This volume presents a selection of the philosophical papers which Richard Rorty has written over the past decade, and complements three previous volumes of his papers: Objectivity, Relativism, and Truth, Essays on Heidegger and Others, and Truth and Progress. Topics discussed include the changing role of philosophy in Western culture over the course of recent centuries, the role of the imagination in intellectual and moral progress, the notion of 'moral identity', the Wittgensteinian claim that the problems of philosophy are linguistic in nature, the irrelevance of cognitive science to philosophy, and the mistaken idea that philosophers should find the 'place' of such things as consciousness and moral value in a world of physical particles. The papers form a rich and distinctive collection which will appeal to anyone with a serious interest in philosophy and its relation to culture.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 15.06.2007Mit leichtem Gepäck gegen das Tiefgründige und Großartige anschreiben
Das Vermächtnis eines großen Denkers: Im letzten Band seiner "Philosophischen Aufsätze" geht Richard Rorty derart aufs Ganze, dass wir nicht mehr wissen, wo oben und unten ist
Richard Rorty, der vor einer Woche im Alter von fünfundsiebzig Jahren verstarb (F.A.Z. vom 11. Juni), war einer der prominentesten Philosophen der Gegenwart. Er gelangte zu Bekanntheit weit über die Grenzen der Fachphilosophie hinaus, deren allzu selbstbewusste disziplinäre Einhegung er nie gutgeheißen hat. So verwundert auch nicht, dass der kurz vor seinem Tod erschienene vierte Band seiner "Philosophischen Aufsätze" noch einmal die Idee einer Philosophie stark macht, die in der professionellen Spezialisierung nur ein "notwendiges Übel" sieht. Wir fassen in diesem Band auf eigentümliche Weise das Ganze von Rortys Philosophie - beinahe wie ein Vermächtnis. Nicht auf Autonomie in einem wohlabgezirkelten Gebiet jenseits anderer menschlicher Tätigkeiten pocht solches Philosophieren, sondern auf die pragmatistische Grundmaxime, dass Unterscheidungen ohne alle Folgen für unsere Handlungen und Hoffnungen vermutlich keine Unterscheidungen sind, die die Ausarbeitung wirklich lohnen.
Was lesen wir aus seinen letzten "Philosophischen Aufsätzen" an Vermächtnishaftem heraus? Philosophie ist für Rorty keine Form des Wissens, sondern Beitrag zur Gestaltung der Zukunft, indem wir uns selbst und unsere sozialen Beziehungen umgestalten. Keine letzten Erkenntnisse oder die Ausgrabung von deren "Fundamenten" hat sie anzubieten, sondern neue Beschreibungen, die sich nicht zurückführen lassen auf ein dem kontingenten Lauf der Geschichte entzogenes Reservoir von Einsichten. Dem Pragmatisten auf den Spuren von John Dewey und William James erscheint die Geschichte der Philosophie voller vergeblicher Versuche, ein gegen die Fragilität und Beschränktheit menschlicher Verhältnisse versichertes Terrain abzustecken. Doch der Zufälligkeit, der Kontingenz ist gerade nicht zu entkommen; sie steht für die Offenheit der Zukunft ein und damit für die Hoffnung, dass die menschlichen Dinge sich verbessern lassen.
Man verschenkt einen Gutteil der Rorty-Lektüre, wenn man sich nicht zumindest in groben Umrissen auf den intellektuellen Werdegang dieses Autors einlässt. Seine Vita ist sprechend für Rortys Philosophie, man sollte sie im Hintergrund unbedingt präsent haben. Rorty selbst lässt seinen Werdegang in den "Philosophischen Aufsätzen" anklingen, explizit hat er ihn seinerzeit unter dem rätselhaft anmutenden Titel "Wilde Orchideen und Trotzki" gemacht.
