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Christliche Theologie ist seit ihrer Entstehung und in ihrer weiteren Entwicklung nicht ohne Philosophie denkbar: begriffliches Denken wird zur reflektierenden Selbstdurchdringung des Glaubens. So ist für die Ausformung von Theologie als 'Wissenschaft' seit den Anfängen die griechische Metaphysik - besonders in der Gestalt des Platonismus und Aristotelismus - in je verschiedener Intensitat maßgebend geworden. Die darin sich vollziehende Übernahme und Umformung philosophischer Theoriepotentiale, Denkformen und terminologischer Sprache ist nicht nur formaler Natur, sondern prägt ebensosehr die…mehr

Produktbeschreibung
Christliche Theologie ist seit ihrer Entstehung und in ihrer weiteren Entwicklung nicht ohne Philosophie denkbar: begriffliches Denken wird zur reflektierenden Selbstdurchdringung des Glaubens. So ist für die Ausformung von Theologie als 'Wissenschaft' seit den Anfängen die griechische Metaphysik - besonders in der Gestalt des Platonismus und Aristotelismus - in je verschiedener Intensitat maßgebend geworden. Die darin sich vollziehende Übernahme und Umformung philosophischer Theoriepotentiale, Denkformen und terminologischer Sprache ist nicht nur formaler Natur, sondern prägt ebensosehr die 'Sache' der Theologie. Daher ist innerhalb der geschichtlichen Entwicklung dieses Verhältnisses immer wieder die Phobie einer 'Hellenisierung', d.h. einer 'Verweltlichung' des Christentums aufgekommen.

Platonismus im Christentum folgt den Fragen: In welchem Maße bleibt Philosophie im neuen Kontext in ihrer ursprünglichen Intention wirksam? Wird die aufnehmende Seite (das Christentum) durch Philosophie irritiert oder gar verdeckt, verfremdet, destruiert? Oder ist das Neue, das aus einer intensiven Begegnung mit dem 'Alten' Entstandene, als eine - freilich schwer errungene - produktive Synthese oder Symbiose das sachlich Interessantere als eine gewalttätig scheidende Apologetik? Diese Fragen werden anhand einiger Paradigmen aus der Spätantike (Marius Victorinus, Dionysius Areopagita), dem Mittelalter (Bonaventura, Meister Eckhart) und der Renaissance (Nicolaus Cusanus, Marsilio Ficino) aus dem philosophischen Horizont des spätantiken Neuplatonismus (Plotin, Porphyrios, Proklos) heraus erörtert. Darin kommen Grundbegriffe metaphysischen Denkens zur Sprache, die auch fur die jeweilige Lebensform leitend geworden sind.

Rezension:
'Das neueste Buch von Werner Beierwaltes - das die beeindruckende Reihe seiner Studien zum Neuplatonismus fortsetzt - thematisiert eine Verbindung, die für die Geistesgeschichte Europas seit der Spätantike von grundlegender Bedeutung gewesen ist. [...] Für die Legitimität dieser Verbindung von Platonismus und Christentum gibt es keinen von außen herangetragenen Maßstab, etwa von einer positivistisch verstandenen Offenbarung her. Beierwaltes macht darauf aufmerksam, dass man nicht glauben kann, ohne immer schon zu interpretieren, was man glaubt, und dass Wahrheit - auch wenn sie sich auf Offenbarung beruft - ausweisbar sein muss. Durch die Verschmelzung der Horizonte platonischen und christlichen Denkens verändert sich der Begriff des Absoluten in einer Weise, die noch Hegel und Schelling befruchtet. In der durch die Geschichte des philosophischen und theologischen Denkens bezeugten Fruchtbarkeit dieser Horizontverschmelzung siehr Beierwaltes zweifellos zu Recht des eigentlichen Legitimitätsausweis für Platonismus im Christentum. Sein Buch zeigt dem nachdenklichen Leser auf eindrucksvolle Weise, wie sehr sich Denken und Glauben gegenseitig zu befruchten vermögen [...]. Beierwaltes arbeitet - mit durch historische Forschung geschärftem Bewusstsein für Differenzen - an der Erneuerung der Konkordanz von Philosophie und Theologie. Er könnte damit das Selbstverständnis unserer auf Antike und Christentum basierenden Kultur verändern; darum gehört das hier vorgestellte Buch zu den wichtigsten philosophischen Neuerscheinungen der letzten Jahre.'
Zeitschrift für philosophische Forschung

