Diese Kulturgeschichte des Planetariums erkundet das ambivalente Gefühl des Wunderns - und wie es den Blick auf die Welt veränderte.Der Traum von der Eroberung des Weltraums inspiriert bis heute Wissenschaft und Technik, Kunst und Populärkultur. Der Erfüllung dieses Traums wähnten sich die Menschen ein Stück näher, die Anfang des 20. Jahrhunderts die ersten Planetarien der Welt besuchten. Die ersten öffentlichen Planetariumsvorführungen im Jahr 1924 entfachten eine regelrechte Planetariumseuphorie und zogen das Publikum in den Bann der Sterne.In ihrer Kulturgeschichte des Planetariums spürt Helen Ahner den Gefühlen, Wahrnehmungen und Erzählungen nach, die mit der Einrichtung der Planetarien in München, Jena, Wien und Hamburg einhergingen. Im Fokus stehen dabei die Technik-, Natur-, Körper- und Transzendenzerfahrungen, die den Planetariumsbesuch so besonders machten. Auf der Basis von über 900 Quellen zeigt sie, wie Planetarien zu Orten wurden, an denen sich Wissen, Wahrnehmen undWundern verbanden und an denen die Menschen lernten, was es hieß, sich modern zu fühlen.
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Rezensentin Silke Scheuermann bekommt Lust, ins Planetarium zu gehen, bei der Lektüre von Helen Ahners Geschichte dieses Wunderwerks der Unterhaltung und Bildung, ermöglicht durch die Firma Zeiss. Wie die Sternenmaschine uns im Zeitraffer die Entstehung von Galaxien nachvollziehen lässt, wie erotische Interessen auch mal unter Bildungsabsichten versteckt werden konnten und in welchem zeitgeschichtlichen Kontext das jeweils geschah, vermittelt die Autorin in ihrer Studie laut Scheuermann leicht lesbar, differenziert und ausführlich entlang historischer Quellen. Welche Rolle das Planetarium in der Moderne innehatte und wo es den Menschen im Verhältnis zum Universum verortete, erfährt Scheuermann im Text.
© Perlentaucher Medien GmbH
© Perlentaucher Medien GmbH
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 21.11.2023Unterm künstlichen Sternenhimmel
Wunder der Großstadt: Helen Ahner widmet der bald hundertjährigen Geschichte des Planetariums eine lesenswerte Darstellung.
Tiefes Dunkel umgibt uns. Da geht plötzlich ein lautes 'Oh' durch den Raum. Die Wände sind verschwunden, auf einmal sind wir ins Freie versetzt. Über uns leuchtet der Sternenhimmel wie in einer wunderschönen Sommernacht. Man vergisst ganz, wo man ist, und wenngleich jeder erwartet hat, dass man den Sternenhimmel zu Gesicht bekommen wird, so ist man doch ganz überrascht, ganz überwältigt von dem Anblick, der sich jetzt bietet . . ." Nicht nur der Reporter der österreichischen "Arbeiter-Zeitung", dessen schwärmerischer Bericht über die Eröffnung des neuen Wiener Planetariums im Mai 1927 erschien, war hingerissen. Ganz Wien machte sich in der folgenden Zeit auf den Weg, um zu sehen, was es mit der phänomenalen Sternen- und Planetenschau auf sich hatte. Das österreichische war weltweit erst das zweite Haus - genauer gesagt, die zweite Kuppel - ihrer Art, nachdem zwei Jahre zuvor in Berlin die Weltpremiere eines Planetariums stattgefunden hatte. Zahlreiche andere europäische Städte folgten. Eine "Planetariumseuphorie", wie Helen Ahner in ihrer Geschichte der Planetarien schreibt, war ausgebrochen.
