Das hundertste Gründungsjubiläum des Verbandes der Automobilindustrie im Januar 2001 ist Anlass für das Erscheinen eines außergewöhnlichen Automobilbuches.
Mit Peter Kirchbergs Plaste, Blech und Planwirtschaft gibt es nun ein Standardwerk nicht nur zur Geschichte der Motorisierung im Nachkriegsdeutschland, sondern auch zur Entwicklung von Technik und Industrie unter den Bedingungen der Planwirtschaft. Analysiert werden Pläne und Perspektiven der Automobilindustrie von der Nachkriegszeit bis ins Jahrzehnt nach dem Erlöschen der DDR. Der Autor schöpft in seiner umfassenden Studie aus einer Fülle bislang unveröffentlichten Materials, aus Privatarchiven und aus zahlreichen Gesprächen mit beteiligten Technikern und Ingenieuren.
Am Beispiel eines Industriezweiges, der das Alltagsleben in besonderer Weise beeinflusst, wird das Verhältnis zwischen Industrie und Volkswirtschaft ebenso beleuchtet wie das Spannungsfeld zwischen Planung auf der einen sowie Markt und Wettbewerb auf der anderen Seite.
So ist eine der ersten umfassenden Monographien zur Technikgeschichte eines Industriezweiges in der DDR entstanden ? ein wichtiges Dokument zur Industriegeschichte und ein besonderes Buch für alle, die sich für Autos interessieren.
Mit Peter Kirchbergs Plaste, Blech und Planwirtschaft gibt es nun ein Standardwerk nicht nur zur Geschichte der Motorisierung im Nachkriegsdeutschland, sondern auch zur Entwicklung von Technik und Industrie unter den Bedingungen der Planwirtschaft. Analysiert werden Pläne und Perspektiven der Automobilindustrie von der Nachkriegszeit bis ins Jahrzehnt nach dem Erlöschen der DDR. Der Autor schöpft in seiner umfassenden Studie aus einer Fülle bislang unveröffentlichten Materials, aus Privatarchiven und aus zahlreichen Gesprächen mit beteiligten Technikern und Ingenieuren.
Am Beispiel eines Industriezweiges, der das Alltagsleben in besonderer Weise beeinflusst, wird das Verhältnis zwischen Industrie und Volkswirtschaft ebenso beleuchtet wie das Spannungsfeld zwischen Planung auf der einen sowie Markt und Wettbewerb auf der anderen Seite.
So ist eine der ersten umfassenden Monographien zur Technikgeschichte eines Industriezweiges in der DDR entstanden ? ein wichtiges Dokument zur Industriegeschichte und ein besonderes Buch für alle, die sich für Autos interessieren.
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 08.01.2001Das Recht auf Beschleunigung
Eine Geschichte des DDR-Automobilbaus – und eine Studie in kinetischer Demokratie
Im Jahr 1964 war’s: Die Rolling Stones absolvierten ihren ersten US-Fernsehauftritt, John Jaspers präsentierte seine Pop-Art in New York, die Bundesrepublik verwies das Bolschoi-Ballett des halben Landes, und die DDR ließ neue, ganz besonders souveräne Personalausweise ausgeben – da begann die Serienfertigung eines Automobils, das vom Band direkt in die Geschichte rollte. P 601, der Trabi. Eigentlich als eine Zwischenlösung gedacht, denn für 1970 war ein so genannter „Perspektiv-Pkw” in Planung, nur kam der real existierende Sozialismus nicht dazu. Statt dessen wurde der Trabant ein Vierteljahrhundert lang gebaut. Ihm klopfte man im Westen großspurig aufs Dach, 1989, als die Grenzen endlich offen waren. Der Trabant – Symbol des Misslingens.
