Inspiriert von Henry David Thoreaus Walden zieht sich die 27-jährige Annie Dillard Anfang der 70 er Jahre in die Virginia Blue Montains zurück, um die vielfältigen Erscheinungen der Natur genau zu studieren und das Wunder des Schauens auf sich wirken zu lassen und "wieder zu Sinnen zu kommen", wie es Thoreau einst gefordert hatte. Ausgehend von der Erkenntnis, dass "das Detail" das erste und "sichtbare Faktum der Welt" sei, unternimmt sie tägliche Wanderungen an den bewaldeten Ufern des Tinker Creek, beobachtet und beschreibt den Wechsel des Lichts und das Wesen des Windes, das Leben der Bisamratten und Heuschrecken, die Schönheit der gegen den Strom schwimmenden Fische und die eines Wassertropfens unter dem Mikroskop. Geleitet von der Frage nach den Absichten einer Schöpfungskraft, die sich in all dem Naturschauspiel zugleich offenbart und verbirgt, verbinden sich die genauen, überraschenden und oft auch verstörenden Entdeckungen ihrer Streifzüge in die Wildnis mit Gedankengängen aus Literatur, Naturwissenschaft und Mystik. Dillards Sprache ist dabei so klar und poetisch, so erhaben und erbarmungslos wie der Gegenstand ihrer Erzählung selbst : die lebendige Gegenwart der verwirrend vielfältigen Natur. Pilger am Tinker Creek ist naturphilosophische Meditation, geistige Autobiografie, metaphysischer Lobgesang und poetischer Essay zugleich und nicht zuletzt die Chronik einer Suche nach nichts Geringerem als dem Sinn der Schöpfung.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 22.01.2017Grausam wie der Kosmos
Annie Dillards Klassiker der unsentimentalen Naturbeschreibung aus den Siebzigern liest man heute als Hohelied eines neuen Lebensmuts
Als Annie Dillard Anfang der siebziger Jahre daranging herauszufinden, ob es ihr gelingen würde, über Natur in einer Form und Art zu schreiben, die ihrem begrifflich nicht zu fassenden überquellenden Lebensgefühl entsprach, zogen immer noch amerikanische Soldaten in den Krieg in Vietnam. Jedem, dem sich die Katastrophen der Politik wie ein Diktat aufdrängten, den Glauben an ein zivilisiertes Zusammenleben nicht aufzugeben, den Schreckensnachrichten und Bildern des Grauens standzuhalten sowie demonstrativ einfach als verletzbarer Mensch Stellung zu beziehen, mussten auf den ersten, unaufmerksamen Blick Annie Dillards einsame Exkursionen und biologisch-mystische Exerzitien wie ein Rückzug aus der fatalen menschlichen Welt erscheinen. Sie war die Tochter wohlhabender Eltern, sie hatte studiert, einen ihrer Lehrer geheiratet, sie war 26 Jahre alt, malte und schrieb Gedichte. Ließ sich mehr erwarten als leichtsinnige metaphysische Regression?
Wer dann aber "Pilgrim at Tinker Creek", das Buch, das sie vom Fluss und aus dem Wald mitbrachte und das 1974 in Amerika erschien, aufschlug, der merkte schnell, dass Dillard eine Frage quälte, die in das Repertoire der großen religiösen Verunsicherungen gehört, wie es einen Gott geben könne, der auf Erden so viel Leid und Schmerz zulässt. Die Antwort darauf fand Dillard in der unvermeidlichen Erfahrung, dass auch die Natur ein Hort der Grausamkeit ist, nicht nur punktuell und akzidentell, sondern grundsätzlich und wesentlich, und dass die Natur das Grauen, das sie produziert, hinnehmen und verkraften kann, weil sie in überschäumendem Überfluss Leben produziert.
