Interessen wichtig sind. Dass dies alle Menschen sind, ist höchst unwahrscheinlich. Oder aber man bestimmt die Vernunft mit Kant in einem normativ anspruchsvollen Sinn, indem man etwa argumentiert, dass ein Mensch nur dann vernünftig sei, wenn er nach Gesichtspunkten handele, die sich jedem anderen Menschen gegenüber, auf den sein Handeln Auswirkungen habe, rechtfertigen ließen. Daraus ergibt sich aber kein Vermögen, das alle Menschen ohne weiteres haben. Es setzt vielmehr eine prinzipiell menschenrechtsfreundliche Einstellung voraus, die, wie die Erfahrungen mit dem 20. Jahrhundert gezeigt haben, nicht zur Elementarausstattung der Gattung Mensch gehört.

Angesichts dieser Sachlage bleibt Menke und Pollmann zufolge nichts anderes übrig, als den gordischen Knoten, den man nicht auflösen könne, einfach zu durchschlagen und den Verzicht auf eine Letztbegründung der Menschenrechtsidee als philosophische Tugend auszugeben. Dem Menschenrechtsdenken liegt danach die Bereitschaft zugrunde, jeden Menschen als einen anerkennungswürdigen Einzelnen zu sehen. Diese Bereitschaft besitze man, oder man besitze sie eben nicht. Sie könne einem Menschenrechtsskeptiker aber nicht von außen gleichsam anargumentiert werden. "In der Begründung der Menschenrechte ist die Einstellung der Anerkennung jedes anderen jener ,harte Felsen', an dem sich - in Ludwig Wittgensteins Bild - der Spaten zurückbiegt; tiefer kann man nicht graben, denn dies ist der letzte Grund."

Der Befund, dass man eine Haltung der Anerkennung bereits eingenommen haben muss, um die spezifisch menschenrechtliche Form der Anerkennung anderer gutheißen zu können, ist überzeugend. Er trifft sich mit der in der neueren Moralphilosophie vielfach vertretenen Einsicht, dass der moralische Standpunkt - die Bereitschaft, sich von moralischen Argumenten beeindrucken zu lassen - sich nicht aus außermoralischen Gesichtspunkten ableiten lässt, sondern als fundamentale Ermöglichungsbedingung moralischer Diskussionen vorausgesetzt werden muss.

Aber führt eine Haltung der Anerkennung jedes anderen zwangsläufig zu einer Konzeption von Menschenrechten? Menke und Pollmann selbst weisen darauf hin, dass dem nicht so ist. Es gibt bedeutende ethisch-politische Positionen - die Autoren nennen das antike Christentum und die stoische Philosophie -, die zwar eine Einstellung gleicher Achtung aller Menschen vertreten, diese Einstellung aber nicht so verstehen, dass sie mit der Idee von Menschenrechten verbunden ist. "Die gleiche Achtung, derer alle Menschen würdig sind, wird hier so verstanden, dass sie sich auf den Menschen in einer zwar wesentlichen, aber beschränkten Rolle, nicht jedoch auf den Menschen überhaupt bezieht." Demgegenüber bestehe die Grundidee der Menschenrechte darin, dass die Einstellung gleicher Achtung nicht aufgeteilt werden könne. Menschenrechte seien deshalb "nicht nur universal - sie schließen alle Menschen ein -, sondern auch ubiquitär: Sie gelten in allen Lebensbereichen."

Diese Ausweitung des Grundgedankens gleicher Achtung hat Menke und Pollmann zufolge ihre Wurzel in einem spezifisch individualistischen Freiheitsverständnis. Ihr liege die Überzeugung zugrunde, dass jeder Mensch es verdiene, gleichermaßen als ein frei sein eigenes Leben führendes Subjekt geachtet zu werden. Es sei dieser Achtungsanspruch, der die Form grundlegender Menschenrechte verlange. "Denn Menschenrechte sollen gewährleisten, dass der Mensch in allen seinen verschiedenen Rollen so behandelt wird, dass er sie als Teil seiner freien Lebensführung zu spielen vermag."

Menke und Pollmann wissen freilich, dass der auf das Individuum und seine Forderung nach biographischer Integrität bezogene Freiheitsbegriff weit davon entfernt ist, allgemein anerkannt zu sein. Er habe sich seit dem 17. Jahrhundert unter spezifischen kulturellen und sozialen Voraussetzungen - das unvermeidliche Stichwort lautet: funktionale Differenzierung - im Westen entwickelt. "Ohne diese Idee zu teilen, können in Gesellschaften zwar Regelungen herrschen, die inhaltlich in vielem den Menschenrechten gleichen. Ohne diese Idee zu teilen, können Gesellschaften aber nicht die Rechtsform der Menschenrechte einführen."

