Francesca Rigotti nimmt den Leser mit in ein Labor der kulinarischen Philosophie - aber auch in eine philosophische Küche, wo die beiden Welten plötzlich zusammentreffen: Wir essen Oliven und Feigen mit Aristoteles, sitzen mit Kant zu Tisch, picknicken mit Kierkegaard, verbringen unsere Zeit mit Sartre in einem der Rive gauche-Restaurants in Paris, schälen Kartoffeln mit Wittgenstein und schmecken so die Ideen, ja noch mehr die kulturelle Prägnanz der Speisen, die auf unseren Tisch kommen.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 03.02.2008Nach dem Riesling
Sangiovese in Wachenheim, Merlot in Kindenheim: eine Region wird rot
Nur 15 Minuten von Ludwigshafen entfernt wachsen die großen Rotweinsorten der Welt. Cabernet Sauvignon und Merlot gedeihen prächtig, auch der südfranzösische Syrah und der von der Loire stammende Cabernet Franc. Winzer in der Umgebung lassen spanischen Tempranillo und die toskanischen Sorten Nebbiolo und Sangiovese aus eigenem Anbau kosten.
1980 waren lediglich elf Prozent der Pfälzer Rebfläche mit Rotwein bestockt, 2006 lag der Anteil schon bei 40 Prozent. Das Klima wandelt die Pfalz zum mediterranen Weinland. "Die Jahresdurchschnittstemperatur ist in Neustadt in den vergangenen zehn Jahren von 10,1 auf 11,2 Grad gestiegen", berichtet der Ellerstädter Winzer Markus Schneider. Das klingt nach wenig, hat aber gewaltigen Einfluss auf Wein und Winzer. "Vor 25 Jahren wären die französischen Sorten hier nicht ansatzweise ausgereift", hebt er hervor, "heute haben wir damit definitiv keine Probleme mehr." Vor allem die warmen, trockenen Herbsttage lassen seit einigen Jahren auch jene späten Sorten gedeihen, die Weinfreunde bislang nur aus dem heißen Südfrankreich, dem dauermilden Bordeaux oder aus Übersee kannten.
Die Zeiten ändern sich wie das Wetter. Junge Winzer wie Markus Schneider, von dem in dieser Zeitung im Spätsommer schon einmal die Rede war, bringen neue Weinstile in die alte Pfalz. 1994 gründete er sein Weingut und produzierte zunächst Riesling, doch er hatte den Ehrgeiz, hochwertigen Rotwein zu machen. Er entschied sich, ohne jede Erfahrung die international renommierten, französischen Sorten anzubauen - und für den Cuvée, also die Komposition verschiedener Grundweine zu einem eigenständigen Wein.
Das Konzept hatte er sich von erfolgreichen österreichischen Winzerkollegen abgeschaut: "Was im Burgenland funktioniert, muss hier auch gehen", dachte er. Schon Ende der achtziger Jahre hatten ambitionierte Winzer wie Werner Knipser aus Laumersheim gespürt, dass die Pfalz langsam wärmer wurde - und heimlich Cabernet Sauvignon angebaut. Schließlich waren die Sorten offiziell nicht zugelassen. Es folgten überdurchschnittlich gute Jahre, der Cabernet wurde reif, rund und gut. Knipser wurde so zum Vorbild vieler Winzer, die sich ebenfalls Cabernet-Stöcke in Frankreich besorgten; die Rebzüchter der Region führten noch keine. Heute haben Werner Knipsers Rotweine einen international hervorragenden Ruf; er bewirtschaftet acht Hektar Bordeaux-Reben und Syrah.
Auch Markus Schneider hat großen Erfolg mit seinen intensiv-dichten, fruchtbetonten Rotwein-Cuvées, die er "Tur Tur" oder "Steinsatz" nennt. Sein kraftvoller, würziger "Black Print" verbindet die in Österreich populäre Sorte Saint Laurent mit Cabernet Sauvignon, Merlot und Syrah. Doch Schneider räumt ein: "Ohne den Riesling könnten wir wirtschaftlich noch nicht überleben."
Das sagt auch Axel Neiss, Inhaber des Weinguts Neiss im 30 Kilometer entfernten Kindenheim. 2003 hat er zum ersten Mal Cabernet, Merlot und Syrah von seinen warmen Kalksteinhängen geerntet. Während eines Praktikums in der Champagne hatte er viel über französische Sorten erfahren und bei einem Studienaufenthalt in Argentinien beschlossen, es zu Hause ebenfalls mit ihnen zu versuchen. "Es hat mich schon überrascht, wie gut die Sorten hier ausreifen", erzählt er. Aber ohne den traditionellen Riesling, der immer noch am stärksten nachgefragt werde, könne er nicht existieren, sagt er auch. Das sieht der 35 Jahre alte Winzer als Chance: "Ich habe keinen Umsatzdruck, kann in Qualität investieren, Erfahrung sammeln und Rückschläge wegstecken. Bis jetzt hat es sich gelohnt."
Dass er das betont, hat einen Grund, denn Weinmachen ist eine Gleichung mit vielen Unbekannten, vor allem, wenn die Erfahrung im Umgang mit einer Sorte fehlt. Das hat auch Markus Schneider frustriert: "Der Syrah hat im Herbst die Kurve nicht gekriegt", sagt er enttäuscht. Der Grund? Er hebt die Achseln und schaut zum Himmel. Statt kräftigen Stoff in seinen Cuvées zu verarbeiten, füllt er nun einen leichten Rosé daraus ab. Auch Neiss hat noch so seine Probleme mit den Sonnen-Sorten: 2006 fiel ihm der gesamte Syrah-Jahrgang aus - obwohl er die Sorte als "robust, wenig anfällig und ziemlich unproblematisch" einschätzt.
Einen ähnlichen Weg wie Neiss und Schneider geht auch das Weingut Bürklin-Wolf in Wachenheim, das sich auf hochwertigen Riesling im oberen Preissegment spezialisiert hat. Inhaberin Bettina Bürklin-von Guradze sagt, der Riesling sei ihr liebstes Kind, aber das Gut beschäftigt seit 2005 einen Rotweinberater. "Wir wollen Rotweine machen, die auch international bestehen", sagt sie. Rund 15 Prozent ihrer 83 Hektar Rebfläche sind mit roten Sorten bestockt, darunter Spätburgunder, Syrah, Cabernet Sauvignon und Merlot, dazu kleinere Pflanzungen der Sorten Grenache, Tempranillo, Sangiovese und Nebbiolo.
Die Erfahrungen mit den Mittelmeer-Sorten auf Pfälzer Löss-Lehm-Böden sind unterschiedlich: "Von der Reife des Nebbiolo waren wir bislang nicht sonderlich begeistert", erzählt Diplomingenieurin Sabrina Herndl-Lanz, die für die Weinberge bei Bürklin-Wolf verantwortlich ist. In der Kulturtechnik, also im Umgang mit Wachstum, Schnitt und Krankheiten, müsse man in der Pfalz seinen ganz eigenen Weg finden. Die Südfranzosen und die Italiener hätten andere Wärme, andere Böden, andere Methoden. "Da können wir wenig lernen", meint sie, andererseits sei zum Beispiel mit Ertragsregulierung sehr viel zu erreichen. Beim Tempranillo habe sie in den heißen Jahren 2003 und 2005 "gute Ergebnisse erzielt", sagt Herndl-Lanz. Verwendet werden die Sorten derzeit vor allem in der Cuvée "Villa Bürklin", einer Komposition aus Dornfelder, Sangiovese sowie den anderen mediterranen Sorten. Die deutlich teurere "Cuvée Prestige" enthält die im Holzfass ausgebauten Sorten Cabernet Sauvignon, Cabernet Franc, Spätburgunder und Merlot.
Axel Neiss baut den Syrah dagegen sortenrein aus - alte Pfalz trifft neue Welt. Mit Hilfe von Mengenbeschnitt, schonender Kellertechnik und Mostabzug macht er den Syrah, aber auch die Cuvée aus Cabernet Sauvignon und Merlot kraftvoll, intensiv und aromatisch - Methoden, mit denen auch Markus Schneider seine Weine veredelt. Neiss versucht, anders als Schneider, den französischen Sorten eine Pfälzer Identität zu verleihen. Sie lautet: "Der Wein muss verständlich sein und soll zum Essen und Genießen funktionieren." Seine Rotweine liegen 18 bis 24 Monate im kleinen Eichenfass und sind elegant, schlank und nicht so alkoholstark wie viele Übersee-Weine. "Das passt hervorragend zur kräuterig-pfeffrigen Grundnote der Rebsorte", sagt Axel Neiss. Bei 13 Prozent Alkohol mache er derzeit "bewusst Schluss" und erhalte so feine und fruchtbetonte Weine, die "weder schwer noch marmeladig" seien. "Wenn meine Kunden Weine im klassischen Bordeaux-Stil kaufen wollen oder richtig schweren Syrah, dann kommen sie sowieso nicht zu mir." Die Produktion - 4000 Flaschen je Jahr - verkauft sich gut, ein Segment, auf das er nicht mehr verzichten will.
Auch Markus Schneider plant, reinsortigen Syrah in die Flasche zu füllen - nur genügen die Ergebnisse vergangener Jahrgänge noch nicht seinem Anspruch, ein Produkt der 25-Euro-Klasse zu machen: "Ich habe schon richtig klasse Namen im Kopf, mir fehlt aber dazu noch der Wein."
Viele Worte, manche drastisch.
Wie der Knödel, so auch der Mensch.
