Wo immer die Frauen der "Gulabi Gang", der "pinkfarbenen Bande", in Aktion treten, sind sie eine eindrucksvolle Erscheinung mit ihren leuchtenden Saris - und den Bambusstöcken, die sie, wenn nötig, auch einsetzen. Sie wehren sich gegen die massive Gewalt, der Frauen in Indien oft ausgesetzt sind - im privaten wie im öffentlichen Raum. Gründerin und Anführerin der über 20.000 Mitglieder zählenden Selbstschutzgruppe ist Sampat Pal, Ende vierzig, charismatisch und unerschrocken. Fesselnd wie ein Roman erzählt Amana Fontanella-Khan die faszinierende Geschichte dieser unkonventionellen Frau und ihrer Gang.
Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Dass in diesem Buch nichts erfunden ist, ist für Karin Steinberger eigentlich eine Katastrophe. Auch was sich in der von der Journalistin Amana Fontanella-Khan verfassten Biografie über die indische Menschenrechtlerin Sampat Pal romanesk liest, ist wahr. Dazu gehört für Steinberger nicht zuletzt Pals Lebensgeschichte selbst, die von Spiritualität, Exotik und Goa meilenweit entfernt ist, wie die Rezensentin feststellt. Umso lesenswerter für Steinberger, wenn die Autorin dieses Leben präzise und ohne Übertreibungen darstellt und Vergangeheit und Gegenwart miteinander verknüpft. Sichbar werden für Steinberger die kaum erträglichen Lebensverhältnisse, insbesondere die der Frauen, in der größten Demokratie der Welt, und was eine einzelne starke Frau dagegen zu unternehmen imstande ist.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 30.05.2014Mut und Mundwerk lassen Mächtige zittern
Geführt von einer entschlossenen Frau: Amana Fontanella-Khan beschreibt die einflussreiche indische Protestbewegung "Pink Sari".
Seit einiger Zeit steht Indien in den Schlagzeilen. Nicht nur wegen der unlängst abgehaltenen Parlamentswahlen in der größten Demokratie der Welt oder als aufstrebende und dennoch prekäre Weltwirtschaftsmacht, sondern auch mit Berichten über Gewalt gegen Frauen, insbesondere seit der besonders brutalen und für das Opfer tödlich endenden Gruppenvergewaltigung einer indischen Studentin in Delhi im Dezember 2012.
Auch das Buch "Pink Sari Revolution" der Journalistin Amana Fontanella-Khan handelt von dieser Gewalt. Es ist ein Buch über Sampat Pal, die Anführerin einer "Rosa Gang" genannten Selbstschutzgruppe. Im Mittelpunkt steht die Vergewaltigung von Sheela, einer jungen Frau, die von Handlangern eines lokalen Politikers entführt wird, weil der Vater des Mädchens mit ihrer Liebesbeziehung nicht einverstanden ist und sie deshalb dem Abgeordneten als "Dienstmädchen" in dessen Haushalt anbietet. Um die dort stattfindende Vergewaltigung zu überdecken, wird Sheela ein Diebstahl untergeschoben, und sie landet im Gefängnis.
Sampat Pal und ihre Anhängerinnen setzen sich zum Ziel, die Gefangene durch einen fairen Prozess freizubekommen. Dabei stoßen sie auf ein Dickicht von polizeilicher Willkür, politischer Korruption, familiärer und sozialer Gewalt, aber auch auf mutige Frauenrechtlerinnen und zur Aufdeckung entschlossene lokale Medien. So entsteht vor den Augen der Leser ein engmaschiges Netz von Ambivalenzen zwischen Emanzipation und Unterdrückung, Demokratie und Feudalismus, starken Individuen und mächtigen Sozialzwängen.
