Sophie Passmann hat mit »Pick me girls« nicht nur ihr persönlichstes Buch geschrieben, sondern auch eine kluge Auseinandersetzung mit dem männlichen Blick. Ihr Memoir zeichnet ein stellvertretendes Frauenleben nach und wirft die Frage auf: Welche Version von ihr selbst hätte Sophie Passmann sein können, wenn das Patriarchat nicht existieren würde?
»Ich bin nicht so wie andere Frauen«, ist der typische Satz eines pick me girls. Wahrscheinlich haben die meisten Frauen diesen Satz mal gedacht, nicht nur in der unbewusst-misogynen Abgrenzung zu einem ganzen Geschlecht, sondern als Herabwürdigung des eigenen Selbst - man ist nicht so dünn und hat keine so gute Haut wie alle anderen Frauen. Wenn man als Frau geboren wird, kommen die Selbstzweifel ab Werk. Spätestens in der Pubertät wird man mit der goldenen Regel konfrontiert, die zwar nirgendwo geschrieben steht, aber als allgemeingültig gilt: Der männliche Blick, das Begehrtwerden ist die höchste Währung.
Warum wir alle pick me girls sind und welche Unmöglichkeiten Sophie Passmann und höchstwahrscheinlich auch jede andere Frau im Laufe ihres Lebens ertragen muss, das seziert Sophie Passmann so scharf und klug wie keine andere.
»Ich bin nicht so wie andere Frauen«, ist der typische Satz eines pick me girls. Wahrscheinlich haben die meisten Frauen diesen Satz mal gedacht, nicht nur in der unbewusst-misogynen Abgrenzung zu einem ganzen Geschlecht, sondern als Herabwürdigung des eigenen Selbst - man ist nicht so dünn und hat keine so gute Haut wie alle anderen Frauen. Wenn man als Frau geboren wird, kommen die Selbstzweifel ab Werk. Spätestens in der Pubertät wird man mit der goldenen Regel konfrontiert, die zwar nirgendwo geschrieben steht, aber als allgemeingültig gilt: Der männliche Blick, das Begehrtwerden ist die höchste Währung.
Warum wir alle pick me girls sind und welche Unmöglichkeiten Sophie Passmann und höchstwahrscheinlich auch jede andere Frau im Laufe ihres Lebens ertragen muss, das seziert Sophie Passmann so scharf und klug wie keine andere.
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Rezensentin Marianna Lieder wird nicht froh mit Sophie Passmanns Buch über eine ganz bestimmte Sorte Frau. Über das "pick me girl" erfährt Lieder im Buch zwar einiges, doch gelingt der Autorin weder ein erhellender Zusammenhang, eine Konsequenz im Denken noch die Abkehr von Geschlechterklischees. Im Gegenteil, findet Lieder. Indem sie zwar kurzweilig, aber auch reichlich schnoddrig die Netzkultur von Botox bis Shitstorm durchforstet, um das "pick me girl" zu charakterisieren, und auf ihr Teenagerdasein zurückschaut, festigt sie nur die Klischees, die sie eigentlich auflösen möchte, ärgert sich die Rezensentin. Der Rest sind Banalitäten, schimpft sie.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 06.10.2023Lasst uns Geschlechterklischees zementieren
Jetzt bitte mehr rebellische Weiblichkeit, oder auch nicht: Sophie Passmann führt vor, dass es bei einer prominenten Autorin auf gedankliche Kohärenz nicht ankommt
Die einzige Möglichkeit, heute nichts von Sophie Passmann mitzubekommen, besteht darin, sich unter einen Stein zu verkriechen, gehört die Neunundzwanzigjährige doch seit Längerem zu den prominentesten Gesichtern ihrer Generation. Auf Instagram und Tiktok unterhält sie Hunderttausende von Followern. Sie begegnet einem als Moderatorin, Schauspielerin, Podcasterin und Autorin im Feuilleton der "Zeit". Nebenbei veröffentlicht sie überaus erfolgreiche Bücher. Ihr jüngstes heißt "Pick Me Girls".