Die Entscheidung für die Philosophie hat Rorty nie revidiert, aber sie lief darauf hinaus, ihn zu einem entschiedenen Anti-Platoniker zu machen, der überdies die Renaissance der amerikanischen Pragmatisten maßgeblich mitprägte. In der permanenten Negation der platonischen Idee ist Plato bei Rorty stets zugegen. Es gibt neben Rorty keinen zweiten modernen Denker, der Philosophie so konsequent, so artikuliert, so ausdrücklich als Fußnote zu Plato begriff, als ein Anschreiben gegen die platonische Einheitsvision, welche einmal die Vision des frühen Rorty war. Auch die neuesten "Philosophischen Aufsätze", die Rorty zu Papier brachte, zehren von diesem antiplatonischen Affekt. Dahinter steckt bei Rorty seit je nicht etwa bloß Ernüchterung durch das Hineinwachsen in die analytische Richtung der Philosophie, die sich von der kontinentalen Tradition in einer Weise abschottete (und umgekehrt), die Rorty nie einleuchtete. Es wurde daraus viel eher ein beharrliches Arbeiten daran, die platonischen Reste in beiden Traditionen, über viele mit akademischen Tabus belegte Grenzziehungen hinweg, aufzuspüren und kollabieren zu lassen.
Rorty ist beileibe nicht der einzige Autor, der tiefliegende Voraussetzungen und Annahmen der analytischen, am wissenschaftsförmigen Wissen orientierten Philosophie dekonstruiert. Die Entwicklungen sind eindrucksvoll, die innerhalb dieser Tradition von der Programmatik der Gründerfiguren zu Autoren wie Hilary Putnam, Donald Davidson oder Robert Brandom führen. Aber Rorty wurde zum wichtigsten transatlantischen Unruhestifter: bestens vertraut mit den Diskussionen, zur Vertiefung grundsätzlicher Fragen jederzeit bereit und mit einem rhetorisch gut unterfütterten Sinn für die zum Zweck der Auflockerung von Denkgewohnheiten eingesetzte intellektuelle Provokation.
Mit seinen jüngsten "Aufsätzen" löckt Rorty noch einmal prononciert den Stachel seiner frühen Werke. Zu der neuerlichen Provokation gehört ein Beharren. Es ist das Beharren darauf, die in Rortys Augen unhaltbar gewordene Orientierung an einem Kanon vermeintlich gegebener philosophischer Probleme zugunsten der grundsätzlichen Frage aufzugeben, was mit Philosophie jenseits der gebahnten Wege ihrer Professionalisierung eigentlich anzufangen sei.
Mit einer solchen Frage gewinnt man nicht die Sympathie des akademischen Establishments, zumal nicht am renommierten Philosophiedepartment von Princeton, wo Rorty lange Jahre unterrichtete, bevor er schließlich in Stanford bei den Literaturwissenschaften Aufnahme fand. Sein Ende der siebziger Jahre veröffentlichtes Buch "Philosophie und der Spiegel der Natur" erlebt in den "Philosophischen Aufsätzen" eine aufreizende Aktualisierung. Im "Spiegel der Natur" zeichnet Rorty die Entstehung der modernen "Erkenntnistheorie" und philosophischer Folgeprojekte nach. Versuchen, der Philosophie jenseits der empirischen Wissenschaften und anderer kultureller Praktiken einen privilegierten Ort samt Kanon zu sichern, stellt er die Diagnose, letztlich bloß der Verführungskraft einprägsamer Metaphern und Bilder erlegen zu sein: Unser Geist ist kein Spiegel der Realität, und Sprache ist keine Repräsentation von Welt, an der sich triftige Einsichten am Empirischen vorbei gewinnen lassen. Mit dem späten Wittgenstein könnten wir die Dekonstruktion der Bilder üben. Mit Heidegger könnten wir den historischen Sinn für die hinter ihnen stehenden geistespolitischen abendländischen Voreingenommenheiten schärfen. Und mit Dewey (hier war er wieder) sollten wir uns die Frage vorlegen, wie eine Gesellschaft aussehen würde, die sich von der Vorherrschaft der okularen Metaphorik und der mit ihr gesetzten Vorentscheidung über das Wesen "eigentlicher", objektiver Erkenntnis freigemacht hätte: eine Gesellschaft, in der das Ideal wissenschaftlichen Wissens nicht mehr kulturell tonangebend wäre und höher eingeschätzt würde als etwa die Erfahrungen der Künste.
Damit ist eine Zielsetzung formuliert, die prägend auch für Rortys letzte, hier vorliegende Veröffentlichung blieb: der Philosophie das Verlangen auszutreiben, unterhalb des "bloß" Empirischen und Kontingenten ein Fundament abschließender Einsichten zu erreichen. Statt sich als Spezialdisziplin für letzte Wahrheiten zu verstehn, soll sich die Philosophie weit eher - neben Kunst, Wissenschaften und Religion - als eine kulturell tradierte Möglichkeit begreifen, neue Beschreibungen unseres Selbst und der Welt zu entwerfen.