Das "Wunder der Technik", das der Untertitel anführt und welches das revolutionäre Wahrnehmungserlebnis erst möglich machte, war der sogenannte Planetariums-Projektor, den die Firma Zeiss im Auftrag des Deutschen Museums in München entwickelt hatte: Diese imposante Maschine ermöglichte es, den Nachthimmel als naturgetreu nachgebildetes 260-Grad-Panorama auf die gekrümmte Innenwand eines Kuppelbaus zu werfen. Mittels dieses imposanten Geräts wurde der astronomische Vortrag zur Reise durch Raum und Zeit und beeindruckte ein Publikum, das bisher lediglich Teleskope oder Stereoskope als Instrumente zur Himmelsbeobachtung kannte. Nun konnte der künstliche Nachthimmel nach Bedarf verändert werden. In Zeitraffern wurde der Tag zur Nacht, wurden die Himmelskörper so gezeigt, wie sie sich von der anderen Seite der Erde aus darstellten. Zu guter Letzt ließen sich die Positionen und Bewegungen von Sternen und Planeten aus der Abertausende Jahre alten Vergangenheit oder einer weit entfernten Zukunft simulieren.
Ahners Buch stellt Geschichte und Kontext dieser spektakulären Inszenierung differenziert und ausführlich dar; ihre Studie ist dabei auch für den interessierten Laien wunderbar flüssig zu lesen. Das Sich-Wundern der Zeitzeugen als Erfahrungshorizonte aus historischen Quellen extrahierend, entwickelt sie Fragestellungen und Strategien, das Planetarium als beispielhaftes Phänomen dem "Wunder-Topos" zuzuordnen. Allein die Tatsache, dass medial konsequent vom Planetarium als "Wunder der Technik" gesprochen worden sei, hat demnach für ein Publikum gesorgt, Neugier bewirkt und Nähe geschaffen. Der Schlager "Schatzerl, wir gehen ins Planetarium", den ein Wiener Kapellmeister sich einfallen ließ, brach in diesem Sinne das "Rendez-Vous mit dem All" - so eine andere Zeitungs-Schlagzeile - pragmatisch darauf herunter, dass so ein Planetarium auch einen fabelhaften Treffpunkt für ein Stelldichein unter Liebenden abgab. Wo sonst konnte man sich im Dunkeln unter Sternen in der Stadt treffen - und sein erotisches Interesse unter dem Deckmäntelchen von Bildungsabsichten verbergen?
Von solchen Kapriolen der Populärkultur abgesehen, hatten die spektakulären Himmelsreisen und -simulationen auch weitreichendere Wirkung, fanden Resonanz in Wissenschaft und Philosophie. Vom "Schauer kosmischer Erfahrung", den die Menschen im "Lunapark" verspürten, sprach Walter Benjamin bereits 1928 im Essay "Zum Planetarium" und wies auch schon darauf hin, dass eine solche Erfahrung neuerdings, dank der neuen technischen Möglichkeiten, "unabhängig vom realen Naturerlebnis" reproduzierbar geworden sei. "Die Lunaparks" wurden für ihn gar zu einer "Vorform von Sanatorien", da sie eine therapeutisch wirkende Erfahrung hinterließen.
Die Autorin zeigt anschaulich, wie die Geschichte des Planetariums mit dem Verständnis von Technik und Wunder in der historischen Moderne verknüpft ist und welche Narrative dabei ins Spiel kamen. Dabei hebt sie im Unterschied zu Benjamin weniger auf die neue, durch Technik und die von ihr ermöglichten Erfahrungen geschaffene Ordnung ab, sondern entwickelt gerade von den "Rändern" des Phänomens Sternenschauhaus eine Perspektive, die Auflösung und Neuordnung ineinander verwebt. "Das Planetarium stellt nichts weniger als die Position des Menschen zum und im Universum zur Debatte", und "im Kern des Wundertopos pulsiert", so Ahner, "ein Fortschrittsglaube". Natur und Kultur könnten einerseits "geordnet, separiert und definiert" erscheinen, andererseits entstanden für Ahner genau hier Erfahrungen, die man beiden Sphären zurechnen konnte und die so außergewöhnlich waren, dass sie beim Publikum eine Gefühlslage auslösten, die es in die Sphäre des Erhabenen versetzte. Neugier lässt sich als legitime rationale und wissenschaftliche Haltung ansehen. Aber sie lässt sich auch als Empfindung behandeln, und in diesem Sinne weckt das Buch auch beim Leser Neugier, hat Antworten parat und stellt neue Fragen. Wer dieser Tage nicht dazu kommt, mal wieder ein Planetarium zu besuchen, könnte es nutzen, sich lesend zu einem Rendezvous mit dem Kosmos einzufinden. SILKE SCHEUERMANN
Helen Ahner: "Planetarien". Wunder der Technik - Techniken des Wunders.
