Paul Verbeek erlebte die Jahre der Revolutionen als deutscher Botschafter am Heiligen Stuhl in Rom. Lebendig und kenntnisreich analysiert er die Hintergründe und historischen Ereignisse, die 1979, mit dem ersten Besuch des Papstes in seiner Heimat einsetzten und schließlich zum Fall des Eisernen Vorhangs führten. Nachdem 6 Millionen polnische Katholiken ihrem geistlichen Oberhaupt zugejubelt hatten, bekannte Staatspräsident Jaruzelski, daß 'nichts mehr so war wie vorher'. Paul Verbeek spürt dem Geheimnis dieses Papstes nach. Bis in die Gegenwart erschließt sich aus seinem Buch 'Pilger gegen die Macht' das außergewöhnliche Charisma von Papst Johannes Paul II.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 31.08.2005Glauben mit Macht
Persönlichkeit und Politik von Papst Johannes Paul II.
Paul Verbeek: Pilger gegen die Macht. Johannes Paul II. und der Zerfall des Sowjetimperiums. Sankt Ulrich Verlag, Augsburg 2005. 188 Seiten, 16,90 [Euro].
Es besteht wohl Konsens darüber, daß Johannes Paul II. die letzte große Figur des 20. Jahrhunderts war, daß er dessen beide schlimmen Totalitarismen ohne Anpassung an Gebote politischer Korrektheit reflektiert und zum Niedergang des zweiten von ihnen erheblich beigetragen hat. Aber in der Spätzeit seines Pontifikats hat sich im rechten Spektrum des Katholizismus eine Stimmung unkritischer, Papst, Papsttum und Kirche identifizierender Zustimmung verbreitet, von der auch dieses Buch nicht frei ist. Sein Verfasser - ein vielfach bewährter Diplomat - war von 1987 bis 1990 Botschafter der Bundesrepublik Deutschland beim Heiligen Stuhl. Oft rekurriert er auf seine dort gewonnenen Eindrücke.
Schon der Titel "Pilger gegen die Macht" enthält nur die halbe Wahrheit. Denn der polnische Papst war auf seinen vielen Reisen keineswegs nur ein Pilger. Durch seine Ubiquität demonstrierte er auch seine - die Bischöfe ins zweite Glied verweisende - Zuständigkeit für Regierung und Repräsentation der gesamten Kirche, welcher er seinen Willen, wo es ihm nötig erschien, aufgezwungen hat: gegen die Vertiefung des konziliären und synodalen Reformprozesses und durch die Einsetzung von Bischöfen, die ihm dabei zu Diensten waren, so in Lateinamerika, aber auch zum Beispiel in Köln, Chur oder Wien (in Deutschland schließlich wegen der bestens intendierten und Leben bewahrenden Beratung schwangerer Frauen). Daß Verbeek der Meinung ist, Johannes Paul II. sei insgesamt dem Zweiten Vatikanischen Konzil gefolgt, entspricht mehr der eingangs skizzierten Stimmung als der gewiß komplexen, aber insgesamt von erneuter Zentralisierung charakterisierten Geschichte der katholischen Kirche seit 1978.
In diesem Buch geht es vor allem um das Wirken nach außen, und darin hat Johannes Paul II. tatsächlich viele Impulse des Konzils verstärkt. Verbeek schildert ihn als Brückenbauer zwischen Konfessionen und Religionen und als Verteidiger europäischer Werte, als Mann des Friedens und als Kämpfer für die Freiheit. Und um diese ist es dem Papst in seiner hier breit aufgewiesenen Auseinandersetzung mit dem zu Beginn seines Pontifikats noch sehr mächtigen Kommunismus gegangen. Seine dafür mitentscheidende Überzeugung vom europäischen, in katholischer Tradition verwurzelten Charakter Polens wird ebenfalls gebührend aufgewiesen. Die zunächst äußerst brisanten Reisen des Papstes in sein Heimatland (1979, 1983, 1987) und die dabei von ihm gehaltenen Reden werden nachgezeichnet und ebenso die vielfältige Unterstützung, die er Solidarnosc gewährt hat.
