Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 03.02.2006Zwei und doch eins
Der Geist und sein Körper: Eine Einführung von Dieter Sturma
Der Boom der Neurowissenschaften hat das Interesse an den Problemen des Bewusstseins merklich belebt. Insofern ist es erfreulich, wenn die noch nicht übermäßig große Zahl von Einführungen in dieses Themengebiet weiter komplettiert wird. Dieter Sturma berücksichtigt besonders die bislang vernachlässigten historischen und bioethischen Aspekte.
Die Darstellung der philosophiegeschichtlichen Hintergründe im ersten Teil fällt notgedrungenermaßen knapp aus, doch die Auswahl der Autoren ist plausibel. Die Diskussion über das Leib-Seele Problem führt Sturma zurück auf einen fundamentalen Konflikt zwischen zwei Thesen: Während die Differenzthese eine fundamentale Verschiedenheit von Körper und Bewusstsein behaupte, seien der Geschlossenheitsthese zufolge alle körperlichen Veränderungen auf naturwissenschaftliche Gesetzmäßigkeiten zurückzuführen. Materialisten lösten den Konflikt, indem sie der Geschlossenheitsthese zuliebe Kompromisse mit der Differenz von Geist und Körper machten, umgekehrt insistierten Dualisten auf der Differenz von Geist und Körper, müssten aber die Geschlossenheitsthese aufgeben. Der Konflikt von Materialisten und Dualisten ist in der Tat aktenkundig; unvereinbar sind die Thesen jedoch nicht. Das zeigt schon der Epiphänomenalismus, der an beiden Thesen festhalten kann, weil er geistige Zustände für kausal irrelevant hält.
Schmerzen und Blitze
Überraschend ist die von Sturma behauptete Nähe von Identitätstheorie und eliminativem Materialismus. Identitätstheoretiker behaupten, dass wir geistige Zustände eines bestimmen Typs, etwa Schmerzen, mit einem Typ neuronaler Zustände identifizieren können, so wie wir früher einmal Blitze mit elektrischen Entladungen identifiziert haben. Die Existenz mentaler Zustände leidet unter einer solchen Identifikation genauso wenig wie die Existenz von Blitzen. Im Gegensatz dazu bestreiten eliminative Materialisten die Existenz mentaler Zustände: Diese entsprächen dem legendären Phlogiston, das sich auf nichts in unserer Natur zurückführen lasse. Anders als Sturma behauptet, ist der eliminative Materialismus daher auch nicht reduktionistisch: Eliminiert werden sollen die mentalen Zustände ja nur deshalb, weil sie nicht auf neuronale Zustände zurückzuführen seien.
Nicht wirklich überzeugend ist auch der Abschnitt über die „Qualia”-Debatte. Qualia sind die qualitativen Eigenschaften von Bewusstseinszuständen wie Schmerzen oder Farbempfindungen. Gegenstand der Debatte ist die offensichtliche Schwierigkeit, neurobiologische Erklärungen für diese Eigenschaften zu finden. Sturma definiert Qualia als „mentale Zustände, die sich auf phänomenal gehaltvolle Weise von den Objekten, Eigenschaften und Ereignissen unterscheiden, auf die sie sich beziehen.”
Was ist ein phänomenal gehaltvoller Unterschied zwischen einem Objekt und einem Bewusstseinszustand? Im Fokus der Debatte sieht Sturma den eliminativen Materialismus. Das ist nicht nur sachlich falsch, sondern auch unplausibel. Da die eliminativen Materialisten die Existenz mentaler Zustände bestritten, gab es für sie hier auch nichts zu erklären - die Debatte richtet sich vor allem gegen die Identitätstheorie, die solche Erklärungsansprüche erhebt.
Sehr aufschlussreich sind dagegen die Abschnitte über Selbstbewusstsein und Intentionalität. Dies gilt insbesondere für die historischen Hintergründe, aber auch die wesentlichen Erträge der neueren Debatte werden gut herausarbeitet. Großenteils gelungen sind zudem die abschließenden Ausführungen über die interdisziplinären Perspektiven der Philosophie des Geistes und insbesondere die Darstellung des Personenbegriffs.
Trotz der Einwände bildet das Buch mit seinen lehrreichen Abschnitten über Selbstbewusstsein und Personalität eine lesenswerte Ergänzung zum bisherigen Angebot.
MICHAEL PAUEN
DIETER STURMA: Philosophie des Geistes. Reclam Verlag, Leipzig 2005. 140 Seiten, 9,90 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Eine Dienstleistung der DIZ München GmbH
Der Geist und sein Körper: Eine Einführung von Dieter Sturma
Der Boom der Neurowissenschaften hat das Interesse an den Problemen des Bewusstseins merklich belebt. Insofern ist es erfreulich, wenn die noch nicht übermäßig große Zahl von Einführungen in dieses Themengebiet weiter komplettiert wird. Dieter Sturma berücksichtigt besonders die bislang vernachlässigten historischen und bioethischen Aspekte.