Unbeeindruckt von patriarchalen Strukturen und politischer Korruption fordert Sampat Pal mit Aufsehen erregenden und weitgehend gewaltfreien Protestformen Recht und Gerechtigkeit für die Schwachen in Uttar Pradesh, einem der ärmsten Bundesstaaten Indiens. Fontanella-Khan beschreibt immer wieder Szenen, in denen Sampat Pal die Mächtigen herausfordert und dabei um die Risiken ihres Vorgehens weiß. Das Buch berichtet von Todesdrohungen gegen ihre Familie.
Sampat Pals Bewegung, von der Autorin etwas überspitzt als "Revolution" bezeichnet, ähnelt anderen Protestbewegungen, bei denen Frauen in den Mittelpunkt rücken, wenn auch mit sehr unterschiedlichen Methoden und medialer Präsenz: etwa den Aktivistinnen von "Pussy Riot" und den Femen-Frauen oder den Gezi-Park-Demonstrationen im Arabischen Frühling. Entfesselt durch wirtschaftliche Globalisierung und digitale Vernetzung, scheinen diese Gruppen zu einem neuen Sozialtyp geworden zu sein, bei denen Frauen oft an vorderster Front agieren.
In Indiens urbanen Zentren manifestiert sich zunehmend Protest, etwa gegen Korruption oder die Errichtung von Sonderwirtschaftszonen, die mit Enteignung und Umsiedlung einhergehen. Für die Autorin ist Sampat Pal jedoch kein "global warrior", Machtzentren wie Delhi sind weit entfernt, und selbst die lokale Regierung interessierte sich erst für sie, als der Fall von Sheela durch die Medien nationale Sichtbarkeit und politische Brisanz erhielt. Zwar hat Indien durchaus eine eigene Tradition lokaler Protestkultur. Aber mit der Pink-Sari-Bewegung scheint doch ein neuer Typus von Protest auf den Plan zu treten: eine Bewegung, die "von unten" organisiert wird, angeführt von einer Frau ohne Schulbildung und ohne Kenntnis von globalen Zusammenhängen. Und so wirkt die Darstellung von Sampat Pal in diesem Buch beinahe wie eine entrückte, romantische Geschichte.
Die einst dörfliche Pink-Sari-Bewegung hat inzwischen so viel Aufmerksamkeit bekommen, dass sie heute über eine eigene englischsprachige Website verfügt. Tatsächlich trägt die Biographie der Frauenrechtlerin, die mit der ständigen Erfahrung von Armut und Kastendiskriminierung aufwuchs, sich selbst das Lesen und Schreiben beibrachte, mit zwölf Jahren zwangsverheiratet wurde, nun aber von hochrangigen Politikerinnen wie Sonia Gandhi in Delhi empfangen wird und in ihrer Heimatstadt im Rahmen einer Regionalwahl für die Kongress-Partei kandidierte, Elemente einer griechischen Tragödie und der Hindumythologie in sich. Sampat Pal ist zugleich Mänade und die kriegerische Göttin Kali. Man muss sich vor ihrem rasenden Zorn, ihrem stählernen Mut und ihrem flinken Mundwerk fürchten, ob man nun Mann oder Frau, Politiker oder Polizist ist. Sie hat ihre "Gang" auf über 150 000 Anhängerinnen erweitert, ausgestattet mit Stöcken und rosafarbenen Saris - rosa, weil das weder eine politisch noch religiös oder ethnisch konnotierte Farbe war.
Amana Fontanella-Khan pendelt mit ihrer Darstellung zwischen fast dokumentarischer Reportage und erzählerischen Elementen, in die sie knappe Ausführungen zu Kastenstruktur und Politik einstreut. In Interviews hat sie wiederholt erklärt, dass ihr viel daran gelegen ist, Frauen in Indien mit dem Buch nicht nur als Opfer zu porträtieren, sondern ausgestattet mit Handlungsmacht. Sie zeichnet das Porträt eines Landes, das immer wieder Menschen wie Sampat Pal hervorbringt: mit klarer Stimme, entschieden und standhaft.
CHRISTIANE BROSIUS.