Annie Dillard, geboren 1945 in Pittsburgh, Pennsylvania, kann auf ein erfolgreiches und eigensinniges künstlerisches Leben zurückschauen, dessen Zentralgestirne Mystik und Natur sind, religiöses Empfinden und die Wunder der Welt; zuletzt, 2014, wurde sie von Barack Obama mit einer der National Medals of the Arts and Humanities Awards ausgezeichnet. Als "Pilgrim at Tinker Creek" 1996 zum ersten Mal auf Deutsch herauskam, trug es den Titel "Der freie Fall der Spottdrossel". Das Buch, längst zum Klassiker der Naturbeschreibung geworden, stand hierzulande neben ihrem umfangreichen Roman "Am Rand der neuen Welt", der von der Besiedlung Amerikas im neunzehnten Jahrhundert erzählt.
Die Spottdrossel hielt sich nicht lange, obwohl der in den Vereinigten Staaten lehrende Literaturwissenschaftler Peter Demetz sie in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung mit lobenden Worten zum Bleiben verlockt hatte, sie flog rasch davon und ward nicht mehr gesehen. Jetzt, zwanzig Jahre später, ist das Buch unter dem selbstbewussten Titel "Pilger am Tinker Creek" wieder zu haben, erschienen in einer von der Übersetzerin selbst durchgesehenen Übersetzung. Es hat seinen Platz gefunden in der Reihe Naturkunden, die ihre Existenz einem feinen urbanen Sensorium des Matthes-&-Seitz-Verlags für urbanisierte Sehnsüchte und Bedürfnisse zu verdanken hat.
Im Anhang der frischen deutschen Ausgabe findet sich ein sehr kluger und elegant geschriebener Aufsatz von William Deresiewicz über Annie Dillard, der im Frühjahr 2016 im "Atlantic" veröffentlicht wurde und den die vielen Leser, die dem Buch zu wünschen sind, gelesen haben sollten, bevor sie mit seiner Lektüre beginnen. Schon die Eingangssätze dieses Werks haben eine gewisse Berühmtheit erlangt, weil Annie Dillard hier auf bewundernswerte Weise Sinn und Wesen ihres Buches in einer einzigen Szene zusammenzufassen versteht.
In der Zeit, die sie dort draußen im Rücken der Städte verbrachte, lernte Annie Dillard zu sehen, das Unscheinbare, Kleinste, nahezu Unsichtbare, all das, worüber der ungeübte und achtlose Blick hinweggeht, der auf vorgefasste Ziele und Zwecke ausgerichtet ist. Erkenntnis ist im strikten Sinne Einsicht, und Metaphysik, die auch Fernrohre und Mikroskope zu nutzen versteht, Optik.
Ihre lebendigen, bilderreichen Beschreibungen dessen, was sie wahrnahm und was sie erregte, wechseln hin und wieder mit Auszügen oder Zusammenfassungen aus wissenschaftlichen Büchern, in denen sie auf wundersame Details aus dem Leben der Tiere und Pflanzen, aus dem Leben der Erde und des Kosmos stieß, die ein bloßes Schauen nie errät. Das Buch ließ sich insofern auch so lesen, als würde hier eine sensible suchende Seele sich einüben in die Akzeptanz der Welt als eines Wunderwerks der Natur, in dem auch das Leiden der Menschen, wie ein Zahnrad im Getriebe, einen mechanischen Sinn erhielt. Der Strom des Werdens trug alle moralische, religiöse Empörung mit sich fort. "Ich lebe in Ruhe und Frieden und Zittern und Zagen": Mit diesem Satz beginnt das Finale des Buches, das keine drei Seiten lang ist und das ein Leser, der über ein gutes Gedächtnis verfügt, auswendig lernen mag wie eine Art Hohelied eines neuen Lebensmutes.
