Ein kühner, kunstvoller Gegenwartsroman aus einem anderen Sonnensystem
In den unendlichen Weiten des Weltraums existiert ein Sonnensystem, in dem endzeitlicher Frieden herrscht. Seine sechs Planeten und zwei Monde werden von einer weisen Computervernunft regiert, die auf Grundlage von perfekter Statistik und totalem Wohlstand die fairsten Entscheidungen trifft. Zwischen Metropolenplanet Blossom und Müllplanet Toadstool ist längst die neue Zeit angebrochen, eine postdemokratische Ära des Friedens und der Selbstkontrolle. Menschen haben sich zu Kollektiven zusammengeschlossen, zu ästhetischen Gemeinschaften, die um die besten Lebensstile konkurrieren. Marten Eliot und Emma Glendale, die beiden jungen Spitzenfellows des Dolfin-Kollektivs, verlassen ihren heimischen Campus und reisen von Planet zu Planet, um neue Mitglieder anzuwerben. Doch das Sonnensystem wird erschüttert, als das aggressive Kollektiv der gebrochenen Herzen von sich reden macht, von dem man annimmt, es bestehe aus emotionalen Verlierern. Minzefarbene Giftwolken steigen von Marktplätzen und Sommercamps auf, tatsächliche Gewalt droht in die Planetengemeinschaft zurückzukehren. Auf ihren Reisen rücken Marten und Emma die gebrochenen Herzen gefährlich nahe. Können die beiden den Umsturz verhindern? In »Planet Magnon« schickt Leif Randt seine Protagonisten in eine bizarr utopische Welt, in einen Kosmos der Saurier und Raumschiffe, der an neue Popmythen ebenso erinnert wie an Klassiker des Hollywoodkinos. Ihm gelingt die Vereinigung von poetischer Eleganz, literarischem Wagemut und packendem Genre.
In den unendlichen Weiten des Weltraums existiert ein Sonnensystem, in dem endzeitlicher Frieden herrscht. Seine sechs Planeten und zwei Monde werden von einer weisen Computervernunft regiert, die auf Grundlage von perfekter Statistik und totalem Wohlstand die fairsten Entscheidungen trifft. Zwischen Metropolenplanet Blossom und Müllplanet Toadstool ist längst die neue Zeit angebrochen, eine postdemokratische Ära des Friedens und der Selbstkontrolle. Menschen haben sich zu Kollektiven zusammengeschlossen, zu ästhetischen Gemeinschaften, die um die besten Lebensstile konkurrieren. Marten Eliot und Emma Glendale, die beiden jungen Spitzenfellows des Dolfin-Kollektivs, verlassen ihren heimischen Campus und reisen von Planet zu Planet, um neue Mitglieder anzuwerben. Doch das Sonnensystem wird erschüttert, als das aggressive Kollektiv der gebrochenen Herzen von sich reden macht, von dem man annimmt, es bestehe aus emotionalen Verlierern. Minzefarbene Giftwolken steigen von Marktplätzen und Sommercamps auf, tatsächliche Gewalt droht in die Planetengemeinschaft zurückzukehren. Auf ihren Reisen rücken Marten und Emma die gebrochenen Herzen gefährlich nahe. Können die beiden den Umsturz verhindern? In »Planet Magnon« schickt Leif Randt seine Protagonisten in eine bizarr utopische Welt, in einen Kosmos der Saurier und Raumschiffe, der an neue Popmythen ebenso erinnert wie an Klassiker des Hollywoodkinos. Ihm gelingt die Vereinigung von poetischer Eleganz, literarischem Wagemut und packendem Genre.
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Mit "Planet Magnon" ist Leif Randts zweiter Roman erschienen, und Rezensentin Lena Bopp zeigt sich begeistert. Wenn auch nicht von der utopischen Welt, die der Autor hier entwirft, denn jene ist von Mitgefühl und Begeisterung befreit und stattdessen von Sachlichkeit und rationaler Durchdringung geprägt, berichtet die Kritikerin. Zugleich entdeckt Bopp in dieser auf verschiedenen Planeten spielenden Science-Fiction-Erzählung, die den Konflikt zwischen den "postpragmatischen" Dolfins und den Hanks, die in ihrer Ideologie zumindest Sympathie und Erkenntnis zulassen, durchaus vertraute Mechanismen - etwa den scheinbar freiwilligen Verzicht auf die eigene Freiheit. Insbesondere aber lobt die Rezensentin die brillante Konstruktion und die tiefgründige Komik dieses lesenswerten Romans.
© Perlentaucher Medien GmbH
© Perlentaucher Medien GmbH
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 31.03.2015Eine Welt ohne Liebesschmerz, wie wäre die?