In Österreich ist alles anders. Tomaten heißen Paradeiser, die Kartoffeln sind Erdäpfel, der Blumenkohl ist Karfiol, Ribisel ist die Johannisbeere. Und Christa Fuchs und Gudrun Harrer sind zwei Kolumnistinnen der Tageszeitung "Standard" und machen Kochbücher, in denen die Anweisungen zur Zubereitung von Gerichten eigentlich Nebensache sind. "Als Oma im Keller Quargel aß" hieß ihr erstes. Anders als in dem sind in "Besoffene Kapuziner" die Rezepte nicht nur in den Texten enthalten, sondern stehen noch extra. Das Drumherum ist aber der eigentliche Leckerbissen mit dem für deutsche Zeitungen und Bücher ungewöhnlichen Ton, der auch vor Witzeleien über Sodomiten in europäischen und anderen Kulturkreisen nicht zurückschreckt. Das wollen wir aber hier nicht zitieren.
Lieber geben wir etwas aus der Glosse über Knödel wieder, sie trägt die Überschrift "Scharfen Kanten abhold". Der Knödel, heißt es darin, sei "küchenpsychologisch des Österreichers Selbstbild: harmoniebedürftig, freundlich, gemütlich, schlau-pfiffig, unstreberisch". Der Semmelknödel wird als Keimzelle jeder Haushaltung in Österreich bezeichnet, und eine kulturgeschichtliche Abhandlung mündet in der Zubereitung von Krebsknöderln. Ob man für sie wirklich Krebspanzer- und Scheren verwendet ("wär' doch schad' drum - krach, krach durch die Fleischmaschine ohne löcherigen Einsatz gedreht, dann fein im Mörser zerstoßen"), kann man ja ausprobieren. Die "besoffenen Kapuziner" übrigens sind im Kapitel über "angerauschte Kuchen". Man braucht für sie sechs Eier, drei Deka (österreichische Maßeinheit! Ein Deka entspricht zehn Gramm) Zucker, Zimt, Vanille, Semmelbrösel, Mehl und Weißwein. Und nun? Da hilft nur lesen, dann wird man schon sehen. Unsere Meinung: Ein Buch (auffallend die liebevolle Ausstattung), in dem wohl mehr geschmökert wird, als dass danach gekocht würde. Aber weiß, am Ende stimmt das wieder gar nicht. Immerhin sind im Anhang die Rezepte aus dem ersten Band nachgereicht, zum Beispiel das für hausgemachte Räucheraal-Streichwurst, und das, sagt der Verlag, war ein Wunsch der vielen Fans.
Christa Fuchs, Gudrun Harrer, "Besoffene Kapuziner und andere Rezepturen zur kulinarischen Verbesserung Mitteleuropas"; Mandelbaum Verlag Wien, 239 Seiten, 19,90 Euro.
Was wurde aus der Weißen Vogeltraube ?
Geschichte vor den vielen Weingeschichten, eine große Fleißarbeit.
Bei diesem Buch lohnt es sich, am Ende zu beginnen. Mit der Betrachtung der Bildtafeln, den Zeichnungen der Blauen Vogeltraube und der Weißen Vogeltraube, des Weißen Heunisch oder des Rotgestreiften. Wer hat schon je davon gehört? Viele werden es nicht sein, denn es sind Traubensorten, die aus einem in Graz neu aufgelegten Buch mit mehr als 150 Jahre alten Abbildungen stammen; was sie zeigen, kommt auch in Werken der Ampelographie, der Rebsortenkunde, nicht oft vor, wenn überhaupt.
Auf diese Zeichnungen aufmerksam zu machen ist aber nur ein Verdienst der "Geschichte der alten Traubensorten". Vor zwei Jahren ist der unprätentiöse, bis auf die Tafeln unbebilderte Band, in dem eine immense Fleißarbeit steckt, im Arcadia-Verlag in Solothurn erschienen. Der Autor, Marcel Aeberhard, ist Mitglied der schweizerischen Kommission für die Erhaltung von Kulturpflanzen und der deutschen Gesellschaft für die Geschichte des Weines, der rund 1000 Personen aus Deutschland und dem deutschsprachigen Ausland angehören. Entstanden ist das Buch mit finanzieller Unterstützung des schweizerischen Bundesamtes für Landwirtschaft. Das erklärt den recht ausführlichen Teil, der sich der Herkunft alter Rebsorten in der Schweiz widmet, schmälert aber nicht den Wert des Buches für Weinfreunde auch anderswo.
Aeberhard, von Hause aus ein Jurist, der in Bern als Anwalt praktiziert, hat selbst viele alte und seltene Traubensorten gesammelt, um sie vor dem Aussterben zu bewahren. Sein Buch, sagt er an einer Stelle, sei weniger aus rebkundlicher als aus historischer Sicht geschrieben. Zum Glück, möchte man hinzufügen, sonst wäre es eine Lektüre wirklich nur für die ernsthaften Hobby-Wein-Forscher und Spezialisten. Alle anderen anderen können aufschlagen, auf welcher Seite sie mögen - mit etwas Muße gibt es fast überall etwas zu lesen, das einem einen Eindruck von der Weite des Themas vermittelt: dass die während Jahrhunderten bekannte Rebsorte Römer längst ausgestorben ist, dass es einst viele Varianten kroatischer Tafeltrauben gab, dass Sorten, die in einem Anbaugebiet nicht mehr wachsen, mitunter wieder neu verbreitet werden und warum und wie. Eine Ergänzung für jede Weinbibliothek.
Marcel Aeberhard, Geschichte der alten Traubensorten, Arcadia-Verlag Solothurn, 260 Seiten und zehn Bildtafeln, 35 Euro.
Wie die Teller aufs Bild kamen.
Essen muss jeder, fragt sich nur, was.
Er ist der Erfinder der sogenannten Fallenbilder: Tischplatten, auf denen die Überreste gegessener Mahlzeiten konserviert sind und so in den Rang der Kunst gehoben - ein Konzept der sechziger Jahre, das den damals dreißigjährigen gebürtigen Rumänen Daniel Spoerri bekannt machte. Spoerri, der heute in Italien lebt, verbrachte in den späten Fünfzigern und frühen Sechzigern prägende Jahre in Paris, gehörte dem Nouveau-Réalisme-Zirkel an. Er war Fluxus-Aktivist und von 1957 bis 1959 Regieassistent am Staatstheater Darmstadt, gab die Zeitschrift "material" für Konkrete Dichtung heraus und ist in Deutschland vor allem dafür bekannt, dass er von 1968 bis 1972 in Düsseldorf das Restaurant "Spoerri" und die Eat-Art-Gallery führte.
Was gab es im "Spoerri" zu essen? Den meisten, schreibt Barbara Räderscheidt in dem Vorwort zu diesem kleinen Buch aus der Edition Nautilus, falle dazu heute das "Ameisenomelett" ein - das sehr viel weniger Ungewöhnliche im Angebot des Lokals ist vergessen. Fest steht, dass im "Spoerri" Trends, die einem übersatten Publikum bis heute immer wieder mal schmecken, vorweggenommen wurden, die "exotischen" Genüsse zum Beispiel, Schlangenfleisch und ähnliches. Und fast scheint es, als nehme heute mancher Koch Anleihen bei Spoerri und seinem Palindromischen Diner, bei dem das Essen in eine Form und einen Zusammenhang gebracht ist, die vom Ursprung abweicht. Solchen und anderen Ideen nachspüren kann man mit diesem Band, der Texte Spoerris zu sich, zu anderen Essenden und zum Essen versammelt.
Daniel Spoerri, "Eat Art", Edition Nautilus, Hamburg, 128 Seiten, 12,90 Euro.
Von der Traube bis zum Kater.
... und dann ein letztes Glas im Stehen.
Der Ton von gestern ist ja heute wieder sehr modern. "In den privaten Trinkgewohnheiten spiegelt sich das gesamte Wirtschaftssystem mit Leistungszwang und Konkurrenzdruck, Blackout und Verkennung der Wirklichkeit." So schrieb es Joseph von Westphalen Mitte der Neunziger in der vor ein paar Jahren noch einmal aufgelegten Glossen-Sammlung "Das Leben ist hart". Der Journalist und Autor, der in der kurzen Form immer unterhaltsamer ist als mit seinen Romanen, rechnet hier in dem Text "Über das Saufen" mit denen ab, die das Maßhalten nicht beherrschen. Das ist eine Art Selbstgespräch, in dem von einem Brummschädel nach dem Aufstehen bis zum ersten Glas am nächsten Abend so ziemlich jeder Gedanke zum Thema Alkohol durchgespielt wird, vom "Nie mehr" bis zum "Was ist schon dabei". Wer das ganz nüchtern betrachten möchte, liest nach. Das Buch ist weitgehend vergriffen, über Online-Handel aber noch zu bekommen.
Joseph von Westphalen, "Das Leben ist hart", Deutscher Taschenbuch Verlag, München, 191 Seiten, Originalpreis 8,50 Euro.
Der Geschmack wird lieblich gesteigert.
Ein frühes Standardwerk.
Noch einmal nach Österreich. Das Buch des bedeutendsten Kochs des 19. Jahrhunderts dort, F. G. Zenker, wieder auflegen zu lassen, originalgetreu transkribiert, war eine Idee, die der Filmemacher und Kulturtheoretiker Peter Kubelka jahrzehntelang mit sich herumtrug, bis er sie verwirklichte. Kubelka, 1934 in Wien geboren und der Erfinder des "Metrischen Films", der seit den Sechzigern das Kochen als Medium der Kommunikation untersucht und 1980 Professor für Film und Kochen an der Frankfurter Städelschule geworden war, nennt das einen Traum, den er sich selbst erfüllt hat. "Nicht mehr als sechs Schüsseln. Ein Kochbuch für die mittleren Stände" erschien erstmals 1820 und trägt, wie der Neuherausgeber im Vorwort bewundernd sagt, eine Partitur zu Speisenkompositionen vor und nicht nur die Pläne zum Speisenaufbau.