Die Natur in Deutschland und darüber hinaus, vom Nordpol bis zum Südpol, wurde in den neunziger Jahren, als die erste deutsche Übersetzung erschien, als etwas empfunden, das es zu bewahren und zu schützen galt, vor allem mit politischen Mitteln. Die grünen Ränder, die sich um die etablierte Industriegesellschaft gebildet hatten, schmolzen darauf zu einer dichten grünen Mitte mit global handelnden und regional konsumierenden Bewohnern zusammen. Kaum einer der ehemaligen Aktivisten, aus denen Kunden von Bioläden und Reformhäusern wurden, brauchte den Zuspruch einer jungen Amerikanerin, die es in die Natur verschlagen hatte und dort lernte, wie sie dem erdrückenden Übermaß an Leben und Tod, Blüte, Schmerz und Vergehen standhalten könnte. Diese erdumfassenden und himmelsstürmenden Gefühle waren auf ihrem langen Weg über den Atlantik auf die Formate nachhaltiger, realistischer Politik geschrumpft. Aus dem mystischen Sehen in der Neuen Welt war ein deutsches Augenmaß geworden.
Heute aber, da wir alle Pilger des drohenden Untergangs geworden sind, ist die Natur das verlorene Urbild unserer zu sozialen Systemen gleichsam naturalisierten gesellschaftlichen Verhältnisse geworden, die uns umschließen wie eine feste, nicht aufzusprengende Schale, in deren Enge und Geborgenheit wir uns ernähren und fortpflanzen. Wir erinnern uns an das, was einmal Natur war, indem wir es beleben wie etwas uns Seelenverwandtes, kommunizierende Wesen und fühlende Gebilde, die ihren Gesetzen folgen und für die Freiheit und Notwendigkeit zwei Seiten eines Überlebenstriebes sind, der das Leben zu erhalten vermag, solange das Gleichgewicht der Kräfte nicht zerstört wird.
Wenn wir, in den Baumkronen unserer Vorstellungen von der Evolution des sozialen Daseins sitzend, an das ferne mikrokosmische Erdreich unter uns und an den fernen kosmischen Himmel über uns denken, dann mögen wir Annie Dillards Lebensphilosophie und Naturpoesie wieder mehr verstehen und ihr wieder näher sein. Wir teilen nicht mehr ihre lebhafte Begeisterung und kreatürliche Empathie, aber wir sind nachsichtig gegenüber ihrem Verlangen, in die unerschöpflichen natürlichen Tiefen der Welt einzutauchen, so wie die freundlichen Alten unter uns ein Lächeln für die Leidenschaften einer längst vergangenen Jugend übrighaben, wohlwollend gegenüber den jungen Organismen, aber im Wissen über den zunehmenden Verfall der Welt in Trauer erstarrend. Jeder, bevor er wie eine Spottdrossel vom Baum fällt, sollte Annie Dillards Buch der Erlösungen gelesen haben.
EBERHARD RATHGEB
Annie Dillard: "Pilger am Tinker Creek". Aus dem Englischen und mit einem Nachwort von Karen Nölle sowie mit einem Essay von William Deresiewicz. Matthes & Seitz, 347 Seiten, 22 Euro
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Annie Dillards Klassiker der unsentimentalen Naturbeschreibung aus den Siebzigern liest man heute als Hohelied eines neuen Lebensmuts
Als Annie Dillard Anfang der siebziger Jahre daranging herauszufinden, ob es ihr gelingen würde, über Natur in einer Form und Art zu schreiben, die ihrem begrifflich nicht zu fassenden überquellenden Lebensgefühl entsprach, zogen immer noch amerikanische Soldaten in den Krieg in Vietnam. Jedem, dem sich die Katastrophen der Politik wie ein Diktat aufdrängten, den Glauben an ein zivilisiertes Zusammenleben nicht aufzugeben, den Schreckensnachrichten und Bildern des Grauens standzuhalten sowie demonstrativ einfach als verletzbarer Mensch Stellung zu beziehen, mussten auf den ersten, unaufmerksamen Blick Annie Dillards einsame Exkursionen und biologisch-mystische Exerzitien wie ein Rückzug aus der fatalen menschlichen Welt erscheinen. Sie war die Tochter wohlhabender Eltern, sie hatte studiert, einen ihrer Lehrer geheiratet, sie war 26 Jahre alt, malte und schrieb Gedichte. Ließ sich mehr erwarten als leichtsinnige metaphysische Regression?