Ganz schön abgebrüht, diese Sachlichkeit: Leif Randt erkundet in seinem Roman "Planet Magnon" eine Galaxie, in der man Mitgefühl und Begeisterung einfach beseitigt hat.
Der wichtigste Satz fällt auf Seite 184. Marten, der Ich-Erzähler in dem Roman "Planet Magnon", ist gerade von einer Farm zurückgekommen, die er auskundschaften sollte. Nun berichtet er seiner Kameradin Emma, was er dort gesehen hat, und wie es ihm eigen ist, reflektiert er dabei seine Art des Kommunizierens gleich mit: "Ich spreche ruhig und fange nicht mit den entscheidenden Dingen an, sondern mit denen, die mich berührt haben."
Was so lapidar klingt und sich deswegen von dem Ton, den der 1983 geborene Leif Randt in seinem neuen Roman anschlägt, auch eigentlich nicht groß abhebt, birgt dennoch einen Schlüssel zu dessen Verständnis. Denn auf der Grundlage der einfachen Umkehr, die der zitierte Satz ausdrückt - Seit wann sind Dinge, die einen berühren, nicht mehr entscheidend? -, entwirft Randt eine utopische Welt, die, in eine Science-Fiction-Erzählung gekleidet, von einer Einstellung namens "Postpragmatismus" geprägt ist. Für das Kollektiv der "Dolfins", dem der Erzähler Marten angehört und das im Grunde nichts anderes als eine nach bestimmten Normen funktionierende Gesellschaft darstellt, der man bei ausreichender Befähigung beitreten kann, bezeichnet dieser Postpragmatismus eine Seinsweise, die nur dem Moment verhaftet ist, alles Geschehen rational durchdringt und Einflüssen anderer Kollektive offen gegenübersteht. Das Ideal der Dolfins besteht also darin, neben einer gewissen Sachlichkeit und Kontrolliertheit keiner bestimmten Idee zu folgen, oder anders ausgedrückt: einer Idee zu folgen, die ständig im Fluss ist.
Folgerichtig fühlen sich die Dolfins bedroht, als in dem Planetensystem, in dem sie leben, ein neues Kollektiv zu entstehen droht, das nicht nur an eine bestimmte Idee glaubt. Sondern dessen Idee sich auch noch auf einen Zustand bezieht, den die Dolfins quasi als präpragmatisch begreifen müssen - gemeint ist damit, natürlich, die Liebe. Denn die sogenannten Hanks, deren Adepten sich auf der genannten Farm versammeln, glauben an das Recht der "gebrochenen Herzen". Sie glauben, dass ein sachliches, vom Schmerz befreites Universum eine Illusion ist und dass man den Menschen das "Bewusstsein für das eigene Unglück" zurückgeben müsse. Nicht, dass die Menschen dadurch automatisch glücklicher würden. Aber - und dies ist eine weitere von den vielen hübsch verschnörkelten Ideen, aus denen Leif Randt seine schöne neue Welt zusammensetzt - die Hanks versprechen ihnen zumindest "Restchancen auf halbes Glück", will sagen: "Sympathie. Anerkennung. Diskurs. Erkenntnis".
Das Ganze ist weniger kompliziert, als es klingt. Denn wenn man diese, am Ende des Buches auch in einem langen Glossar eigens aufgedröselte Begrifflichkeit um Kollektive und ihren Pragmatismus einmal beiseiteschiebt, stößt man in dem Roman von Leif Randt schnell auf einen Kern, der jedem Leser vertraut sein dürfte, weil seine Bedeutung noch nie an eine bestimmte Zeit gebunden war, also auch nicht an die Zukunft. Es stimmt zwar, Leif Randt betreibt einen beachtlichen Aufwand, um seiner Geschichte den Anschein des Zukunftsträchtigen zu verleihen: Seine Kapitel heißen nicht Kapitel, sondern Episoden und sind in Unterkapitel gegliedert, welche die Namen der Planeten tragen, auf denen sie spielen. Sein Universum ist ein von politischen und gesellschaftlichen Debatten weitgehend befreiter Raum, in dem eine künstliche Intelligenz die Macht übernommen hat, wobei sie mit Hilfe statistischer Daten für eine Gerechtigkeit sorgt, die von (fast) allen auch als solche anerkannt wird. Es gibt Planeten, auf denen der Müll entsorgt wird, und Versorgungssicherheit für alle und jeden.