'Auch diesmal gelingt es Beierwaltes in glücklicher Weise, philologisches und philosophisches Erschließen der Texte miteinander zu vereinen. Philologisch verfährt er durch die Nähe zum Wortlaut der interpretierten Autoren, durch Quellenanalyse und kompetente Verweise auf die zeitgenössische Diskussion. [...] Philosophisch verfährt Beierwaltes dagegen, weil es ihm nicht nur um die historische Einordnung einer unwiederholbar geschichtlichen Erscheinung geht. Mit dem Aufweis der konstitutiven Grundlagen der platonisch geprägten, von Plotin bis zum Beginn der Neuzeit reichenden Epoche werden Positionen sichtbar, deren Aufgabe zum Bruch mit diesem Weltbild und zu der in vielen Punkten genau gegenpolig ausgerichteten Neuzeit führten. Wem an der Frage nach der Legitimation der Neuzeit, am kritischen Rückgang auf die eigenen Grundlagen, letztlich am einem 'nosce te ipsum' des modernen Menschen gelegen ist, dem liefern Beierwaltes' Arbeiten unverzichtbare Vorarbeiten. [...] Das spannend, wenn auch nicht ganz leicht zu lesende, durch Namen-, Sach - und Begriffsindex für griechische Wörter gut erschließbare Buch wird zur unverzichtbaren und richtungsweisenden Lektüre für jeden gehören, der sich mit dem Problem Platonismus im Christentum befasst.'
Philosophisches Jahrbuch

'Sollte das Buch von Beierwaltes viele Leser finden, wie es zu wünschen ist, so dürfte sich manches vom allgemeinen Verständnis eines latenten, aber fundamentalen Elementes unserer Kultur ändern.'
Frankfurter Allgemeine Zeitung
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 03.11.1998

Wenn Gott bei sich ist, diskutiert er Platon
Glaube und Wissen, wiederverheiratet: Werner Beierwaltes zeigt, wie die Dreifaltigkeit die Denkvielfalt schuf / Von Loris Sturlese

Was hat Athen mit Jerusalem zu tun? Was die Platonische Akademie mit der Kirche? Was die Ketzer mit den Christen?" Diese Fragen warf der Kirchenvater Tertullian bereits zweihundert Jahre nach dem Tod Christi auf. Wie die Dinge tatsächlich liefen, ist bekannt. Athen und Jerusalem schlossen sofort einen Bund, und die christliche Theologie entwickelte sich im Horizont der griechischen Philosophie, genauer: im Horizont des Platonismus.

Handelte es sich um eine geglückte Synthese zwischen dem Glauben Israels und griechischem Geist, oder war es ein fauler Kompromiß, der zwei radikal gegensätzliche Antithesen zu verbinden versuchte? Adolf von Harnack hat sich bekanntlich für den zweiten Teil des Dilemmas ausgesprochen und die philosophiefreundliche Entscheidung der Kirchenväter durch das Schlagwort "Hellenisierung und Verweltlichung des Christentums" stigmatisiert. Diese Idee kursiert heute noch in der Literatur in Form von pauschalen Identitätszuschreibungen, etwa, daß das Griechentum auf das Allgemeine blicke und daher wesentlich ungeschichtlich, metaphysisch und apersonal denke, während das Christentum konkret und geschichtlich sei. Oder, daß der Grieche "kosmozentrisch" denke, der Christ hingegen "anthropozentrisch".

Werner Beierwaltes hat für solche Universalaussagen keine Verwendung. Er fordert zwar eine Revision der Harnackschen Hellenisierungsthese, und hierin besteht, wenn man will, das "Politikum" seines Buchs über Platonismus im Christentum. Diese Forderung wird jedoch historisch präzise artikuliert und führt zu einer Reihe reicher philosophiehistorischer Analysen: "Innerhalb des langwierigen und folgenreichen Prozesses dieser ,Hellenisierung des Christentums', in dem die Begrifflichkeit der griechischen Metaphysik die Dogmatisierung christlicher Wahrheit - bewußt oder unbewußt - wesentlich mitbestimmt, gibt es eine Reihe von Theologumena, die allererst durch philosophische Reflexion ,zu sich selbst' gekommen sind oder zumindest an Überzeugungskraft für den Glauben im ganzen gewonnen haben."