Amana Fontanella-Khan: "Pink Sari Revolution". Die Geschichte von Sampat Pal, der Gulabi Gang und ihrem Kampf für die Frauen Indiens.
Übersetzt von Barbara Schaden. Hanser Verlag, Berlin 2014. 272 S., geb., 19,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Geführt von einer entschlossenen Frau: Amana Fontanella-Khan beschreibt die einflussreiche indische Protestbewegung "Pink Sari".
Seit einiger Zeit steht Indien in den Schlagzeilen. Nicht nur wegen der unlängst abgehaltenen Parlamentswahlen in der größten Demokratie der Welt oder als aufstrebende und dennoch prekäre Weltwirtschaftsmacht, sondern auch mit Berichten über Gewalt gegen Frauen, insbesondere seit der besonders brutalen und für das Opfer tödlich endenden Gruppenvergewaltigung einer indischen Studentin in Delhi im Dezember 2012.
Auch das Buch "Pink Sari Revolution" der Journalistin Amana Fontanella-Khan handelt von dieser Gewalt. Es ist ein Buch über Sampat Pal, die Anführerin einer "Rosa Gang" genannten Selbstschutzgruppe. Im Mittelpunkt steht die Vergewaltigung von Sheela, einer jungen Frau, die von Handlangern eines lokalen Politikers entführt wird, weil der Vater des Mädchens mit ihrer Liebesbeziehung nicht einverstanden ist und sie deshalb dem Abgeordneten als "Dienstmädchen" in dessen Haushalt anbietet. Um die dort stattfindende Vergewaltigung zu überdecken, wird Sheela ein Diebstahl untergeschoben, und sie landet im Gefängnis.
Sampat Pal und ihre Anhängerinnen setzen sich zum Ziel, die Gefangene durch einen fairen Prozess freizubekommen. Dabei stoßen sie auf ein Dickicht von polizeilicher Willkür, politischer Korruption, familiärer und sozialer Gewalt, aber auch auf mutige Frauenrechtlerinnen und zur Aufdeckung entschlossene lokale Medien. So entsteht vor den Augen der Leser ein engmaschiges Netz von Ambivalenzen zwischen Emanzipation und Unterdrückung, Demokratie und Feudalismus, starken Individuen und mächtigen Sozialzwängen.
Unbeeindruckt von patriarchalen Strukturen und politischer Korruption fordert Sampat Pal mit Aufsehen erregenden und weitgehend gewaltfreien Protestformen Recht und Gerechtigkeit für die Schwachen in Uttar Pradesh, einem der ärmsten Bundesstaaten Indiens. Fontanella-Khan beschreibt immer wieder Szenen, in denen Sampat Pal die Mächtigen herausfordert und dabei um die Risiken ihres Vorgehens weiß. Das Buch berichtet von Todesdrohungen gegen ihre Familie.
Sampat Pals Bewegung, von der Autorin etwas überspitzt als "Revolution" bezeichnet, ähnelt anderen Protestbewegungen, bei denen Frauen in den Mittelpunkt rücken, wenn auch mit sehr unterschiedlichen Methoden und medialer Präsenz: etwa den Aktivistinnen von "Pussy Riot" und den Femen-Frauen oder den Gezi-Park-Demonstrationen im Arabischen Frühling. Entfesselt durch wirtschaftliche Globalisierung und digitale Vernetzung, scheinen diese Gruppen zu einem neuen Sozialtyp geworden zu sein, bei denen Frauen oft an vorderster Front agieren.