Aber im Zentrum der Auseinandersetzung zwischen den Dolfins und den Hanks geht es eben um die Frage, ob das Wohlergehen, das als oberstes Gebot in diesen Sphären herrscht, nicht einen gewissen Preis hat. Ob all die Kollektive, die eine "schmerzlose Welt versprechen", nicht verlogen sind, weil sie den Menschen mit der Entscheidung über ihr Befinden auch die Hoheit über ihre Geschichte abnehmen? Ob das Recht, sich schlecht zu fühlen, nicht ein schützenswertes Gut sein könnte? Ob Unberührbarkeit überhaupt ein Ziel ist, das anzustreben sich lohnt? Mit diesen Fragen zeigt Leif Randt dem Leser die überspitzte Form eines Konfliktes, in dem es um die Freiheit und ihre Risiken geht. In seinem Roman entwirft er eine offene Gesellschaft, die sich (nur scheinbar paradoxerweise) freiwillig schon gegen diese Freiheit entschieden hat - und die deswegen nicht nur postpragmatisch, sondern eigentlich auch postdemokratisch ist.
In gewisser Weise schreibt Randt somit ein Thema fort, von dem schon sein erster, vor ein paar Jahren erschienener Roman "Schimmernder Dunst über Coby County" (F.A.Z. vom 6. August 2011) handelte. Schon darin geht es um einen utopischen Ort, der - am Meer liegend, sonnenbeschienen und hübsch ausgestattet - seinen Bewohnern eine Art von Überfluss bescherte, der diese und allen voran den Protagonisten Wim zu einer Armut an Ideen und Idealen verführte. Der Unterschied ist nun, dass Wim in Coby County noch selbst entschied, sich für nichts begeistern und also auch durch nichts mehr erschüttern lassen zu wollen. Diese persönlich getroffene Wahl ist in Randts neuem Buch einer Institutionalisierung gewichen. Der Verzicht auf Empathie ist zum System geworden, die Coolness zum Programm. Und doch hat Leif Randt aus diesem Szenario kein apokalyptisches Werk über eine sich selbst zu Tode rationalisierende Welt gemacht. Denn davor bewahrt ihn eine feingeschliffene, ebenfalls schon in "Coby County" zu findende Ironie, die er, stellenweise großartig, in die von ihm sonst so geschätzte Lakonik einfließen lässt. Auffallend sind in diesem Sinn eine Reihe von Sätzen, die Randt gerne an den Beginn oder den Schluss seiner Episoden stellt, um zu beschreiben, was gerade nicht der Fall ist: "Sie rennt los, ich folge, wir stolpern nicht", heißt es da etwa. Oder: "Die Scheiben waren getönt. Sonnenbrillen brauchten wir nicht." Oder auch: "Beim Landeanflug auf Snoop ist mir nicht blümerant geworden. Ich sehe keinen Anlass zur Sorge." Dieses Stilmittel passt gut zu dem postpragmatischen Erzähler Marten, weil es Nichtigkeiten mit einer Bedeutung auflädt, die sie eigentlich nicht haben. Es hält gleichzeitig die Möglichkeit offen, das ganze System aus einer distanziert ironischen Perspektive zu betrachten und somit wie eine Seifenblase zum Platzen zu bringen.
"Es ist auf jeden Fall ziemlich dolfin, sich in einem Moment der experimentellen Entrückung sachlich auf den Boden zurückzuargumentieren", sagt Marten einmal zu seinen Schülern. "Und ebendiese vermeintliche Sachlichkeit dann feierlich überzubewerten." Als er später auf dem Campus seinen Schülern wiederbegegnet und hört, wie der eine zum anderen sagt, es sei auch ziemlich dolfin, "nicht groß nachzufragen", da freut er sich darüber, wie die von ihm gerade erst vorgenommene Adjektivierung des Namens "Dolfin" gleich in den Sprachschatz übergegangen ist. Und genau um diese gedankliche Schleife, die, obwohl sie aus einer fernen Galaxie kommt, in die Dimension einer vollends sterilen Privatheit vorzustoßen weiß, dreht sich der gesamte Roman. Er ist ein Trauerspiel, gewiss. Aber eines, das vorzüglich konstruiert und abgründig komisch ist.
LENA BOPP.
Leif Randt: "Planet Magnon". Roman.
Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln 2015. 302 S., geb., 19,99 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Ganz schön abgebrüht, diese Sachlichkeit: Leif Randt erkundet in seinem Roman "Planet Magnon" eine Galaxie, in der man Mitgefühl und Begeisterung einfach beseitigt hat.
Der wichtigste Satz fällt auf Seite 184. Marten, der Ich-Erzähler in dem Roman "Planet Magnon", ist gerade von einer Farm zurückgekommen, die er auskundschaften sollte. Nun berichtet er seiner Kameradin Emma, was er dort gesehen hat, und wie es ihm eigen ist, reflektiert er dabei seine Art des Kommunizierens gleich mit: "Ich spreche ruhig und fange nicht mit den entscheidenden Dingen an, sondern mit denen, die mich berührt haben."