Der titelgebende Begriff machte unlängst im Netz Karriere. Keine besonders glanzvolle. Denn mit "pick me girls" sind Frauen gemeint, die alles daransetzen, sich von ihren Geschlechtsgenossinnen abzugrenzen, um männliche Anerkennung zu erhalten. Ein "pick me girl" bringt weiblichen Klischeeinteressen (Shopping, Schminken, Schlankheitswahn) nur demonstrative Verachtung entgegen, gibt sich in jeder Lebenslage denkbar unkompliziert und sagt den ganzen Tag Sätze wie: "Am wohlsten fühle ich mich einfach in Männerrunden." Passmann weitet die "pick me girl"-Diagnose zur Tragik schlechthin der weiblichen Existenz aus: "Ich glaube, dass alle Frauen, die im Patriarchat groß werden, pick me girls sind. Manchmal. Oder früher. Zwischen durch." Ausnahmen sind undenkbar. Das ultimative "pick me girl" ist dieser Logik nach eine Frau, die von sich selbst behauptet, niemals "pick me girl" zu sein. Denn damit ist automatisch das "pick me girl"-Kriterium schlechthin erfüllt: anders als andere Frauen sein zu wollen.
Zur Illustration dieser Behauptung zieht Passmann Versatzstücke aus ihrer eigenen von "pick me girl"-Phasen durchzogenen Biographie heran und verbindet dies mit einem mäandernden Streifzug durch die Pop- und Netzkultur. Es geht um Essstörungen, gescheiterte Beziehungen, sexuelle Belästigung, Botox, Sitcoms und Shitstorms. Der Ton ist ganz und gar auf Kurzweiligkeit angelegt, auf schnodderige, pointenlastige Schonungslosigkeit sich selbst und der Welt gegenüber. Stellenweise ist das durchaus lesenswert, etwa wenn Passmann auf ihr eigenes Teenager-Ich zurückblickt und eine spezifisch weibliche Variante der unausweichlichen Pubertätspassionsgeschichte beschreibt, jene Jahre zwischen Zugehörigkeitssehnsucht, Abgrenzungsbedürfnis und nagenden Peinlichkeitsgefühlen.
Vor allem aber tut die Autorin eines: hemmungslos Geschlechterklischees zementieren, auch wenn sie gelegentlich vorgibt, diese zu demontieren. Die Übermacht des männlichen Blicks wird von ihr weniger kritisiert als vielmehr beschworen. Dass Frauen "absolut und ständig auf Männer konzentriert sind", wird von ihr als Quasi-Naturgesetz beschrieben. Das Ziel kann demnach nicht sein, sich davon frei zu machen, sondern sich damit zu arrangieren. Auch scheint Passmann nur Frauen zu kennen, die sich in Beziehungen selbst aufgeben und bedingungslos ihrem Partner anpassen, während dieser ganz selbstverständlich seinen Hobbys und seiner Berufung nachgeht. Aus dieser Beobachtung ergibt sich eine weitere. Passmann hat nämlich festgestellt, "dass Frauen heute nicht ansatzweise so interessant sind wie junge Männer". Ist das noch postironische Patriarchatskritik oder schon der unverhohlene Ausdruck internalisierter Misogynie?
Nun sind diese Zitate aus dem Zusammenhang gerissen. Das haben Zitate so an sich. Doch selbst wenn man an dieser Stelle Passmanns halbes Buch wiedergeben würde, wäre niemandem geholfen. Denn so etwas wie einen Zusammenhang oder gedankliche Kohärenz gibt es darin zumeist bloß einen Absatz lang. Es wimmelt nur so von Widersprüchen und Halbdurchdachtem. Auch häufen sich Banalitäten wie etwa der Aufruf, mehr rebellische Weiblichkeit zu wagen. Ein Satz wie "ich glaube, Frauen müssten krasser, härter, brutaler und gleichgültiger sein" wirkt heute in etwa so spritzig wie die neckische Weisheit "Gute Mädchen kommen in den Himmel, böse überall hin."