Wallstein Verlag, Göttingen 2023. 368 S., Abb., geb., 38,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Wunder der Großstadt: Helen Ahner widmet der bald hundertjährigen Geschichte des Planetariums eine lesenswerte Darstellung.
Tiefes Dunkel umgibt uns. Da geht plötzlich ein lautes 'Oh' durch den Raum. Die Wände sind verschwunden, auf einmal sind wir ins Freie versetzt. Über uns leuchtet der Sternenhimmel wie in einer wunderschönen Sommernacht. Man vergisst ganz, wo man ist, und wenngleich jeder erwartet hat, dass man den Sternenhimmel zu Gesicht bekommen wird, so ist man doch ganz überrascht, ganz überwältigt von dem Anblick, der sich jetzt bietet . . ." Nicht nur der Reporter der österreichischen "Arbeiter-Zeitung", dessen schwärmerischer Bericht über die Eröffnung des neuen Wiener Planetariums im Mai 1927 erschien, war hingerissen. Ganz Wien machte sich in der folgenden Zeit auf den Weg, um zu sehen, was es mit der phänomenalen Sternen- und Planetenschau auf sich hatte. Das österreichische war weltweit erst das zweite Haus - genauer gesagt, die zweite Kuppel - ihrer Art, nachdem zwei Jahre zuvor in Berlin die Weltpremiere eines Planetariums stattgefunden hatte. Zahlreiche andere europäische Städte folgten. Eine "Planetariumseuphorie", wie Helen Ahner in ihrer Geschichte der Planetarien schreibt, war ausgebrochen.
Das "Wunder der Technik", das der Untertitel anführt und welches das revolutionäre Wahrnehmungserlebnis erst möglich machte, war der sogenannte Planetariums-Projektor, den die Firma Zeiss im Auftrag des Deutschen Museums in München entwickelt hatte: Diese imposante Maschine ermöglichte es, den Nachthimmel als naturgetreu nachgebildetes 260-Grad-Panorama auf die gekrümmte Innenwand eines Kuppelbaus zu werfen. Mittels dieses imposanten Geräts wurde der astronomische Vortrag zur Reise durch Raum und Zeit und beeindruckte ein Publikum, das bisher lediglich Teleskope oder Stereoskope als Instrumente zur Himmelsbeobachtung kannte. Nun konnte der künstliche Nachthimmel nach Bedarf verändert werden. In Zeitraffern wurde der Tag zur Nacht, wurden die Himmelskörper so gezeigt, wie sie sich von der anderen Seite der Erde aus darstellten. Zu guter Letzt ließen sich die Positionen und Bewegungen von Sternen und Planeten aus der Abertausende Jahre alten Vergangenheit oder einer weit entfernten Zukunft simulieren.