Nach dem Buch lässt sich handwerklich sauber arbeiten, obwohl Zenker vor allem vom Kochen als Ereignis erzählt - da erkennt man auch, in welcher historischen Reihe die Autorinnen der "Besoffenen Kapuziner" (siehe nebenstehende Besprechung) stehen; im weitesten Sinne führen sie diese Tradition fort. Zenker schrieb nieder, was er tat, und beschrieb, was ihm auffiel, in einer musikalischen Sprache ("der Geschmack wird von Zucker lieblich gesteigert"). Er formulierte immer ganz nahe am praktischen Tun und gewann dabei wie nebenbei Erkenntnisse, die das Kochen und das Essen als Kulturhandlung beschreiben. An anderer Stelle lesen sich seine Texte wie die in den lange nach seiner Zeit populären Büchern für die ordentliche Hausfrau (die gute Köchin wird immer eine schwarze Brühe im Haus haben).
"Die Tätigkeit des Kochens hat dieselbe Wertigkeit wie Bildhauern, Malen, Dichten oder Musizieren", schreibt Peter Kubelka in seinen Bemerkungen zu diesem Buch. "Jede Familie, in der regelmäßig gekocht wird, beherbergt mindestens einen Künstler", hat er auch einmal gesagt. Nun heißt es seinem Rat folgen und "Nicht mehr als sechs Schüsseln" erst kochend, dann essend auswerten, zenkern eben.
Peter Kubelka (Hg.), "Nicht mehr als sechs Schüsseln! Ein Kochbuch für die mittleren Stände von F. G. Zenker", Neuauflage 2006 der Erstausgabe von 1820. Czernin Verlag, Wien, 294 Seiten, 27 Euro.
Mehr als Handarbeit.
Die Gedanken und die Kartoffeln.
Vom Laster der Gefräßigkeit und von Kants Empfehlung, im Falle der geistigen Übersättigung so zu verfahren wie bei der körperlichen und Diät zu halten. Über die Kierkegaardsche Nahrungsmetaphorik und über das Bildnis der Völlerei als Frau mit gewölbtem Bauch und übermäßig langem Hals in Cesare Ripas "Iconologia" von 1603: Hier tischt die italienische Philosophin und Politologin Francesca Rigotti auf. Dem Eingangskapitel, einer kleinen Reflektion über die Ähnlichkeiten der Nahrungszubereitung und des Schreibens, folgt ein Rundblick über die Philosophie, vielmehr: über das Thema Essen und Trinken darin und darüber, wie die Beschäftigung mit dem Dinglichen die Gedankenfindung und den sprachlichen Ausdruck bestimmt. Dazwischengewebt sind eigene Betrachtungen über Köche und Küche, die wieder zu den Philosophen führen, und am Schluss macht man sich seinen eigenen Reim darauf, dass es so wenige Berufsköchinnen gibt. Ein unterhaltsames und erfrischendes Buch.
Francesca Rigotti, "Philosophie in der Küche", Verlag C.H. Beck, München, 128 Seiten; 8,90 Euro.
Rezepte von den Pisa-Siegern.
Viel Fisch und viel Milch, viel Käse.
Keine opulenten Fotos von den Gerichten. Nur Zeichnungen, schwarz-weiß im Stile von Kinderbüchern der fünfziger und sechziger Jahre: Kinder im Schnee, Milchkannen, Pilze und Steckrüben. Die Seiten bräunlich, die Rezepte fischlastig. Dieses Buch sieht aus wie eine reichlich altmodische Antwort auf die Sehnsucht nach der heilen Welt. Das Publikum will es so, denn das Werk erscheint unverändert seit 1985 - in kleiner Auflage zwar, aber stetig, ein Longseller, wie es auf dem Kochbuchmarkt, wo vieles nach einer Saison in der Versenkung verschwindet, nicht allzu viele gibt.
"Ihre Küche ist ein Stück Natur", schreibt Cédric Dumont in seinem berühmten kulinarischen Lexikon über die Finnen. Hannelore Hellqvist und Helvi Wendeler zeigen, wie die Natur in den Topf kommt. Mit "Klimppisoppa hirvestä" (Elcheintopf mit Klößen, das Rezept ist für zehn Personen), mit Rhabarbergrütze ("Raparperikiisseli") und Forelle in Sauerrahm ("Kirjolohta ja smetanaa"), mit Mohrrübenauflauf ("Porkkanalaatikko") und gefüllten Hefewecken ("Laskiaispulla"). Das meiste ist Hausmannskost, die vom Rhythmus der Natur bestimmt ist, manches ist nur vorstellbar, wenn man sich in eine eiseskalte Nacht und in sehr großen Hunger halluziniert (Auflauf aus Heringen, fettem Schweinefleisch und Eiern). Den finnischen Pisa-Sieger-Schülern scheint solche Kost nicht zu schaden, vielleicht weil sie so viel Eiweiß enthät, das soll gut fürs Hirn sein.
Hannelore Hellqvist, Helvi Wendeler, "Finnische Küche für Fest- und Feiertage". J. Latka Verlag Bonn, 127 Seiten; 13 Euro.
Beruf Restaurantkritiker.
Essen und Erinnerung.
Über eine ganze Buchseite beschreiben, was einer schmeckt und fühlt, der einen besonderen Schinken probiert: Kristian Ditlev Jensen kann das und noch viel mehr. "Leibspeise" ist ein Roman mit einem Restaurantkritiker als Hauptperson, einem Mann, der die Welt als kulinarische Erfahrung erlebt und wiedergibt. Der Leser hat teil an einem Kosmos, in dem es um den Menschen als schmeckendes Wesen geht und darum, wie die Teilhabe am Umgang mit Nahrung in verschiedenen räumlichen und geistigen Welten sich über das eigene Empfinden legt und es beeinflusst.
Was bei Anthony Bodurdain, dem Amerikaner, der vor ein paar Jahren mit seinem "Ein Küchenchef reist um die Welt" Erfolg hatte, ein egomaner Reisebericht war, ist in dem ersten Roman des Journalisten und Übersetzers Jensen in eine ungemein reizvolle Komposition eingebettet, in der das Essen eine Dimension über das Physische hinaus bekommt. Denn der Kritiker McCoy muss den Selbstmord seiner japanischen Frau Midori verarbeiten, die während ihrer Ehe immer wieder von depressiven Schüben heimgesucht worden war. Die Erinnerung an sie überfällt ihn meist beim Essen. Ihr Mund erscheint ihm wie eine Kirsche, der Anblick eines Stücks Fleisch überschwemmt ihn mit Bildern ihres Todes. In Rückblenden entsteht die Beziehung des Europäers und der Japanerin als eine Geschichte kultureller Prägungen und körperlicher Erfahrungen, die nicht nur von Delikatesse sind, wie könnten sie auch.
Kristian Ditlev Jensen, "Leibspeise", aus dem Dänischen; Hoffmann und Campe Verlag Hamburg, 414 Seiten, 24 Euro.
Aus der Gerüchteküche.
Ein Apfel am Tag . . .
Wasser trinken hilft nicht gegen Falten, sich schlank zu essen wird schwer. Aus Frauenzeitschriften und von den Ratgeberseiten im Internet ist die Rubrik "Irrtümer über . . ." nicht wegzudenken. Sylvia Schneider, die aus dem Magazin-Journalismus kommt, hat für ihr Buch ein ähnliches Rezept gewählt und beleuchtet Sprüche und Gerüchte, Gerichte und Küchen-Phänome vom Bratkartoffelverhältnis bis zu den Enzymen in der Ananas. Das ist recht amüsant zu lesen, wirkt mitunter aber auch ein wenig bemüht. Zum Beispiel, wenn im Kapitel "Milch, Käse und Eier" das Ei des Kolumbus erklärt wird, auf der nächsten Seite gefragt "Woran erkennen Sie ein frisches Ei? " und dann noch der Rat ergeht, Ostereier färbe jeder am besten selbst. Ein Hang zum Missionarischen schimmert durch viele Texte der Slowfood-Anhängerin durch, an anderer Stelle herrscht wieder ein Bemühen um Ausgewogenheit (Fleisch zu essen kann ganz okay sein, gegen Vegetarismus ist jedoch auch nichts einzuwenden). In diesem Sinne: Das Buch muss man nicht kaufen, aber wer es geschenkt bekommt, braucht sich nicht zu ärgern.
Sylvia Schneider, "Warum macht der Karpfen blau?", Franckh-Kosmos Verlag, Stuttgart, 158 Seiten, 12,95 Euro.
Vor dem Kochen kommt der Einkauf.
Von Ahle Wurst bis Biohuhn.
Warum bloß Frankfurt mit diesem Ort nicht Werbung mache, auf Postkarten und mit Plakaten, das wollte einst Wolfram Siebeck nicht verstehen. Er konnte die Frankfurter Kleinmarkthalle gar nicht genug loben als Paradies für alle, denen das Essen mehr ist als Nahrungsaufnahme. Seit der legendäre Gastronomiekritiker der "Zeit" ("Nieder mit der Mehlschwitze") das schrieb, hat sich viel getan, und es kann heute, wer danach sucht, auch anderswo sehr gute Ware kaufen. Das nicht zuletzt zum Leidwesen etlicher Kleinmarkthallen-Händler, die sich in die Zange genommen fühlen von immer neuen Wochenmärkten (den Unmut über diese teilen sie wiederum mit vielen Geschäftsinhabern) und den Gourmet-Abteilungen in den Kaufhäusern.