"Kontingenz, Ironie und Solidarität", Ende der achtziger Jahre veröffentlicht und wohl das bekannteste Buch Rortys, übersetzt diese Diagnose in die nicht auflösbaren Differenzen zwischen verschiedenen Beschreibungsweisen, von denen keine sinnvoll den Anspruch erheben kann, ein "abschließendes Vokabular", eine revisionsresistente Weltsicht anbieten zu können. Die "liberale Ironikerin", von der er dort handelt, weiß um die letztlich unaufhebbare Zufälligkeit ihrer eigenen Weltsicht, aber das lässt sie nicht vom Ideal der Toleranz abweichen und von ihrem Ziel, Ungerechtigkeit und unnötige Grausamkeit vermeiden zu helfen. Und sie hat akzeptiert, dass private Vervollkommnung mit diesem ethisch-politischen Ziel nicht zu verschmelzen ist.
Rortys Umgang mit den großen philosophischen Themen ist von gelassener Nüchternheit. Es gilt, um es mit einem Titel aus den "Aufsätzen" zu formulieren, sowohl die Versuchung der "grandeur" (Großartigkeit) wie jene der "profundity" (Tiefgründigkeit) zu vermeiden und sich der "finitude" (Begrenztheit) zu stellen. Mit Vorliebe wird also, wie es Jürgen Habermas seinem Freund Rorty einmal attestierte, "aus hochtrabenden Allgemeinbegriffen, die über das versehrbare Einzelne achtlos hinweggehen, gleichsam die Luft herausgelassen".
Deflationierung ist ein zentrales Verfahren, und es betrifft auch noch den Versuch von Habermas selbst, im zwanglosen Zwang des besseren Arguments mehr als bloß die erreichte - und auch wieder aufkündbare - Zustimmung innerhalb einer bestimmten Gemeinschaft auszumachen. Für Rorty ist ein solcher Wahrheitsbegriff ein bloß rhetorischer Überschuss, den man besser beseitigt, weil er von der Aufgabe ablenkt, für ein immer weiter ausgreifendes "Wir" zu sorgen, das immer weniger anfällig für die Ausgrenzung von "anderen" wird. Soziale Praktiken - so will es Rorty sehen - verlangen nach keinen philosophischen Fundierungen und können durch sie auch nicht wirksam abgesichert werden.
Eingelassen in seine pragmatistische Nüchternheit ist aber auch ein Glutkern von Hoffnung, wie ihn im vorliegenden Band Passagen aus John Dewey und Whitman noch einmal zum Ausdruck bringen. Eine säkulare Hoffnung, die doch die religiöse Ausdruckssphäre streift, wenn es um die letzten Dinge geht: den Experimentcharakter unserer Gattung, ja der ganzen Schöpfung, und die vollkommen demokratische Gesellschaft, in der alles Leiden "nur noch unausweichliche Folge unserer Sterblichkeit wäre".
Im Vermächtnis seiner "Aufsätze" tut Rorty das, was er immer tat: Er vermeidet es, Geltungsansprüche zu erheben, die sich auf Tieferes berufen als die Tauglichkeit für nützliche Umstrukturierungen und Bereicherungen unseres Vokabulars. Mit sicherem Griff wählt er aus dem "Angebot" philosophischer Theoriestücke, ohne sich um die Grenzzäune zwischen den verschiedenen Traditionen und Filiationen zu kümmern, und verknüpft sie zu immer anregenden synchronen wie diachronen Aufnahmen des philosophischen Terrains. Solche Methoden brachten Rorty manchmal den - von ihm durchaus geschätzten - Vorwurf des mangelnden Tiefgangs ein. Nach dem Motto: Wer auswählt, was ihm ins Konzept seiner liberalen Utopie einer "Kultur ohne Zentrum" passt, könne doch kaum als tiefer Denker gelten, denn der würde sich vom Zwang der Sachen selbst führen lassen.
Und doch hat Rorty mit "Relativismus" oder postmoderner Leichtfüßigkeit nicht das Geringste zu tun, wenn die Berufung auf die Sachen selbst als bestenfalls leerlaufende Rhetorik beiseitegesetzt wird. Der letzte Band seiner "Philosophischen Aufsätze" führt uns noch einmal mit aller Deutlichkeit vor Augen, wie klug und hartnäckig Richard Rorty für sein Verständnis von Philosophie zu werben verstand.