Die Darstellung der philosophiegeschichtlichen Hintergründe im ersten Teil fällt notgedrungenermaßen knapp aus, doch die Auswahl der Autoren ist plausibel. Die Diskussion über das Leib-Seele Problem führt Sturma zurück auf einen fundamentalen Konflikt zwischen zwei Thesen: Während die Differenzthese eine fundamentale Verschiedenheit von Körper und Bewusstsein behaupte, seien der Geschlossenheitsthese zufolge alle körperlichen Veränderungen auf naturwissenschaftliche Gesetzmäßigkeiten zurückzuführen. Materialisten lösten den Konflikt, indem sie der Geschlossenheitsthese zuliebe Kompromisse mit der Differenz von Geist und Körper machten, umgekehrt insistierten Dualisten auf der Differenz von Geist und Körper, müssten aber die Geschlossenheitsthese aufgeben. Der Konflikt von Materialisten und Dualisten ist in der Tat aktenkundig; unvereinbar sind die Thesen jedoch nicht. Das zeigt schon der Epiphänomenalismus, der an beiden Thesen festhalten kann, weil er geistige Zustände für kausal irrelevant hält.
Schmerzen und Blitze
Überraschend ist die von Sturma behauptete Nähe von Identitätstheorie und eliminativem Materialismus. Identitätstheoretiker behaupten, dass wir geistige Zustände eines bestimmen Typs, etwa Schmerzen, mit einem Typ neuronaler Zustände identifizieren können, so wie wir früher einmal Blitze mit elektrischen Entladungen identifiziert haben. Die Existenz mentaler Zustände leidet unter einer solchen Identifikation genauso wenig wie die Existenz von Blitzen. Im Gegensatz dazu bestreiten eliminative Materialisten die Existenz mentaler Zustände: Diese entsprächen dem legendären Phlogiston, das sich auf nichts in unserer Natur zurückführen lasse. Anders als Sturma behauptet, ist der eliminative Materialismus daher auch nicht reduktionistisch: Eliminiert werden sollen die mentalen Zustände ja nur deshalb, weil sie nicht auf neuronale Zustände zurückzuführen seien.
Nicht wirklich überzeugend ist auch der Abschnitt über die „Qualia”-Debatte. Qualia sind die qualitativen Eigenschaften von Bewusstseinszuständen wie Schmerzen oder Farbempfindungen. Gegenstand der Debatte ist die offensichtliche Schwierigkeit, neurobiologische Erklärungen für diese Eigenschaften zu finden. Sturma definiert Qualia als „mentale Zustände, die sich auf phänomenal gehaltvolle Weise von den Objekten, Eigenschaften und Ereignissen unterscheiden, auf die sie sich beziehen.”
Was ist ein phänomenal gehaltvoller Unterschied zwischen einem Objekt und einem Bewusstseinszustand? Im Fokus der Debatte sieht Sturma den eliminativen Materialismus. Das ist nicht nur sachlich falsch, sondern auch unplausibel. Da die eliminativen Materialisten die Existenz mentaler Zustände bestritten, gab es für sie hier auch nichts zu erklären - die Debatte richtet sich vor allem gegen die Identitätstheorie, die solche Erklärungsansprüche erhebt.
Sehr aufschlussreich sind dagegen die Abschnitte über Selbstbewusstsein und Intentionalität. Dies gilt insbesondere für die historischen Hintergründe, aber auch die wesentlichen Erträge der neueren Debatte werden gut herausarbeitet. Großenteils gelungen sind zudem die abschließenden Ausführungen über die interdisziplinären Perspektiven der Philosophie des Geistes und insbesondere die Darstellung des Personenbegriffs.
Trotz der Einwände bildet das Buch mit seinen lehrreichen Abschnitten über Selbstbewusstsein und Personalität eine lesenswerte Ergänzung zum bisherigen Angebot.
MICHAEL PAUEN
DIETER STURMA: Philosophie des Geistes. Reclam Verlag, Leipzig 2005. 140 Seiten, 9,90 Euro.
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Angesichts des wachsenden Interesses an den Neurowissenschaften findet Michael Plauen Dieter Sturmas Einführung in die Philosophie des Geistes zunächst einmal begrüßenswert. Als lehrreich bezeichnet er die Abschnitte über das Selbstbewusstsein und die Personalität, hier findet er die aktuelle Debatte und ihre historischen Hintergründe gut herausgearbeitet. Auch die philosophiegeschichtliche Entwicklung des Leib-Seele-Problems hält der Rezensent für plausibel dargestellt: die Materialisten führen alle mentale Zustände auf neuronale Vorgänge zurück, die Dualisten bestehen auf eine grundsätzliche Unterscheidung von Geist und Körper. Allerdings erhebt er Einwände gegen die von Sturma behauptete Nähe von Identitätstheorie und den "eliminativen Materialisten", die die Existenz mentaler Zustände grundsätzlich bestreiten. Das täten Identitätstheoretiker eben nicht, sie führten sie nur auf neuronalen Aktivität zurück. Doch trotz der Einwände sieht er in dem Band eine willkommene Ergänzun zum bisherigen Angebot.
© Perlentaucher Medien GmbH
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