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Der Hamburger Seeräuber Richard Sievers war einer der wenigen deutschen Piraten, der um die ganze Welt segelte. Auch er durchstreifte zunächst jahrelang ohne nennswerte Beute die Ozeane, aber Fehlschläge gehören zum Piratenleben wie die ganz große Prise. Durch die Aussagen von gefangenen Piraten sowie deren überlebenden Opfern gelang ein außerordentliches Buch über Sievers sagenumwobene Erlebnisse und das Piratenleben überhaupt.

Produktbeschreibung
Der Hamburger Seeräuber Richard Sievers war einer der wenigen deutschen Piraten, der um die ganze Welt segelte. Auch er durchstreifte zunächst jahrelang ohne nennswerte Beute die Ozeane, aber Fehlschläge gehören zum Piratenleben wie die ganz große Prise. Durch die Aussagen von gefangenen Piraten sowie deren überlebenden Opfern gelang ein außerordentliches Buch über Sievers sagenumwobene Erlebnisse und das Piratenleben überhaupt.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 04.11.1997

Johoho und 'ne Buddel voll Rum
Die Lappen hoch, die Anker fort: Arne Bialuschewski geht mit Richard Sievers auf Kaperfahrt / Von Dirk Schümer

Die sechzig Männer, die am 19. Dezember 1694 im neuenglischen Newport mit einem heruntergekommenen Zweimaster in See stachen, rechneten nicht mit dem Ruhm der Nachwelt. Keinen historischen Taten galt ihre entbehrungsreiche Reise von Nordamerika um den halben Globus bis an die Küsten Indiens. Die Besatzung der "Portsmouth Adventure" bestand aus Piraten. Daß wir über ihre geheime Kaperfahrt erstaunlich detailliert Bescheid wissen, verdanken wir dem Kieler Historiker Arne Bialuschewski. Mit unglaublicher Akribie hat er für die Geschichtsschreibung ein neues Kapitel erschlossen, das Abenteuerliteratur und Jugendbüchern vorbehalten schien. "Die Schatzinsel" oder "Robinson Crusoe", die unser Bild des See- und Piratenlebens geprägt haben, lagen mit ihren haarsträubenden Erzählungen nur ein paar Strich steuerbord gegenüber der historischen Wahrheit.

Bialuschewski wählte den hamburgischen Seemann Richard Sievers als Lotsen durch das Geschwader von rund anderthalbtausend Piraten, die zwischen 1685 und 1701 am Seeräuberepos im Indischen Ozean mitschrieben. Nach ersten geglückten Raubzügen mit fadenscheinigen Kaperbriefen kehrten gegen 1690 mehrere reichbeladene Schiffe in die Häfen zwischen New York und Boston zurück. Bei Überfällen auf die Pilgerflotte, die damals alljährlich zwischen Mekka und dem indischen Mogulreich verkehrte, hatten die Seeleute Unmengen an Gold, Silber und anderen Kostbarkeiten erbeutet - Grund genug für die risikofreudigen Kapitalisten der Neuen Welt, an diesem weniger als halblegalen Profit partizipieren zu wollen und weitere Schiffe auszurüsten. Sievers, der einzige bekanntgewordene Deutsche bei dem dubiosen Unternehmen, war bis zu seinem unrühmlichen Ende mehrere Jahre als Navigator und später als Kapitän im Kielwasser der indischen Goldflotte unterwegs.

Über Westafrika ging es ums Kap der Guten Hoffnung nach Madagaskar, wo sich auf der Küsteninsel Sainte Marie ein pittoresker Piratenstaat etabliert hatte. Abgehalfterte Glücksritter warteten hier auf Kaperschiffe zum Zusteigen, gerissene Lieferanten zogen den Seeräubern mit Proviant und Alkohol das Beutegold wieder aus der Tasche; es gab Duelle im Suff auf Leben und Tod, und es gab den Aussteiger Samuel, der von zerstrittenen Eingeborenen zum Stammeskönig gewählt wurde und mit mehreren Frauen im Busch hofhielt. 1697 schafften es mehrere Kaperschiffe, reichbeladene und nahezu wehrlose Pilgerboote aufzubringen. Nach Mord, Vergewaltigung und dem Aussetzen der restlichen Opfer konnten die Desperados die für damalige Verhältnisse unglaubliche Beute von vierzigtausend arabischen Goldstücken, fünfundzwanzig spanischen Silbermünzen, tausend Unzen Goldstaub und Truhen voller Geschmeide untereinander aufteilen.

Woher der Autor das alles so genau weiß? Gegen 1700 gebot die britische Kriegsflotte dem Piratentreiben Einhalt, indem sie mit einigen bewaffneten Fregatten die Seeräuber einfach einsammelte. In Kapstadt, New York und später in London wurde ihnen der Prozeß gemacht. Weil der Abschreckungseffekt zugunsten des Indienhandels bald erzielt war, endeten nur wenige Piraten - etwa der berüchtigte William Kidd - am Galgen. Richard Sievers starb schon vorher im britischen Kerker zu Bombay. Die zahlreichen Geständnisse, Testamente und amtlichen Berichte, die bei der Piratenjagd aufgezeichnet wurden, liegen noch heute, zumeist als Logbücher mit Salzwasserflecken, in London im Archiv und ermöglichen eine erstaunlich pralle Rekonstruktion der verborgenen Raubzüge.