Wer dann aber "Pilgrim at Tinker Creek", das Buch, das sie vom Fluss und aus dem Wald mitbrachte und das 1974 in Amerika erschien, aufschlug, der merkte schnell, dass Dillard eine Frage quälte, die in das Repertoire der großen religiösen Verunsicherungen gehört, wie es einen Gott geben könne, der auf Erden so viel Leid und Schmerz zulässt. Die Antwort darauf fand Dillard in der unvermeidlichen Erfahrung, dass auch die Natur ein Hort der Grausamkeit ist, nicht nur punktuell und akzidentell, sondern grundsätzlich und wesentlich, und dass die Natur das Grauen, das sie produziert, hinnehmen und verkraften kann, weil sie in überschäumendem Überfluss Leben produziert.
Annie Dillard, geboren 1945 in Pittsburgh, Pennsylvania, kann auf ein erfolgreiches und eigensinniges künstlerisches Leben zurückschauen, dessen Zentralgestirne Mystik und Natur sind, religiöses Empfinden und die Wunder der Welt; zuletzt, 2014, wurde sie von Barack Obama mit einer der National Medals of the Arts and Humanities Awards ausgezeichnet. Als "Pilgrim at Tinker Creek" 1996 zum ersten Mal auf Deutsch herauskam, trug es den Titel "Der freie Fall der Spottdrossel". Das Buch, längst zum Klassiker der Naturbeschreibung geworden, stand hierzulande neben ihrem umfangreichen Roman "Am Rand der neuen Welt", der von der Besiedlung Amerikas im neunzehnten Jahrhundert erzählt.
Die Spottdrossel hielt sich nicht lange, obwohl der in den Vereinigten Staaten lehrende Literaturwissenschaftler Peter Demetz sie in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung mit lobenden Worten zum Bleiben verlockt hatte, sie flog rasch davon und ward nicht mehr gesehen. Jetzt, zwanzig Jahre später, ist das Buch unter dem selbstbewussten Titel "Pilger am Tinker Creek" wieder zu haben, erschienen in einer von der Übersetzerin selbst durchgesehenen Übersetzung. Es hat seinen Platz gefunden in der Reihe Naturkunden, die ihre Existenz einem feinen urbanen Sensorium des Matthes-&-Seitz-Verlags für urbanisierte Sehnsüchte und Bedürfnisse zu verdanken hat.
Im Anhang der frischen deutschen Ausgabe findet sich ein sehr kluger und elegant geschriebener Aufsatz von William Deresiewicz über Annie Dillard, der im Frühjahr 2016 im "Atlantic" veröffentlicht wurde und den die vielen Leser, die dem Buch zu wünschen sind, gelesen haben sollten, bevor sie mit seiner Lektüre beginnen. Schon die Eingangssätze dieses Werks haben eine gewisse Berühmtheit erlangt, weil Annie Dillard hier auf bewundernswerte Weise Sinn und Wesen ihres Buches in einer einzigen Szene zusammenzufassen versteht.
In der Zeit, die sie dort draußen im Rücken der Städte verbrachte, lernte Annie Dillard zu sehen, das Unscheinbare, Kleinste, nahezu Unsichtbare, all das, worüber der ungeübte und achtlose Blick hinweggeht, der auf vorgefasste Ziele und Zwecke ausgerichtet ist. Erkenntnis ist im strikten Sinne Einsicht, und Metaphysik, die auch Fernrohre und Mikroskope zu nutzen versteht, Optik.