Doch Abteilung hin, Markt her, einen anderen Platz in Frankfurt und Umgebung, der unter einem Dach so viel verschiedenes bietet, gibt es nicht. Im Vorübergehen ein Stück Ahle Wurst kaufen und Rosen mit Knospen so groß wie Männerfäuste, Biohühner und frischen Fisch, Obst, Gemüse und Gewürze, Käse und Konfitüren, und das Meiste davon aus aller Herren Länder: Die Kleinmarkthalle kennen heißt, sie für ein Lebensmittelangebot zu schätzen, das in seiner Breite wie Tiefe immer noch seinesgleichen sucht in der Region. Die Texterin Eva Wolf, Mitinhaberin der Frankfurter Werbeagentur Opak, der Fotograf Paul Claessen und die Designer und Buchgestalter Lothar Krauss und Charlotte Schöner legen einem diesen Ort der Alltagskultur ans Herz, auf eine sehr angenehme Art. Die vier Künstler sind leidenschaftliche Hobbyköche, von denen mindestens zwei ihre prägenden kulinarischen Erfahrungen der Kleinmarkthalle verdanken. Sie haben ihr ein stilles, zurückhaltendes Buch mit ungeschminkten Fotos, aber in eleganter Aufmachung gewidmet, mit Rezepten vieler Händler, bei denen sie gerne einkaufen (wer das Buch kauft: unbedingt einmal die Crostada di pere (Birnenkuchen) auf Seite 225 nachbacken).
Eva Wolf u. a. "Die Kleinmarkthalle kocht". Nizza-Verlag, Frankfurt, 237 Seiten, 24,90 Euro.
Im Land der Brüder Grimm.
Nordhessen, leicht und schwebend.
Es gibt ein Landhotel südwestlich von Kassel, das von heiterer Eleganz ist. Es gibt zwei Gastgeber dort, die sich darauf spezialisiert haben, an schönen Orten in der Umgebung Feste auszurichten. Es gibt einen Autor, der ein Freund und Fan des Hotels, seiner Betreiber und seiner Küche ist. Es gibt einen Künstler und einen Fotografen, die es auch sind, und jetzt gibt es ein Buch. Das Hotel heißt "Grischäfer" und steht in Bad Emstal, der Küchenchef darin heißt Rainer Holzhauer. Das Buch, in dem er sieben seiner Menüs vorstellt, heißt "Zugegriffen, liebe Freunde".
Es sind einige schöne Rezepte darin, alle mit regionalen Zutaten. Manche muten so schwebend-leicht an, wie man es vom fachwerk-schweren hessischen Norden gar nicht erwartet (eine Kartoffelsuppe wird mit Apfelchampagner aufgefüllt, Rehrücken liegt auf Holunder-Birnen-Soße, Brechbohnen werden mit Ziegenfrischkäse überbacken). Zu einem Genuss macht das Buch seine Ausstattung, machen es die Zeichnungen und Kalligraphien des Künstlers Albert Schindehütte, der auch für die Buchgestaltung verantwortlich zeichnet, und machen es vor allem die Fotos des Finnen Paavon Blåfield. Heiner Boehncke, der lange Jahre Literaturredakteur beim Hessischen Rundfunk war und ein unermüdlicher Hessen-Kultur-Förderer ist, hat die Orte beschrieben, an denen die sieben Menüs serviert wurden, die Alte Brüderkirche am Renthof in Kassel zum Beispiell, das Ballhaus am Wilhelmshöher Schloss. Das Ganze ist eine liebevoll gedachte Werbung für das "Grischäfer" und seinen Event-Gastronomie-Service, aber auch für den Charme eines strukturschwachen Gebiets und die Schönheiten, die es hervorbringen kann.
Rainer Holzhauer: "Zugegriffen, liebe Freunde". Verlag Neumann-Neudamm, Melsungen, 107 Seiten, 29,95 Euro.
Führer durch die Geschäfte-Welt.
Krachende Brotkruste, frischester Fisch.
Heute im Regal, morgen vergessen, was jetzt nicht über die Theke geht, bleibt lange liegen. So geht es mit vielen Kochbüchern und auch mit Einkaufsführern. Denn die leiden oft noch darunter, dass sie schlampig gemacht sind oder unvollständig oder nach Kriterien, die kein Mensch nachvollziehen kann. Mit den Companions-Produkten (früher im Zigarettenschachtelformat) ist es anders, sie werden von einer hochprofessionellen Hamburger Agentur für Corporate Publishing herausgegeben, also einer Art Buchverlag, der mit Anzeigen arbeitet. In der Reihe "Wo Köche einkaufen" gibt es Ausgaben für Berlin, Hamburg, Düsseldorf, Köln und Bonn, Stuttgart, das Ruhrgebiet und das Rhein-Main-Gebiet.
Die Broschüren haben einen Mantelteil mit Rezepten, Buchbesprechungen (bei denen nicht ganz klar ist, ob es eigentlich auch Anzeigen sind) und einen Regionalanteil, der das Herzstück des Heftes bildet und von Lohnschreibern in den jeweiligen Orten nach vorgegebenem Muster gefüllt wird. Und der, man kann es nicht anders sagen, sehr gut gemacht ist. Unterteilt sind die Informationen in Kapitel wie Brot und Gebäck, "Delikatessen", Fisch und Meeresfrüchte, griechische und asiatische Lebensmittel. Käseläden sind aufgelistet, Wochenmärkte, Bio-Anbieter, nicht immer vollständig, aber immer mit einer Auswahl, an der es nichts zu kritisieren gibt: ein nützliches Kompendium für das Einkaufen in den Städten der Rhein-Main-Region. Eine Neuauflage ist für den Spätherbst angekündigt.
"Kostprobe. Wo Köche einkaufen im Rhein-Main-Gebiet", Companions Verlag Hamburg, 114 Seiten, 8,90 Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Sangiovese in Wachenheim, Merlot in Kindenheim: eine Region wird rot
Nur 15 Minuten von Ludwigshafen entfernt wachsen die großen Rotweinsorten der Welt. Cabernet Sauvignon und Merlot gedeihen prächtig, auch der südfranzösische Syrah und der von der Loire stammende Cabernet Franc. Winzer in der Umgebung lassen spanischen Tempranillo und die toskanischen Sorten Nebbiolo und Sangiovese aus eigenem Anbau kosten.
1980 waren lediglich elf Prozent der Pfälzer Rebfläche mit Rotwein bestockt, 2006 lag der Anteil schon bei 40 Prozent. Das Klima wandelt die Pfalz zum mediterranen Weinland. "Die Jahresdurchschnittstemperatur ist in Neustadt in den vergangenen zehn Jahren von 10,1 auf 11,2 Grad gestiegen", berichtet der Ellerstädter Winzer Markus Schneider. Das klingt nach wenig, hat aber gewaltigen Einfluss auf Wein und Winzer. "Vor 25 Jahren wären die französischen Sorten hier nicht ansatzweise ausgereift", hebt er hervor, "heute haben wir damit definitiv keine Probleme mehr." Vor allem die warmen, trockenen Herbsttage lassen seit einigen Jahren auch jene späten Sorten gedeihen, die Weinfreunde bislang nur aus dem heißen Südfrankreich, dem dauermilden Bordeaux oder aus Übersee kannten.
Die Zeiten ändern sich wie das Wetter. Junge Winzer wie Markus Schneider, von dem in dieser Zeitung im Spätsommer schon einmal die Rede war, bringen neue Weinstile in die alte Pfalz. 1994 gründete er sein Weingut und produzierte zunächst Riesling, doch er hatte den Ehrgeiz, hochwertigen Rotwein zu machen. Er entschied sich, ohne jede Erfahrung die international renommierten, französischen Sorten anzubauen - und für den Cuvée, also die Komposition verschiedener Grundweine zu einem eigenständigen Wein.
Das Konzept hatte er sich von erfolgreichen österreichischen Winzerkollegen abgeschaut: "Was im Burgenland funktioniert, muss hier auch gehen", dachte er. Schon Ende der achtziger Jahre hatten ambitionierte Winzer wie Werner Knipser aus Laumersheim gespürt, dass die Pfalz langsam wärmer wurde - und heimlich Cabernet Sauvignon angebaut. Schließlich waren die Sorten offiziell nicht zugelassen. Es folgten überdurchschnittlich gute Jahre, der Cabernet wurde reif, rund und gut. Knipser wurde so zum Vorbild vieler Winzer, die sich ebenfalls Cabernet-Stöcke in Frankreich besorgten; die Rebzüchter der Region führten noch keine. Heute haben Werner Knipsers Rotweine einen international hervorragenden Ruf; er bewirtschaftet acht Hektar Bordeaux-Reben und Syrah.
Auch Markus Schneider hat großen Erfolg mit seinen intensiv-dichten, fruchtbetonten Rotwein-Cuvées, die er "Tur Tur" oder "Steinsatz" nennt. Sein kraftvoller, würziger "Black Print" verbindet die in Österreich populäre Sorte Saint Laurent mit Cabernet Sauvignon, Merlot und Syrah. Doch Schneider räumt ein: "Ohne den Riesling könnten wir wirtschaftlich noch nicht überleben."
Das sagt auch Axel Neiss, Inhaber des Weinguts Neiss im 30 Kilometer entfernten Kindenheim. 2003 hat er zum ersten Mal Cabernet, Merlot und Syrah von seinen warmen Kalksteinhängen geerntet. Während eines Praktikums in der Champagne hatte er viel über französische Sorten erfahren und bei einem Studienaufenthalt in Argentinien beschlossen, es zu Hause ebenfalls mit ihnen zu versuchen. "Es hat mich schon überrascht, wie gut die Sorten hier ausreifen", erzählt er. Aber ohne den traditionellen Riesling, der immer noch am stärksten nachgefragt werde, könne er nicht existieren, sagt er auch. Das sieht der 35 Jahre alte Winzer als Chance: "Ich habe keinen Umsatzdruck, kann in Qualität investieren, Erfahrung sammeln und Rückschläge wegstecken. Bis jetzt hat es sich gelohnt."