Was so lapidar klingt und sich deswegen von dem Ton, den der 1983 geborene Leif Randt in seinem neuen Roman anschlägt, auch eigentlich nicht groß abhebt, birgt dennoch einen Schlüssel zu dessen Verständnis. Denn auf der Grundlage der einfachen Umkehr, die der zitierte Satz ausdrückt - Seit wann sind Dinge, die einen berühren, nicht mehr entscheidend? -, entwirft Randt eine utopische Welt, die, in eine Science-Fiction-Erzählung gekleidet, von einer Einstellung namens "Postpragmatismus" geprägt ist. Für das Kollektiv der "Dolfins", dem der Erzähler Marten angehört und das im Grunde nichts anderes als eine nach bestimmten Normen funktionierende Gesellschaft darstellt, der man bei ausreichender Befähigung beitreten kann, bezeichnet dieser Postpragmatismus eine Seinsweise, die nur dem Moment verhaftet ist, alles Geschehen rational durchdringt und Einflüssen anderer Kollektive offen gegenübersteht. Das Ideal der Dolfins besteht also darin, neben einer gewissen Sachlichkeit und Kontrolliertheit keiner bestimmten Idee zu folgen, oder anders ausgedrückt: einer Idee zu folgen, die ständig im Fluss ist.
Folgerichtig fühlen sich die Dolfins bedroht, als in dem Planetensystem, in dem sie leben, ein neues Kollektiv zu entstehen droht, das nicht nur an eine bestimmte Idee glaubt. Sondern dessen Idee sich auch noch auf einen Zustand bezieht, den die Dolfins quasi als präpragmatisch begreifen müssen - gemeint ist damit, natürlich, die Liebe. Denn die sogenannten Hanks, deren Adepten sich auf der genannten Farm versammeln, glauben an das Recht der "gebrochenen Herzen". Sie glauben, dass ein sachliches, vom Schmerz befreites Universum eine Illusion ist und dass man den Menschen das "Bewusstsein für das eigene Unglück" zurückgeben müsse. Nicht, dass die Menschen dadurch automatisch glücklicher würden. Aber - und dies ist eine weitere von den vielen hübsch verschnörkelten Ideen, aus denen Leif Randt seine schöne neue Welt zusammensetzt - die Hanks versprechen ihnen zumindest "Restchancen auf halbes Glück", will sagen: "Sympathie. Anerkennung. Diskurs. Erkenntnis".
Das Ganze ist weniger kompliziert, als es klingt. Denn wenn man diese, am Ende des Buches auch in einem langen Glossar eigens aufgedröselte Begrifflichkeit um Kollektive und ihren Pragmatismus einmal beiseiteschiebt, stößt man in dem Roman von Leif Randt schnell auf einen Kern, der jedem Leser vertraut sein dürfte, weil seine Bedeutung noch nie an eine bestimmte Zeit gebunden war, also auch nicht an die Zukunft. Es stimmt zwar, Leif Randt betreibt einen beachtlichen Aufwand, um seiner Geschichte den Anschein des Zukunftsträchtigen zu verleihen: Seine Kapitel heißen nicht Kapitel, sondern Episoden und sind in Unterkapitel gegliedert, welche die Namen der Planeten tragen, auf denen sie spielen. Sein Universum ist ein von politischen und gesellschaftlichen Debatten weitgehend befreiter Raum, in dem eine künstliche Intelligenz die Macht übernommen hat, wobei sie mit Hilfe statistischer Daten für eine Gerechtigkeit sorgt, die von (fast) allen auch als solche anerkannt wird. Es gibt Planeten, auf denen der Müll entsorgt wird, und Versorgungssicherheit für alle und jeden.
Aber im Zentrum der Auseinandersetzung zwischen den Dolfins und den Hanks geht es eben um die Frage, ob das Wohlergehen, das als oberstes Gebot in diesen Sphären herrscht, nicht einen gewissen Preis hat. Ob all die Kollektive, die eine "schmerzlose Welt versprechen", nicht verlogen sind, weil sie den Menschen mit der Entscheidung über ihr Befinden auch die Hoheit über ihre Geschichte abnehmen? Ob das Recht, sich schlecht zu fühlen, nicht ein schützenswertes Gut sein könnte? Ob Unberührbarkeit überhaupt ein Ziel ist, das anzustreben sich lohnt? Mit diesen Fragen zeigt Leif Randt dem Leser die überspitzte Form eines Konfliktes, in dem es um die Freiheit und ihre Risiken geht. In seinem Roman entwirft er eine offene Gesellschaft, die sich (nur scheinbar paradoxerweise) freiwillig schon gegen diese Freiheit entschieden hat - und die deswegen nicht nur postpragmatisch, sondern eigentlich auch postdemokratisch ist.