Ihre lebendigen, bilderreichen Beschreibungen dessen, was sie wahrnahm und was sie erregte, wechseln hin und wieder mit Auszügen oder Zusammenfassungen aus wissenschaftlichen Büchern, in denen sie auf wundersame Details aus dem Leben der Tiere und Pflanzen, aus dem Leben der Erde und des Kosmos stieß, die ein bloßes Schauen nie errät. Das Buch ließ sich insofern auch so lesen, als würde hier eine sensible suchende Seele sich einüben in die Akzeptanz der Welt als eines Wunderwerks der Natur, in dem auch das Leiden der Menschen, wie ein Zahnrad im Getriebe, einen mechanischen Sinn erhielt. Der Strom des Werdens trug alle moralische, religiöse Empörung mit sich fort. "Ich lebe in Ruhe und Frieden und Zittern und Zagen": Mit diesem Satz beginnt das Finale des Buches, das keine drei Seiten lang ist und das ein Leser, der über ein gutes Gedächtnis verfügt, auswendig lernen mag wie eine Art Hohelied eines neuen Lebensmutes.
Die Natur in Deutschland und darüber hinaus, vom Nordpol bis zum Südpol, wurde in den neunziger Jahren, als die erste deutsche Übersetzung erschien, als etwas empfunden, das es zu bewahren und zu schützen galt, vor allem mit politischen Mitteln. Die grünen Ränder, die sich um die etablierte Industriegesellschaft gebildet hatten, schmolzen darauf zu einer dichten grünen Mitte mit global handelnden und regional konsumierenden Bewohnern zusammen. Kaum einer der ehemaligen Aktivisten, aus denen Kunden von Bioläden und Reformhäusern wurden, brauchte den Zuspruch einer jungen Amerikanerin, die es in die Natur verschlagen hatte und dort lernte, wie sie dem erdrückenden Übermaß an Leben und Tod, Blüte, Schmerz und Vergehen standhalten könnte. Diese erdumfassenden und himmelsstürmenden Gefühle waren auf ihrem langen Weg über den Atlantik auf die Formate nachhaltiger, realistischer Politik geschrumpft. Aus dem mystischen Sehen in der Neuen Welt war ein deutsches Augenmaß geworden.
Heute aber, da wir alle Pilger des drohenden Untergangs geworden sind, ist die Natur das verlorene Urbild unserer zu sozialen Systemen gleichsam naturalisierten gesellschaftlichen Verhältnisse geworden, die uns umschließen wie eine feste, nicht aufzusprengende Schale, in deren Enge und Geborgenheit wir uns ernähren und fortpflanzen. Wir erinnern uns an das, was einmal Natur war, indem wir es beleben wie etwas uns Seelenverwandtes, kommunizierende Wesen und fühlende Gebilde, die ihren Gesetzen folgen und für die Freiheit und Notwendigkeit zwei Seiten eines Überlebenstriebes sind, der das Leben zu erhalten vermag, solange das Gleichgewicht der Kräfte nicht zerstört wird.
Wenn wir, in den Baumkronen unserer Vorstellungen von der Evolution des sozialen Daseins sitzend, an das ferne mikrokosmische Erdreich unter uns und an den fernen kosmischen Himmel über uns denken, dann mögen wir Annie Dillards Lebensphilosophie und Naturpoesie wieder mehr verstehen und ihr wieder näher sein. Wir teilen nicht mehr ihre lebhafte Begeisterung und kreatürliche Empathie, aber wir sind nachsichtig gegenüber ihrem Verlangen, in die unerschöpflichen natürlichen Tiefen der Welt einzutauchen, so wie die freundlichen Alten unter uns ein Lächeln für die Leidenschaften einer längst vergangenen Jugend übrighaben, wohlwollend gegenüber den jungen Organismen, aber im Wissen über den zunehmenden Verfall der Welt in Trauer erstarrend. Jeder, bevor er wie eine Spottdrossel vom Baum fällt, sollte Annie Dillards Buch der Erlösungen gelesen haben.
EBERHARD RATHGEB
Annie Dillard: "Pilger am Tinker Creek". Aus dem Englischen und mit einem Nachwort von Karen Nölle sowie mit einem Essay von William Deresiewicz. Matthes & Seitz, 347 Seiten, 22 Euro
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