Ein junger Mann, Raphael Schlemilovitch, in Paris zur Zeit des Nationalsozialismus. In seiner fingierten Autobiografie ziehen kaleidoskopartig die Lebensentwürfe der Juden im besetzten Frankreich vorüber: Mal ist er "Kollaborationsjude" und Liebhaber von Eva Braun, mal "Feld-und-Flur-Jude" in der tiefsten Provinz, bald emigriert er mit falschen Papieren und wird der Judenverfolgung dennoch nicht entgehen. Bis er bei Doktor Freud auf der Couch liegt, der dem halluzinierenden Held eine "jüdische Neurose" attestiert. Modianos brillantes Erstlingswerk ist einer der aufregendsten Romane über das von Deutschen besetzte Paris und ein stilistisches Meisterstück zugleich, hier von Elisabeth Edl zum ersten Mal übersetzt.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 22.06.2010Modianos Debüt
Wer 1968, im Erscheinungsjahr von Patrick Modianos "Place de l'Étoile", noch nicht geboren war und seinen nun erstmals übersetzten Debütroman aufschlägt, dem wird er aus den Händen fallen: Bisher kannte er von Modiano Romane wie "Dora Bruder" oder "Ein Stammbaum", in denen der Autor mit lakonischer Sprache die Vergangenheit rekonstruiert. Der Erstling des damals Zweiundzwanzigjährigen ist das Gegenteil: ein sprachlicher Rausch, eine pfeffrige Provokation voller Tabubrüche. Erzählt wird die Geschichte - wenn der Begriff hier trifft - von Raphaël Schlemilovitch, Sohn aus gutem Hause, der an mehreren Zeiten und Orten zugleich ist, eine Ahasver-Gestalt, die Europa und einen Teil des Nahen Ostens durchquert; Hauptstrang ist der Auftrag eines zwielichtigen Vicomte, ehrbare Französinnen als "exzellente Huren" zu verscherbeln. Zentral ist die Frage nach jüdischer Identität beziehungsweise nach ihrem Negativ. Modiano erforscht die Abgründe Frankreichs, antisemitische Klischees, verkörpert durch Intellektuelle, Provinznotabeln und - ironisch gebrochen - durch den Helden. Auch die ungeschönte Darstellung des besetzten Paris war 1968 skandalträchtig. Die literarischen Einflüsse schlüsselt Elisabeth Edl im Nachwort auf. In der Verwurstung des Antisemiten Céline verbinden sich die Hauptmotive: Doktor Bardamu, der Held von "Reise ans Ende der Nacht", taucht als Figur auf. Anders als Célines Erstling kommt "Place de l'Étoile" über das Delirium jedoch kaum hinaus. So witzig manche Passage ist: Es ist ein Gehversuch, dem Modiano-Verehrer teuer, weil zentrale Stichworte des Werks erstmals fallen; die anderen Leser seien eher gewarnt. (Patrick Modiano:"Place de l'Étoile". Roman. Aus dem Französischen und mit einem Nachwort von Elisabeth Edl. Hanser Verlag, München 2010. 192 S., geb., 17,90 [Euro].) nibe
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Wer 1968, im Erscheinungsjahr von Patrick Modianos "Place de l'Étoile", noch nicht geboren war und seinen nun erstmals übersetzten Debütroman aufschlägt, dem wird er aus den Händen fallen: Bisher kannte er von Modiano Romane wie "Dora Bruder" oder "Ein Stammbaum", in denen der Autor mit lakonischer Sprache die Vergangenheit rekonstruiert. Der Erstling des damals Zweiundzwanzigjährigen ist das Gegenteil: ein sprachlicher Rausch, eine pfeffrige Provokation voller Tabubrüche. Erzählt wird die Geschichte - wenn der Begriff hier trifft - von Raphaël Schlemilovitch, Sohn aus gutem Hause, der an mehreren Zeiten und Orten zugleich ist, eine Ahasver-Gestalt, die Europa und einen Teil des Nahen Ostens durchquert; Hauptstrang ist der Auftrag eines zwielichtigen Vicomte, ehrbare Französinnen als "exzellente Huren" zu verscherbeln. Zentral ist die Frage nach jüdischer Identität beziehungsweise nach ihrem Negativ. Modiano