In gewisser Weise schreibt Randt somit ein Thema fort, von dem schon sein erster, vor ein paar Jahren erschienener Roman "Schimmernder Dunst über Coby County" (F.A.Z. vom 6. August 2011) handelte. Schon darin geht es um einen utopischen Ort, der - am Meer liegend, sonnenbeschienen und hübsch ausgestattet - seinen Bewohnern eine Art von Überfluss bescherte, der diese und allen voran den Protagonisten Wim zu einer Armut an Ideen und Idealen verführte. Der Unterschied ist nun, dass Wim in Coby County noch selbst entschied, sich für nichts begeistern und also auch durch nichts mehr erschüttern lassen zu wollen. Diese persönlich getroffene Wahl ist in Randts neuem Buch einer Institutionalisierung gewichen. Der Verzicht auf Empathie ist zum System geworden, die Coolness zum Programm. Und doch hat Leif Randt aus diesem Szenario kein apokalyptisches Werk über eine sich selbst zu Tode rationalisierende Welt gemacht. Denn davor bewahrt ihn eine feingeschliffene, ebenfalls schon in "Coby County" zu findende Ironie, die er, stellenweise großartig, in die von ihm sonst so geschätzte Lakonik einfließen lässt. Auffallend sind in diesem Sinn eine Reihe von Sätzen, die Randt gerne an den Beginn oder den Schluss seiner Episoden stellt, um zu beschreiben, was gerade nicht der Fall ist: "Sie rennt los, ich folge, wir stolpern nicht", heißt es da etwa. Oder: "Die Scheiben waren getönt. Sonnenbrillen brauchten wir nicht." Oder auch: "Beim Landeanflug auf Snoop ist mir nicht blümerant geworden. Ich sehe keinen Anlass zur Sorge." Dieses Stilmittel passt gut zu dem postpragmatischen Erzähler Marten, weil es Nichtigkeiten mit einer Bedeutung auflädt, die sie eigentlich nicht haben. Es hält gleichzeitig die Möglichkeit offen, das ganze System aus einer distanziert ironischen Perspektive zu betrachten und somit wie eine Seifenblase zum Platzen zu bringen.
"Es ist auf jeden Fall ziemlich dolfin, sich in einem Moment der experimentellen Entrückung sachlich auf den Boden zurückzuargumentieren", sagt Marten einmal zu seinen Schülern. "Und ebendiese vermeintliche Sachlichkeit dann feierlich überzubewerten." Als er später auf dem Campus seinen Schülern wiederbegegnet und hört, wie der eine zum anderen sagt, es sei auch ziemlich dolfin, "nicht groß nachzufragen", da freut er sich darüber, wie die von ihm gerade erst vorgenommene Adjektivierung des Namens "Dolfin" gleich in den Sprachschatz übergegangen ist. Und genau um diese gedankliche Schleife, die, obwohl sie aus einer fernen Galaxie kommt, in die Dimension einer vollends sterilen Privatheit vorzustoßen weiß, dreht sich der gesamte Roman. Er ist ein Trauerspiel, gewiss. Aber eines, das vorzüglich konstruiert und abgründig komisch ist.
LENA BOPP.
Leif Randt: "Planet Magnon". Roman.
Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln 2015. 302 S., geb., 19,99 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 02.04.2015Die grenzenlose Offenheit der Juniordolfins
Leif Randt spielt in seinem neuen Roman „Planet Magnon“ mit Science-Fiction-Elementen:
Aber leider ist der Nerd, den er auf eine Reise durch ein fernes Sonnensystem schickt, kein guter Erzähler
VON ULRICH BARON
Zusammen mit seiner Kollegin Emma Glendale geht der junge Dozent Marten Eliot auf eine PR-Tour durch ihr Sonnensystem. Als „Spitzenfellows“ der „Dolfins“, einer Art lebensreformerischen Akademikerkollektivs, sollen sie die Werbetrommel rühren und sich nebenbei um Mitglieder kümmern, die zu den „Hanks“ überzulaufen drohen, einem Kollektiv der „gebrochenen Herzen“, das die vom Computersystem „Actual Sanity“ prästabilisierte Harmonie stört.
Das klingt zunächst nach Science-Fiction, doch mit „Science“ hat dieses Buch so wenig zu tun wie mit traditioneller, literarisch gestalteter Fiktion. Leif Randt, 1983 geboren, schöpft leichthändig aus dem Fundus des SF-Genres, das Weltraumopern wie „Star Trek“ und „Krieg der Sterne“ zugleich popularisiert und trivialisiert haben. Hatte es in der Pionierzeit der SF dazu noch technisch-wissenschaftlicher Kenntnisse und Fantasie bedurft, so erschienen interstellare Reisen hier so wenig erklärungsbedürftig wie Prinzen und Drachen, Zwerge und Elfen im Märchen.