In Indiens urbanen Zentren manifestiert sich zunehmend Protest, etwa gegen Korruption oder die Errichtung von Sonderwirtschaftszonen, die mit Enteignung und Umsiedlung einhergehen. Für die Autorin ist Sampat Pal jedoch kein "global warrior", Machtzentren wie Delhi sind weit entfernt, und selbst die lokale Regierung interessierte sich erst für sie, als der Fall von Sheela durch die Medien nationale Sichtbarkeit und politische Brisanz erhielt. Zwar hat Indien durchaus eine eigene Tradition lokaler Protestkultur. Aber mit der Pink-Sari-Bewegung scheint doch ein neuer Typus von Protest auf den Plan zu treten: eine Bewegung, die "von unten" organisiert wird, angeführt von einer Frau ohne Schulbildung und ohne Kenntnis von globalen Zusammenhängen. Und so wirkt die Darstellung von Sampat Pal in diesem Buch beinahe wie eine entrückte, romantische Geschichte.
Die einst dörfliche Pink-Sari-Bewegung hat inzwischen so viel Aufmerksamkeit bekommen, dass sie heute über eine eigene englischsprachige Website verfügt. Tatsächlich trägt die Biographie der Frauenrechtlerin, die mit der ständigen Erfahrung von Armut und Kastendiskriminierung aufwuchs, sich selbst das Lesen und Schreiben beibrachte, mit zwölf Jahren zwangsverheiratet wurde, nun aber von hochrangigen Politikerinnen wie Sonia Gandhi in Delhi empfangen wird und in ihrer Heimatstadt im Rahmen einer Regionalwahl für die Kongress-Partei kandidierte, Elemente einer griechischen Tragödie und der Hindumythologie in sich. Sampat Pal ist zugleich Mänade und die kriegerische Göttin Kali. Man muss sich vor ihrem rasenden Zorn, ihrem stählernen Mut und ihrem flinken Mundwerk fürchten, ob man nun Mann oder Frau, Politiker oder Polizist ist. Sie hat ihre "Gang" auf über 150 000 Anhängerinnen erweitert, ausgestattet mit Stöcken und rosafarbenen Saris - rosa, weil das weder eine politisch noch religiös oder ethnisch konnotierte Farbe war.
Amana Fontanella-Khan pendelt mit ihrer Darstellung zwischen fast dokumentarischer Reportage und erzählerischen Elementen, in die sie knappe Ausführungen zu Kastenstruktur und Politik einstreut. In Interviews hat sie wiederholt erklärt, dass ihr viel daran gelegen ist, Frauen in Indien mit dem Buch nicht nur als Opfer zu porträtieren, sondern ausgestattet mit Handlungsmacht. Sie zeichnet das Porträt eines Landes, das immer wieder Menschen wie Sampat Pal hervorbringt: mit klarer Stimme, entschieden und standhaft.
CHRISTIANE BROSIUS.
Amana Fontanella-Khan: "Pink Sari Revolution". Die Geschichte von Sampat Pal, der Gulabi Gang und ihrem Kampf für die Frauen Indiens.
Übersetzt von Barbara Schaden. Hanser Verlag, Berlin 2014. 272 S., geb., 19,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 11.06.2014Brüchige Rechte,
schwankender Grund
Die indische Gulabi Gang kämpft für Frauen
Natürlich hat man von ihr gehört: Sampat Pal, Gründerin der Gulabi Gang, Anführerin Tausender Frauen, die sich seit Jahren wehren gegen das, was ihnen jeden Tag angetan wird, mit Stöcken bewaffnet, in rosa Tuch gewickelt – ausgerechnet. Sampat Pal ist eine Legende in Indien, seit sie einem Subinspektor der Polizei in der kleinen Stadt Attara vor laufenden Kameras erst einen Aktenordner auf den Kopf geknallt und ihn dann mit einem Bambusstock verprügelt hat.
Das ist einigermaßen aufsehenerregend in einem Land, in dem es üblich ist, die Füße eines Polizisten zu küssen, wenn man weder genug Geld noch genug Einfluss hat, um ihn dazu zu bringen, seine Pflicht zu tun.