erforscht die Abgründe Frankreichs, antisemitische Klischees, verkörpert durch Intellektuelle, Provinznotabeln und - ironisch gebrochen - durch den Helden. Auch die ungeschönte Darstellung des besetzten Paris war 1968 skandalträchtig. Die literarischen Einflüsse schlüsselt Elisabeth Edl im Nachwort auf. In der Verwurstung des Antisemiten Céline verbinden sich die Hauptmotive: Doktor Bardamu, der Held von "Reise ans Ende der Nacht", taucht als Figur auf. Anders als Célines Erstling kommt "Place de l'Étoile" über das Delirium jedoch kaum hinaus. So witzig manche Passage ist: Es ist ein Gehversuch, dem Modiano-Verehrer teuer, weil zentrale Stichworte des Werks erstmals fallen; die anderen Leser seien eher gewarnt. (Patrick Modiano:"Place de l'Étoile". Roman. Aus dem Französischen und mit einem Nachwort von Elisabeth Edl. Hanser Verlag, München 2010. 192 S., geb., 17,90 [Euro].) nibe
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Perlentaucher-Notiz zur TAZ-Rezension
Als "großen Solitär" feiert Jochen Schimmang seinen französischen Schriftstellerkollegen, und begrüßt hocherfreut die erste deutsche Ausgabe seines in Frankreich bereits 1968 erschienenen Debütromans. Dieser Erstling des "mit Literatur vollgestopften" 21-Jährigen unterscheidet sich aus Sicht Schimmangs sehr von Patrick Modianos folgenden Büchern. Denn diese Geschichte über einen jüdischen Kollaborateur im Nazi-besetzten Frankreich sei ein "postmoderner Roman avant la lettre". Modiano spiele mit Lektürefrüchten, verschmelze gekonnt Zeitebenen und variiere Biografien. Dabei persifliere und übertreibe er in seinem Protagonisten in einer nie endenden Spirale sämtliche antisemitischen Klischees. Gleichzeitig tauche in diesem Buch die gesamte Kollaborateursszene der Okkupationszeit auf, von Celine bis Maurice Sachs. Das "kenntnisreiche Nachwort" der Übersetzung findet Schimmang selbst für Kenner unverzichtbar.
© Perlentaucher Medien GmbH
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"Ein Wurf - und in gewisser Weise Modianos heftigstes, grellstes und lautestes Buch." Manfred Papst, NZZ am Sonntag, 12.10.14
"Modianos frühes Meisterwerk liegt endlich auf Deutsch vor. Dieser unverschämt geniale stilistische Wirbelwind." Ina Hartwig, Süddeutsche Zeitung, 17./18.04.10
"Place d´Étoile ... wird mit seinem ausgeprägten jugendlichen Furor und seiner unbändigen Lust an der karikierenden Bloßstellung seines desolaten Personals keinen Leser unbeteiligt lassen." Jüdische Zeitung, Juli 2010
"Hier schreibt ein großer Solitär, der es sich hoffentlich nie in einem behaglichen Eckchen gemütlich machen wird." Jochen Schimmang, Die Tageszeitung, 31.07.10
"Das fulminante Romandebüt des französichen Autors Patrick Modiano ist endlich aud Deutsch erschienen. Eine explosive Satire und Persiflage..." Ingeborg Waldinger, Wiener Zeitung, 28.08.10
"Modianos frühes Meisterwerk liegt endlich auf Deutsch vor. Dieser unverschämt geniale stilistische Wirbelwind." Ina Hartwig, Süddeutsche Zeitung, 17./18.04.10
"Place d´Étoile ... wird mit seinem ausgeprägten jugendlichen Furor und seiner unbändigen Lust an der karikierenden Bloßstellung seines desolaten Personals keinen Leser unbeteiligt lassen." Jüdische Zeitung, Juli 2010
"Hier schreibt ein großer Solitär, der es sich hoffentlich nie in einem behaglichen Eckchen gemütlich machen wird." Jochen Schimmang, Die Tageszeitung, 31.07.10
"Das fulminante Romandebüt des französichen Autors Patrick Modiano ist endlich aud Deutsch erschienen. Eine explosive Satire und Persiflage..." Ingeborg Waldinger, Wiener Zeitung, 28.08.10
»Lesenswert!« Lisa 02.05.2012