Direkte Konfrontation mit den Regierenden in Moskau und Warschau geschickt vermeidend, hat der Papst die kommunistische Geschichts- und Gesellschaftsdoktrin argumentativ widerlegt und die Katholiken in den kommunistischen Ländern zur Selbstbehauptung ermutigt. Flankierend wirkte dafür die vatikanische Diplomatie, welche Johannes Paul II. sofort von dem unter seinem Vorvorgänger Paul VI. eingeschlagenen Kurs partiellen Entgegenkommens auf den der prinzipiellen Konfrontation zurückgeholt hat. Verbeek erinnert ausführlich daran, daß dies schon 1978/79 die DDR zu spüren bekam; die von ihr seit langem erbetene und im Vatikan inzwischen vorbereitete Anpassung der Diözesangrenzen an die Staatsgrenzen wurde sofort von der Tagesordnung abgesetzt und dadurch die kirchliche Teilung Deutschlands vereitelt. Überhaupt trat Johannes Paul II. dem Ostblock mutiger entgegen als viele westliche Regierungen. Zu Moskaus Reaktionen gehörte das bekannte Attentat im Jahre 1981. Doch der Papst, der im amerikanischen Präsidenten Reagan einen starken Verbündeten fand, ließ sich von seinem Kurs nicht abbringen; und Ende der achtziger Jahre suchte auch der sowjetische Staatspräsident Gorbatschow das Gespräch mit ihm.
Im Schlußkapitel lobt Verbeek den verstorbenen Papst dafür, daß er "die Demokratie vor ihrer Selbstzerstörung schützen" wollte, macht es sich aber zu einfach, wenn er die gegnerischen "Zeitgeister" generell als "realitätsblind" und als schlimme Opportunisten" abtut. Und wenn er das Wirken des Papstes in die große Tradition der Kirche stellt und mit Recht daran erinnert, daß schon diese seit Thomas von Aquin und nicht erst die Aufklärung den hohen Rang des Gewissens gewürdigt hat, dann wäre wohl auch zu fragen, ob der Vatikan mit der Gewissensfreiheit von Dissidenten in den eigenen Reihen in den beiden letzten Jahrzehnten stets im Sinne des heiligen Thomas umgegangen ist. Doch insgesamt ist dem früheren Vatikanbotschafter ein informatives, gut geschriebenes Buch über Persönlichkeit und Politik Johannes Pauls II. gelungen, leider jedoch ohne weiterführende Belege oder Literaturangaben.
RUDOLF LILL
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Persönlichkeit und Politik von Papst Johannes Paul II.
Paul Verbeek: Pilger gegen die Macht. Johannes Paul II. und der Zerfall des Sowjetimperiums. Sankt Ulrich Verlag, Augsburg 2005. 188 Seiten, 16,90 [Euro].
Es besteht wohl Konsens darüber, daß Johannes Paul II. die letzte große Figur des 20. Jahrhunderts war, daß er dessen beide schlimmen Totalitarismen ohne Anpassung an Gebote politischer Korrektheit reflektiert und zum Niedergang des zweiten von ihnen erheblich beigetragen hat. Aber in der Spätzeit seines Pontifikats hat sich im rechten Spektrum des Katholizismus eine Stimmung unkritischer, Papst, Papsttum und Kirche identifizierender Zustimmung verbreitet, von der auch dieses Buch nicht frei ist. Sein Verfasser - ein vielfach bewährter Diplomat - war von 1987 bis 1990 Botschafter der Bundesrepublik Deutschland beim Heiligen Stuhl. Oft rekurriert er auf seine dort gewonnenen Eindrücke.
Schon der Titel "Pilger gegen die Macht" enthält nur die halbe Wahrheit. Denn der polnische Papst war auf seinen vielen Reisen keineswegs nur ein Pilger. Durch seine Ubiquität demonstrierte er auch seine - die Bischöfe ins zweite Glied verweisende - Zuständigkeit für Regierung und Repräsentation der gesamten Kirche, welcher er seinen Willen, wo es ihm nötig erschien, aufgezwungen hat: gegen die Vertiefung des konziliären und synodalen Reformprozesses und durch die Einsetzung von Bischöfen, die ihm dabei zu Diensten waren, so in Lateinamerika, aber auch zum Beispiel in Köln, Chur oder Wien (in Deutschland schließlich wegen der bestens intendierten und Leben bewahrenden Beratung schwangerer Frauen). Daß Verbeek der Meinung ist, Johannes Paul II. sei insgesamt dem Zweiten Vatikanischen Konzil gefolgt, entspricht mehr der eingangs skizzierten Stimmung als der gewiß komplexen, aber insgesamt von erneuter Zentralisierung charakterisierten Geschichte der katholischen Kirche seit 1978.
