Karl Valentin (1882-1948) gilt als Inbegriff des bayerischen Originals und prägte mit seinen Bühnenstücken, Sketchen und Filmen eine ganz eigene Form von hintersinnigem Humor, der Generationen von Bühnenkünstlern - auch weit über die Grenzen Bayerns und des deutschen Sprachraums hinaus - bis heute beeinflusst. Doch nicht nur in Film- und Tondokumenten hinterließ dieses Universalgenie ein breites Oeuvre, sein Drang zum Skurrilen ließ ihn darüber hinaus in zahlreiche Masken schlüpfen - vom "Athleten" über den "Feuerwehrhauptmann" bis zur "Lorelei" -, Darstellungen, die als Photographien erhalten sind. Als Valentin starb, verfasste der Kunstkritiker, Publizist und Diplomat Wilhelm Hausenstein (1882-1957) einen Nachruf, den er mit über 40 dieser Selbstinszenierungen seines Freundes bebilderte. Wir legen nun die Bilder mitsamt Hausensteins treffsicherer Analyse der Grundlagen Valentinscher Komik erneut vor, denn auch 70 Jahre nach dem Tod des Künstlers liest sie sich ebenso unterhaltsam wie aufschlussreich. Vor dem Auge des Lesers entsteht ein detailliertes Bild von der Persönlichkeit Valentins - eines getriebenen Hypochonders, Pedanten und Hyperlogikers, dessen einzig mögliche Zuflucht in der Groteske lag.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 17.05.2019Die Chimäre aus der Au
Wilhelm Hausenstein hat Karl Valentins Laufbahn mit wachem Geist beobachtet. Sein Essay über den großen Komiker und Verwandlungskünstler lohnt auch nach mehr als siebzig Jahren die Lektüre.
Aschermittwoch 1948, Planegg bei München. "Am Grab waren sehr viele von denen, die hätten da sein müssen, nicht da. Schreckliche Undankbarkeit träger Herzen. Träger Münchner Herzen." Zwei Tage zuvor, am Rosenmontag, war Karl Valentin gestorben, der geniale Komiker. Wilhelm Hausenstein (1882 bis 1957), der Schriftsteller und Diplomat, hat die Trostlosigkeit der Beerdigung in einem Essay festgehalten, der noch im Todesjahr unter dem Titel "Die Masken des Münchner Komikers Karl Valentin" erschien. Er fühle sich, als hätte er einen Bruder verloren, schrieb er an seine Tochter.
Über Jahrzehnte hatte Hausenstein die Bühnen- und Filmlaufbahn des Komikers verfolgt, eine Vertrauensbasis zu dem scheuen, apolitischen Valentin aufgebaut, der ihn bis zum Schluss "Herr Dokter" anredete. Dessen Monitum, das theaterwissenschaftliche Institut der Universität München solle Stücke und Spuren Valentins sammeln, verhallte ebenso ungehört, wie sich München insgesamt nicht um den Nachlass kümmerte. Der liegt in der Theaterwissenschaftlichen Sammlung der Universität Köln in Schloss Wahn.
Darunter auch jene vierundsechzig Fotografien, die der vorliegende Band - nebst Hausensteins Text und einem Vorwort Wolfgang Tills, des ehemaligen Leiters des Münchner Stadtmuseums - aufbietet, um an das "Chimärische" dieses Perfektionisten zu erinnern. Dabei ist Hausenstein selbst nach siebzig Jahren ein guter Begleiter, auch wenn seine Prosa stellenweise ein wenig parfümiert daherkommt ("imponderabil", "maniakalisch"). Zunächst deutet er Valentin als Produkt eines innerdeutschen Migrationsprozesses: der Vater ein Hesse, die Mutter eine Sächsin. Ob man deswegen so weit gehen muss, Niebergalls Datterich von 1841 als Geistesverwandten ins Feld zu führen, steht dahin. Alles, was der 1882 in der Münchner Vorstadt Au geborene Valentin Ludwig Fey schuf, holte er aus sich selbst heraus, er konnte nur sich selbst spielen. Schon als Knabe, gab er zu Protokoll, "erlernte er aus Gesundheitsrücksichten mit zwölf Jahren die Abnormität".