Und abgesehen davon: Waren die krassen und harten Frauen, die hier plötzlich herbeigesehnt werden, nicht einige Seiten zuvor noch "pick me girls", die doch wieder nur "männliche" Eigenschaften kopierten? Der Begriff, der von Passmann anfangs schon willkürlich definiert wurde, hat sich da längst in völlige Beliebigkeit aufgelöst. Gelegentlich blitzt dann doch wieder eine tiefenscharfe Alltagsbeobachtung oder ein intelligenter, geschliffen formulierter Gedanke auf, und man ärgert sich als Leser umso mehr, weil offenkundig ist, welches Potential hier verschludert wird.
Irgendwann stimmt Passmann ein Loblied auf ein in sich ruhendes weibliches Selbstbewusstsein an. Offensichtlich hat sie sich auf den letzten Seiten dazu entschlossen, es doch ganz toll zu finden, wenn Frauen aufhören, permanent nach männlicher Anerkennung zu lechzen. Vielleicht beruht dieses Selbstbewusstsein bei ihr zu einem wesentlichen Teil auch auf dem Wissen, dass sie Bücher veröffentlichen kann, die automatisch von einer Heerschar an Fans gekauft werden, ganz gleich, wie oberflächlich, verworren und pseudofeministisch der Inhalt ist. MARIANNA LIEDER
Sophie Passmann: "Pick Me Girls".
Kiepenheuer & Witsch Verlag, Köln 2023. 224 S., geb., 22,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Jetzt bitte mehr rebellische Weiblichkeit, oder auch nicht: Sophie Passmann führt vor, dass es bei einer prominenten Autorin auf gedankliche Kohärenz nicht ankommt
Die einzige Möglichkeit, heute nichts von Sophie Passmann mitzubekommen, besteht darin, sich unter einen Stein zu verkriechen, gehört die Neunundzwanzigjährige doch seit Längerem zu den prominentesten Gesichtern ihrer Generation. Auf Instagram und Tiktok unterhält sie Hunderttausende von Followern. Sie begegnet einem als Moderatorin, Schauspielerin, Podcasterin und Autorin im Feuilleton der "Zeit". Nebenbei veröffentlicht sie überaus erfolgreiche Bücher. Ihr jüngstes heißt "Pick Me Girls".
Der titelgebende Begriff machte unlängst im Netz Karriere. Keine besonders glanzvolle. Denn mit "pick me girls" sind Frauen gemeint, die alles daransetzen, sich von ihren Geschlechtsgenossinnen abzugrenzen, um männliche Anerkennung zu erhalten. Ein "pick me girl" bringt weiblichen Klischeeinteressen (Shopping, Schminken, Schlankheitswahn) nur demonstrative Verachtung entgegen, gibt sich in jeder Lebenslage denkbar unkompliziert und sagt den ganzen Tag Sätze wie: "Am wohlsten fühle ich mich einfach in Männerrunden." Passmann weitet die "pick me girl"-Diagnose zur Tragik schlechthin der weiblichen Existenz aus: "Ich glaube, dass alle Frauen, die im Patriarchat groß werden, pick me girls sind. Manchmal. Oder früher. Zwischen durch." Ausnahmen sind undenkbar. Das ultimative "pick me girl" ist dieser Logik nach eine Frau, die von sich selbst behauptet, niemals "pick me girl" zu sein. Denn damit ist automatisch das "pick me girl"-Kriterium schlechthin erfüllt: anders als andere Frauen sein zu wollen.
Zur Illustration dieser Behauptung zieht Passmann Versatzstücke aus ihrer eigenen von "pick me girl"-Phasen durchzogenen Biographie heran und verbindet dies mit einem mäandernden Streifzug durch die Pop- und Netzkultur. Es geht um Essstörungen, gescheiterte Beziehungen, sexuelle Belästigung, Botox, Sitcoms und Shitstorms. Der Ton ist ganz und gar auf Kurzweiligkeit angelegt, auf schnodderige, pointenlastige Schonungslosigkeit sich selbst und der Welt gegenüber. Stellenweise ist das durchaus lesenswert, etwa wenn Passmann auf ihr eigenes Teenager-Ich zurückblickt und eine spezifisch weibliche Variante der unausweichlichen Pubertätspassionsgeschichte beschreibt, jene Jahre zwischen Zugehörigkeitssehnsucht, Abgrenzungsbedürfnis und nagenden Peinlichkeitsgefühlen.