Bialuschewski schreibt deshalb über die Entbehrungen der Matrosen und sogar übers Wetter, als wäre er dabeigewesen. Als sähen wir einen Piratenfilm mit Gregory Peck, erfahren wir von den Symptomen des Skorbuts, vom Ehrenkodex der Piraten beim Teilen der Beute, vom Ungeziefer im Bilgenwasser und vom Kappen der Masten bei Orkan. Zuweilen lesen sich die geographischen Beschreibungen appetitlich wie ein Reiseprospekt: "Dann sichteten die Seeleute an der Südostküste Madagaskars die Überreste des einst mächtigen Forts Dauphin. Die von einem halb verfallenen Turm überragten Ruinen befanden sich auf einer Landzunge, die einen der schönsten Orte auf Madagaskar darstellte. Im Norden wurde die pittoreske Szenerie von den Ausläufern des östlichen Randgebirges überragt, die aber jetzt, gegen Ende der Regenzeit, meist noch wolkenverhangen waren." Sollte der Autor seine Schauplätze zwischen Boston, Kapstadt und den Lakkadiven tatsächlich allesamt zu Recherchezwecken aufgesucht haben, dann liegt hier ein schönes Beispiel fröhlicher Wissenschaft vor.

Der anschauliche Stil, der notfalls monatelange Quellenflauten mit realitätsnaher Ausschmückung des Seelebens überbrückt, hat ein äußerst lesbares, spannendes Buch entstehen lassen, das dennoch den wissenschaftlichen Anforderungen Genüge tut. Der gängigste Piratenmythos, die schwarze Fahne mit Totenkopf und gekreuzten Knochen, hat leider vor dem unbestechlichen Historiker keinen Bestand. Was ein waschechter Freibeuter war, der ließ blutrotes Tuch im Seewind flattern. Bialuschewski offenbart sich bei solchen Feinheiten als echter Kenner der christlichen Seefahrt. Ausdrücke wie "Besanmast", "kalfatern", "kielholen", "Spill" oder "Schratsegel" - vertraut aus den Romanen von Joseph Conrad oder Jack London - werden eigens in einem Glossar erklärt. Sie sind es, die jeder Landratte beim Lesen den Salzwasserduft förmlich in die Nase treiben werden.

Besonders gelungen sind hierbei die trockenen, treuherzigen Kommentare, mit denen der Autor das blutige Geschehen zusamenfaßt und gegebenenfalls moralisiert. "Glück und Unglück lagen stets dicht beeinander im Piratengewerbe", ruft Bialuschewski zwei Seeräubern nach, die im September 1697 im Persischen Golf durch eine Salve des gekaperten Schiffes "Mohammed" getötet wurden und darum von der reichen Beute nichts mehr abbekamen. Dergleichen Sentenzen belehren vor allem die jüngere Leserschaft darüber, daß sich Piraterie nicht lohnt. Nur jeder zweite Matrose bekam um 1700 wieder festen Boden unter die Füße, und kaum ein Seeräuber konnte seine Beute je daheim fürs Alter auf die hohe Kante legen.

Bei aller Bewunderung für Bialuschewskis faszinierende historische Entdeckungsreise hätte man sich vielleicht noch ein paar kernigere Bemerkungen zum geschichtlichen Phänomen der Piraterie gewünscht. Denn natürlich waren es die Nationalstaaten, die während ihrer ewigen Kriege völlig opportunistisch Kaperbriefe ausstellten und damit jedes "feindliche" Handelsschiff skrupellosen Gangstern zum Plündern freigaben - wie ja überhaupt jede Staatsgründung auf dem Ausräubern Unbeteiligter beruht. Das fing schon bei Klaus Störtebekers "Vitalienbrüdern" im spätmittelalterlichen Ostseeraum an. Der Kolonialismus hatte etwa durch Francis Drake, der dafür einen "Sir" erhielt, als kaum verblümtes Seeräubertum diese Barbarei über den ganzen Erdball ausgedehnt. Bialuschewski schildert treffend, daß die vergewaltigten Frauen, die hungernden und dahingerafften Sklaven in den Schiffsbäuchen die ersten und stummen Opfer der europäischen Strategie waren, das eigene Lumpenproletariat auf den Rest der Welt loszulassen und sich am Tod anderer zu bereichern.

Ganz nebenbei bringt Bialuschewski noch etwas Literaturgeschichte in seinen Freibeuterkapiteln unter. So hielt man die Autobiographie eines Schiffbrüchigen, der die wilden Jahre auf Sainte Marie mitgemacht hatte, lange Zeit für eine weitere Robinsonade Daniel Defoes, bis sich aus Piratenakten die Authentizität des Werkes herausstellte. So abenteuerlich nah lagen damals Roman und Erlebnisbericht beieinander. Übrigens war es auch Defoe, der 1707 im Londoner Parlament den Plan unterstützte, die letzten Piraten zu amnestieren und dadurch wenigstens die Hälfte des Raubgutes der britischen Staatskasse zuzuführen. Wer Bialuschewskis Buch - ein Buch so süffig wie 'ne Buddel voll Rum - gelesen hat und die Unbeugsamkeit eines echten Freibeuters kennt, der weiß genau, warum aus dem Plan nichts werden konnte.

Arne Bialuschewski: "Piratenleben". Die abenteuerlichen Fahrten des Seeräubers Richard Sievers. Campus Verlag, Frankfurt am Main 1997. 218 S., 29 Abb., geb., 39,80 DM

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