Dabei hatte alles so gut angefangen. Autos aus Zwickau und Eisenach genossen einen prima Ruf, und etwa ein Drittel des „Gesamtpotenzials der deutschen Kraftfahrzeugindustrie” befand sich nach dem Krieg in dem Teil Deutschlands, den die Sowjets besetzten. Und ungeachtet aller Reparationsforderungen: Für einen Rennwagen mit der Typenbezeichnung 650 besorgten die russischen Besatzer ordentliche Reifen bei Pirelli, und tatsächlich baute man auch BMWs in Eisenach: 1949 präsentierte man ein Modell S1, das auch James Bond beglückt hätte, und der 324 trug nicht nur die (heillos kapitalistische) BMW-Doppelniere frech im Gesicht, sondern er sah dem Modell 501 aus München auch verblüffend ähnlich. Noch produzierten die Brüderstaaten die gleichen Autos, basierend auf denselben Vorkriegsstudien.
Politik und Wirtschaft, Design und Alltag – alles findet seinen Platz in der „Geschichte des Automobilbaus” des Automobilhistoriker Peter Kirchberg. Vor allem aber ist es eine Technikgeschichte, mit viel Sachverstand und stupender Kenntnis geschrieben, viel zu viel für den Laien, mehr als genug für den Fachmann. Und wenn Kirchberg angibt, dass er sein Stück Automobilhistorie „von unten” angeht, heißt das durchaus von unten nach oben: von der kleinsten Schraube bis zum größten Funktionär. Final wäre sie sowieso gewesen, die erste Geschichte des DDR-Automobilbaus, nun ist sie auch noch definitiv. Jede Menge Geschichten hat Peter Kirchberg zu erzählen, auch wenn er sie oft zwischen Diesel- und Unterflurmotoren, Graugussblöcken und Niederrahmenfahrgestellen versteckt.
Die vom letzten Horch zum Beispiel, Diktatorenkarosse bis zum Schluss, von Hitler bis Ulbricht. Zu dessen Geburtstag nämlich, am 30. Juni 1954 sollte ein repräsentatives Modell vorgestellt werden, ungeachtet aller Material- und Entwicklungsschwierigkeiten. Die Auflagen wurden erfüllt, und gemessenen Schritts umrundete Ulbricht sein Präsent, das tatsächlich das Horch-Symbol trug. Die kurze Entwicklungszeit aber forderte ihren Tribut. Der P 240 verschwand 1959 in der Versenkung, nur 1382-mal war er gebaut worden, Ulbricht sei Dank. „Der Herr”, sagt Peter Sloterdijk, und er spricht von der präautomobilen Zeit, „spiegelte sich in seinen Fahrzeugen. ”
Genau das macht die Geschichte des DDR-Automobilbaus so eigen- und einzigartig: Im Osten Deutschlands ist jene „kinetische Demokratie” nie hergestellt worden, auf die jeder Automobilbau im Grunde aus ist. An der schlimmen Geschichte des Fahrzeugbaus im real existierenden Sozialismus lässt sich deshalb ablesen, warum „gleich” oft einfach „gleich schnell” heißt. Weder Schiff noch Eisenbahn noch Flugzeug können nämlich, was ein Auto vermag: den Eroberer individualisieren und das Individuum zu einem Eroberer machen. Weil er einfach langsamer war, verhinderte der Trabant die Emanzipation der Massen. Das Volk aber hat ein Recht auf Beschleunigung. Der Trabant allein ist Grund zur Revolution. Im ZK hat das wohl nie jemand begriffen.
Der letzte Horch übrigens verunglückte gleich bei seiner Probefahrt, eine Woche vor dem Ulbricht-Geburtstag. Auf „der Reichenbacher Straße in Zwickau kreuzte ein Lkw unvermittelt die Spur des Versuchsfahrzeugs”. Der P 240 kollidierte mit einem Oberleitungsmast. Fritz Meier, der Pilot, blieb unverletzt. Körperlich zumindest.
WIELAND FREUND
PETER KIRCHBERG: Plaste, Blech und Planwirtschaft. Die Geschichte des Automobilbaus in der DDR. Nicolai Verlag, Berlin 2000. 798 Seiten, Abbildungen,
68 Mark.
Vom Band direkt in die Geschichte gerollt: der Trabi.