Aber Sampat Pal hat noch nie interessiert, was man von ihr erwartet. Und dass sich seit den brutalen Vergewaltigungen in Indien plötzlich Menschen aus der ganzen Welt für ihren Kampf gegen die Unterdrückung der Frauen interessieren, findet sie fast schon lachhaft. Als hätte es das nicht schon lange davor gegeben: Männer, die ihre Frauen verprügeln und schmähen und töten, Schwiegermütter, die ihre Schwiegertöchter anzünden, Polizisten, die Vergewaltigte gleich noch mal vergewaltigen. Das ist ihr Leben.
Es wurden Artikel über Sampat Pal geschrieben, Dokumentationen über sie gedreht, sie hat Preise gewonnen, sie stand beim Kurzfilmfestival im Schnee von Norwegen, ging kurzzeitig sogar in die Politik, ohne Erfolg, und sie war Kandidatin bei „Big Boss“, der indischen Version von „Big Brother“, auch wenn sie aus der Show schneller rausflog als aus den Büros vieler Polizisten. Jetzt hat auch noch die pakistanisch-irische, in Wien geborene und in Brüssel lebende Journalistin Amana Fontanella-Khan ein Buch über sie geschrieben, und man fragt sich: Muss das sein?
Ja, es muss. Man kann es nicht oft genug schreiben, was Frauen in Indien jeden Tag und in jeder Stunde und immer wieder angetan wird, mitten im 21. Jahrhundert, mitten in der größten Demokratie der Welt. Und nirgendwo werden Frauen in solcher Zahl misshandelt wie in Bundelkhand, wo Sampat Pal lebt. Natürlich wird sich die Autorin dem Gemaule der realitätsresistenten Gutmenschen stellen müssen, die nach einem vierwöchigen Urlaub meinen zu wissen, dass es sich bei all dem wieder mal um die maßlose Übertreibungen einer Journalistin handelt. Der Westen hat sich aus diesem Land immer schon herausgefischt, was er gerade am besten gebrauchen konnte: Spiritualität, Diamanten, Exotik, wilde Feste in Goa. Dass vergewaltigende Männer und verkaufte Frauen auch ein Teil der indischen Realität sind: alles übertrieben?
Amana Fontanella-Khans Buch hat all das nicht, es hat weder den verklärten Blick noch die schwer zu ertragende Besserwisserei des Westens. Es erzählt ganz einfach und mit unglaublicher Präzision das Leben der Sampat Pal Devi, die geboren wurde an einem Tag, den sie nicht kennt, in einem Bundesstaat, der nicht ohne Grund als der Wilde Westen Indiens bezeichnet wird: Uttar Pradesh, in dem fast ein Viertel der gewählten Parlamentsabgeordneten wegen krimineller Vergehen angeklagt ist, nicht wenige von ihnen sind richtige Verbrecher: Mörder, Vergewaltiger, Entführer. Das Land ist von Korruption zerfressen. Wer hier Gerechtigkeit will, muss die Beamten bestechen oder er muss berühmt sein. Es ist ein Rechtssystem wie Treibsand, schwankender Boden. Für Frauen und Unberührbare erst recht.
Wie viele Frauen hier wurde Sampat Pal mit zwölf Jahren verheiratet, mit 14 bekam sie ihr erstes Kind, mit Anfang 20 hatte sie fünf Kinder. Ihre eigene Hochzeit fand sie lustig, die vielen Gäste, das gute Essen. Sie wusste nicht, dass es ihr Fest war und dass von nun an von ihr erwartet wird, wie all die anderen Frauen nur noch einmal am Tag das Haus zu verlassen, um zum Brunnen zu gehen, verschleiert natürlich.
Wer Sampat Pal kennt, weiß, dass sie eine große Geschichtenerzählerin ist, aber keinesfalls eine, an die man leicht herankommt. Sie erzählt wahllos, unstrukturiert und höchst selbstgefällig. Wenn man sie zu ihrer Jugend fragt, erzählt sie erst einmal und ausschließlich von dem, was sie gestern getan hat. Umso erstaunlicher ist, was Amana Fontanella-Khan dieser Frau über sich selbst entlockt hat, über ihre Kindheit, als sie den Jungs im Dorf Prügel androhte, wenn sie ihr nicht beibrachten, was in der Schule gelehrt wurde. Sie durfte ja nicht, sie war ein Mädchen.
