Produktdetails
- Verlag: Brill Fink / Wilhelm Fink Verlag
- Artikelnr. des Verlages: 1883200
- 1998
- Seitenzahl: 269
- Deutsch
- Abmessung: 240mm
- Gewicht: 576g
- ISBN-13: 9783770532834
- ISBN-10: 377053283X
- Artikelnr.: 25171473
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 21.07.1999Dann denkt auch meine Gitarre
So sang Picasso: Aber Ulrich Heimann interessiert sich nur für die Begriffe hinter den Bildern
Nichts ist so neu, wie es scheint. Seitdem die Kulturwissenschaften in Zeiten der Postmoderne den Glauben an Innovation und Authentizität verloren haben, Avantgarde als Ideologie, Originalität als Mythologie entlarvt wurde, bleibt einigen Autoren, die sich mit der Kunst am Anfang unseres altgewordenen Jahrhunderts beschäftigen, nur mehr die "Tradition des Neuen" nachzuweisen, wie es Harold Rosenberg in ein Paradoxon gefaßt hat. Jede ,neue' Kunstrichtung, meint man, nimmt ihren Ursprung in längst dagewesenen Ideen und Stilen, deren Wurzel nur noch aus dem verzweigten Stammbaum der Kunstgeschichte freigelegt werden braucht. Betrachtet man die herauspräparierte Wurzel, versteht man erst, wie es zu den eigenartigen Blüten, welche die Avantgardekunst einst getrieben hat, kommen konnte.
So verfährt die Dissertation von Ulrich Heimann, der sich zur Aufgabe gemacht hat, eine "Traditionslinie zu rekonstruieren, die von Picassos Kubismus bis in die deutsche Frühromantik führt". Heimann weitet damit eine Vermutung, die von Hans Sedlmayr stammt, zur These aus. Picassos Kubismus, so Heimann, lasse zu Topoi verdichtete Bildprozesse sichtbar werden - Ambiguität, Heterogenität, Paradoxie und Autoreflexivität -, die Formen und Funktionen der von Friedrich Schlegel und Novalis entwickelten "romantischen Ironie" auffallend ähneln.
Gleich in der Einleitung trägt der Autor eine Einführung in Schlegels Poetik vor. Er möchte den in der Romantik verwendeten Begriff der Ironie im Kontext anderer Begriffe, etwa Allegorie, Witz, Chaos, Arabeske, als künstlerisches Prinzip namhaft machen. Die Frage, wie denn nun die kunsttheoretischen Begriffe auf die Phänomene, näherhin Picassos kubistische Werke anzuwenden seien, beantwortet der Autor lapidar damit, daß es sich um künstlerische Gestaltungsmerkmale handele, welche am Kunstwerk gewonnen werden könnten. Als heuristisches Verfahren schlägt Heimann vor, Bildprozesse zu untersuchen. Da Bilder aber keine Begriffe hervorbringen, müsse man "jenseits des Bildes" ansetzen und "streng genommen keine Bildprozesse, sondern Resultate von Kognitionsprozessen" erforschen. Es geht kurz gesagt nicht um die Bilder selbst, sondern um einen Nachweis, daß die frühromantische Poetik in einer lückenlosen Genealogie, die von E.T.A. Hoffmann über Baudelaire, Wagner, Mallarmé bis zu Alfred Jarry reicht, an Picasso vermittelt wurde und sich die kunsttheoretische Begrifflichkeit über wie auch immer geartete "Kognitionsprozesse" in Picassos kubistischen Werken niederschlägt. Bevor die eigentliche Analyse beginnt, ahnt man bereits, daß der Autor in die Falle eines Zirkelschlusses gehen wird: Das, was zu beweisen wäre, nämlich eine implizite Kunsttheorie, die sich mit den Termini der frühromantischen Poetik fassen ließe, ist in der Prämisse bereits enthalten.
Der Verdacht bestätigt sich im ersten Teil des Buches, den Analysen kubistischer Werke, mit dem papier collé "Gitarre, Notenblatt und Glas" von 1912 im Zentrum. Die in der Einleitung als Topoi bezeichneten Bildprozesse frühromantischer Provenienz werden bei der Bildanalyse fortan als Leitbegriffe skandiert. So stünden sich in dem Blatt von 1912 unbunte Zeichnung und Pseudo-Faux-Bois-Formen 2heterogen bis zur Paradoxie" gegenüber, Bildelemente verweigerten sich 2ambiguoser Fülle" und stifteten 2paradoxe Simultaneität". Heimann zwingt Picasso unter die Herrschaft der Begriffe, welche die Sicht auf die Bilder wie Blockaden versperren. Dabei übersieht er völlig, daß er Begriffe verwendet, die weder genuin frühromantisch noch spezifisch ästhetisch, sondern allgemein sprachlogischer Natur sind und sich auf viele andere, auch prämoderne Phänomene anwenden ließen.