HELMUT MAYER
Richard Rorty: "Philosophy as Cultural Politics". Philosophical Papers, Volume 4. Cambridge University Press, Cambridge 2007. 206 S., br., 22,99 $.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Das Vermächtnis eines großen Denkers: Im letzten Band seiner "Philosophischen Aufsätze" geht Richard Rorty derart aufs Ganze, dass wir nicht mehr wissen, wo oben und unten ist
Richard Rorty, der vor einer Woche im Alter von fünfundsiebzig Jahren verstarb (F.A.Z. vom 11. Juni), war einer der prominentesten Philosophen der Gegenwart. Er gelangte zu Bekanntheit weit über die Grenzen der Fachphilosophie hinaus, deren allzu selbstbewusste disziplinäre Einhegung er nie gutgeheißen hat. So verwundert auch nicht, dass der kurz vor seinem Tod erschienene vierte Band seiner "Philosophischen Aufsätze" noch einmal die Idee einer Philosophie stark macht, die in der professionellen Spezialisierung nur ein "notwendiges Übel" sieht. Wir fassen in diesem Band auf eigentümliche Weise das Ganze von Rortys Philosophie - beinahe wie ein Vermächtnis. Nicht auf Autonomie in einem wohlabgezirkelten Gebiet jenseits anderer menschlicher Tätigkeiten pocht solches Philosophieren, sondern auf die pragmatistische Grundmaxime, dass Unterscheidungen ohne alle Folgen für unsere Handlungen und Hoffnungen vermutlich keine Unterscheidungen sind, die die Ausarbeitung wirklich lohnen.
Was lesen wir aus seinen letzten "Philosophischen Aufsätzen" an Vermächtnishaftem heraus? Philosophie ist für Rorty keine Form des Wissens, sondern Beitrag zur Gestaltung der Zukunft, indem wir uns selbst und unsere sozialen Beziehungen umgestalten. Keine letzten Erkenntnisse oder die Ausgrabung von deren "Fundamenten" hat sie anzubieten, sondern neue Beschreibungen, die sich nicht zurückführen lassen auf ein dem kontingenten Lauf der Geschichte entzogenes Reservoir von Einsichten. Dem Pragmatisten auf den Spuren von John Dewey und William James erscheint die Geschichte der Philosophie voller vergeblicher Versuche, ein gegen die Fragilität und Beschränktheit menschlicher Verhältnisse versichertes Terrain abzustecken. Doch der Zufälligkeit, der Kontingenz ist gerade nicht zu entkommen; sie steht für die Offenheit der Zukunft ein und damit für die Hoffnung, dass die menschlichen Dinge sich verbessern lassen.
Man verschenkt einen Gutteil der Rorty-Lektüre, wenn man sich nicht zumindest in groben Umrissen auf den intellektuellen Werdegang dieses Autors einlässt. Seine Vita ist sprechend für Rortys Philosophie, man sollte sie im Hintergrund unbedingt präsent haben. Rorty selbst lässt seinen Werdegang in den "Philosophischen Aufsätzen" anklingen, explizit hat er ihn seinerzeit unter dem rätselhaft anmutenden Titel "Wilde Orchideen und Trotzki" gemacht.
Die Entscheidung für die Philosophie hat Rorty nie revidiert, aber sie lief darauf hinaus, ihn zu einem entschiedenen Anti-Platoniker zu machen, der überdies die Renaissance der amerikanischen Pragmatisten maßgeblich mitprägte. In der permanenten Negation der platonischen Idee ist Plato bei Rorty stets zugegen. Es gibt neben Rorty keinen zweiten modernen Denker, der Philosophie so konsequent, so artikuliert, so ausdrücklich als Fußnote zu Plato begriff, als ein Anschreiben gegen die platonische Einheitsvision, welche einmal die Vision des frühen Rorty war. Auch die neuesten "Philosophischen Aufsätze", die Rorty zu Papier brachte, zehren von diesem antiplatonischen Affekt. Dahinter steckt bei Rorty seit je nicht etwa bloß Ernüchterung durch das Hineinwachsen in die analytische Richtung der Philosophie, die sich von der kontinentalen Tradition in einer Weise abschottete (und umgekehrt), die Rorty nie einleuchtete. Es wurde daraus viel eher ein beharrliches Arbeiten daran, die platonischen Reste in beiden Traditionen, über viele mit akademischen Tabus belegte Grenzziehungen hinweg, aufzuspüren und kollabieren zu lassen.
