1474 wird in Basel ein stolzer Jiingling, angeklagt. Die Meinung der Experten ist eindeu tig. Es liege ein lusus naturae der iibelsten Sorte vor, ein wahrhaftes crimen, veriibt durch Hexerkraft. Die feierliche Hinrichtung findet wie iiblich vor einer begeisterten Menge auf dem Rathausplatz statt. Bei dem Angeklagten handelt es sich urn einen kleinen Hahn, be schuldigt und iiberfiihrt, ein Ei gelegt zu haben. l Die Zeiten iindem sich und die Expertenmeinungen mit ihnen. Die meisten Menschen aufgeklarterer Epochen wiirden wohl einiges darauf wetten, daB der Hahn unschuldig sein und ein SpaBvogel ihm das Ei unterlegt haben miisse. Bemerkenswerterweise ist diese Ansicht nicht begriindeter als die der Baseler Richter. Die Hiihnerkunde des 20. Jahrhun derts hat diverse Exemplare von Gallus L. nachgewiesen, die aussahen wie Hiihne und sich als Hennen heraustellten; weitere Dberraschungen sind nicht auzuschlieBen. Der Baseler Fall gehOrt nicht zu den Themen besonderer Dignitiit, birgt aber im klei nen alles, was Wissenschaftsphilosophie zu beunruhigen wie auch zu inspirieren verrnag: wechselnde Auffassungen, vermeintliche Evidenzen, strittige Schliisse und unklare Ver hiiltnisse zwischen Wissenschaft und Gemeinwesen. Das Ergebnis solcher geschichtlicher Irritationen flillt entsprechend aus. Es gibt keine Philosophic der Wissenschaftsgeschichte in der Gestalt einer Disziplin, gegeben ist ein Themenfeld, dessen wichtigste Ordnungs strukturen derzeit durch Kontroversstellungen gebildet werden.
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