Der vorliegende Band untersucht anhand von sechs künstlerischen Wegbereitern die Geschichte dieser noch jungen Gattung, die ihr Entstehen der Entwicklung der Computertechnologie verdankt.
Detaillierte Werkbeschreibungen der Pioniere interaktiver Kunst von 1970 bis heute, darunter Ken Feingold, Lynn Hershman und Myron Krueger, vermitteln einen Eindruck vom Spektrum der individuellen künstlerischen Konzepte und machen die Publikation zu einem hochaktuellen, anregenden Diskussionsbeitrag zu dieser "dialogischen" Kunstform.
Detaillierte Werkbeschreibungen der Pioniere interaktiver Kunst von 1970 bis heute, darunter Ken Feingold, Lynn Hershman und Myron Krueger, vermitteln einen Eindruck vom Spektrum der individuellen künstlerischen Konzepte und machen die Publikation zu einem hochaktuellen, anregenden Diskussionsbeitrag zu dieser "dialogischen" Kunstform.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 24.09.1997Die Maus befreit die Kunst
Pioniere unter sich: Söke Dinkla über interaktive Kunst
Nachdem Technologien mit hohen elektronischen Speicherkapazitäten, wie zum Beispiel Videodiscs, "berührungsempfindliche Bildschirme" und Accessoires wie Datenhandschuhe zur Verfügung stehen, kursiert der Begriff der "Interaktiven Kunst". Seit 1982 wird die Vokabel "Interaktion" als Beleg für den Fortschritt der Medienwissenschaft angeführt. Jetzt legt Söke Dinkla mit dem Band "Pioniere Interaktiver Kunst" erstmals eine gründliche Untersuchung des Phänomens vor.
Sie beginnt mit den avantgardistischen Sparten der siebziger Jahre: Video, Performance, Expanded Cinema, Klangkunst, Environment und Installation. Sie alle stehen in Verbindung zu den hochentwickelten, digitalisierten Computerwissenschaften. Leider unterstützt diese Auswahl die Tendenz "America first". Der größte Teil interaktiver Projekte, die hier sehr anschaulich zur Diskussion gestellt werden, stammt von Künstlern, die in den Vereinigten Staaten leben: Myron Krueger, Lynn Hershman, Grahame Weinbren und Ken Feingold. So eröffnet bloß noch das letzte Kapitel kurze Ausblicke auf die Szene, die sich seit Anfang der neunziger Jahre nach Europa verlagert hat. Die sorgfältig gesammelten Belege sowie detaillierte, kompetente Einschätzungen dürften diese Studie zum Klassiker werden lassen.
Besonders viel Mühe widmet die Autorin der detaillierten Beschreibung der jeweils verwendeten Technologien und ihrer Standards. Dabei gelingt es ihr, die vielfach gebündelten philosophischen Verbindungen zwischen den zurückliegenden historischen Avantgardekünsten - Futurismus, Dadaismus, der Art-and-Technology-Bewegung der sechziger Jahre, den Happenings - und den neuen digitalen Feldern deutlich zu machen.
Dinkla verfällt nicht in Technologielobrednerei und widersteht den fundamentalistisch angehauchten Freiheitsräuschen, zu denen die virtuellen Künste als simulierte Wunderkammern der Hochtechnologie einzuladen scheinen. Sie ist vielmehr in kleinen Schritten bemüht, das bis jetzt gesammelte künstlerische Beweismaterial einer genauen Diagnose zu unterziehen. Dabei wird erkennbar, wie computergenerierte Kunst die konventionelle akademische Systematisierung von Fragestellungen außer Kraft setzt. Daß Dinkla den theoretischen Faden - in zahlreich notierten Einschüben und Querverweisen - bisweilen verliert, erschwert zwar die überaus anregende Lektüre, eröffnet aber andererseits das Thema für einen großen Fundus technik-, kultur- und am Rande zudem sozialgeschichtlicher Fragen.
Während Dinkla Strukturen als "avantgardistisch" beschreibt, die sich bei interaktiven Spielmöglichkeiten per Mausklick verborgen durchsetzen - wie nicht-lineare Gliederungen, Verzweigungen, mögliche Zeitsprünge -, wird auch deutlich, daß sich "Interaktive Kunstwerke" zumindest bis jetzt in hohem Maße durch Inhalte, Narrationen und immaterielle "Bild"-Erzählungen vermitteln, die die Künstler hier in Gebrauchsformen zwingen. Bilder werden in Algorithmen gespeichert, sind beinahe "anzuklicken".
Lynn Hershmans interaktive Multimedia-Guckkästen überzeugen als kompakte Weiterentwicklung des feministischen Kinos: "Room of One's Own" und das dekouvrierende "Deep Contact" provozieren kräftig Kritik am "Mythos des intuitiven Spielens". Die Künstlerin läßt kulturelle Regelkreisläufe transparent werden, da sie in effigie in der Immaterialität der "Monitorbilder" durch Kunstgriffe wiederholt die Subjekte anbietet, deren Verlust interaktive Kunst oft in Kauf nimmt. Sie problematisiert jedoch dabei die Identifikation mit Frauenbildern in Politik und Medien.