Hausenstein kennt Valentins Hypochondrie, seine Menschenscheu, seinen philologischen Perfektionismus, er rückt ihn in die Nähe von Nestroy und Jean Paul, und er labt sich an seiner Gabe, "Unsinn in prachtvoller Potenz" abzuliefern, etwa wenn er den Duktus wissenschaftlicher Prosa so imitiert: "Der Regen ist eine primöse Zersetzung luftähnlicher Mibrollen und Vibromen, deren Ursache bis heute noch nicht stixiert wurde." Valentin bestand übrigens darauf - dies für alle, die ihn Walentin aussprechen -, Falentin genannt zu werden. Dass er als Bühnentier der Zote abhold gewesen sein soll, wie Hausenstein schreibt, hat Monika Dimpfl in ihrer Biographie aus dem Jahr 2007 widerlegt. Und dass Bairisch eine Sprache und kein Dialekt ist, wusste er längst. Bitte laut nachsprechen: "Mogarabiranodakari" (Mag er ein Bier auch noch, der Karl?).
hhm
Karl Valentin:
"Photographien".
Mit einem Vorwort von Wolfgang Till und einem Essay von Wilhelm Hausenstein. Schirmer-Mosel Verlag, München 2019. 186 S., Abb., geb., 19,80 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Wilhelm Hausenstein hat Karl Valentins Laufbahn mit wachem Geist beobachtet. Sein Essay über den großen Komiker und Verwandlungskünstler lohnt auch nach mehr als siebzig Jahren die Lektüre.
Aschermittwoch 1948, Planegg bei München. "Am Grab waren sehr viele von denen, die hätten da sein müssen, nicht da. Schreckliche Undankbarkeit träger Herzen. Träger Münchner Herzen." Zwei Tage zuvor, am Rosenmontag, war Karl Valentin gestorben, der geniale Komiker. Wilhelm Hausenstein (1882 bis 1957), der Schriftsteller und Diplomat, hat die Trostlosigkeit der Beerdigung in einem Essay festgehalten, der noch im Todesjahr unter dem Titel "Die Masken des Münchner Komikers Karl Valentin" erschien. Er fühle sich, als hätte er einen Bruder verloren, schrieb er an seine Tochter.
Über Jahrzehnte hatte Hausenstein die Bühnen- und Filmlaufbahn des Komikers verfolgt, eine Vertrauensbasis zu dem scheuen, apolitischen Valentin aufgebaut, der ihn bis zum Schluss "Herr Dokter" anredete. Dessen Monitum, das theaterwissenschaftliche Institut der Universität München solle Stücke und Spuren Valentins sammeln, verhallte ebenso ungehört, wie sich München insgesamt nicht um den Nachlass kümmerte. Der liegt in der Theaterwissenschaftlichen Sammlung der Universität Köln in Schloss Wahn.
Darunter auch jene vierundsechzig Fotografien, die der vorliegende Band - nebst Hausensteins Text und einem Vorwort Wolfgang Tills, des ehemaligen Leiters des Münchner Stadtmuseums - aufbietet, um an das "Chimärische" dieses Perfektionisten zu erinnern. Dabei ist Hausenstein selbst nach siebzig Jahren ein guter Begleiter, auch wenn seine Prosa stellenweise ein wenig parfümiert daherkommt ("imponderabil", "maniakalisch"). Zunächst deutet er Valentin als Produkt eines innerdeutschen Migrationsprozesses: der Vater ein Hesse, die Mutter eine Sächsin. Ob man deswegen so weit gehen muss, Niebergalls Datterich von 1841 als Geistesverwandten ins Feld zu führen, steht dahin. Alles, was der 1882 in der Münchner Vorstadt Au geborene Valentin Ludwig Fey schuf, holte er aus sich selbst heraus, er konnte nur sich selbst spielen. Schon als Knabe, gab er zu Protokoll, "erlernte er aus Gesundheitsrücksichten mit zwölf Jahren die Abnormität".
Hausenstein kennt Valentins Hypochondrie, seine Menschenscheu, seinen philologischen Perfektionismus, er rückt ihn in die Nähe von Nestroy und Jean Paul, und er labt sich an seiner Gabe, "Unsinn in prachtvoller Potenz" abzuliefern, etwa wenn er den Duktus wissenschaftlicher Prosa so imitiert: "Der Regen ist eine primöse Zersetzung luftähnlicher Mibrollen und Vibromen, deren Ursache bis heute noch nicht stixiert wurde." Valentin bestand übrigens darauf - dies für alle, die ihn Walentin aussprechen -, Falentin genannt zu werden. Dass er als Bühnentier der Zote abhold gewesen sein soll, wie Hausenstein schreibt, hat Monika Dimpfl in ihrer Biographie aus dem Jahr 2007 widerlegt. Und dass Bairisch eine Sprache und kein Dialekt ist, wusste er längst. Bitte laut nachsprechen: "Mogarabiranodakari" (Mag er ein Bier auch noch, der Karl?).
hhm
Karl Valentin:
"Photographien".
Mit einem Vorwort von Wolfgang Till und einem Essay von Wilhelm Hausenstein. Schirmer-Mosel Verlag, München 2019. 186 S., Abb., geb., 19,80 [Euro].
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