Dass er das betont, hat einen Grund, denn Weinmachen ist eine Gleichung mit vielen Unbekannten, vor allem, wenn die Erfahrung im Umgang mit einer Sorte fehlt. Das hat auch Markus Schneider frustriert: "Der Syrah hat im Herbst die Kurve nicht gekriegt", sagt er enttäuscht. Der Grund? Er hebt die Achseln und schaut zum Himmel. Statt kräftigen Stoff in seinen Cuvées zu verarbeiten, füllt er nun einen leichten Rosé daraus ab. Auch Neiss hat noch so seine Probleme mit den Sonnen-Sorten: 2006 fiel ihm der gesamte Syrah-Jahrgang aus - obwohl er die Sorte als "robust, wenig anfällig und ziemlich unproblematisch" einschätzt.
Einen ähnlichen Weg wie Neiss und Schneider geht auch das Weingut Bürklin-Wolf in Wachenheim, das sich auf hochwertigen Riesling im oberen Preissegment spezialisiert hat. Inhaberin Bettina Bürklin-von Guradze sagt, der Riesling sei ihr liebstes Kind, aber das Gut beschäftigt seit 2005 einen Rotweinberater. "Wir wollen Rotweine machen, die auch international bestehen", sagt sie. Rund 15 Prozent ihrer 83 Hektar Rebfläche sind mit roten Sorten bestockt, darunter Spätburgunder, Syrah, Cabernet Sauvignon und Merlot, dazu kleinere Pflanzungen der Sorten Grenache, Tempranillo, Sangiovese und Nebbiolo.
Die Erfahrungen mit den Mittelmeer-Sorten auf Pfälzer Löss-Lehm-Böden sind unterschiedlich: "Von der Reife des Nebbiolo waren wir bislang nicht sonderlich begeistert", erzählt Diplomingenieurin Sabrina Herndl-Lanz, die für die Weinberge bei Bürklin-Wolf verantwortlich ist. In der Kulturtechnik, also im Umgang mit Wachstum, Schnitt und Krankheiten, müsse man in der Pfalz seinen ganz eigenen Weg finden. Die Südfranzosen und die Italiener hätten andere Wärme, andere Böden, andere Methoden. "Da können wir wenig lernen", meint sie, andererseits sei zum Beispiel mit Ertragsregulierung sehr viel zu erreichen. Beim Tempranillo habe sie in den heißen Jahren 2003 und 2005 "gute Ergebnisse erzielt", sagt Herndl-Lanz. Verwendet werden die Sorten derzeit vor allem in der Cuvée "Villa Bürklin", einer Komposition aus Dornfelder, Sangiovese sowie den anderen mediterranen Sorten. Die deutlich teurere "Cuvée Prestige" enthält die im Holzfass ausgebauten Sorten Cabernet Sauvignon, Cabernet Franc, Spätburgunder und Merlot.
Axel Neiss baut den Syrah dagegen sortenrein aus - alte Pfalz trifft neue Welt. Mit Hilfe von Mengenbeschnitt, schonender Kellertechnik und Mostabzug macht er den Syrah, aber auch die Cuvée aus Cabernet Sauvignon und Merlot kraftvoll, intensiv und aromatisch - Methoden, mit denen auch Markus Schneider seine Weine veredelt. Neiss versucht, anders als Schneider, den französischen Sorten eine Pfälzer Identität zu verleihen. Sie lautet: "Der Wein muss verständlich sein und soll zum Essen und Genießen funktionieren." Seine Rotweine liegen 18 bis 24 Monate im kleinen Eichenfass und sind elegant, schlank und nicht so alkoholstark wie viele Übersee-Weine. "Das passt hervorragend zur kräuterig-pfeffrigen Grundnote der Rebsorte", sagt Axel Neiss. Bei 13 Prozent Alkohol mache er derzeit "bewusst Schluss" und erhalte so feine und fruchtbetonte Weine, die "weder schwer noch marmeladig" seien. "Wenn meine Kunden Weine im klassischen Bordeaux-Stil kaufen wollen oder richtig schweren Syrah, dann kommen sie sowieso nicht zu mir." Die Produktion - 4000 Flaschen je Jahr - verkauft sich gut, ein Segment, auf das er nicht mehr verzichten will.
Auch Markus Schneider plant, reinsortigen Syrah in die Flasche zu füllen - nur genügen die Ergebnisse vergangener Jahrgänge noch nicht seinem Anspruch, ein Produkt der 25-Euro-Klasse zu machen: "Ich habe schon richtig klasse Namen im Kopf, mir fehlt aber dazu noch der Wein."
Viele Worte, manche drastisch.
Wie der Knödel, so auch der Mensch.
In Österreich ist alles anders. Tomaten heißen Paradeiser, die Kartoffeln sind Erdäpfel, der Blumenkohl ist Karfiol, Ribisel ist die Johannisbeere. Und Christa Fuchs und Gudrun Harrer sind zwei Kolumnistinnen der Tageszeitung "Standard" und machen Kochbücher, in denen die Anweisungen zur Zubereitung von Gerichten eigentlich Nebensache sind. "Als Oma im Keller Quargel aß" hieß ihr erstes. Anders als in dem sind in "Besoffene Kapuziner" die Rezepte nicht nur in den Texten enthalten, sondern stehen noch extra. Das Drumherum ist aber der eigentliche Leckerbissen mit dem für deutsche Zeitungen und Bücher ungewöhnlichen Ton, der auch vor Witzeleien über Sodomiten in europäischen und anderen Kulturkreisen nicht zurückschreckt. Das wollen wir aber hier nicht zitieren.
Lieber geben wir etwas aus der Glosse über Knödel wieder, sie trägt die Überschrift "Scharfen Kanten abhold". Der Knödel, heißt es darin, sei "küchenpsychologisch des Österreichers Selbstbild: harmoniebedürftig, freundlich, gemütlich, schlau-pfiffig, unstreberisch". Der Semmelknödel wird als Keimzelle jeder Haushaltung in Österreich bezeichnet, und eine kulturgeschichtliche Abhandlung mündet in der Zubereitung von Krebsknöderln. Ob man für sie wirklich Krebspanzer- und Scheren verwendet ("wär' doch schad' drum - krach, krach durch die Fleischmaschine ohne löcherigen Einsatz gedreht, dann fein im Mörser zerstoßen"), kann man ja ausprobieren. Die "besoffenen Kapuziner" übrigens sind im Kapitel über "angerauschte Kuchen". Man braucht für sie sechs Eier, drei Deka (österreichische Maßeinheit! Ein Deka entspricht zehn Gramm) Zucker, Zimt, Vanille, Semmelbrösel, Mehl und Weißwein. Und nun? Da hilft nur lesen, dann wird man schon sehen. Unsere Meinung: Ein Buch (auffallend die liebevolle Ausstattung), in dem wohl mehr geschmökert wird, als dass danach gekocht würde. Aber weiß, am Ende stimmt das wieder gar nicht. Immerhin sind im Anhang die Rezepte aus dem ersten Band nachgereicht, zum Beispiel das für hausgemachte Räucheraal-Streichwurst, und das, sagt der Verlag, war ein Wunsch der vielen Fans.
Christa Fuchs, Gudrun Harrer, "Besoffene Kapuziner und andere Rezepturen zur kulinarischen Verbesserung Mitteleuropas"; Mandelbaum Verlag Wien, 239 Seiten, 19,90 Euro.
Was wurde aus der Weißen Vogeltraube ?
Geschichte vor den vielen Weingeschichten, eine große Fleißarbeit.
Bei diesem Buch lohnt es sich, am Ende zu beginnen. Mit der Betrachtung der Bildtafeln, den Zeichnungen der Blauen Vogeltraube und der Weißen Vogeltraube, des Weißen Heunisch oder des Rotgestreiften. Wer hat schon je davon gehört? Viele werden es nicht sein, denn es sind Traubensorten, die aus einem in Graz neu aufgelegten Buch mit mehr als 150 Jahre alten Abbildungen stammen; was sie zeigen, kommt auch in Werken der Ampelographie, der Rebsortenkunde, nicht oft vor, wenn überhaupt.
Auf diese Zeichnungen aufmerksam zu machen ist aber nur ein Verdienst der "Geschichte der alten Traubensorten". Vor zwei Jahren ist der unprätentiöse, bis auf die Tafeln unbebilderte Band, in dem eine immense Fleißarbeit steckt, im Arcadia-Verlag in Solothurn erschienen. Der Autor, Marcel Aeberhard, ist Mitglied der schweizerischen Kommission für die Erhaltung von Kulturpflanzen und der deutschen Gesellschaft für die Geschichte des Weines, der rund 1000 Personen aus Deutschland und dem deutschsprachigen Ausland angehören. Entstanden ist das Buch mit finanzieller Unterstützung des schweizerischen Bundesamtes für Landwirtschaft. Das erklärt den recht ausführlichen Teil, der sich der Herkunft alter Rebsorten in der Schweiz widmet, schmälert aber nicht den Wert des Buches für Weinfreunde auch anderswo.