Rorty ist beileibe nicht der einzige Autor, der tiefliegende Voraussetzungen und Annahmen der analytischen, am wissenschaftsförmigen Wissen orientierten Philosophie dekonstruiert. Die Entwicklungen sind eindrucksvoll, die innerhalb dieser Tradition von der Programmatik der Gründerfiguren zu Autoren wie Hilary Putnam, Donald Davidson oder Robert Brandom führen. Aber Rorty wurde zum wichtigsten transatlantischen Unruhestifter: bestens vertraut mit den Diskussionen, zur Vertiefung grundsätzlicher Fragen jederzeit bereit und mit einem rhetorisch gut unterfütterten Sinn für die zum Zweck der Auflockerung von Denkgewohnheiten eingesetzte intellektuelle Provokation.
Mit seinen jüngsten "Aufsätzen" löckt Rorty noch einmal prononciert den Stachel seiner frühen Werke. Zu der neuerlichen Provokation gehört ein Beharren. Es ist das Beharren darauf, die in Rortys Augen unhaltbar gewordene Orientierung an einem Kanon vermeintlich gegebener philosophischer Probleme zugunsten der grundsätzlichen Frage aufzugeben, was mit Philosophie jenseits der gebahnten Wege ihrer Professionalisierung eigentlich anzufangen sei.
Mit einer solchen Frage gewinnt man nicht die Sympathie des akademischen Establishments, zumal nicht am renommierten Philosophiedepartment von Princeton, wo Rorty lange Jahre unterrichtete, bevor er schließlich in Stanford bei den Literaturwissenschaften Aufnahme fand. Sein Ende der siebziger Jahre veröffentlichtes Buch "Philosophie und der Spiegel der Natur" erlebt in den "Philosophischen Aufsätzen" eine aufreizende Aktualisierung. Im "Spiegel der Natur" zeichnet Rorty die Entstehung der modernen "Erkenntnistheorie" und philosophischer Folgeprojekte nach. Versuchen, der Philosophie jenseits der empirischen Wissenschaften und anderer kultureller Praktiken einen privilegierten Ort samt Kanon zu sichern, stellt er die Diagnose, letztlich bloß der Verführungskraft einprägsamer Metaphern und Bilder erlegen zu sein: Unser Geist ist kein Spiegel der Realität, und Sprache ist keine Repräsentation von Welt, an der sich triftige Einsichten am Empirischen vorbei gewinnen lassen. Mit dem späten Wittgenstein könnten wir die Dekonstruktion der Bilder üben. Mit Heidegger könnten wir den historischen Sinn für die hinter ihnen stehenden geistespolitischen abendländischen Voreingenommenheiten schärfen. Und mit Dewey (hier war er wieder) sollten wir uns die Frage vorlegen, wie eine Gesellschaft aussehen würde, die sich von der Vorherrschaft der okularen Metaphorik und der mit ihr gesetzten Vorentscheidung über das Wesen "eigentlicher", objektiver Erkenntnis freigemacht hätte: eine Gesellschaft, in der das Ideal wissenschaftlichen Wissens nicht mehr kulturell tonangebend wäre und höher eingeschätzt würde als etwa die Erfahrungen der Künste.
Damit ist eine Zielsetzung formuliert, die prägend auch für Rortys letzte, hier vorliegende Veröffentlichung blieb: der Philosophie das Verlangen auszutreiben, unterhalb des "bloß" Empirischen und Kontingenten ein Fundament abschließender Einsichten zu erreichen. Statt sich als Spezialdisziplin für letzte Wahrheiten zu verstehn, soll sich die Philosophie weit eher - neben Kunst, Wissenschaften und Religion - als eine kulturell tradierte Möglichkeit begreifen, neue Beschreibungen unseres Selbst und der Welt zu entwerfen.