Die Erzählwelten der klassischen SF lebten aber gerade vom Erklärungs- und Beschreibungszwang. Der geniale Stanislaw Lem hat aus dieser Not eine Tugend gemacht, indem er zur Romanhandlung auf dem Planeten „Solaris“ zugleich noch die Forschungsgeschichte erzählte. Leif Randt setzt Begriffe wie „Klimatabletten“, „Postpragmatische Tänze“ oder „rudimentäre Dekorationstiere“ kursiv, die man im angehängten Glossar nachschlagen kann.
Doch es ist etwas anderes, ob etwas bloß mitgeteilt oder ob es erzählt wird. Erzählen heißt, aus einer Handlung heraus eine Welt und deren Elemente entstehen zu lassen. Was von einer erfundenen Welt und was in ihr gesagt wird, muss mit dem vereinbar sein, was dort geschieht, sonst entstehen Plausibilitätslücken. Die moderne Unterhaltungskultur mit ihren standardisierten Erzählmustern aber hat ihren Nutzern ein Rezeptionsverhalten antrainiert, das mit raschen Schnittfolgen überspielt, was den am epischen Erzählen orientierten Leser als Reihung von Ungereimtheiten erscheint.
Randts Gestalten bewegen sich auf Planeten, deren Landschaften und Klimazonen an die Erde erinnern, vor Ort aber mangels Masse physikalisch unmöglich wären. Mit einem Durchmesser von 4032 Kilometern ist der größte Planet seines Sonnensystems kaum größer als der Erdmond. Die übrigen sind erheblich kleiner. Somit fehlte ihnen die Anziehungskraft, um Atmosphären, flüssiges Wasser oder Schneefälle bieten zu können, die der Erzähler erwähnt. Insekten und „Sauropoden“ könnten dort ebenso wenig existieren wie Sommercamps und Bungalowsiedlungen.
Oder hat man die Planeten neben der erwähnten „Ozontherapie“ auch noch einer Gravitationstherapie unterzogen? Und wenn es auf die Planetengrößen gar nicht so ankommt, warum werden sie dann überhaupt kilometergenau erwähnt? Solche Fragen interessieren Randts Erzähler Marton Eliot nicht, aber was interessiert ihn überhaupt? „Wir waren diversen Substanzen gegenüber offen oder ihnen sogar zugeneigt, das lernten wir früh, das war normal unter Juniordolfins“, berichtet er über seine Zeit als Teenager. So unjung und altklug, wie das klingt, kann es eigentlich nur das Lebensprotokoll eines früh verknöcherten Jungfunktionärs ein, und das ist dieser „Spitzenfellow“ ja auch.
„Wer um Himmels willen redet so?“, durchfährt es den Erzähler selbst einmal angesichts der Phrasen, die seinem Mund entschlüpfen. Sein Jargon erscheint ihm „leblos“. Den Superlativkomparativ „optimaler“ benutzt er so unbeschwert wie den Ausdruck „Limousinenwagen“, an einem Ortsschild nimmt er die „serifenlosen Buchstaben“ wahr, nicht aber, was dort steht. Das klingt nicht gewählt, sondern verfehlt, aber welchen Sinn hat solche permanente Selbstdenunziation eines Ich-Erzählers, wenn es keine Alternative zu seinem befremdlichen Dasein gibt?
Am ergreifendsten ist dann nicht die Konfrontation des Erzählers mit den „Hanks“ und dem Mädchen mit Tigermaske, das diese in Manga-Manier anführt, sondern eine Todesszene. Bruce, der „Kindheitsfreund“ des Erzählers, schwindet dahin. Nachdem seine Eltern das Sonnensystem verlassen hatten, war Marten Eliot bei seiner Tante aufgewachsen und erinnert sich nun an die Zeit, „als ich selbst noch klein und Bruce ein junger Sauropode war“. Wer seinen Kindheitsfreund als „Sauropoden“ bezeichnet, würde wohl auch einen sterbenden Familiendackel einen „Caniden“ nennen.
