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Flussers Schriften begründen eine andere Art zu denken: ein polyglottes Philosophieren zwischen unterschiedlichen Sprach- und Diskurswelten. Sein Werk ist jedoch, vor allem in Deutschland, von einem einseitig medientheoretischen Standpunkt aus rezipiert worden. Der Erfolg von Internet und den Neuen Kommunikationstechnologien in den frühen 90er Jahren hat sein deutschsprachiges Spätwerk zwar berühmt gemacht, dadurch aber auch eine Rezeption anderer Facetten seines Oeuvres erfolgreich verhindert. So gilt es, unterschiedliche Persönlichkeiten in Flusser noch zu entdecken: den Essayisten,…mehr

Produktbeschreibung
Flussers Schriften begründen eine andere Art zu denken: ein polyglottes Philosophieren zwischen unterschiedlichen Sprach- und Diskurswelten. Sein Werk ist jedoch, vor allem in Deutschland, von einem einseitig medientheoretischen Standpunkt aus rezipiert worden. Der Erfolg von Internet und den Neuen Kommunikationstechnologien in den frühen 90er Jahren hat sein deutschsprachiges Spätwerk zwar berühmt gemacht, dadurch aber auch eine Rezeption anderer Facetten seines Oeuvres erfolgreich verhindert. So gilt es, unterschiedliche Persönlichkeiten in Flusser noch zu entdecken: den Essayisten, Kulturanthropologen, Phänomenologen, Ironiker und Fabelnerzähler. In dieser ersten Gesamtdarstellung begegnet Guldin der voreiligen medientheoretischen Kanonisierung, die einer Zähmung von Flussers unkonventionellem Denkstil gleichkommt, mit einer Neulektüre. Im Mittelpunkt steht dabei das Thema der Übersetzung, das für Flussers Leben, sein Philosophieren und seine schriftstellerische Praxis von zentraler Bedeutung war. Aus dem Inhalt Denkbewegungen Teil I - Leben Ursprung Abgrund Feld Rückkehr Teil II - Nachdenken Stimmungen Vernetzungen Sprünge Spiele Spiegelungen Verfremdungen Grenzerfahrungen Brücken Standpunkte Teil III - Schreiben Überholen Ausschöpfen Umschreiben Entwerfen
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Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung

Der Essay, das Ziel der Existenz
Rainer Guldin gibt eine gründliche Führung durch die Gedankenwelt des Philosophen Vilém Flusser
Der philosophische Schriftsteller Vilém Flusser starb 71jährig bei einem Verkehrsunfall, kurz nachdem er am Goethe-Institut seiner Geburtsstadt Prag einen Vortrag gehalten hatte. Die einstmals polyglotte Stadt an der Moldau war ihm längst zum Erinnerungsbild geworden, das ihn über Jahrzehnte hinweg durch die erzwungene und niemals angenommene Emigration begleitet hatte. Seit jenem Novembertag des Jahres 1971 liegt Flusser auf dem Neuen Jüdischen Friedhof begraben, nur wenige Schritte von der letzten Ruhestätte Franz Kafkas entfernt.
Im Prinzip gibt es zwei Möglichkeiten, ein philosophisches Gesamtwerk vorzustellen. Die eine folgt dem geläufigen Schema - biographischer Abriss, Besprechung der Schriften in chronologischer Folge, Dokumentation der „Einflüsse” hier, der „Wirkungen” dort -, die andere, anspruchsvollere, erschließt die Genese einer gedanklichen Welt. Der Flusser-Experte Rainer Guldin hat sich für die zweite Variante entschieden. Seine Präsentation der „Grundthemen” und der gedanklichen „Knotenpunkte” ist der einleuchtenden Beobachtung verpflichtet, dass Flusser in all seinen Schaffensphasen die Einheit von Leben und Werk zu bewahren suchte. Die Formel drängt sich auf: Flusser-Themen sind Lebensthemen.
Sie sind es auf mehrfache Weise. Da wären zunächst die gelegentlichen Anleihen bei der Lebensphilosophie, die bei Flusser zu unvermittelt aufflammenden Forcierungen führen - etwa zu der Gegenüberstellung von akademischem und persönlichem Stil oder zu der Entscheidung zwischen disziplinierter Traktatliteratur und freier, experimentierfreudiger Essayistik. Da wäre zweitens eine radikale Wissenschafts- und Kulturkritik, die Heideggers Absage an den Akademismus der Universitätsphilosophie aufnimmt und ihm darin folgt, die eigentlich relevanten Daseinsfragen von der „Wesensschau” abzuziehen und an die „Existenz” zu verweisen, genauer: sie mit der Irreduzibilität der Existenz als gestellt anzusehen. Und da wäre schließlich die von Flusser bevorzugte Präsentationsform ganz unmittelbar, bei der die Reflexion auf die Mittel der Darstellung und die Position der Autorschaft ständig mitläuft und so die Grenze einreißt zwischen Deskription, Epistomologie und Autobiographie. Versuchsweise resümiert Guldin das Verfahren als „phänomenologische Epistemologie”, als „poetische Wissenschaft”, als „Metaautobiographik”.
Tatsächlich hat Guldin enorme Textmassen bewältigt. Er hat sich durch ein vielsprachiges, teils in brasilianischem Portugiesisch, teils auf französisch, teils auf deutsch vorliegendes Œuvre hindurchgearbeitet und Flussers Denkwege akribisch nachgezeichnet. Vor allem gelingt es ihm, dem Namen Flusser den Anstrich des Modischen zu nehmen und überzeugend jenen fröhlichen Reduktionismus zurückzuweisen, der Flusser auf das kleine Einmaleins des Postmodernismus herunterrechnet. Flusser, die These sei gewagt, ist weniger der alerte Medienphilosoph gewesen, den man aus ihm hat machen wollen, als eine geistige Figur der Jahrhundertmitte, ein versprengter Autodidakt und zur Melancholie neigender Homme de lettres.
Ausgestellte Privatmythologie
Guldin rückt seinen Autor denn auch in die Nähe von Camus, von Ortega und George Steiner. Noch einmal scheint Flusser den Traum der großen Autobiographen geträumt zu haben, wonach das Leben dieses einen die Physiognomie einer ganzen Epoche hervortreten lässt. Allerdings hat Flusser geahnt, dass diese Erwartung unter den disparaten Bedingungen der Moderne nicht mehr eingelöst, sondern nur noch im Blick auf das offenkundige Scheitern festgehalten werden kann. Die Lieblingsbegriffe seiner späten Jahre heißen Bodenlosigkeit, Nachgeschichte, Leben als Versuch. Der Essay, schreibt er einmal, sei „nicht nur die Artikulation eines Gedankens”, sondern „das Ziel einer engagierten Existenz”.
Die vorliegende Werkschau zeigt die vielen Gesichter Vilém Flussers, den Fabelerzähler, Journalisten, Philosophen, Übersetzer, ohne im übrigen mit Kritik zurückzuhalten. So deckt Guldin auf, dass Flussers Leitthematik der „Übersetzung” auf Prämissen beruht, die früh schon überholt waren; er beanstandet die Vagheit mancher Begriffe, außerdem die Rezeptionslücken, nicht zuletzt auch argumentative Verkürzungen.
Bleibt die Frage, ob soviel staunenswerter Aufwand, ob so großes Bemühen um Deutungsgerechtigkeit geeignet sind, uns das Denken des Philosophen näher zu bringen. Eben dies darf bezweifelt werden. Guldin „zeigt”, aber - und das erweist sich als fatal - er „übersetzt” nicht. Die Beglaubigung durch das Schicksal der Person ist zu wenig, wenn es gilt, über die Wahrheit der Aussage zu befinden. Statt die Privatmythologie des Vilém Flusser auszustellen und der Apodiktizität seiner Aussagen zu vertrauen, hätte es gegolten, die von Flusser in Anspruch genommenen Korrespondenzen mit dem Denken des 20. Jahrhunderts aufzuweisen und ihre Belastungsfähigkeit zu erproben. Immerhin: Das Material, um diesen hybriden Denker zwischen den Welten im Horizont seiner Zeit wahrzunehmen, liegt nun kenntnisreich aufbereitet vor.
RALF KONERSMANN
RAINER GULDIN: Philosophieren zwischen den Sprachen. Vilém Flussers Werk. Wilhelm Fink Verlag, München 2005. 386 S., 39,90 Euro.
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Mit einem Immerhin beschließt Ralf Konersmann seine Rezension von Rainer Guldins Beschäftigung mit dem Werk Vilem Flussers, "Philosophieren zwischen den Sprachen". Immerhin liegt nun, das findet Konersmann in jedem Fall begrüßenswert, alles über Flusser vor, was man wissen muss, um das zu erledigen, was Guldin leider schuldig bleibt: Flussers Denken in den Kontext des 20. Jahrhunderts zu stellen und seine "Belastungsfähigkeit zu erproben". Denn Guldin bekommt vom Rezensenten zwar gute Fleißnoten; "enorme Textmassen" in brasilianischem Portugiesisch, Französisch und Deutsch hat Guldin bewältigt, um "die Genese einer gedanklichen Welt" nachzuzeichnen: Indem Flusser die Grenzen zwischen "Deskription, Epistomologie und Autobiografie" einriss, trachtete er danach, die "Einheit von Leben und Werk zu bewahren". Durch seine Sorgfalt möchte der Autor Flusser vom Ruch des "alerten Medienphilosophen" befreien. Auch mit Kritik, stellt Konersmann klar, geizt Guldin nicht; "Rezeptionslücken" und "argumentative Verkürzungen" werden genau aufgezeigt. Aber, und das ist der große Einwand, der im Immerhin mündet: Konersmann ist sehr im Zweifel, ob diese immanente Methode taugt, uns "das Denken des Philosophen näher zu bringen". Es fehlt Konersmann die Kontextualisierung, die das kritische Geschäft erst auf eine tragfähige Grundlage gestellt hätte. Aber immerhin.

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