Ahners Buch stellt Geschichte und Kontext dieser spektakulären Inszenierung differenziert und ausführlich dar; ihre Studie ist dabei auch für den interessierten Laien wunderbar flüssig zu lesen. Das Sich-Wundern der Zeitzeugen als Erfahrungshorizonte aus historischen Quellen extrahierend, entwickelt sie Fragestellungen und Strategien, das Planetarium als beispielhaftes Phänomen dem "Wunder-Topos" zuzuordnen. Allein die Tatsache, dass medial konsequent vom Planetarium als "Wunder der Technik" gesprochen worden sei, hat demnach für ein Publikum gesorgt, Neugier bewirkt und Nähe geschaffen. Der Schlager "Schatzerl, wir gehen ins Planetarium", den ein Wiener Kapellmeister sich einfallen ließ, brach in diesem Sinne das "Rendez-Vous mit dem All" - so eine andere Zeitungs-Schlagzeile - pragmatisch darauf herunter, dass so ein Planetarium auch einen fabelhaften Treffpunkt für ein Stelldichein unter Liebenden abgab. Wo sonst konnte man sich im Dunkeln unter Sternen in der Stadt treffen - und sein erotisches Interesse unter dem Deckmäntelchen von Bildungsabsichten verbergen?
Von solchen Kapriolen der Populärkultur abgesehen, hatten die spektakulären Himmelsreisen und -simulationen auch weitreichendere Wirkung, fanden Resonanz in Wissenschaft und Philosophie. Vom "Schauer kosmischer Erfahrung", den die Menschen im "Lunapark" verspürten, sprach Walter Benjamin bereits 1928 im Essay "Zum Planetarium" und wies auch schon darauf hin, dass eine solche Erfahrung neuerdings, dank der neuen technischen Möglichkeiten, "unabhängig vom realen Naturerlebnis" reproduzierbar geworden sei. "Die Lunaparks" wurden für ihn gar zu einer "Vorform von Sanatorien", da sie eine therapeutisch wirkende Erfahrung hinterließen.
Die Autorin zeigt anschaulich, wie die Geschichte des Planetariums mit dem Verständnis von Technik und Wunder in der historischen Moderne verknüpft ist und welche Narrative dabei ins Spiel kamen. Dabei hebt sie im Unterschied zu Benjamin weniger auf die neue, durch Technik und die von ihr ermöglichten Erfahrungen geschaffene Ordnung ab, sondern entwickelt gerade von den "Rändern" des Phänomens Sternenschauhaus eine Perspektive, die Auflösung und Neuordnung ineinander verwebt. "Das Planetarium stellt nichts weniger als die Position des Menschen zum und im Universum zur Debatte", und "im Kern des Wundertopos pulsiert", so Ahner, "ein Fortschrittsglaube". Natur und Kultur könnten einerseits "geordnet, separiert und definiert" erscheinen, andererseits entstanden für Ahner genau hier Erfahrungen, die man beiden Sphären zurechnen konnte und die so außergewöhnlich waren, dass sie beim Publikum eine Gefühlslage auslösten, die es in die Sphäre des Erhabenen versetzte. Neugier lässt sich als legitime rationale und wissenschaftliche Haltung ansehen. Aber sie lässt sich auch als Empfindung behandeln, und in diesem Sinne weckt das Buch auch beim Leser Neugier, hat Antworten parat und stellt neue Fragen. Wer dieser Tage nicht dazu kommt, mal wieder ein Planetarium zu besuchen, könnte es nutzen, sich lesend zu einem Rendezvous mit dem Kosmos einzufinden. SILKE SCHEUERMANN
Helen Ahner: "Planetarien". Wunder der Technik - Techniken des Wunders.
Wallstein Verlag, Göttingen 2023. 368 S., Abb., geb., 38,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
»Ahners Buch stellt Geschichte und Kontext dieser spektakulären Inszenierung differenziert und ausführlich dar; ihre Studie ist dabei auch für den interessierten Laien wunderbar flüssig zu lesen.« (Silke Scheuermann, FAZ, 21.11.2023) »Wer dieser Tage nicht dazu kommt, mal wieder ein Planetarium zu besuchen, könnte es nutzen, sich lesend zu einem Rendezvous mit dem Kosmos einzufinden.« (Silke Scheuermann, FAZ, 21.11.2023)