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Die tragischen und komischen, überraschenden und erschütternden Geschichten der bekannten Fernsehjournalistin beleuchten den schwierigen Alltag in Moskau und in den entlegenen Winkeln des verfallenen und zerfallenden Russlands der Gegenwart. Die einfühlsamen Reportagen über das neue Russland haben nicht nur die große Politik und das offizielle Moskau zum Thema, sondern berichten auch von meist unbekannten Menschen - Veteranen, Jugendlichen, Neureichen, "Aussteigern", Polizisten, Kriminellen, Eisenbahnbeamten, Soldatenmüttern, Untergrundkämpfern und Partisanenführern. Engagiert, manchmal…mehr

Produktbeschreibung
Die tragischen und komischen, überraschenden und erschütternden Geschichten der bekannten Fernsehjournalistin beleuchten den schwierigen Alltag in Moskau und in den entlegenen Winkeln des verfallenen und zerfallenden Russlands der Gegenwart. Die einfühlsamen Reportagen über das neue Russland haben nicht nur die große Politik und das offizielle Moskau zum Thema, sondern berichten auch von meist unbekannten Menschen - Veteranen, Jugendlichen, Neureichen, "Aussteigern", Polizisten, Kriminellen, Eisenbahnbeamten, Soldatenmüttern, Untergrundkämpfern und Partisanenführern. Engagiert, manchmal drastisch, sehr persönlich, mitfühlend und doch differenziert schildert Sonia Mikich das anstrengende und widersprüchliche Alltagsleben in Russland und führt den Leser in die Slums, Salons und Schaltzentralen von Moskau ebenso wie in die entlegenen Ortschaften auf dem Land, in die eisige Einsamkeit Sibiriens und in die Hölle des Tschetschenienkrieges ...
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 30.06.1998

Kleine Politik
Tragische und komische Geschichten aus dem neuen Rußland

Sonia Mikich: Planet Moskau. Geschichten aus dem neuen Rußland. Kiepenheuer & Witsch Verlag, Köln 1998. 238 Seiten, 36,- Mark.

Die ARD-Korrespondentin Sonia Mikich unternimmt den Versuch einer Bilanz ihrer Moskauer Jahre. Tragische und komische, groteske und anrührende Geschichten lösen einander ab. Mit großer Politik und ihren Protagonisten hat sie wenig im Sinn. Ihre Helden sind zumeist "normale" Leute, die Geschichte weniger gestalten als erleiden. Sie besucht den ehemaligen Taxifahrer in der Todeszelle, der den durch die Privatisierung bedingten Abstieg vom absoluten Herrn über Fahrzeug und Fahrgast zum Diener des Kunden nicht bewältigte, seinen Arbeitsplatz verlor und glaubte, seine Misere nur noch durch Spekulieren steuern zu können; das erforderliche Kapital wollte er sich durch Raub und Mord an einem früheren Kollegen besorgen.

Sie begleitet die fünfzehnjährige Petersburger Vorstadt-"Madonna" Mascha auf ihrem Weg in eine gynäkologische Spezialklinik für Minderjährige; im Unterschied zu der zögernden Reporterin hat ihr Vater überhaupt nichts dagegen, wenn ein ausländisches Fernsehteam die Abtreibung filmt: "Dieses Rabenaas ist doch schon im ganzen Viertel bekannt, da kommt es auf ganz Deutschland auch nicht mehr an."

Sie schildert die bizarren Machenschaften der "Kollektivhexen", das heißt jener "überflüssig gewordenen" Rentnerinnen der aufgelösten Kolchose, die nunmehr das Dorfleben "kontrollieren" und in jedem Fremden einen Juden vermuten, sich aber durch Geschenke rasch besänftigen lassen. Mit Interesse und Neugier beobachtet sie das Gebaren der "biznesmeny" (businessmen) aller Kategorien - von den jugendlichen Autowäschern, die ihre Dienste jedem aufzwingen wollen, über die "raketjory" (Pistoleros), die allseits gefürchteten Schutzgeldeintreiber der russischen Mafia, bis hin zu der dünnen Schicht selbstbewußter Banker und Jungunternehmer, die sich als Pioniere der Marktwirtschaft verstehen.

Mit Humor und Ironie verfolgt Frau Mikich das Treiben der Moskauer "Schickeria", für deren Vorlieben - seien es Luxushotels auf Zypern oder italienisches Design - sie nur milden Spott übrig hat. Dennoch kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, daß es gerade diese neue Aufsteigerszene ist, zu der sie sich am meisten hingezogen fühlt.

Höhepunkte

Zu den Höhepunkten des Buches zählen die Passagen über den Tschetschenien-Krieg. Als "Kriegsberichterstatterin" vor Ort allein mit ihrem Kameramann unterwegs, gelingen ihr die besten Reportagen: "Da ist die Frau mit ihrem Sohn, die mit Eimern zur Wasserstelle gegangen sind . . . Friedlich liegen sie da, wie schlafend, wenn da nicht die erstarrende Pfütze schwarzen Blutes um sie wäre." Oder der kleine treue Hund in einer Straße von Grosnyj, der knurrend und beißend den Körper seines toten Herrn verteidigt, im Grunde aber nur seinen Freßvorrat beschützen will.

In einem knappen Feature zeichnet Frau Mikich ein Porträt der tschetschenischen Freiheitskämpferin und Untergrundjournalistin Chasmar: "Lola" Umarowa. Ihr verdankt sie das Interview mit dem untergetauchten tschetschenischen Präsidenten Dschochar Dudajew (Dezember 1995); für den vollständigen Text wäre man dankbar gewesen. In der fesselnden Schilderung über das Treffen mit dem wohl fähigsten militärischen Führer der Tschetschenen erfährt man nebenbei einige Neuigkeiten: Dudajew, selbst ehemaliger hochdekorierter sowjetischer Fliegergeneral, hatte schon wesentlich früher als andere seine Friedenshoffnungen auf einen sowjetischrussischen General gesetzt. Als der Sonderbeauftragte Präsident Jelzins, General Aleksandr Iwanowitsch Lebed, zu seiner Friedensmission aufbrach, war Dudajew jedoch bereits tot; sein unvorsichtiger Umgang mit dem Satelliten-Telefon hatte es russischen Einheiten ermöglicht, ihn anzupeilen und ihn mit einer Rakete zu töten.

Einigen der Geschichten merkt man an, daß sie mit heißer Nadel gestrickt worden sind. Mitunter gibt sich die Autorin zu interessanten Themen mit einigen flapsigen Bemerkungen zufrieden. Überhaupt scheinen die vertiefende Analyse und das Erklären von Hintergründen und Zusammenhängen im Gegensatz zum genauen Beobachten nicht gerade ihre Sache zu sein.

CASPAR FERENCZI

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