Warum solche Vagheit, wo es doch um die Darstellung von Innenwelten, von Gefühlen geht? In der Sterbeszene wird klar, was zuvor nur angedeutet wurde. Das Sonnensystem verlassen zu haben, heißt nicht nur gestorben, sondern auch „diffusioniert“ zu sein. Als Bruce tot ist, wird sein Körper mit einem Laken gnädig verhüllt, und dann wird gewartet: „Es ist bereits früher Morgen, als das Laken auf den neuen Teppich hinunterschwebt.“ Da solche „Diffusionierung“ eines Körpers physikalisch unmöglich ist und das Buch keine neue Physik erschließt, folgt daraus, dass hier alles bloße Simulation ist: Planeten und Orte, Menschen, Sauropoden, Wörter, Begriffe und selbst die Handlung – die all dies ohnehin nur sehr vordergründig verbindet. Masken verbergen hier nichts, sondern ersetzen, was nicht dahinter ist. Wörter deuten vage auf etwas hin, was im Glossar auch nicht klarer wird.
Da führt auch jene Wunderdroge nicht weiter, auf die der Titel hinweist. „Planet Magnon“ ist ein Konzeptroman für Leser, die sich mit Andeutungen und lexikalischen Links beim Spiel mit der Fiktion ferner Sonnensysteme zufriedengeben und die erzählerische Entfaltung dieser Welten nicht mehr erwarten. „Werden wir noch einmal zurück ins Wohnheim dürfen?“, fragt eine Angehörige der Juniordolfins einmal mit Tränen in den Kinderaugen: „Oder werden wir jetzt schneller erwachsen?“ Mit Kinderaugen muss man wohl in dieses Buch blicken, um es wie einen Roman lesen zu können.
Leif Randt: Planet Magnon. Roman. Kiepenheuer & Witsch Verlag, Köln 2015. 302 Seiten, 19,99 Euro. E-Book 17,99 Euro.
Hat jemand diese Planeten einer
Gravitationstherapie unterzogen?
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Leif Randt spielt in seinem neuen Roman „Planet Magnon“ mit Science-Fiction-Elementen:
Aber leider ist der Nerd, den er auf eine Reise durch ein fernes Sonnensystem schickt, kein guter Erzähler
VON ULRICH BARON
Zusammen mit seiner Kollegin Emma Glendale geht der junge Dozent Marten Eliot auf eine PR-Tour durch ihr Sonnensystem. Als „Spitzenfellows“ der „Dolfins“, einer Art lebensreformerischen Akademikerkollektivs, sollen sie die Werbetrommel rühren und sich nebenbei um Mitglieder kümmern, die zu den „Hanks“ überzulaufen drohen, einem Kollektiv der „gebrochenen Herzen“, das die vom Computersystem „Actual Sanity“ prästabilisierte Harmonie stört.
Das klingt zunächst nach Science-Fiction, doch mit „Science“ hat dieses Buch so wenig zu tun wie mit traditioneller, literarisch gestalteter Fiktion. Leif Randt, 1983 geboren, schöpft leichthändig aus dem Fundus des SF-Genres, das Weltraumopern wie „Star Trek“ und „Krieg der Sterne“ zugleich popularisiert und trivialisiert haben. Hatte es in der Pionierzeit der SF dazu noch technisch-wissenschaftlicher Kenntnisse und Fantasie bedurft, so erschienen interstellare Reisen hier so wenig erklärungsbedürftig wie Prinzen und Drachen, Zwerge und Elfen im Märchen.
Die Erzählwelten der klassischen SF lebten aber gerade vom Erklärungs- und Beschreibungszwang. Der geniale Stanislaw Lem hat aus dieser Not eine Tugend gemacht, indem er zur Romanhandlung auf dem Planeten „Solaris“ zugleich noch die Forschungsgeschichte erzählte. Leif Randt setzt Begriffe wie „Klimatabletten“, „Postpragmatische Tänze“ oder „rudimentäre Dekorationstiere“ kursiv, die man im angehängten Glossar nachschlagen kann.
Doch es ist etwas anderes, ob etwas bloß mitgeteilt oder ob es erzählt wird. Erzählen heißt, aus einer Handlung heraus eine Welt und deren Elemente entstehen zu lassen. Was von einer erfundenen Welt und was in ihr gesagt wird, muss mit dem vereinbar sein, was dort geschieht, sonst entstehen Plausibilitätslücken. Die moderne Unterhaltungskultur mit ihren standardisierten Erzählmustern aber hat ihren Nutzern ein Rezeptionsverhalten antrainiert, das mit raschen Schnittfolgen überspielt, was den am epischen Erzählen orientierten Leser als Reihung von Ungereimtheiten erscheint.
Randts Gestalten bewegen sich auf Planeten, deren Landschaften und Klimazonen an die Erde erinnern, vor Ort aber mangels Masse physikalisch unmöglich wären. Mit einem Durchmesser von 4032 Kilometern ist der größte Planet seines Sonnensystems kaum größer als der Erdmond. Die übrigen sind erheblich kleiner. Somit fehlte ihnen die Anziehungskraft, um Atmosphären, flüssiges Wasser oder Schneefälle bieten zu können, die der Erzähler erwähnt. Insekten und „Sauropoden“ könnten dort ebenso wenig existieren wie Sommercamps und Bungalowsiedlungen.