"Kontingenz, Ironie und Solidarität", Ende der achtziger Jahre veröffentlicht und wohl das bekannteste Buch Rortys, übersetzt diese Diagnose in die nicht auflösbaren Differenzen zwischen verschiedenen Beschreibungsweisen, von denen keine sinnvoll den Anspruch erheben kann, ein "abschließendes Vokabular", eine revisionsresistente Weltsicht anbieten zu können. Die "liberale Ironikerin", von der er dort handelt, weiß um die letztlich unaufhebbare Zufälligkeit ihrer eigenen Weltsicht, aber das lässt sie nicht vom Ideal der Toleranz abweichen und von ihrem Ziel, Ungerechtigkeit und unnötige Grausamkeit vermeiden zu helfen. Und sie hat akzeptiert, dass private Vervollkommnung mit diesem ethisch-politischen Ziel nicht zu verschmelzen ist.
Rortys Umgang mit den großen philosophischen Themen ist von gelassener Nüchternheit. Es gilt, um es mit einem Titel aus den "Aufsätzen" zu formulieren, sowohl die Versuchung der "grandeur" (Großartigkeit) wie jene der "profundity" (Tiefgründigkeit) zu vermeiden und sich der "finitude" (Begrenztheit) zu stellen. Mit Vorliebe wird also, wie es Jürgen Habermas seinem Freund Rorty einmal attestierte, "aus hochtrabenden Allgemeinbegriffen, die über das versehrbare Einzelne achtlos hinweggehen, gleichsam die Luft herausgelassen".
Deflationierung ist ein zentrales Verfahren, und es betrifft auch noch den Versuch von Habermas selbst, im zwanglosen Zwang des besseren Arguments mehr als bloß die erreichte - und auch wieder aufkündbare - Zustimmung innerhalb einer bestimmten Gemeinschaft auszumachen. Für Rorty ist ein solcher Wahrheitsbegriff ein bloß rhetorischer Überschuss, den man besser beseitigt, weil er von der Aufgabe ablenkt, für ein immer weiter ausgreifendes "Wir" zu sorgen, das immer weniger anfällig für die Ausgrenzung von "anderen" wird. Soziale Praktiken - so will es Rorty sehen - verlangen nach keinen philosophischen Fundierungen und können durch sie auch nicht wirksam abgesichert werden.
Eingelassen in seine pragmatistische Nüchternheit ist aber auch ein Glutkern von Hoffnung, wie ihn im vorliegenden Band Passagen aus John Dewey und Whitman noch einmal zum Ausdruck bringen. Eine säkulare Hoffnung, die doch die religiöse Ausdruckssphäre streift, wenn es um die letzten Dinge geht: den Experimentcharakter unserer Gattung, ja der ganzen Schöpfung, und die vollkommen demokratische Gesellschaft, in der alles Leiden "nur noch unausweichliche Folge unserer Sterblichkeit wäre".
Im Vermächtnis seiner "Aufsätze" tut Rorty das, was er immer tat: Er vermeidet es, Geltungsansprüche zu erheben, die sich auf Tieferes berufen als die Tauglichkeit für nützliche Umstrukturierungen und Bereicherungen unseres Vokabulars. Mit sicherem Griff wählt er aus dem "Angebot" philosophischer Theoriestücke, ohne sich um die Grenzzäune zwischen den verschiedenen Traditionen und Filiationen zu kümmern, und verknüpft sie zu immer anregenden synchronen wie diachronen Aufnahmen des philosophischen Terrains. Solche Methoden brachten Rorty manchmal den - von ihm durchaus geschätzten - Vorwurf des mangelnden Tiefgangs ein. Nach dem Motto: Wer auswählt, was ihm ins Konzept seiner liberalen Utopie einer "Kultur ohne Zentrum" passt, könne doch kaum als tiefer Denker gelten, denn der würde sich vom Zwang der Sachen selbst führen lassen.
Und doch hat Rorty mit "Relativismus" oder postmoderner Leichtfüßigkeit nicht das Geringste zu tun, wenn die Berufung auf die Sachen selbst als bestenfalls leerlaufende Rhetorik beiseitegesetzt wird. Der letzte Band seiner "Philosophischen Aufsätze" führt uns noch einmal mit aller Deutlichkeit vor Augen, wie klug und hartnäckig Richard Rorty für sein Verständnis von Philosophie zu werben verstand.
HELMUT MAYER
Richard Rorty: "Philosophy as Cultural Politics". Philosophical Papers, Volume 4. Cambridge University Press, Cambridge 2007. 206 S., br., 22,99 $.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
"...this important volume of his Philosophical Papers is to be recommended as a resource on familiar and unfamiliar topics in the Rortian philosophy." --Francesco Tampoia: Philosophy in Review