Im Exkurs über die Eigenschaften des kubistischen Bildraums ist schon im ersten Satz das Analyseergebnis enthalten: "Inkohärenz, Diskontinuität, Mehrdeutigkeit und Paradoxie sind die beherrschenden Eigenschaften des Bildraums". Am Beispiel der "Gauklerfamilie" von 1905 möchte der Autor kurz noch zeigen, daß seine Terminologie in vorkubistischen Werken noch nicht anzuwenden sei. Georges Braques Kubismus bescheinigt Heimann anschließend - trotz Ähnlichkeit mit den von Picasso verwendeten Bildmittel - "Reserviertheit gegenüber dem Prinzip der Heterogenität". Leider verschenkt Heimann das Thema der autoreflexiven Gestaltungsmittel und Bildinhalte bei Picasso, über die es lohnte, nicht nur im Zusammenhang mit dem Kubismus ausführlich nachzudenken. Kein zweiter Künstler der Moderne hat die Frage nach dem Status und der Definition des Bildes derart umfassend gestellt wie Picasso.
Daß die Hypothese "ut theoria pictura" nicht aufgeht, zeigt sich vollends im zweiten Teil des Buches, in dem nur mehr die Dichter und ihre Theorien zu Worte kommen. Heimann verliert jetzt völlig den Kontakt zu seinem eigentlichen Gegenstand, den kubistischen Bildern, und ergeht sich langwierig und nicht eben originell in Analysen zur Poetologie des Monströsen bei Baudelaire, Jarrys Poetik des "Polyedrischen" oder der Novalis- und Wagner-Rezeption bei Mallarmé. Themen, welche die Literaturwissenschaft längst abgehakt hat, werden hier für die Kunstgeschichte aufbereitet. Im Schlußteil wendet sich der Autor mit der Bemerkung, Picasso selbst habe gegenüber Françoise Gilot geäußert, seine Kunst sei "durch und durch romantisch", noch kurz den Bildern zu, um diese mit den im zweiten Teil gewonnenen Begriffen wenig überzeugend zum Sprechen zu bringen.
Heimanns Buch hält nicht, was der Titel verspricht, und ist vom methodologischen Ansatz mehr als fragwürdig. Mit großem Aufwand und geringem Ertrag unterstellt er Picassos Kubismus poetologische Programme, verdampft die gestalterischen Mittel zu Formeln und suggeriert eine begriffliche Einheit der literarischen Moderne, die weder in kunstwissenschaftlichen Kreisen noch in der Literaturwissenschaft Zustimmung finden wird.
CHRISTIANE KRUSE
Ulrich Heimann: "Picassos Kubismus und die Ironie". Wilhelm Fink Verlag, München 1998. 255 S., br., 98,- DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
So sang Picasso: Aber Ulrich Heimann interessiert sich nur für die Begriffe hinter den Bildern
Nichts ist so neu, wie es scheint. Seitdem die Kulturwissenschaften in Zeiten der Postmoderne den Glauben an Innovation und Authentizität verloren haben, Avantgarde als Ideologie, Originalität als Mythologie entlarvt wurde, bleibt einigen Autoren, die sich mit der Kunst am Anfang unseres altgewordenen Jahrhunderts beschäftigen, nur mehr die "Tradition des Neuen" nachzuweisen, wie es Harold Rosenberg in ein Paradoxon gefaßt hat. Jede ,neue' Kunstrichtung, meint man, nimmt ihren Ursprung in längst dagewesenen Ideen und Stilen, deren Wurzel nur noch aus dem verzweigten Stammbaum der Kunstgeschichte freigelegt werden braucht. Betrachtet man die herauspräparierte Wurzel, versteht man erst, wie es zu den eigenartigen Blüten, welche die Avantgardekunst einst getrieben hat, kommen konnte.
So verfährt die Dissertation von Ulrich Heimann, der sich zur Aufgabe gemacht hat, eine "Traditionslinie zu rekonstruieren, die von Picassos Kubismus bis in die deutsche Frühromantik führt". Heimann weitet damit eine Vermutung, die von Hans Sedlmayr stammt, zur These aus. Picassos Kubismus, so Heimann, lasse zu Topoi verdichtete Bildprozesse sichtbar werden - Ambiguität, Heterogenität, Paradoxie und Autoreflexivität -, die Formen und Funktionen der von Friedrich Schlegel und Novalis entwickelten "romantischen Ironie" auffallend ähneln.