Foto: Langer/SZ-Archiv
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
Eine Geschichte des DDR-Automobilbaus – und eine Studie in kinetischer Demokratie
Im Jahr 1964 war’s: Die Rolling Stones absolvierten ihren ersten US-Fernsehauftritt, John Jaspers präsentierte seine Pop-Art in New York, die Bundesrepublik verwies das Bolschoi-Ballett des halben Landes, und die DDR ließ neue, ganz besonders souveräne Personalausweise ausgeben – da begann die Serienfertigung eines Automobils, das vom Band direkt in die Geschichte rollte. P 601, der Trabi. Eigentlich als eine Zwischenlösung gedacht, denn für 1970 war ein so genannter „Perspektiv-Pkw” in Planung, nur kam der real existierende Sozialismus nicht dazu. Statt dessen wurde der Trabant ein Vierteljahrhundert lang gebaut. Ihm klopfte man im Westen großspurig aufs Dach, 1989, als die Grenzen endlich offen waren. Der Trabant – Symbol des Misslingens.
Dabei hatte alles so gut angefangen. Autos aus Zwickau und Eisenach genossen einen prima Ruf, und etwa ein Drittel des „Gesamtpotenzials der deutschen Kraftfahrzeugindustrie” befand sich nach dem Krieg in dem Teil Deutschlands, den die Sowjets besetzten. Und ungeachtet aller Reparationsforderungen: Für einen Rennwagen mit der Typenbezeichnung 650 besorgten die russischen Besatzer ordentliche Reifen bei Pirelli, und tatsächlich baute man auch BMWs in Eisenach: 1949 präsentierte man ein Modell S1, das auch James Bond beglückt hätte, und der 324 trug nicht nur die (heillos kapitalistische) BMW-Doppelniere frech im Gesicht, sondern er sah dem Modell 501 aus München auch verblüffend ähnlich. Noch produzierten die Brüderstaaten die gleichen Autos, basierend auf denselben Vorkriegsstudien.
Politik und Wirtschaft, Design und Alltag – alles findet seinen Platz in der „Geschichte des Automobilbaus” des Automobilhistoriker Peter Kirchberg. Vor allem aber ist es eine Technikgeschichte, mit viel Sachverstand und stupender Kenntnis geschrieben, viel zu viel für den Laien, mehr als genug für den Fachmann. Und wenn Kirchberg angibt, dass er sein Stück Automobilhistorie „von unten” angeht, heißt das durchaus von unten nach oben: von der kleinsten Schraube bis zum größten Funktionär. Final wäre sie sowieso gewesen, die erste Geschichte des DDR-Automobilbaus, nun ist sie auch noch definitiv. Jede Menge Geschichten hat Peter Kirchberg zu erzählen, auch wenn er sie oft zwischen Diesel- und Unterflurmotoren, Graugussblöcken und Niederrahmenfahrgestellen versteckt.
Die vom letzten Horch zum Beispiel, Diktatorenkarosse bis zum Schluss, von Hitler bis Ulbricht. Zu dessen Geburtstag nämlich, am 30. Juni 1954 sollte ein repräsentatives Modell vorgestellt werden, ungeachtet aller Material- und Entwicklungsschwierigkeiten. Die Auflagen wurden erfüllt, und gemessenen Schritts umrundete Ulbricht sein Präsent, das tatsächlich das Horch-Symbol trug. Die kurze Entwicklungszeit aber forderte ihren Tribut. Der P 240 verschwand 1959 in der Versenkung, nur 1382-mal war er gebaut worden, Ulbricht sei Dank. „Der Herr”, sagt Peter Sloterdijk, und er spricht von der präautomobilen Zeit, „spiegelte sich in seinen Fahrzeugen. ”
Genau das macht die Geschichte des DDR-Automobilbaus so eigen- und einzigartig: Im Osten Deutschlands ist jene „kinetische Demokratie” nie hergestellt worden, auf die jeder Automobilbau im Grunde aus ist. An der schlimmen Geschichte des Fahrzeugbaus im real existierenden Sozialismus lässt sich deshalb ablesen, warum „gleich” oft einfach „gleich schnell” heißt. Weder Schiff noch Eisenbahn noch Flugzeug können nämlich, was ein Auto vermag: den Eroberer individualisieren und das Individuum zu einem Eroberer machen. Weil er einfach langsamer war, verhinderte der Trabant die Emanzipation der Massen. Das Volk aber hat ein Recht auf Beschleunigung. Der Trabant allein ist Grund zur Revolution. Im ZK hat das wohl nie jemand begriffen.