Vor allem aber tut die Autorin eines: hemmungslos Geschlechterklischees zementieren, auch wenn sie gelegentlich vorgibt, diese zu demontieren. Die Übermacht des männlichen Blicks wird von ihr weniger kritisiert als vielmehr beschworen. Dass Frauen "absolut und ständig auf Männer konzentriert sind", wird von ihr als Quasi-Naturgesetz beschrieben. Das Ziel kann demnach nicht sein, sich davon frei zu machen, sondern sich damit zu arrangieren. Auch scheint Passmann nur Frauen zu kennen, die sich in Beziehungen selbst aufgeben und bedingungslos ihrem Partner anpassen, während dieser ganz selbstverständlich seinen Hobbys und seiner Berufung nachgeht. Aus dieser Beobachtung ergibt sich eine weitere. Passmann hat nämlich festgestellt, "dass Frauen heute nicht ansatzweise so interessant sind wie junge Männer". Ist das noch postironische Patriarchatskritik oder schon der unverhohlene Ausdruck internalisierter Misogynie?
Nun sind diese Zitate aus dem Zusammenhang gerissen. Das haben Zitate so an sich. Doch selbst wenn man an dieser Stelle Passmanns halbes Buch wiedergeben würde, wäre niemandem geholfen. Denn so etwas wie einen Zusammenhang oder gedankliche Kohärenz gibt es darin zumeist bloß einen Absatz lang. Es wimmelt nur so von Widersprüchen und Halbdurchdachtem. Auch häufen sich Banalitäten wie etwa der Aufruf, mehr rebellische Weiblichkeit zu wagen. Ein Satz wie "ich glaube, Frauen müssten krasser, härter, brutaler und gleichgültiger sein" wirkt heute in etwa so spritzig wie die neckische Weisheit "Gute Mädchen kommen in den Himmel, böse überall hin."
Und abgesehen davon: Waren die krassen und harten Frauen, die hier plötzlich herbeigesehnt werden, nicht einige Seiten zuvor noch "pick me girls", die doch wieder nur "männliche" Eigenschaften kopierten? Der Begriff, der von Passmann anfangs schon willkürlich definiert wurde, hat sich da längst in völlige Beliebigkeit aufgelöst. Gelegentlich blitzt dann doch wieder eine tiefenscharfe Alltagsbeobachtung oder ein intelligenter, geschliffen formulierter Gedanke auf, und man ärgert sich als Leser umso mehr, weil offenkundig ist, welches Potential hier verschludert wird.
Irgendwann stimmt Passmann ein Loblied auf ein in sich ruhendes weibliches Selbstbewusstsein an. Offensichtlich hat sie sich auf den letzten Seiten dazu entschlossen, es doch ganz toll zu finden, wenn Frauen aufhören, permanent nach männlicher Anerkennung zu lechzen. Vielleicht beruht dieses Selbstbewusstsein bei ihr zu einem wesentlichen Teil auch auf dem Wissen, dass sie Bücher veröffentlichen kann, die automatisch von einer Heerschar an Fans gekauft werden, ganz gleich, wie oberflächlich, verworren und pseudofeministisch der Inhalt ist. MARIANNA LIEDER
Sophie Passmann: "Pick Me Girls".
Kiepenheuer & Witsch Verlag, Köln 2023. 224 S., geb., 22,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
»In 'Pick me Girls' dröselt sie die gesellschaftspolitischen Ebenen des vermeintlich banalen Internettrends auf und macht dafür an Schlüsselmomenten ihres Lebens halt. Das gerät aufschlussreich, unterhaltsam und nicht unbedingt konsensfähig.« Friedrich Steffes-Lay Galore 20231019