Sampat Pal ist fleischgewordenes soziales Gewissen, aber sie ist bestimmt keine Vorzeigefrau der indischen Emanzipationsbewegung: eine Analphabetin, unkontrollierbar, laut, wild, eine einzige Provokation, schon als Kind kaum einzufangen, als junge Frau dann gar nicht mehr. Sie riss sich vor den Leuten den Schleier vom Gesicht, schlug den Nachbarn, wenn der seine Frau schlug, sie zwang den eigenen Mann, aus dem Haus der Schwiegereltern auszuziehen, eine Ungeheuerlichkeit. All das Vergangene webt Amana Fontanella-Khan hinein in das, was Sampat Pal heute macht, wenn sie Mädchen hilft, denen keiner hilft, wenn sie Politiker vor Gericht zerrt, aber auch, wenn sie sich verrennt in die Politik. Die Autorin hat Menschen befragt aus Sampat Pals Umfeld, die ihre Fehler und ihren Mut einordnen, und Sampat Pals Mann, der mürrisch vor dem rosa gestrichenen Haus sitzt – machtlos.
Was bleibt ist die Geschichte einer Frau, wie sie der indische Subkontinent immer wieder hervorgebracht hat: Kämpferinnen, gegen die niemand ankommt, weil man ihnen keine Angst mehr machen kann. Sampat Pals Leben ist wie ein Roman. Und so fängt das Buch auch gleich an wie ein Roman, mit einer Prügelszene, in der ein Bauer über einem Feuer hängt und geschlagen wird von den Schergen des korrupten Politikers. Seine Tochter soll eine Diebin sein, sagt der Politiker. Der Politiker hat mich vergewaltigt, sagt das Kind.
Alles erfunden? Leider nein.
KARIN STEINBERGER
Amana Fontanella-Khan: Pink Sari Revolution – Die Geschichte von Sampat Pal, der Gulabi Gang und ihrem Kampf für die Frauen Indiens. Deutsch von Barbara Schaden. Hanser Berlin 2014. 271 Seiten, 19,90 Euro. E-Book 15,99 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
schwankender Grund
Die indische Gulabi Gang kämpft für Frauen
Natürlich hat man von ihr gehört: Sampat Pal, Gründerin der Gulabi Gang, Anführerin Tausender Frauen, die sich seit Jahren wehren gegen das, was ihnen jeden Tag angetan wird, mit Stöcken bewaffnet, in rosa Tuch gewickelt – ausgerechnet. Sampat Pal ist eine Legende in Indien, seit sie einem Subinspektor der Polizei in der kleinen Stadt Attara vor laufenden Kameras erst einen Aktenordner auf den Kopf geknallt und ihn dann mit einem Bambusstock verprügelt hat.
Das ist einigermaßen aufsehenerregend in einem Land, in dem es üblich ist, die Füße eines Polizisten zu küssen, wenn man weder genug Geld noch genug Einfluss hat, um ihn dazu zu bringen, seine Pflicht zu tun.
Aber Sampat Pal hat noch nie interessiert, was man von ihr erwartet. Und dass sich seit den brutalen Vergewaltigungen in Indien plötzlich Menschen aus der ganzen Welt für ihren Kampf gegen die Unterdrückung der Frauen interessieren, findet sie fast schon lachhaft. Als hätte es das nicht schon lange davor gegeben: Männer, die ihre Frauen verprügeln und schmähen und töten, Schwiegermütter, die ihre Schwiegertöchter anzünden, Polizisten, die Vergewaltigte gleich noch mal vergewaltigen. Das ist ihr Leben.