Es handelt sich um wichtige Doktrinen wie die Lehre von der Schöpfung als Entfaltung des göttlichen Willens und von den Ideen als den Strukturen göttlichen Denkens; oder einen Begriff Gottes, der als mit dem Sein im Sinne einer in sich selbst reflexiv bewegten Unwandelbarkeit identisch gedacht wird; oder auch die Ideen von Ewigkeit, Zeit und Geschichte, Wille und Freiheit, und die Frage nach dem Zugang zu einer unmittelbaren, mystischen Erkenntnis Gottes. Aber "keines dieser Theologumena ist so intensiv durch eine Verflechtung philosophischer Begriffe und Theoreme bestimmt wie das der Trinität".

Beierwaltes greift sechs große Autoren aus der Spätantike, dem Mittelalter und der Renaissance heraus: Marius Victorinus, Dionysius Areopagita, Bonaventura, Meister Eckart, Nikolaus von Kues, Marsilio Ficino. Diese seltsame Reihe wird gewiß manche Theologenstirn sich runzeln lassen. Ein Heiliger der katholischen Kirche gesellt sich hier einem Florentiner Arzt, der die Macht der Magie instrumentalisieren wollte. Ein deutscher Kardinal und ein Freund des heiligen Augustinus gehen zusammen mit einem Orientalen, der ein ganzes Zeitalter in Schach hielt, indem er sich als Schüler des Apostel Paulus ausgab. Und in der Mitte der Reihe steht Meister Eckart, dessen Philosophie manche Theologen heute noch (zu Unrecht, wie Beierwaltes zeigt) als monistisch und pantheistisch abstempeln.

Eines haben diese sechs Denker gemeinsam: Sie stellen Formen einer "geglückten Symbiose" von platonischem und christlichem Gedanken dar, sie zeigen, "daß die christliche Intention zu einer ihr gemäßen Reflexionsform mit zentralen Gedankenelementen der neuplatonischen Philosophie eine sinnvolle Einheit im Bewußtsein der Differenz hat finden können". Tief prägte das neuplatonische Konzept eines Rückgangs des Denkens in sich selbst die trinitarische Reflexion über den einen Gott von Victorinus bis Cusanus.

Josef Koch empfahl vor vierzig Jahren, zwischen einem "Augustinischen" und einem "Dionysischen" Neuplatonismus zu unterscheiden: Ersterer sei orthodox, weil trinitarisch orientiert, die von Dionysius Areopagita beeinflußte Tradition sei hingegen potentiell heterodox, da von der monistischen Einheitsmetaphysik des Proklos abhängig. Es ist Beierwaltes' Verdienst, nun einen weiteren Schritt gemacht zu haben: Was für Koch ein giftiger Dorn im Fleisch des Christentums war, das Denken des Proklos, wird bei Beierwaltes zum inneren Bewegungsprinzip der philosophischen Reflexion des Christentums. Die "innere Bestimmung des Dionysios durch Proklos" und der grundlegend philosophische Charakter des Corpus dionysiacum waren die Kräfte, die dem Neuplatonismus den Weg ins Christentum eröffneten.

Daß Aristoteles, der das heutige Bild des Mittelalters so stark prägt, in diesem Horizont völlig abwesend ist, sollte nicht verwundern, handelte es sich doch bei der "Aristotelisierung" der Theologie im dreizehnten Jahrhundert um eine Episode in zwei Jahrtausenden von "Philosophia perennis". Beierwaltes bringt die Proportionen wieder in Ordnung. Das historisch fundierte und philosophisch reflektierte Bild, das sein Buch bietet, bricht mit alten Vorurteilen und Schematismen. Eines von seinen eleganten, schmalen Kapiteln bringt mehr Einsicht in die theoretischen Grundlagen der "Philosophia perennis" als die 800 Seiten dicke Publikation, die jüngst Wilhelm Schmidt-Biggemann zu diesem Thema veröffentlicht hat. Sollte das Buch von Beierwaltes viele Leser finden, wie es zu wünschen ist, so dürfte sich manches vom allgemeinen Verständnis eines latenten, aber fundamentalen philosophischen Elementes unserer Kultur ändern.

Werner Beierwaltes: "Platonismus im Christentum". Vittorio Klostermann Verlag, Frankfurt am Main 1998. 222 S., geb., 78,- DM.

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