Der letzte Horch übrigens verunglückte gleich bei seiner Probefahrt, eine Woche vor dem Ulbricht-Geburtstag. Auf „der Reichenbacher Straße in Zwickau kreuzte ein Lkw unvermittelt die Spur des Versuchsfahrzeugs”. Der P 240 kollidierte mit einem Oberleitungsmast. Fritz Meier, der Pilot, blieb unverletzt. Körperlich zumindest.
WIELAND FREUND
PETER KIRCHBERG: Plaste, Blech und Planwirtschaft. Die Geschichte des Automobilbaus in der DDR. Nicolai Verlag, Berlin 2000. 798 Seiten, Abbildungen,
68 Mark.
Vom Band direkt in die Geschichte gerollt: der Trabi.
Foto: Langer/SZ-Archiv
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 22.11.2001Friedenstauben waren schneller
Bestellen Sie, aber schlagen Sie sich die Lieferung aus dem Kopf: Peter Kirchberg erzählt die Geschichte des Automobilbaus in der DDR
Daß die Menschen im Osten Deutschlands in den ersten fünfundvierzig Jahren nach der Teilung andere Erfahrungen gemacht haben als die Bewohner der westlichen Bundesländer, haben wir inzwischen wohl begriffen. Worin aber dieser Unterschied bestanden hat, läßt sich zwar an den Fakten darlegen, jedoch nicht immer leicht nachempfinden. Peter Kirchberg, Professor für Technik und Verkehrsgeschichte und langjähriger Dozent an der Hochschule für Verkehrswesen "Friedrich List" in Dresden, hat ein Buch vorgelegt, das sich mit dem Automobilbau in Ostdeutschland beschäftigt und das dem interessierten Leser zahlreiche technische Details und Abbildungen hierzu liefert. Umfassend erzählt er die Geschichte sämtlicher Entwicklungen aus den Jahren 1945 bis 1990.
Daß am Beginn der Industriegeschichte der DDR nicht nur, wie in Westdeutschland, die Zerstörungen durch den Krieg stehen, sondern auch die Demontage durch die östliche Siegermacht, davon hat man auch in den alten Bundesländern schon gehört. Wie sehr jedoch durch die Demontage der Wiederaufbau tatsächlich verzögert und zum Teil auch verhindert wurde, wird erst durch Schilderungen wie die des Autors und der von ihm herangezogenen Zeitzeugen begreifbar.
Ein großer Teil der Ingenieure und Facharbeiter war nach dem Krieg in den Westen abgewandert, weshalb den verbliebenen Fachkräften Vergünstigungen gewährt wurden, wenn sie für die nunmehr unter sowjetischer Verwaltung stehenden Betriebe arbeiteten. Dazu zählten der Einkauf in exklusiven Geschäften, Zuteilung von Naturalien wie Schnaps und Zigaretten oder die Einstellung von Verfahren gegen ehemalige Mitglieder der NSDAP. Natürlich lag es nahe, anfangs die Vorkriegsmodelle zu produzieren, von denen ein großer Teil in die sozialistischen Bruderländer exportiert wurde. Schon bald aber wollte man mit neuen Modellen aus eigener Entwicklung auftreten. Welche Modelle schließlich in die Fertigung gelangten, war Sache der Funktionäre. Der Sachsenring P 240 entsprach dem Wunsch nach einer Staatskarosse und wurde von Walter Ulbricht mit dem Mercedes-Vorbild verglichen, das es möglichst zu übertreffen galt. Während westdeutsche Autokäufer jedoch auf die Erfüllung des Traums vom absinthgrünen Sportkabriolett mit hochroter Bereifung hoffen konnten, wurden derartige Konstruktionen vom Staatsratsvorsitzenden als "Playboy-Auto" abgelehnt.
