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Die visuelle Wahrnehmung unserer Umwelt ist längst eine von Medien gesteuerte Inszenierung des Sehens. Täglich bewegen wir uns in einem televisionell oder virtuell vorgeformten Paralleluniversum. Heutige Großstädte sind eine Welt voller Bilder, Codes und Zeichen. Dieselben Piktogramme und Logos dirigieren weltweit unsere Orientierung auf Flughäfen, Bahnhöfen, Autobahnen und in fremden Städten. Die gleichen Labels weltweit operierender Unternehmen signalisieren allgegenwärtige Anwesenheit. Eine pikturale Grammatik zur Entschlüsselung dieser globalisierten Erfahrungswelt indes indes steht nicht…mehr

Produktbeschreibung
Die visuelle Wahrnehmung unserer Umwelt ist längst eine von Medien gesteuerte Inszenierung des Sehens. Täglich bewegen wir uns in einem televisionell oder virtuell vorgeformten Paralleluniversum. Heutige Großstädte sind eine Welt voller Bilder, Codes und Zeichen. Dieselben Piktogramme und Logos dirigieren weltweit unsere Orientierung auf Flughäfen, Bahnhöfen, Autobahnen und in fremden Städten. Die gleichen Labels weltweit operierender Unternehmen signalisieren allgegenwärtige Anwesenheit. Eine pikturale Grammatik zur Entschlüsselung dieser globalisierten Erfahrungswelt indes indes steht nicht zur Verfügung.

Anders im frühen 20. Jahrhundert, als diese Entwicklung begann. In den Bild-Schrift-Experimenten der Medienavantgardisten ging es um die Erfindung universeller Bildalphabete, die kulturelle und geografische Grenzen zu überwinden erlaubten. Es ging zum einen um die Verabschiedung der Bildungsprivilegien des Gutenberg-Zeitalters, die an die Nationalsprachen und deren buchstäbliche Nota­tionssysteme gebunden sind, zum anderen um den Einsatz der neuen fotochemischen, typo- und filmografischen Techniken, die solche universale Lesbarkeit erst ermöglichten. Und es ging um nichts weniger als um das Bewußtmachen eingeschliffener, nicht mehr hinterfragter Wahrnehmungsmuster, wie wir sie heute - umgekehrt - in den pictoralisierten Konventionen unseres Lebensalltags vorfinden. Die Medienavantgardisten probierten ihre 'Pictogrammatica' in vielfätigen Formen aus: in dadaistischen Buchstaben- und futuristischen Bildgedichten, in kubofuturitischen Passagen zwischen Wort und Bild, surrealistischen Traumbildcollagen, in der forcierten Schrift-Bildlichkeit des konstruktivistischen Plakats, in der Befreiung von den bleiernen Lettern des Buchdrucks, in den bewegten Schrift-Bildern der Stummfilme, im Medium der Ausstellung und in den Labors der Kunstwerkstätten. Die Orte dieser Experimente sind über Europa verteilt: In diesem Band sind es Moskau, Paris, Tiflis, Prag, Zürich, Rom, Berlin - und New York: Modell für die Metropolen des 20. Jahrhunderts, Stadt des Exils für europäische Avantgardisten und Startplatz der Neoavantgarde.

Inhalt:
Inge Münz-Koenen (Berlin)/Justus Fetscher (Berlin): Einleitung

Zwischen den Welten: Die Medien der europäischen Avantgarde
Jaroslav Andel (New York/Prag): Sutnar's Heritage in the Digital Era
Walburga Hülk (Siegen): Bewegung, Gedächtnis, Intuition. Facetten eines Paragone im Umfeld des Medienumbruchs 1900
Wolfgang Asholt (Osnabrück): Surrealistische Intermedialität? Zum Bild-Schrift-Verhältnis bei Breton

Eine Sprache für die Augen: Schrift - Bild - Druck
Heinz Brüggemann (Hannover): Un futurista a New York. Fortunato Deperos tavole parolibere der Hauptstadt des 20. Jahrhunderts: SUBWAY und GRATTACIELI
Oksana Bulgakova (Stanford, Kalifornien/Berlin): Schrift als Bild: Vassilij Kamenskijs Konstantinopel (1914)
Inge Münz-Koenen (Berlin): SDVIG - Intermedialität im russischen Kubofuturismus
Justus Fetscher (Berlin): Entstellte Schrift. Zum surrealistischen Collageroman

Annäherung und Entfernung: Schrift im Film - Schrift vs. Sprache
Marc Silberman (Madison, Wisconsin): "Mixed Messages". Schrift und Bild im expressionistischen Film
Walter Fähnders (Osnabrück): Schrift-Bild und Opto-Phonetik bei Dada

Typo-Graphie, Büro, Labor: Zwischen Technik, Kunst und Wissen
Wolfgang Beilenhoff (Bochum): Drucken, was nicht zu schreiben ist. Zur Funktion von Bild und Schrift im konstruktivistischen Plakat
Sven Spieker (Santa Barbara, Kalifornien): Vom Umhertasten in der Kunst: El Lissitzkys Demonstrationsräume zwischen Labor und Büro
Margarete Vöhringer (Weimar): Nicht Schrift, nicht Bild: Die Raumexperimente Nikolaj Ladovskijs am Psychotechnischen Labor für Architektur, Moskau 1926

Bildnachweise
Zu den Beiträgerinnen und Beiträgern
Autorenporträt
Inge Münz-Koenen ist Leiterin des Projekts "Archäologie der Moderne. Eine neue Sinneskultur im frühen 20. Jahrhundert" am Zentrum für Literaturforschung Berlin. Arbeitsgebiete: Medientheorie und -geschichte, Kulturtheorie und Literaturgeschichte der Weimarer Republik und der DDR; Utopieforschung.

Justus Fetscher ist Mitarbeiter am Projekt Archäologie der Moderne (Zentrum für Literaturforschung, Berlin). Studium der Germanistik, Geschichte und Theaterwissenschaft. 1990-1995 wiss. Mitarbeiter am Institut für Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft der FU Berlin.