Söke Dinklas Studie hat eindeutige Verdienste: Alle Mikrobereiche computergenerierter Künste sind in Hinsicht auf ihre formale, stilistische und thematische Präsenz gründlich untersucht. Hier wird der systematisierende Zugriff der Kunsthistorikerin sichtbar. Mitunter jedoch gerieten Äußerungen zu medienpolitischen Standorten der Künstler zu schlichten Vermutungen und Anspielungen. Dann spricht die Autorin schlagwortartig von "idealistischen, fatalistischen und kritischen Positionen", ohne zu erläutern, was sie darunter versteht. GISLIND NABAKOWSKI
Söke Dinkla: "Pioniere interaktiver Kunst von 1970 bis heute". Edition ZKM im Cantz Verlag, Ostfildern 1997. 271 S., Abb., br., 48,- DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Pioniere unter sich: Söke Dinkla über interaktive Kunst
Nachdem Technologien mit hohen elektronischen Speicherkapazitäten, wie zum Beispiel Videodiscs, "berührungsempfindliche Bildschirme" und Accessoires wie Datenhandschuhe zur Verfügung stehen, kursiert der Begriff der "Interaktiven Kunst". Seit 1982 wird die Vokabel "Interaktion" als Beleg für den Fortschritt der Medienwissenschaft angeführt. Jetzt legt Söke Dinkla mit dem Band "Pioniere Interaktiver Kunst" erstmals eine gründliche Untersuchung des Phänomens vor.
Sie beginnt mit den avantgardistischen Sparten der siebziger Jahre: Video, Performance, Expanded Cinema, Klangkunst, Environment und Installation. Sie alle stehen in Verbindung zu den hochentwickelten, digitalisierten Computerwissenschaften. Leider unterstützt diese Auswahl die Tendenz "America first". Der größte Teil interaktiver Projekte, die hier sehr anschaulich zur Diskussion gestellt werden, stammt von Künstlern, die in den Vereinigten Staaten leben: Myron Krueger, Lynn Hershman, Grahame Weinbren und Ken Feingold. So eröffnet bloß noch das letzte Kapitel kurze Ausblicke auf die Szene, die sich seit Anfang der neunziger Jahre nach Europa verlagert hat. Die sorgfältig gesammelten Belege sowie detaillierte, kompetente Einschätzungen dürften diese Studie zum Klassiker werden lassen.
Besonders viel Mühe widmet die Autorin der detaillierten Beschreibung der jeweils verwendeten Technologien und ihrer Standards. Dabei gelingt es ihr, die vielfach gebündelten philosophischen Verbindungen zwischen den zurückliegenden historischen Avantgardekünsten - Futurismus, Dadaismus, der Art-and-Technology-Bewegung der sechziger Jahre, den Happenings - und den neuen digitalen Feldern deutlich zu machen.
Dinkla verfällt nicht in Technologielobrednerei und widersteht den fundamentalistisch angehauchten Freiheitsräuschen, zu denen die virtuellen Künste als simulierte Wunderkammern der Hochtechnologie einzuladen scheinen. Sie ist vielmehr in kleinen Schritten bemüht, das bis jetzt gesammelte künstlerische Beweismaterial einer genauen Diagnose zu unterziehen. Dabei wird erkennbar, wie computergenerierte Kunst die konventionelle akademische Systematisierung von Fragestellungen außer Kraft setzt. Daß Dinkla den theoretischen Faden - in zahlreich notierten Einschüben und Querverweisen - bisweilen verliert, erschwert zwar die überaus anregende Lektüre, eröffnet aber andererseits das Thema für einen großen Fundus technik-, kultur- und am Rande zudem sozialgeschichtlicher Fragen.
Während Dinkla Strukturen als "avantgardistisch" beschreibt, die sich bei interaktiven Spielmöglichkeiten per Mausklick verborgen durchsetzen - wie nicht-lineare Gliederungen, Verzweigungen, mögliche Zeitsprünge -, wird auch deutlich, daß sich "Interaktive Kunstwerke" zumindest bis jetzt in hohem Maße durch Inhalte, Narrationen und immaterielle "Bild"-Erzählungen vermitteln, die die Künstler hier in Gebrauchsformen zwingen. Bilder werden in Algorithmen gespeichert, sind beinahe "anzuklicken".
Lynn Hershmans interaktive Multimedia-Guckkästen überzeugen als kompakte Weiterentwicklung des feministischen Kinos: "Room of One's Own" und das dekouvrierende "Deep Contact" provozieren kräftig Kritik am "Mythos des intuitiven Spielens". Die Künstlerin läßt kulturelle Regelkreisläufe transparent werden, da sie in effigie in der Immaterialität der "Monitorbilder" durch Kunstgriffe wiederholt die Subjekte anbietet, deren Verlust interaktive Kunst oft in Kauf nimmt. Sie problematisiert jedoch dabei die Identifikation mit Frauenbildern in Politik und Medien.
Söke Dinklas Studie hat eindeutige Verdienste: Alle Mikrobereiche computergenerierter Künste sind in Hinsicht auf ihre formale, stilistische und thematische Präsenz gründlich untersucht. Hier wird der systematisierende Zugriff der Kunsthistorikerin sichtbar. Mitunter jedoch gerieten Äußerungen zu medienpolitischen Standorten der Künstler zu schlichten Vermutungen und Anspielungen. Dann spricht die Autorin schlagwortartig von "idealistischen, fatalistischen und kritischen Positionen", ohne zu erläutern, was sie darunter versteht. GISLIND NABAKOWSKI
Söke Dinkla: "Pioniere interaktiver Kunst von 1970 bis heute". Edition ZKM im Cantz Verlag, Ostfildern 1997. 271 S., Abb., br., 48,- DM.
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