Das Fehlen eines Großteils der früheren Zulieferbetriebe, die beinahe unerreichbar auf der anderen Seite des Eisernen Vorhangs lagen, wirkte sich nachhaltig auf die Entwicklungen des ostdeutschen Automobilbaus aus. Auf einer der zahlreichen Abbildungen sieht man einen Güterzug mit Autos des Typs IFA F8, der für den Export ohne Reserverad geliefert wurde, weil es keine Reifen gab. "Als Trost klebte man in das hintere Seitenfenster eine Friedenstaube", heißt es dazu lapidar in der Bildunterschrift. Vor allem das Fehlen geeigneter Tiefziehbleche machte den Ingenieuren zu schaffen. Die Verwendung von Kunststoffen schien eine gute Lösung für dieses Dilemma zu sein, denn auch in den westlichen Industrieländern wurden Fahrzeuge mit solchen Karosserien entwickelt, unter anderem die berühmte Corvette von Chevrolet. Doch auch diese Alternative bereitete Probleme in der Herstellung, weil auch für diesen Zweck nur zweitklassige Grundstoffe zur Verfügung standen. So platzten anfangs die Oberflächen der Karosserien nach einiger Zeit auf, weil man Baumwollfasern verarbeitete, die aufquellen konnten.
Der Individualverkehr paßte nicht zu den Vorstellungen einer sozialistischen Gesellschaft, weshalb die Produktion von Nutzfahrzeugen stets höher priorisiert wurde. Andererseits maßen die Bürger aber den Wohlstand, den ihnen der Sozialismus verhieß, auch und gerade an der Verfügbarkeit von Personenkraftwagen. Weil immer mehr undankbare Genossen den Arbeiter- und-Bauern-Staat verließen, um sich im nichtsozialistischen Ausland schalen Genüssen hinzugeben, wurden Mitte der fünfziger Jahre gesteigerte Wachstumsraten für den Automobilsektor beschlossen, die sich jedoch schon nach wenigen Jahren als unerfüllbar erwiesen.
Warum solche Pläne scheiterten, mag man am Beispiel der Ersatzteilversorgung nachvollziehen. Diese Teile wurden nach Bedarf produziert, der Bedarf wurde vom Handel ermittelt, der die eingehenden Bestellungen registrierte. Weil aber allgemein bekannt war, daß an eine Lieferung der bestellten Teile nicht zu denken war, gingen keine Bestellungen ein. Ähnlich verhielt es sich mit den Zulieferteilen. Hier kam erschwerend hinzu, daß die Zulieferer ihre Produktion nicht nach der Anzahl der erfüllten Aufträge steuerten, sondern den Plan nach produzierten Tonnen zu erfüllen hatten. Die Methoden der Planwirtschaft wurden mit den Jahren zwar verfeinert, doch eine effektive Industrie konnte sie nie hervorbringen.
Auch eine Kooperation mit der CSSR (Skoda) konnte das System nicht umsetzen. Für das gemeinsame Fahrzeug sah der deutsche Entwurf einen quer eingebauten Frontantrieb vor, der tschechoslowakische einen längs eingebauten Hinterradantrieb. Nach den Regeln der Zusammenarbeit zwischen sozialistischen Bruderländern verzichtete die eine Seite auf die Forderung nach Quereinbau, die andere auf den Hinterradantrieb. Letztlich scheiterte das Projekt jedoch an innenpolitischen Querelen zwischen Ministerrat und Partei.
Die Schilderungen Kirchbergs zur Entwicklung des Personenwagenbaus lesen sich wie eine Aneinanderreihung von Pleiten, Pech und Pannen, wie es der Titel des Buches nahelegt. In ähnlichem Umfang liefert uns Kirchberg zudem noch die Chronik der Nutzfahrzeuge in der DDR. Über die Ereignisse nach 1990 berichtet er nur kurz, vor allem, um festzustellen, daß die ostdeutsche Automobilindustrie nach dem Verlust zahlreicher Arbeitsplätze in den letzten zehn Jahren den Anschluß an die Weltspitze geschafft hat. Auf Bildern von modernen Fertigungsstätten sieht man blühende Industrielandschaften.
