Seit seinem spektakulären Bestseller Die Spinne in der Yucca-Palme ist Rolf Wilhelm Brednich zum bekanntesten Sammler von "modernen Sagen" geworden. Sein neuester Band mit Sagenhaften Geschichten von heute berichtet unter anderem: Vom Ehepaar, dem in der französischen Hafenstadt Calais nicht nur das Auto, sondern dazu gleich die ganze Tiefgarage gestohlen wird. Von den Pinguinen in Rückenlage, die von Tierpflegern wieder aufgerichtet werden müssen. Vom eisernen Schneemann. Vom extrem gefährlichen Dihydrogen Monoxyd. Alle Geschichten sind wieder "absolut wahr", denn der Freund eines Freundes oder die Schwester eines Arbeitskollegen haben sie selbst erlebt ...
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 18.03.2004Im großen Haufen
Homo narrans narrt seine Zuhörer: Der neue Brednich ist da!
Mit den Worten „Nein, die Bücher über moderne Sagen von Rolf Wilhelm Brednich führen wir nicht. Da sollen schreckliche Geschichten drinstehen, die nur Angst machen. So etwas kann man den Lesern doch nicht zumuten”, schickt ein norddeutscher Kleinstadtbuchhändler in völliger Verkennung der Leserbedürfnisse eine Kundin in die Großstadt. Maria Baalmann erzählt diese Anekdote, in der Festschrift mit dem anspielungsreichen Titel „Der Hahn im Korb: allerneueste Geschichten um Rolf Wilhelm Brednich”. 1995 war das, zum 60. Geburtstag des Göttinger Volkskundlers.
Der brandneue Brednich ist da: „Pinguine in Rückenlage”. Acht Jahre haben die Leser auf einen Nachfolger der „Ratte am Strohhalm” warten müssen, dem bis dahin letzten Band der sagenhaften Geschichten von heute, der zusammen mit seinen drei Vorgängern „Die Spinne in der Yucca-Palme”, „Die Maus im Jumbo-Jet” und „Das Huhn mit dem Gipsbein” das populärste volkskundliche Sammelwerk seit den Kinder- und Hausmärchen der Brüder Grimm bildet.
„Pinguine in Rückenlage” versammelt 133 moderne Wandersagen, wie bei den Vorgängern aufgeteilt in Rubriken wie „Tierisches”, „Heiteres”, „Militärisches”. In Paderborn erstickt ein Tierpfleger im Elefantenkot, am Flughafen in Auckland verrät eine Videokamera ein Liebespaar, und die Veteranen des Falkland-Krieges beharren darauf, dass die Pinguine bei ihren Überflugmanövern umgekippt sind: „Die Köpfe der Tiere gingen hoch, höher, immer höher, und dann fielen Tausende gleichzeitig auf den Rücken.”
Moderne Sagen geben den kollektiven Erfahrungsschatz eines Volkes wieder, im mündlichen Erzählen artikulieren sich Ängste, Wünsche, Vorurteile. Alle Texte scheinen zu sagen: in den Nischen unseres durchdesignten Alltags lauert das Unbegreifliche. Auf diesen Zusammenhang weist Brednich immer wieder hin, deshalb möchte er seine Sammlungen nicht als reine Unterhaltungslektüre zum Lachen, Gruseln, Kopfschütteln missverstanden wissen. Alle Geschichten besitzen „ein Stück Wahrheit” und dienen der „Alltagsbewältigung”.
FLORIAN WELLE
ROLF WILHELM BREDNICH, Pinguine in Rückenlage. Brandneue sagenhafte Geschichten von heute. C.H. Beck Verlag, München 2004. 158 S., 6,90 Euro.
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Homo narrans narrt seine Zuhörer: Der neue Brednich ist da!
Mit den Worten „Nein, die Bücher über moderne Sagen von Rolf Wilhelm Brednich führen wir nicht. Da sollen schreckliche Geschichten drinstehen, die nur Angst machen. So etwas kann man den Lesern doch nicht zumuten”, schickt ein norddeutscher Kleinstadtbuchhändler in völliger Verkennung der Leserbedürfnisse eine Kundin in die Großstadt. Maria Baalmann erzählt diese Anekdote, in der Festschrift mit dem anspielungsreichen Titel „Der Hahn im Korb: allerneueste Geschichten um Rolf Wilhelm Brednich”. 1995 war das, zum 60. Geburtstag des Göttinger Volkskundlers.
Der brandneue Brednich ist da: „Pinguine in Rückenlage”. Acht Jahre haben die Leser auf einen Nachfolger der „Ratte am Strohhalm” warten müssen, dem bis dahin letzten Band der sagenhaften Geschichten von heute, der zusammen mit seinen drei Vorgängern „Die Spinne in der Yucca-Palme”, „Die Maus im Jumbo-Jet” und „Das Huhn mit dem Gipsbein” das populärste volkskundliche Sammelwerk seit den Kinder- und Hausmärchen der Brüder Grimm bildet.
„Pinguine in Rückenlage” versammelt 133 moderne Wandersagen, wie bei den Vorgängern aufgeteilt in Rubriken wie „Tierisches”, „Heiteres”, „Militärisches”. In Paderborn erstickt ein Tierpfleger im Elefantenkot, am Flughafen in Auckland verrät eine Videokamera ein Liebespaar, und die Veteranen des Falkland-Krieges beharren darauf, dass die Pinguine bei ihren Überflugmanövern umgekippt sind: „Die Köpfe der Tiere gingen hoch, höher, immer höher, und dann fielen Tausende gleichzeitig auf den Rücken.”
Moderne Sagen geben den kollektiven Erfahrungsschatz eines Volkes wieder, im mündlichen Erzählen artikulieren sich Ängste, Wünsche, Vorurteile. Alle Texte scheinen zu sagen: in den Nischen unseres durchdesignten Alltags lauert das Unbegreifliche. Auf diesen Zusammenhang weist Brednich immer wieder hin, deshalb möchte er seine Sammlungen nicht als reine Unterhaltungslektüre zum Lachen, Gruseln, Kopfschütteln missverstanden wissen. Alle Geschichten besitzen „ein Stück Wahrheit” und dienen der „Alltagsbewältigung”.
FLORIAN WELLE
ROLF WILHELM BREDNICH, Pinguine in Rückenlage. Brandneue sagenhafte Geschichten von heute. C.H. Beck Verlag, München 2004. 158 S., 6,90 Euro.
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