Aeberhard, von Hause aus ein Jurist, der in Bern als Anwalt praktiziert, hat selbst viele alte und seltene Traubensorten gesammelt, um sie vor dem Aussterben zu bewahren. Sein Buch, sagt er an einer Stelle, sei weniger aus rebkundlicher als aus historischer Sicht geschrieben. Zum Glück, möchte man hinzufügen, sonst wäre es eine Lektüre wirklich nur für die ernsthaften Hobby-Wein-Forscher und Spezialisten. Alle anderen anderen können aufschlagen, auf welcher Seite sie mögen - mit etwas Muße gibt es fast überall etwas zu lesen, das einem einen Eindruck von der Weite des Themas vermittelt: dass die während Jahrhunderten bekannte Rebsorte Römer längst ausgestorben ist, dass es einst viele Varianten kroatischer Tafeltrauben gab, dass Sorten, die in einem Anbaugebiet nicht mehr wachsen, mitunter wieder neu verbreitet werden und warum und wie. Eine Ergänzung für jede Weinbibliothek.
Marcel Aeberhard, Geschichte der alten Traubensorten, Arcadia-Verlag Solothurn, 260 Seiten und zehn Bildtafeln, 35 Euro.
Wie die Teller aufs Bild kamen.
Essen muss jeder, fragt sich nur, was.
Er ist der Erfinder der sogenannten Fallenbilder: Tischplatten, auf denen die Überreste gegessener Mahlzeiten konserviert sind und so in den Rang der Kunst gehoben - ein Konzept der sechziger Jahre, das den damals dreißigjährigen gebürtigen Rumänen Daniel Spoerri bekannt machte. Spoerri, der heute in Italien lebt, verbrachte in den späten Fünfzigern und frühen Sechzigern prägende Jahre in Paris, gehörte dem Nouveau-Réalisme-Zirkel an. Er war Fluxus-Aktivist und von 1957 bis 1959 Regieassistent am Staatstheater Darmstadt, gab die Zeitschrift "material" für Konkrete Dichtung heraus und ist in Deutschland vor allem dafür bekannt, dass er von 1968 bis 1972 in Düsseldorf das Restaurant "Spoerri" und die Eat-Art-Gallery führte.
Was gab es im "Spoerri" zu essen? Den meisten, schreibt Barbara Räderscheidt in dem Vorwort zu diesem kleinen Buch aus der Edition Nautilus, falle dazu heute das "Ameisenomelett" ein - das sehr viel weniger Ungewöhnliche im Angebot des Lokals ist vergessen. Fest steht, dass im "Spoerri" Trends, die einem übersatten Publikum bis heute immer wieder mal schmecken, vorweggenommen wurden, die "exotischen" Genüsse zum Beispiel, Schlangenfleisch und ähnliches. Und fast scheint es, als nehme heute mancher Koch Anleihen bei Spoerri und seinem Palindromischen Diner, bei dem das Essen in eine Form und einen Zusammenhang gebracht ist, die vom Ursprung abweicht. Solchen und anderen Ideen nachspüren kann man mit diesem Band, der Texte Spoerris zu sich, zu anderen Essenden und zum Essen versammelt.
Daniel Spoerri, "Eat Art", Edition Nautilus, Hamburg, 128 Seiten, 12,90 Euro.
Von der Traube bis zum Kater.
... und dann ein letztes Glas im Stehen.
Der Ton von gestern ist ja heute wieder sehr modern. "In den privaten Trinkgewohnheiten spiegelt sich das gesamte Wirtschaftssystem mit Leistungszwang und Konkurrenzdruck, Blackout und Verkennung der Wirklichkeit." So schrieb es Joseph von Westphalen Mitte der Neunziger in der vor ein paar Jahren noch einmal aufgelegten Glossen-Sammlung "Das Leben ist hart". Der Journalist und Autor, der in der kurzen Form immer unterhaltsamer ist als mit seinen Romanen, rechnet hier in dem Text "Über das Saufen" mit denen ab, die das Maßhalten nicht beherrschen. Das ist eine Art Selbstgespräch, in dem von einem Brummschädel nach dem Aufstehen bis zum ersten Glas am nächsten Abend so ziemlich jeder Gedanke zum Thema Alkohol durchgespielt wird, vom "Nie mehr" bis zum "Was ist schon dabei". Wer das ganz nüchtern betrachten möchte, liest nach. Das Buch ist weitgehend vergriffen, über Online-Handel aber noch zu bekommen.
Joseph von Westphalen, "Das Leben ist hart", Deutscher Taschenbuch Verlag, München, 191 Seiten, Originalpreis 8,50 Euro.
Der Geschmack wird lieblich gesteigert.
Ein frühes Standardwerk.
Noch einmal nach Österreich. Das Buch des bedeutendsten Kochs des 19. Jahrhunderts dort, F. G. Zenker, wieder auflegen zu lassen, originalgetreu transkribiert, war eine Idee, die der Filmemacher und Kulturtheoretiker Peter Kubelka jahrzehntelang mit sich herumtrug, bis er sie verwirklichte. Kubelka, 1934 in Wien geboren und der Erfinder des "Metrischen Films", der seit den Sechzigern das Kochen als Medium der Kommunikation untersucht und 1980 Professor für Film und Kochen an der Frankfurter Städelschule geworden war, nennt das einen Traum, den er sich selbst erfüllt hat. "Nicht mehr als sechs Schüsseln. Ein Kochbuch für die mittleren Stände" erschien erstmals 1820 und trägt, wie der Neuherausgeber im Vorwort bewundernd sagt, eine Partitur zu Speisenkompositionen vor und nicht nur die Pläne zum Speisenaufbau.
Nach dem Buch lässt sich handwerklich sauber arbeiten, obwohl Zenker vor allem vom Kochen als Ereignis erzählt - da erkennt man auch, in welcher historischen Reihe die Autorinnen der "Besoffenen Kapuziner" (siehe nebenstehende Besprechung) stehen; im weitesten Sinne führen sie diese Tradition fort. Zenker schrieb nieder, was er tat, und beschrieb, was ihm auffiel, in einer musikalischen Sprache ("der Geschmack wird von Zucker lieblich gesteigert"). Er formulierte immer ganz nahe am praktischen Tun und gewann dabei wie nebenbei Erkenntnisse, die das Kochen und das Essen als Kulturhandlung beschreiben. An anderer Stelle lesen sich seine Texte wie die in den lange nach seiner Zeit populären Büchern für die ordentliche Hausfrau (die gute Köchin wird immer eine schwarze Brühe im Haus haben).
"Die Tätigkeit des Kochens hat dieselbe Wertigkeit wie Bildhauern, Malen, Dichten oder Musizieren", schreibt Peter Kubelka in seinen Bemerkungen zu diesem Buch. "Jede Familie, in der regelmäßig gekocht wird, beherbergt mindestens einen Künstler", hat er auch einmal gesagt. Nun heißt es seinem Rat folgen und "Nicht mehr als sechs Schüsseln" erst kochend, dann essend auswerten, zenkern eben.
Peter Kubelka (Hg.), "Nicht mehr als sechs Schüsseln! Ein Kochbuch für die mittleren Stände von F. G. Zenker", Neuauflage 2006 der Erstausgabe von 1820. Czernin Verlag, Wien, 294 Seiten, 27 Euro.
Mehr als Handarbeit.
Die Gedanken und die Kartoffeln.
Vom Laster der Gefräßigkeit und von Kants Empfehlung, im Falle der geistigen Übersättigung so zu verfahren wie bei der körperlichen und Diät zu halten. Über die Kierkegaardsche Nahrungsmetaphorik und über das Bildnis der Völlerei als Frau mit gewölbtem Bauch und übermäßig langem Hals in Cesare Ripas "Iconologia" von 1603: Hier tischt die italienische Philosophin und Politologin Francesca Rigotti auf. Dem Eingangskapitel, einer kleinen Reflektion über die Ähnlichkeiten der Nahrungszubereitung und des Schreibens, folgt ein Rundblick über die Philosophie, vielmehr: über das Thema Essen und Trinken darin und darüber, wie die Beschäftigung mit dem Dinglichen die Gedankenfindung und den sprachlichen Ausdruck bestimmt. Dazwischengewebt sind eigene Betrachtungen über Köche und Küche, die wieder zu den Philosophen führen, und am Schluss macht man sich seinen eigenen Reim darauf, dass es so wenige Berufsköchinnen gibt. Ein unterhaltsames und erfrischendes Buch.
Francesca Rigotti, "Philosophie in der Küche", Verlag C.H. Beck, München, 128 Seiten; 8,90 Euro.
Rezepte von den Pisa-Siegern.
Viel Fisch und viel Milch, viel Käse.
Keine opulenten Fotos von den Gerichten. Nur Zeichnungen, schwarz-weiß im Stile von Kinderbüchern der fünfziger und sechziger Jahre: Kinder im Schnee, Milchkannen, Pilze und Steckrüben. Die Seiten bräunlich, die Rezepte fischlastig. Dieses Buch sieht aus wie eine reichlich altmodische Antwort auf die Sehnsucht nach der heilen Welt. Das Publikum will es so, denn das Werk erscheint unverändert seit 1985 - in kleiner Auflage zwar, aber stetig, ein Longseller, wie es auf dem Kochbuchmarkt, wo vieles nach einer Saison in der Versenkung verschwindet, nicht allzu viele gibt.
"Ihre Küche ist ein Stück Natur", schreibt Cédric Dumont in seinem berühmten kulinarischen Lexikon über die Finnen. Hannelore Hellqvist und Helvi Wendeler zeigen, wie die Natur in den Topf kommt. Mit "Klimppisoppa hirvestä" (Elcheintopf mit Klößen, das Rezept ist für zehn Personen), mit Rhabarbergrütze ("Raparperikiisseli") und Forelle in Sauerrahm ("Kirjolohta ja smetanaa"), mit Mohrrübenauflauf ("Porkkanalaatikko") und gefüllten Hefewecken ("Laskiaispulla"). Das meiste ist Hausmannskost, die vom Rhythmus der Natur bestimmt ist, manches ist nur vorstellbar, wenn man sich in eine eiseskalte Nacht und in sehr großen Hunger halluziniert (Auflauf aus Heringen, fettem Schweinefleisch und Eiern). Den finnischen Pisa-Sieger-Schülern scheint solche Kost nicht zu schaden, vielleicht weil sie so viel Eiweiß enthät, das soll gut fürs Hirn sein.