HARTMUT HÄNSEL
Peter Kirchberg: "Plaste, Blech und Planwirtschaft". Die Geschichte des Automobilbaus in der DDR. Nicolai'sche Verlagsbuchhandlung, Berlin 2000. 800 S., 522 S/W- u. 108 Farb-Abb., geb., 68,- DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Bestellen Sie, aber schlagen Sie sich die Lieferung aus dem Kopf: Peter Kirchberg erzählt die Geschichte des Automobilbaus in der DDR
Daß die Menschen im Osten Deutschlands in den ersten fünfundvierzig Jahren nach der Teilung andere Erfahrungen gemacht haben als die Bewohner der westlichen Bundesländer, haben wir inzwischen wohl begriffen. Worin aber dieser Unterschied bestanden hat, läßt sich zwar an den Fakten darlegen, jedoch nicht immer leicht nachempfinden. Peter Kirchberg, Professor für Technik und Verkehrsgeschichte und langjähriger Dozent an der Hochschule für Verkehrswesen "Friedrich List" in Dresden, hat ein Buch vorgelegt, das sich mit dem Automobilbau in Ostdeutschland beschäftigt und das dem interessierten Leser zahlreiche technische Details und Abbildungen hierzu liefert. Umfassend erzählt er die Geschichte sämtlicher Entwicklungen aus den Jahren 1945 bis 1990.
Daß am Beginn der Industriegeschichte der DDR nicht nur, wie in Westdeutschland, die Zerstörungen durch den Krieg stehen, sondern auch die Demontage durch die östliche Siegermacht, davon hat man auch in den alten Bundesländern schon gehört. Wie sehr jedoch durch die Demontage der Wiederaufbau tatsächlich verzögert und zum Teil auch verhindert wurde, wird erst durch Schilderungen wie die des Autors und der von ihm herangezogenen Zeitzeugen begreifbar.
Ein großer Teil der Ingenieure und Facharbeiter war nach dem Krieg in den Westen abgewandert, weshalb den verbliebenen Fachkräften Vergünstigungen gewährt wurden, wenn sie für die nunmehr unter sowjetischer Verwaltung stehenden Betriebe arbeiteten. Dazu zählten der Einkauf in exklusiven Geschäften, Zuteilung von Naturalien wie Schnaps und Zigaretten oder die Einstellung von Verfahren gegen ehemalige Mitglieder der NSDAP. Natürlich lag es nahe, anfangs die Vorkriegsmodelle zu produzieren, von denen ein großer Teil in die sozialistischen Bruderländer exportiert wurde. Schon bald aber wollte man mit neuen Modellen aus eigener Entwicklung auftreten. Welche Modelle schließlich in die Fertigung gelangten, war Sache der Funktionäre. Der Sachsenring P 240 entsprach dem Wunsch nach einer Staatskarosse und wurde von Walter Ulbricht mit dem Mercedes-Vorbild verglichen, das es möglichst zu übertreffen galt. Während westdeutsche Autokäufer jedoch auf die Erfüllung des Traums vom absinthgrünen Sportkabriolett mit hochroter Bereifung hoffen konnten, wurden derartige Konstruktionen vom Staatsratsvorsitzenden als "Playboy-Auto" abgelehnt.
Das Fehlen eines Großteils der früheren Zulieferbetriebe, die beinahe unerreichbar auf der anderen Seite des Eisernen Vorhangs lagen, wirkte sich nachhaltig auf die Entwicklungen des ostdeutschen Automobilbaus aus. Auf einer der zahlreichen Abbildungen sieht man einen Güterzug mit Autos des Typs IFA F8, der für den Export ohne Reserverad geliefert wurde, weil es keine Reifen gab. "Als Trost klebte man in das hintere Seitenfenster eine Friedenstaube", heißt es dazu lapidar in der Bildunterschrift. Vor allem das Fehlen geeigneter Tiefziehbleche machte den Ingenieuren zu schaffen. Die Verwendung von Kunststoffen schien eine gute Lösung für dieses Dilemma zu sein, denn auch in den westlichen Industrieländern wurden Fahrzeuge mit solchen Karosserien entwickelt, unter anderem die berühmte Corvette von Chevrolet. Doch auch diese Alternative bereitete Probleme in der Herstellung, weil auch für diesen Zweck nur zweitklassige Grundstoffe zur Verfügung standen. So platzten anfangs die Oberflächen der Karosserien nach einiger Zeit auf, weil man Baumwollfasern verarbeitete, die aufquellen konnten.