Es wurden Artikel über Sampat Pal geschrieben, Dokumentationen über sie gedreht, sie hat Preise gewonnen, sie stand beim Kurzfilmfestival im Schnee von Norwegen, ging kurzzeitig sogar in die Politik, ohne Erfolg, und sie war Kandidatin bei „Big Boss“, der indischen Version von „Big Brother“, auch wenn sie aus der Show schneller rausflog als aus den Büros vieler Polizisten. Jetzt hat auch noch die pakistanisch-irische, in Wien geborene und in Brüssel lebende Journalistin Amana Fontanella-Khan ein Buch über sie geschrieben, und man fragt sich: Muss das sein?
Ja, es muss. Man kann es nicht oft genug schreiben, was Frauen in Indien jeden Tag und in jeder Stunde und immer wieder angetan wird, mitten im 21. Jahrhundert, mitten in der größten Demokratie der Welt. Und nirgendwo werden Frauen in solcher Zahl misshandelt wie in Bundelkhand, wo Sampat Pal lebt. Natürlich wird sich die Autorin dem Gemaule der realitätsresistenten Gutmenschen stellen müssen, die nach einem vierwöchigen Urlaub meinen zu wissen, dass es sich bei all dem wieder mal um die maßlose Übertreibungen einer Journalistin handelt. Der Westen hat sich aus diesem Land immer schon herausgefischt, was er gerade am besten gebrauchen konnte: Spiritualität, Diamanten, Exotik, wilde Feste in Goa. Dass vergewaltigende Männer und verkaufte Frauen auch ein Teil der indischen Realität sind: alles übertrieben?
Amana Fontanella-Khans Buch hat all das nicht, es hat weder den verklärten Blick noch die schwer zu ertragende Besserwisserei des Westens. Es erzählt ganz einfach und mit unglaublicher Präzision das Leben der Sampat Pal Devi, die geboren wurde an einem Tag, den sie nicht kennt, in einem Bundesstaat, der nicht ohne Grund als der Wilde Westen Indiens bezeichnet wird: Uttar Pradesh, in dem fast ein Viertel der gewählten Parlamentsabgeordneten wegen krimineller Vergehen angeklagt ist, nicht wenige von ihnen sind richtige Verbrecher: Mörder, Vergewaltiger, Entführer. Das Land ist von Korruption zerfressen. Wer hier Gerechtigkeit will, muss die Beamten bestechen oder er muss berühmt sein. Es ist ein Rechtssystem wie Treibsand, schwankender Boden. Für Frauen und Unberührbare erst recht.
Wie viele Frauen hier wurde Sampat Pal mit zwölf Jahren verheiratet, mit 14 bekam sie ihr erstes Kind, mit Anfang 20 hatte sie fünf Kinder. Ihre eigene Hochzeit fand sie lustig, die vielen Gäste, das gute Essen. Sie wusste nicht, dass es ihr Fest war und dass von nun an von ihr erwartet wird, wie all die anderen Frauen nur noch einmal am Tag das Haus zu verlassen, um zum Brunnen zu gehen, verschleiert natürlich.
Wer Sampat Pal kennt, weiß, dass sie eine große Geschichtenerzählerin ist, aber keinesfalls eine, an die man leicht herankommt. Sie erzählt wahllos, unstrukturiert und höchst selbstgefällig. Wenn man sie zu ihrer Jugend fragt, erzählt sie erst einmal und ausschließlich von dem, was sie gestern getan hat. Umso erstaunlicher ist, was Amana Fontanella-Khan dieser Frau über sich selbst entlockt hat, über ihre Kindheit, als sie den Jungs im Dorf Prügel androhte, wenn sie ihr nicht beibrachten, was in der Schule gelehrt wurde. Sie durfte ja nicht, sie war ein Mädchen.