Hannelore Hellqvist, Helvi Wendeler, "Finnische Küche für Fest- und Feiertage". J. Latka Verlag Bonn, 127 Seiten; 13 Euro.
Beruf Restaurantkritiker.
Essen und Erinnerung.
Über eine ganze Buchseite beschreiben, was einer schmeckt und fühlt, der einen besonderen Schinken probiert: Kristian Ditlev Jensen kann das und noch viel mehr. "Leibspeise" ist ein Roman mit einem Restaurantkritiker als Hauptperson, einem Mann, der die Welt als kulinarische Erfahrung erlebt und wiedergibt. Der Leser hat teil an einem Kosmos, in dem es um den Menschen als schmeckendes Wesen geht und darum, wie die Teilhabe am Umgang mit Nahrung in verschiedenen räumlichen und geistigen Welten sich über das eigene Empfinden legt und es beeinflusst.
Was bei Anthony Bodurdain, dem Amerikaner, der vor ein paar Jahren mit seinem "Ein Küchenchef reist um die Welt" Erfolg hatte, ein egomaner Reisebericht war, ist in dem ersten Roman des Journalisten und Übersetzers Jensen in eine ungemein reizvolle Komposition eingebettet, in der das Essen eine Dimension über das Physische hinaus bekommt. Denn der Kritiker McCoy muss den Selbstmord seiner japanischen Frau Midori verarbeiten, die während ihrer Ehe immer wieder von depressiven Schüben heimgesucht worden war. Die Erinnerung an sie überfällt ihn meist beim Essen. Ihr Mund erscheint ihm wie eine Kirsche, der Anblick eines Stücks Fleisch überschwemmt ihn mit Bildern ihres Todes. In Rückblenden entsteht die Beziehung des Europäers und der Japanerin als eine Geschichte kultureller Prägungen und körperlicher Erfahrungen, die nicht nur von Delikatesse sind, wie könnten sie auch.
Kristian Ditlev Jensen, "Leibspeise", aus dem Dänischen; Hoffmann und Campe Verlag Hamburg, 414 Seiten, 24 Euro.
Aus der Gerüchteküche.
Ein Apfel am Tag . . .
Wasser trinken hilft nicht gegen Falten, sich schlank zu essen wird schwer. Aus Frauenzeitschriften und von den Ratgeberseiten im Internet ist die Rubrik "Irrtümer über . . ." nicht wegzudenken. Sylvia Schneider, die aus dem Magazin-Journalismus kommt, hat für ihr Buch ein ähnliches Rezept gewählt und beleuchtet Sprüche und Gerüchte, Gerichte und Küchen-Phänome vom Bratkartoffelverhältnis bis zu den Enzymen in der Ananas. Das ist recht amüsant zu lesen, wirkt mitunter aber auch ein wenig bemüht. Zum Beispiel, wenn im Kapitel "Milch, Käse und Eier" das Ei des Kolumbus erklärt wird, auf der nächsten Seite gefragt "Woran erkennen Sie ein frisches Ei? " und dann noch der Rat ergeht, Ostereier färbe jeder am besten selbst. Ein Hang zum Missionarischen schimmert durch viele Texte der Slowfood-Anhängerin durch, an anderer Stelle herrscht wieder ein Bemühen um Ausgewogenheit (Fleisch zu essen kann ganz okay sein, gegen Vegetarismus ist jedoch auch nichts einzuwenden). In diesem Sinne: Das Buch muss man nicht kaufen, aber wer es geschenkt bekommt, braucht sich nicht zu ärgern.
Sylvia Schneider, "Warum macht der Karpfen blau?", Franckh-Kosmos Verlag, Stuttgart, 158 Seiten, 12,95 Euro.
Vor dem Kochen kommt der Einkauf.
Von Ahle Wurst bis Biohuhn.
Warum bloß Frankfurt mit diesem Ort nicht Werbung mache, auf Postkarten und mit Plakaten, das wollte einst Wolfram Siebeck nicht verstehen. Er konnte die Frankfurter Kleinmarkthalle gar nicht genug loben als Paradies für alle, denen das Essen mehr ist als Nahrungsaufnahme. Seit der legendäre Gastronomiekritiker der "Zeit" ("Nieder mit der Mehlschwitze") das schrieb, hat sich viel getan, und es kann heute, wer danach sucht, auch anderswo sehr gute Ware kaufen. Das nicht zuletzt zum Leidwesen etlicher Kleinmarkthallen-Händler, die sich in die Zange genommen fühlen von immer neuen Wochenmärkten (den Unmut über diese teilen sie wiederum mit vielen Geschäftsinhabern) und den Gourmet-Abteilungen in den Kaufhäusern.
Doch Abteilung hin, Markt her, einen anderen Platz in Frankfurt und Umgebung, der unter einem Dach so viel verschiedenes bietet, gibt es nicht. Im Vorübergehen ein Stück Ahle Wurst kaufen und Rosen mit Knospen so groß wie Männerfäuste, Biohühner und frischen Fisch, Obst, Gemüse und Gewürze, Käse und Konfitüren, und das Meiste davon aus aller Herren Länder: Die Kleinmarkthalle kennen heißt, sie für ein Lebensmittelangebot zu schätzen, das in seiner Breite wie Tiefe immer noch seinesgleichen sucht in der Region. Die Texterin Eva Wolf, Mitinhaberin der Frankfurter Werbeagentur Opak, der Fotograf Paul Claessen und die Designer und Buchgestalter Lothar Krauss und Charlotte Schöner legen einem diesen Ort der Alltagskultur ans Herz, auf eine sehr angenehme Art. Die vier Künstler sind leidenschaftliche Hobbyköche, von denen mindestens zwei ihre prägenden kulinarischen Erfahrungen der Kleinmarkthalle verdanken. Sie haben ihr ein stilles, zurückhaltendes Buch mit ungeschminkten Fotos, aber in eleganter Aufmachung gewidmet, mit Rezepten vieler Händler, bei denen sie gerne einkaufen (wer das Buch kauft: unbedingt einmal die Crostada di pere (Birnenkuchen) auf Seite 225 nachbacken).
Eva Wolf u. a. "Die Kleinmarkthalle kocht". Nizza-Verlag, Frankfurt, 237 Seiten, 24,90 Euro.
Im Land der Brüder Grimm.
Nordhessen, leicht und schwebend.
Es gibt ein Landhotel südwestlich von Kassel, das von heiterer Eleganz ist. Es gibt zwei Gastgeber dort, die sich darauf spezialisiert haben, an schönen Orten in der Umgebung Feste auszurichten. Es gibt einen Autor, der ein Freund und Fan des Hotels, seiner Betreiber und seiner Küche ist. Es gibt einen Künstler und einen Fotografen, die es auch sind, und jetzt gibt es ein Buch. Das Hotel heißt "Grischäfer" und steht in Bad Emstal, der Küchenchef darin heißt Rainer Holzhauer. Das Buch, in dem er sieben seiner Menüs vorstellt, heißt "Zugegriffen, liebe Freunde".
Es sind einige schöne Rezepte darin, alle mit regionalen Zutaten. Manche muten so schwebend-leicht an, wie man es vom fachwerk-schweren hessischen Norden gar nicht erwartet (eine Kartoffelsuppe wird mit Apfelchampagner aufgefüllt, Rehrücken liegt auf Holunder-Birnen-Soße, Brechbohnen werden mit Ziegenfrischkäse überbacken). Zu einem Genuss macht das Buch seine Ausstattung, machen es die Zeichnungen und Kalligraphien des Künstlers Albert Schindehütte, der auch für die Buchgestaltung verantwortlich zeichnet, und machen es vor allem die Fotos des Finnen Paavon Blåfield. Heiner Boehncke, der lange Jahre Literaturredakteur beim Hessischen Rundfunk war und ein unermüdlicher Hessen-Kultur-Förderer ist, hat die Orte beschrieben, an denen die sieben Menüs serviert wurden, die Alte Brüderkirche am Renthof in Kassel zum Beispiell, das Ballhaus am Wilhelmshöher Schloss. Das Ganze ist eine liebevoll gedachte Werbung für das "Grischäfer" und seinen Event-Gastronomie-Service, aber auch für den Charme eines strukturschwachen Gebiets und die Schönheiten, die es hervorbringen kann.
Rainer Holzhauer: "Zugegriffen, liebe Freunde". Verlag Neumann-Neudamm, Melsungen, 107 Seiten, 29,95 Euro.
Führer durch die Geschäfte-Welt.
Krachende Brotkruste, frischester Fisch.
Heute im Regal, morgen vergessen, was jetzt nicht über die Theke geht, bleibt lange liegen. So geht es mit vielen Kochbüchern und auch mit Einkaufsführern. Denn die leiden oft noch darunter, dass sie schlampig gemacht sind oder unvollständig oder nach Kriterien, die kein Mensch nachvollziehen kann. Mit den Companions-Produkten (früher im Zigarettenschachtelformat) ist es anders, sie werden von einer hochprofessionellen Hamburger Agentur für Corporate Publishing herausgegeben, also einer Art Buchverlag, der mit Anzeigen arbeitet. In der Reihe "Wo Köche einkaufen" gibt es Ausgaben für Berlin, Hamburg, Düsseldorf, Köln und Bonn, Stuttgart, das Ruhrgebiet und das Rhein-Main-Gebiet.