Der Individualverkehr paßte nicht zu den Vorstellungen einer sozialistischen Gesellschaft, weshalb die Produktion von Nutzfahrzeugen stets höher priorisiert wurde. Andererseits maßen die Bürger aber den Wohlstand, den ihnen der Sozialismus verhieß, auch und gerade an der Verfügbarkeit von Personenkraftwagen. Weil immer mehr undankbare Genossen den Arbeiter- und-Bauern-Staat verließen, um sich im nichtsozialistischen Ausland schalen Genüssen hinzugeben, wurden Mitte der fünfziger Jahre gesteigerte Wachstumsraten für den Automobilsektor beschlossen, die sich jedoch schon nach wenigen Jahren als unerfüllbar erwiesen.
Warum solche Pläne scheiterten, mag man am Beispiel der Ersatzteilversorgung nachvollziehen. Diese Teile wurden nach Bedarf produziert, der Bedarf wurde vom Handel ermittelt, der die eingehenden Bestellungen registrierte. Weil aber allgemein bekannt war, daß an eine Lieferung der bestellten Teile nicht zu denken war, gingen keine Bestellungen ein. Ähnlich verhielt es sich mit den Zulieferteilen. Hier kam erschwerend hinzu, daß die Zulieferer ihre Produktion nicht nach der Anzahl der erfüllten Aufträge steuerten, sondern den Plan nach produzierten Tonnen zu erfüllen hatten. Die Methoden der Planwirtschaft wurden mit den Jahren zwar verfeinert, doch eine effektive Industrie konnte sie nie hervorbringen.
Auch eine Kooperation mit der CSSR (Skoda) konnte das System nicht umsetzen. Für das gemeinsame Fahrzeug sah der deutsche Entwurf einen quer eingebauten Frontantrieb vor, der tschechoslowakische einen längs eingebauten Hinterradantrieb. Nach den Regeln der Zusammenarbeit zwischen sozialistischen Bruderländern verzichtete die eine Seite auf die Forderung nach Quereinbau, die andere auf den Hinterradantrieb. Letztlich scheiterte das Projekt jedoch an innenpolitischen Querelen zwischen Ministerrat und Partei.
Die Schilderungen Kirchbergs zur Entwicklung des Personenwagenbaus lesen sich wie eine Aneinanderreihung von Pleiten, Pech und Pannen, wie es der Titel des Buches nahelegt. In ähnlichem Umfang liefert uns Kirchberg zudem noch die Chronik der Nutzfahrzeuge in der DDR. Über die Ereignisse nach 1990 berichtet er nur kurz, vor allem, um festzustellen, daß die ostdeutsche Automobilindustrie nach dem Verlust zahlreicher Arbeitsplätze in den letzten zehn Jahren den Anschluß an die Weltspitze geschafft hat. Auf Bildern von modernen Fertigungsstätten sieht man blühende Industrielandschaften.
HARTMUT HÄNSEL
Peter Kirchberg: "Plaste, Blech und Planwirtschaft". Die Geschichte des Automobilbaus in der DDR. Nicolai'sche Verlagsbuchhandlung, Berlin 2000. 800 S., 522 S/W- u. 108 Farb-Abb., geb., 68,- DM.
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Voll des Lobes ist Wieland Freund für diese umfassende und detailreiche Geschichte des DDR-Automobilbaus. Neben der fachkundigen Darstellung hebt Freund besonders das herausgearbeitete politische Potenzial der Langsamkeit des Trabants hervor. Der Trabant untergrub das demokratische Recht des Volkes auf Beschleunigung, erzählt er, und ist damit "allein Grund zur Revolution". Einziger Wermutstropfen: was für den Fachmann an Informationen "mehr als genug" ist, ist "viel zu viel" für den Laien.
© Perlentaucher Medien GmbH
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