Oder hat man die Planeten neben der erwähnten „Ozontherapie“ auch noch einer Gravitationstherapie unterzogen? Und wenn es auf die Planetengrößen gar nicht so ankommt, warum werden sie dann überhaupt kilometergenau erwähnt? Solche Fragen interessieren Randts Erzähler Marton Eliot nicht, aber was interessiert ihn überhaupt? „Wir waren diversen Substanzen gegenüber offen oder ihnen sogar zugeneigt, das lernten wir früh, das war normal unter Juniordolfins“, berichtet er über seine Zeit als Teenager. So unjung und altklug, wie das klingt, kann es eigentlich nur das Lebensprotokoll eines früh verknöcherten Jungfunktionärs ein, und das ist dieser „Spitzenfellow“ ja auch.
„Wer um Himmels willen redet so?“, durchfährt es den Erzähler selbst einmal angesichts der Phrasen, die seinem Mund entschlüpfen. Sein Jargon erscheint ihm „leblos“. Den Superlativkomparativ „optimaler“ benutzt er so unbeschwert wie den Ausdruck „Limousinenwagen“, an einem Ortsschild nimmt er die „serifenlosen Buchstaben“ wahr, nicht aber, was dort steht. Das klingt nicht gewählt, sondern verfehlt, aber welchen Sinn hat solche permanente Selbstdenunziation eines Ich-Erzählers, wenn es keine Alternative zu seinem befremdlichen Dasein gibt?
Am ergreifendsten ist dann nicht die Konfrontation des Erzählers mit den „Hanks“ und dem Mädchen mit Tigermaske, das diese in Manga-Manier anführt, sondern eine Todesszene. Bruce, der „Kindheitsfreund“ des Erzählers, schwindet dahin. Nachdem seine Eltern das Sonnensystem verlassen hatten, war Marten Eliot bei seiner Tante aufgewachsen und erinnert sich nun an die Zeit, „als ich selbst noch klein und Bruce ein junger Sauropode war“. Wer seinen Kindheitsfreund als „Sauropoden“ bezeichnet, würde wohl auch einen sterbenden Familiendackel einen „Caniden“ nennen.
Warum solche Vagheit, wo es doch um die Darstellung von Innenwelten, von Gefühlen geht? In der Sterbeszene wird klar, was zuvor nur angedeutet wurde. Das Sonnensystem verlassen zu haben, heißt nicht nur gestorben, sondern auch „diffusioniert“ zu sein. Als Bruce tot ist, wird sein Körper mit einem Laken gnädig verhüllt, und dann wird gewartet: „Es ist bereits früher Morgen, als das Laken auf den neuen Teppich hinunterschwebt.“ Da solche „Diffusionierung“ eines Körpers physikalisch unmöglich ist und das Buch keine neue Physik erschließt, folgt daraus, dass hier alles bloße Simulation ist: Planeten und Orte, Menschen, Sauropoden, Wörter, Begriffe und selbst die Handlung – die all dies ohnehin nur sehr vordergründig verbindet. Masken verbergen hier nichts, sondern ersetzen, was nicht dahinter ist. Wörter deuten vage auf etwas hin, was im Glossar auch nicht klarer wird.
Da führt auch jene Wunderdroge nicht weiter, auf die der Titel hinweist. „Planet Magnon“ ist ein Konzeptroman für Leser, die sich mit Andeutungen und lexikalischen Links beim Spiel mit der Fiktion ferner Sonnensysteme zufriedengeben und die erzählerische Entfaltung dieser Welten nicht mehr erwarten. „Werden wir noch einmal zurück ins Wohnheim dürfen?“, fragt eine Angehörige der Juniordolfins einmal mit Tränen in den Kinderaugen: „Oder werden wir jetzt schneller erwachsen?“ Mit Kinderaugen muss man wohl in dieses Buch blicken, um es wie einen Roman lesen zu können.
Leif Randt: Planet Magnon. Roman. Kiepenheuer & Witsch Verlag, Köln 2015. 302 Seiten, 19,99 Euro. E-Book 17,99 Euro.
Hat jemand diese Planeten einer
Gravitationstherapie unterzogen?
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
»Im Vordergrund steht [...] wie klug [...] diese Geschichte ist. Und wie perfekt Randt die Sprache dafür einsetzt. [...] Planet Magnon steckt voller gescheiter und verrückter Einzelheiten.« Frankfurter Rundschau 20150515