Die Broschüren haben einen Mantelteil mit Rezepten, Buchbesprechungen (bei denen nicht ganz klar ist, ob es eigentlich auch Anzeigen sind) und einen Regionalanteil, der das Herzstück des Heftes bildet und von Lohnschreibern in den jeweiligen Orten nach vorgegebenem Muster gefüllt wird. Und der, man kann es nicht anders sagen, sehr gut gemacht ist. Unterteilt sind die Informationen in Kapitel wie Brot und Gebäck, "Delikatessen", Fisch und Meeresfrüchte, griechische und asiatische Lebensmittel. Käseläden sind aufgelistet, Wochenmärkte, Bio-Anbieter, nicht immer vollständig, aber immer mit einer Auswahl, an der es nichts zu kritisieren gibt: ein nützliches Kompendium für das Einkaufen in den Städten der Rhein-Main-Region. Eine Neuauflage ist für den Spätherbst angekündigt.
"Kostprobe. Wo Köche einkaufen im Rhein-Main-Gebiet", Companions Verlag Hamburg, 114 Seiten, 8,90 Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 16.03.2002Frau, Leib und Kochen
Francesca Rigotti sieht die Philosophie kulinarisch
Sokrates, der Prototyp eines Philosophen, war nicht zufällig so stolz auf seine Methode des Erkenntnisgewinns. Als guter Sohn einer berühmten Athener Hebamme konnte er zwar, wie er ironisch gestand, selbst keine Gedanken gebären. Aber er beherrschte die Kunst, seinen Gesprächspartner bei der Entbindung ihrer Gedanken zu helfen. Von der mütterlichen Kunst unterschied sich die Fähigkeit des Sohnes darin, „dass sie Männern die Geburtshilfe leistet und nicht Frauen, und dass sie für ihre gebärenden Seelen Sorge trägt und nicht für Leiber.”
Woher aber stammt, was Sokrates aus den männlichen Seelen heraus holt? Erkenntnis sei nur das Wiedererkennen dessen, was die unsterbliche Seele früher bereits erblickt habe in einem göttlichen Reich der Ideen, gibt der platonische Mythos zur Antwort. Philosophische Erkenntnis ist Exteriorisierung eines Bekannten, das nur vergessen worden ist.
Ohne Wein und üppige Kost
Kein Wunder, dass angesichts der sokratisch männlichen Seelenhebammenkunst die Kochkunst philosophisch abgewertet werden musste. Nicht nur wurde der weise Sokrates dafür gelobt, dass ihn die Sehnsucht nach einem guten Frühstück nicht quälte und er, wie der Komödiendichter Aristophanes schrieb, „auf Wein und auf üppige Kost und andere nutzlose Dinge verzichtete.” Platon hat die Kochkunst mit der bloß schmückenden Redekunst in einen Topf geworfen, weil sie nur aus Gewohnheit und Übung entstehen, ohne wirkliche Erkenntnis der verwendeten Materialien. Kochen zu können sei nur eine„Pseudokunst”, der Leib sei sekundär, und der Mund sei, in der bloßen Rede wie beim Essen, ein Ort des Scheinhaften und Zweifelhaften.
Nun hat, zweitausendvierhundert Jahre später, eine italienische Philosophin endlich die fällige Umwertung der Werte vollzogen. Gegen die traditionsmächtige Vorrangstellung von Mann, Seele und Hebammenkunst hat sie die Frau, den Leib und die Kochkunst zur Geltung gebracht. Francesca Rigotti hat eine „kleine Kritik der kulinarischen Vernunft” zubereitet und als „Philosophie in der Küche” zum Verzehr angeboten.
Man weiß zwar schon lange, dass die Italiener ein Volk von Künstlern, Heiligen und Köchinnen sind, und dass die italienische Kochkunst den spirituellen Wert der Speisen schmecken lässt. Jetzt aber können wir lesend genießen, wovon sich die männlichen Hebammen des Geistes nichts träumen ließen. Zwischen Philosophieren und Kochen gibt es intime Zusammenhänge, die sich auch sprachlich verdichtet haben: Erkenntnis-Hunger, Wissens-Durst, Informations-Gier, ein Buch verschlingen, Informationen verdauen, nach Erkenntnis lechzen, Gedanken liegen auf der Zunge oder stoßen übel auf. Die Leibgebundenheit des Erkennens kommt wieder zu ihrem Recht.
Und gegen die platonische Exteriorisierung eines rein Seelischen wird wieder an die Interiorisierung eines vorgängig Materiellen erinnert. Um einen klugen Gedanken philosophisch auszuarbeiten, muss man, wie bei der Zubereitung von Speisen, zunächst über gute Materialien und Zutaten verfügen, die dann kunstvoll zusammengefügt und verarbeitet werden, um aus ihnen etwas Neues zu schaffen. Francesca Rigotti ist mit ihrer Rehabilitierung der Kochkunst ein leicht bekömmliches Gericht gelungen, das seine Leser auf den philosophischen Geschmack kommen lässt. Ihre kulinarische Transformation der Philosophie, die auch dem „Appetit der Philosophen”, von Platon bis Wittgenstein, einen Gang widmet, ist ein kleines philosophisches Kunststück, mit dem der Platonismus als männliches Vorurteil endgültig überwunden sein sollte.
MANFRED GEIER
FRANCESCA RIGOTTI: Philosophie in der Küche. Kleine Kritik der kulinarischen Vernunft. Verlag C. H. Beck, München 2002. 126 Seiten, 15,40 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
Francesca Rigotti sieht die Philosophie kulinarisch
Sokrates, der Prototyp eines Philosophen, war nicht zufällig so stolz auf seine Methode des Erkenntnisgewinns. Als guter Sohn einer berühmten Athener Hebamme konnte er zwar, wie er ironisch gestand, selbst keine Gedanken gebären. Aber er beherrschte die Kunst, seinen Gesprächspartner bei der Entbindung ihrer Gedanken zu helfen. Von der mütterlichen Kunst unterschied sich die Fähigkeit des Sohnes darin, „dass sie Männern die Geburtshilfe leistet und nicht Frauen, und dass sie für ihre gebärenden Seelen Sorge trägt und nicht für Leiber.”
Woher aber stammt, was Sokrates aus den männlichen Seelen heraus holt? Erkenntnis sei nur das Wiedererkennen dessen, was die unsterbliche Seele früher bereits erblickt habe in einem göttlichen Reich der Ideen, gibt der platonische Mythos zur Antwort. Philosophische Erkenntnis ist Exteriorisierung eines Bekannten, das nur vergessen worden ist.
Ohne Wein und üppige Kost
Kein Wunder, dass angesichts der sokratisch männlichen Seelenhebammenkunst die Kochkunst philosophisch abgewertet werden musste. Nicht nur wurde der weise Sokrates dafür gelobt, dass ihn die Sehnsucht nach einem guten Frühstück nicht quälte und er, wie der Komödiendichter Aristophanes schrieb, „auf Wein und auf üppige Kost und andere nutzlose Dinge verzichtete.” Platon hat die Kochkunst mit der bloß schmückenden Redekunst in einen Topf geworfen, weil sie nur aus Gewohnheit und Übung entstehen, ohne wirkliche Erkenntnis der verwendeten Materialien. Kochen zu können sei nur eine„Pseudokunst”, der Leib sei sekundär, und der Mund sei, in der bloßen Rede wie beim Essen, ein Ort des Scheinhaften und Zweifelhaften.
Nun hat, zweitausendvierhundert Jahre später, eine italienische Philosophin endlich die fällige Umwertung der Werte vollzogen. Gegen die traditionsmächtige Vorrangstellung von Mann, Seele und Hebammenkunst hat sie die Frau, den Leib und die Kochkunst zur Geltung gebracht. Francesca Rigotti hat eine „kleine Kritik der kulinarischen Vernunft” zubereitet und als „Philosophie in der Küche” zum Verzehr angeboten.
Man weiß zwar schon lange, dass die Italiener ein Volk von Künstlern, Heiligen und Köchinnen sind, und dass die italienische Kochkunst den spirituellen Wert der Speisen schmecken lässt. Jetzt aber können wir lesend genießen, wovon sich die männlichen Hebammen des Geistes nichts träumen ließen. Zwischen Philosophieren und Kochen gibt es intime Zusammenhänge, die sich auch sprachlich verdichtet haben: Erkenntnis-Hunger, Wissens-Durst, Informations-Gier, ein Buch verschlingen, Informationen verdauen, nach Erkenntnis lechzen, Gedanken liegen auf der Zunge oder stoßen übel auf. Die Leibgebundenheit des Erkennens kommt wieder zu ihrem Recht.
Und gegen die platonische Exteriorisierung eines rein Seelischen wird wieder an die Interiorisierung eines vorgängig Materiellen erinnert. Um einen klugen Gedanken philosophisch auszuarbeiten, muss man, wie bei der Zubereitung von Speisen, zunächst über gute Materialien und Zutaten verfügen, die dann kunstvoll zusammengefügt und verarbeitet werden, um aus ihnen etwas Neues zu schaffen. Francesca Rigotti ist mit ihrer Rehabilitierung der Kochkunst ein leicht bekömmliches Gericht gelungen, das seine Leser auf den philosophischen Geschmack kommen lässt. Ihre kulinarische Transformation der Philosophie, die auch dem „Appetit der Philosophen”, von Platon bis Wittgenstein, einen Gang widmet, ist ein kleines philosophisches Kunststück, mit dem der Platonismus als männliches Vorurteil endgültig überwunden sein sollte.
MANFRED GEIER
FRANCESCA RIGOTTI: Philosophie in der Küche. Kleine Kritik der kulinarischen Vernunft. Verlag C. H. Beck, München 2002. 126 Seiten, 15,40 Euro.
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