Sampat Pal ist fleischgewordenes soziales Gewissen, aber sie ist bestimmt keine Vorzeigefrau der indischen Emanzipationsbewegung: eine Analphabetin, unkontrollierbar, laut, wild, eine einzige Provokation, schon als Kind kaum einzufangen, als junge Frau dann gar nicht mehr. Sie riss sich vor den Leuten den Schleier vom Gesicht, schlug den Nachbarn, wenn der seine Frau schlug, sie zwang den eigenen Mann, aus dem Haus der Schwiegereltern auszuziehen, eine Ungeheuerlichkeit. All das Vergangene webt Amana Fontanella-Khan hinein in das, was Sampat Pal heute macht, wenn sie Mädchen hilft, denen keiner hilft, wenn sie Politiker vor Gericht zerrt, aber auch, wenn sie sich verrennt in die Politik. Die Autorin hat Menschen befragt aus Sampat Pals Umfeld, die ihre Fehler und ihren Mut einordnen, und Sampat Pals Mann, der mürrisch vor dem rosa gestrichenen Haus sitzt – machtlos.
Was bleibt ist die Geschichte einer Frau, wie sie der indische Subkontinent immer wieder hervorgebracht hat: Kämpferinnen, gegen die niemand ankommt, weil man ihnen keine Angst mehr machen kann. Sampat Pals Leben ist wie ein Roman. Und so fängt das Buch auch gleich an wie ein Roman, mit einer Prügelszene, in der ein Bauer über einem Feuer hängt und geschlagen wird von den Schergen des korrupten Politikers. Seine Tochter soll eine Diebin sein, sagt der Politiker. Der Politiker hat mich vergewaltigt, sagt das Kind.
Alles erfunden? Leider nein.
KARIN STEINBERGER
Amana Fontanella-Khan: Pink Sari Revolution – Die Geschichte von Sampat Pal, der Gulabi Gang und ihrem Kampf für die Frauen Indiens. Deutsch von Barbara Schaden. Hanser Berlin 2014. 271 Seiten, 19,90 Euro. E-Book 15,99 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
"Amana Fontanella-Khan dokumentiert in ihrem fesselnden Buch 'Pink Sari Revolution', dass selbst im bitterarmen Landesteil Uttar Pradesh der Widerstand wächst." Michael Holmes, NZZ am Sonntag, 23.02.14
"Diese bewegende Reportage zeigt, warum das neue Indien nicht ohne seine Frauen erbaut werden kann." Michael Holmes, NZZ am Sonntag, 23.02.14
"Amana Fontanella-Khan beschreibt in einem einfühlsamen Porträt die bewegende Geschichte einer Frau, die gegen alle Normen kämpft." Tobias Matern, Süddeutsche Zeitung, 03.06.14
"Amana Fontanella-Khan beschreibt die einflussreiche indische Protestbewegung "Pink Sari" und zeichnet das Porträt eines Landes, das immer wieder Menschen wie Sampat Pal hervorbringt: mit klarer Stimme, entschieden und standhaft" Christiane Brosius, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 30.05.2014
"Amana Fontanella-Khans Buch erzählt ganz einfach und mit unglaublicher Präsision das Leben der Sampat Pal Devi." Karin Steinberger, Süddeutsche Zeitung, 11.06.14
"Diese bewegende Reportage zeigt, warum das neue Indien nicht ohne seine Frauen erbaut werden kann." Michael Holmes, NZZ am Sonntag, 23.02.14
"Amana Fontanella-Khan beschreibt in einem einfühlsamen Porträt die bewegende Geschichte einer Frau, die gegen alle Normen kämpft." Tobias Matern, Süddeutsche Zeitung, 03.06.14
"Amana Fontanella-Khan beschreibt die einflussreiche indische Protestbewegung "Pink Sari" und zeichnet das Porträt eines Landes, das immer wieder Menschen wie Sampat Pal hervorbringt: mit klarer Stimme, entschieden und standhaft" Christiane Brosius, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 30.05.2014
"Amana Fontanella-Khans Buch erzählt ganz einfach und mit unglaublicher Präsision das Leben der Sampat Pal Devi." Karin Steinberger, Süddeutsche Zeitung, 11.06.14