In diesem Buch geht es vor allem um das Wirken nach außen, und darin hat Johannes Paul II. tatsächlich viele Impulse des Konzils verstärkt. Verbeek schildert ihn als Brückenbauer zwischen Konfessionen und Religionen und als Verteidiger europäischer Werte, als Mann des Friedens und als Kämpfer für die Freiheit. Und um diese ist es dem Papst in seiner hier breit aufgewiesenen Auseinandersetzung mit dem zu Beginn seines Pontifikats noch sehr mächtigen Kommunismus gegangen. Seine dafür mitentscheidende Überzeugung vom europäischen, in katholischer Tradition verwurzelten Charakter Polens wird ebenfalls gebührend aufgewiesen. Die zunächst äußerst brisanten Reisen des Papstes in sein Heimatland (1979, 1983, 1987) und die dabei von ihm gehaltenen Reden werden nachgezeichnet und ebenso die vielfältige Unterstützung, die er Solidarnosc gewährt hat.
Direkte Konfrontation mit den Regierenden in Moskau und Warschau geschickt vermeidend, hat der Papst die kommunistische Geschichts- und Gesellschaftsdoktrin argumentativ widerlegt und die Katholiken in den kommunistischen Ländern zur Selbstbehauptung ermutigt. Flankierend wirkte dafür die vatikanische Diplomatie, welche Johannes Paul II. sofort von dem unter seinem Vorvorgänger Paul VI. eingeschlagenen Kurs partiellen Entgegenkommens auf den der prinzipiellen Konfrontation zurückgeholt hat. Verbeek erinnert ausführlich daran, daß dies schon 1978/79 die DDR zu spüren bekam; die von ihr seit langem erbetene und im Vatikan inzwischen vorbereitete Anpassung der Diözesangrenzen an die Staatsgrenzen wurde sofort von der Tagesordnung abgesetzt und dadurch die kirchliche Teilung Deutschlands vereitelt. Überhaupt trat Johannes Paul II. dem Ostblock mutiger entgegen als viele westliche Regierungen. Zu Moskaus Reaktionen gehörte das bekannte Attentat im Jahre 1981. Doch der Papst, der im amerikanischen Präsidenten Reagan einen starken Verbündeten fand, ließ sich von seinem Kurs nicht abbringen; und Ende der achtziger Jahre suchte auch der sowjetische Staatspräsident Gorbatschow das Gespräch mit ihm.
Im Schlußkapitel lobt Verbeek den verstorbenen Papst dafür, daß er "die Demokratie vor ihrer Selbstzerstörung schützen" wollte, macht es sich aber zu einfach, wenn er die gegnerischen "Zeitgeister" generell als "realitätsblind" und als schlimme Opportunisten" abtut. Und wenn er das Wirken des Papstes in die große Tradition der Kirche stellt und mit Recht daran erinnert, daß schon diese seit Thomas von Aquin und nicht erst die Aufklärung den hohen Rang des Gewissens gewürdigt hat, dann wäre wohl auch zu fragen, ob der Vatikan mit der Gewissensfreiheit von Dissidenten in den eigenen Reihen in den beiden letzten Jahrzehnten stets im Sinne des heiligen Thomas umgegangen ist. Doch insgesamt ist dem früheren Vatikanbotschafter ein informatives, gut geschriebenes Buch über Persönlichkeit und Politik Johannes Pauls II. gelungen, leider jedoch ohne weiterführende Belege oder Literaturangaben.
RUDOLF LILL
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Ein "informatives, gut geschriebenes" Buch über Papst Johannes Paul II. hat der frühere Vatikanbotschafter Paul Verbeek hier vorgelegt, lobt Rezensent Rudolf Lill, auch wenn ihm einiges doch zu schönfärberisch daherkommt, etwa das im Titel aufgegriffene Wort des Pilgers. Denn, wie Lill meint, habe Johannes Paul mit seiner "Ubiquität" nicht Demut, sondern Allzuständigkeit unter Beweis stellen wollen. Auch dass Verbeek Papst-Kritiker als "realitätsblind" oder "schlimme Opportunisten" abtut, geht Lill zu weit. Positiv rechnet er dem Autor aber an, wie er insgesamt Persönlichkeit und Politik des Papstes schildert, den unerschütterlichen Kämpfer für den interkonfessionellen und -religiösen Dialog, die europäischen Werte und gegen den Kommunismus natürlich. Interessant scheint Lill hier besonders, wie Johannes Paul II. Bereits 1978 die vatikanische Diplomatie von ihrem Kurz des "partiellen Entgegenkommens auf den der prinzipiellen Konfrontation zurückgeholt" hat.
© Perlentaucher Medien GmbH
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