Gleich in der Einleitung trägt der Autor eine Einführung in Schlegels Poetik vor. Er möchte den in der Romantik verwendeten Begriff der Ironie im Kontext anderer Begriffe, etwa Allegorie, Witz, Chaos, Arabeske, als künstlerisches Prinzip namhaft machen. Die Frage, wie denn nun die kunsttheoretischen Begriffe auf die Phänomene, näherhin Picassos kubistische Werke anzuwenden seien, beantwortet der Autor lapidar damit, daß es sich um künstlerische Gestaltungsmerkmale handele, welche am Kunstwerk gewonnen werden könnten. Als heuristisches Verfahren schlägt Heimann vor, Bildprozesse zu untersuchen. Da Bilder aber keine Begriffe hervorbringen, müsse man "jenseits des Bildes" ansetzen und "streng genommen keine Bildprozesse, sondern Resultate von Kognitionsprozessen" erforschen. Es geht kurz gesagt nicht um die Bilder selbst, sondern um einen Nachweis, daß die frühromantische Poetik in einer lückenlosen Genealogie, die von E.T.A. Hoffmann über Baudelaire, Wagner, Mallarmé bis zu Alfred Jarry reicht, an Picasso vermittelt wurde und sich die kunsttheoretische Begrifflichkeit über wie auch immer geartete "Kognitionsprozesse" in Picassos kubistischen Werken niederschlägt. Bevor die eigentliche Analyse beginnt, ahnt man bereits, daß der Autor in die Falle eines Zirkelschlusses gehen wird: Das, was zu beweisen wäre, nämlich eine implizite Kunsttheorie, die sich mit den Termini der frühromantischen Poetik fassen ließe, ist in der Prämisse bereits enthalten.
Der Verdacht bestätigt sich im ersten Teil des Buches, den Analysen kubistischer Werke, mit dem papier collé "Gitarre, Notenblatt und Glas" von 1912 im Zentrum. Die in der Einleitung als Topoi bezeichneten Bildprozesse frühromantischer Provenienz werden bei der Bildanalyse fortan als Leitbegriffe skandiert. So stünden sich in dem Blatt von 1912 unbunte Zeichnung und Pseudo-Faux-Bois-Formen 2heterogen bis zur Paradoxie" gegenüber, Bildelemente verweigerten sich 2ambiguoser Fülle" und stifteten 2paradoxe Simultaneität". Heimann zwingt Picasso unter die Herrschaft der Begriffe, welche die Sicht auf die Bilder wie Blockaden versperren. Dabei übersieht er völlig, daß er Begriffe verwendet, die weder genuin frühromantisch noch spezifisch ästhetisch, sondern allgemein sprachlogischer Natur sind und sich auf viele andere, auch prämoderne Phänomene anwenden ließen.
Im Exkurs über die Eigenschaften des kubistischen Bildraums ist schon im ersten Satz das Analyseergebnis enthalten: "Inkohärenz, Diskontinuität, Mehrdeutigkeit und Paradoxie sind die beherrschenden Eigenschaften des Bildraums". Am Beispiel der "Gauklerfamilie" von 1905 möchte der Autor kurz noch zeigen, daß seine Terminologie in vorkubistischen Werken noch nicht anzuwenden sei. Georges Braques Kubismus bescheinigt Heimann anschließend - trotz Ähnlichkeit mit den von Picasso verwendeten Bildmittel - "Reserviertheit gegenüber dem Prinzip der Heterogenität". Leider verschenkt Heimann das Thema der autoreflexiven Gestaltungsmittel und Bildinhalte bei Picasso, über die es lohnte, nicht nur im Zusammenhang mit dem Kubismus ausführlich nachzudenken. Kein zweiter Künstler der Moderne hat die Frage nach dem Status und der Definition des Bildes derart umfassend gestellt wie Picasso.
Daß die Hypothese "ut theoria pictura" nicht aufgeht, zeigt sich vollends im zweiten Teil des Buches, in dem nur mehr die Dichter und ihre Theorien zu Worte kommen. Heimann verliert jetzt völlig den Kontakt zu seinem eigentlichen Gegenstand, den kubistischen Bildern, und ergeht sich langwierig und nicht eben originell in Analysen zur Poetologie des Monströsen bei Baudelaire, Jarrys Poetik des "Polyedrischen" oder der Novalis- und Wagner-Rezeption bei Mallarmé. Themen, welche die Literaturwissenschaft längst abgehakt hat, werden hier für die Kunstgeschichte aufbereitet. Im Schlußteil wendet sich der Autor mit der Bemerkung, Picasso selbst habe gegenüber Françoise Gilot geäußert, seine Kunst sei "durch und durch romantisch", noch kurz den Bildern zu, um diese mit den im zweiten Teil gewonnenen Begriffen wenig überzeugend zum Sprechen zu bringen.
Heimanns Buch hält nicht, was der Titel verspricht, und ist vom methodologischen Ansatz mehr als fragwürdig. Mit großem Aufwand und geringem Ertrag unterstellt er Picassos Kubismus poetologische Programme, verdampft die gestalterischen Mittel zu Formeln und suggeriert eine begriffliche Einheit der literarischen Moderne, die weder in kunstwissenschaftlichen Kreisen noch in der Literaturwissenschaft Zustimmung finden wird.
CHRISTIANE KRUSE
Ulrich Heimann: "Picassos Kubismus und die Ironie". Wilhelm Fink Verlag, München 1998. 255 S., br., 98,- DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main