Findet in der Konzeption der Menschenrechte also am Ende doch nur eine partikulare normative Tradition ihren Ausdruck? Wer Menkes und Pollmanns Argumentation bis hierher unvoreingenommen verfolgt hat, kann kaum anders, als diese Frage zu bejahen. Die Autoren selbst wollen eine solche Schlussfolgerung allerdings nicht ziehen und sehen sich deshalb nach Wegen um, ihr zu entgehen. Bei dem amerikanischen Sozialphilosophen Michael Walzer werden sie fündig. Im Anschluss an ihn unterscheiden sie zwischen der, wie sie behaupten, weitgehend anerkannten Geltung der Menschenrechtsidee - der Überzeugung, dass der Mensch als Mensch gleiche Rechte habe und gleiche Berücksichtigung verdiene - und den einzelnen Menschenrechtskonzeptionen, die lediglich beispielhaft zum Ausdruck brächten, wie die Idee der Menschenrechte verstanden und verwirklicht werden solle.

Für diesen Versuch, den Konsequenzen ihres eigenen Denkens auszuweichen, zahlen Menke und Pollmann allerdings einen beträchtlichen Preis. Zum einen steht ihre von Walzer geborgte Differenzierung im Widerspruch zum Hauptstrang ihrer Argumentation. Die Menschenrechtsidee kann nicht gleichzeitig Ausprägung eines spezifisch westlichen Freiheitsverständnisses und eines nahezu weltweiten normativen Konsenses sein. Zum anderen ist sie einem schwerwiegenden praktischen Bedenken ausgesetzt. Es spricht für Menkes und Pollmanns intellektuelle Redlichkeit, dass sie es gleich selbst formulieren.

Lässt sich angesichts der Allgemeinheit der Menschenrechtsidee wenigstens einigermaßen zuverlässig ermitteln, ob ein bestimmter Vorschlag für die Einrichtung der politischen Ordnung noch eine besondere, andersartige Konzeption der Menschenrechte oder aber bereits ein Gegenentwurf zu den Menschenrechten ist? Ja, das sei schon möglich, versichern die Autoren pflichtgemäß. Ihre Erläuterungsversuche deuten freilich eher auf das Gegenteil hin. Wenn sie etwa als Maßstab für die Beurteilung der Kairoer Erklärung der Menschenrechte im Islam und deren Berufung auf die Scharia eine "kontextspezifische Beantwortung der Frage" heranziehen wollen, "wie sich der normative Gehalt, den das eigene Verständnis der Menschenrechte exemplarisch verkörpert, in einer Situation islamischer Gläubigkeit wiederholen lässt", dann geben sie ihren Lesern Steine statt Brot; denn auf diese Frage dürfte es vermutlich fast ebenso viele unterschiedliche Antworten geben, wie es Islamgelehrte gibt. Der Stand und der Grad der, wie Menke und Pollmann es nennen, "menschenrechtlichen Selbsttransformation von Kulturen" ist nun einmal sehr unterschiedlich, und viel mehr als eine Verständigung auf einige Allgemeinplätze, die alle relevanten Konflikte vorsichtig aussparen, lässt sich auf diesem Wege gegenwärtig kaum erhoffen.

So behält allem Widerstreben Menkes und Pollmanns zum Trotz ihre ursprüngliche argumentative Tendenz zur kulturalistischen Selbstrelativierung der eigenen Position das letzte Wort. Ob es auch das letzte Wort der philosophischen Menschenrechtsdiskussion insgesamt ist, wird man sehen. Der Korridor für neue Argumente ist freilich schmal. Die gegenwärtige Konjunktur des Menschenrechtsdenkens erweist sich deshalb womöglich als eine Scheinblüte - politisch und philosophisch. Aber was kommt danach?

MICHAEL PAWLIK.

Christoph Menke, Arnd Pollmann: "Philosophie der Menschenrechte zur Einführung". Junius Verlag, Hamburg 2007. 255 S., br,. 14,90 [Euro].

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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Als "hochaktuelle und ungewöhnlich inspirierte Studie" würdigt Michael Pawlik dieses Buch über die Menschenrechte von Christoph Menke und Arnd Pollmann. Zustimmend äußert er sich über die Einschätzung der Autoren, die Menschenrechte seien in der Gegenwart zu einer grundlegenden und weltweit gültigen politischen Idee geworden, deren traditionelle Begründungen gleichzeitig nicht mehr tragfähig erschienen. Auch folgt er ihrer kritischen Auseinandersetzung mit den traditionellen Begründungsinstanzen Glaube, Natur und Vernunft, sowie mit der Argumentation für einen Verzicht auf Letztbegründung der Menschenrechte. "Überzeugend" nennt er den Befund der Autoren, man müsse eine Haltung der Anerkennung bereits eingenommen haben, um die spezifisch menschenrechtliche Form der Anerkennung anderer gutheißen zu können. Allerdings bleiben bei ihm Zweifel, wenn es darum geht, diese Haltung der Anerkennung in einen plausiblen Zusammenhang mit der Konzeption der Menschenrecht zu bringen. Doch auch da, wo er mit den Autoren nicht übereinstimmt, lobt er ihre "intellektuelle Redlichkeit".

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